Neuzeitliche Exegese der Bibel

Rund um Bibel und Glaube
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Halman
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#101 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von Halman » Mo 29. Dez 2014, 15:28

Münek hat geschrieben:@ Halmann

Ich muss Dir widersprechen. Die Frage der Naherwartung ist keine
Glaubensfrage, sondern eine historische Frage.
Sed Contra: In meinem Beitrag ging es nicht darum, die Naherwartung insgesamt umzudeuten oder zu leugnen, sondern darum, aufzuzeigen, dass es in zwei Fällen, nämlich
1. in der von allen Synoptikern geschilderten Verklärung Jesu und
2. den väterlichen Worten in 1. Joh 2:18
nicht um die Naherwartung geht. Die historische Frage hängt selbstverständlich von der Interpretation des zugrundeliegenden Textes ab. Und hier halte ich es für legitim, mich nicht an den Mainstream der Exegese der letzten 150 Jahre zu orientieren, sondern an die viel längere theologische Ausdeutung vor dieser Zeit. Hierzu stellt Klaus Berger (Neutestamentler) fest:
Zitat aus "Die Bibelfälscher" (Seite 27):
Die Kirche hat Mk 9,1 über Jahrhunderte hinweg so verstanden, dass Jesus mit dem Kommen des Reiches in Macht gar nicht das Weltende meinte, sondern seine Verklärung*, denn sie bezeugt, dass das, was Jesus verkündet, jetzt schon die Macht der Verwandlung besitzt, und zwar als Verklärung. In der Textgeschichte gibt es nicht den geringsten Versuch, in Mk 9,1 einen Irrtum Jesu aufzudecken oder zu vertuschen. Fast 2000 Jahre Kirchen- und Textgeschichte boten doch genügend Gelegenheit dazu.
Es sei hier nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich mit diesem Punkt lediglich die Verklärung Jesu thematisiere. Die anderen Worte über Naherwartung sind nicht hierunter zu subsumieren.

*Im Einklang mit der Auffassung der griechischen - u. russischen orthodoxen Kirche.

Der 2. Punkt betrifft die väterlichen Worte im 1. Johannesbrief. Die von ihn erwähnte "letzte Stunde" bezieht sich auf das Kommen des Antichristen, welches der Wiederkunft Christi vorausgeht. Joh 2:18 verweist nach meinem Verständnis nicht unmittelbar auf die Naherwartung Christi.

Münek hat geschrieben:Hier ist die ergeb-
nisoffen forschende theologische Wissenschaft am Zuge. Persönliche
Glaubensüberzeugungen haben hier außen vor zu bleiben.
In diesem bunten Forum? Dieses Forum entstand doch in Opposition zum "fundamentalistischen" Dave-Forum mit einer recht bunt gemischten Gruppe von "eigenwilligen Rebellen". Hier werden wir halt damit leben müssen, dass Atheisten auf Kreationisten, Katholiken auf Jehovas Zeugen und Vertreter der Exegese auf bibeltreue Christen treffen. Da werden sicher nicht alle Deine respektable Meinung teilen, dass persönliche Glaubensüberzeugungen außen vor zu bleiben hätten. ;)
Und dass die theologische Wissenschaft ergebnisoffen forscht, ist eine kühne Behauptung, die ich stark anzweifle.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#102 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » Mo 29. Dez 2014, 15:41

sven23 hat geschrieben:Alles, was überprüfbare Vorhersagen macht, läßt sich auch überprüfen.
Ja - und? - Was hat das mit "Sein" oder "Nicht-Sein" zu tun?

sven23 hat geschrieben:Das sollte eigentlich einleuchten, auch für einen wissenschaftsphoben Laien.
Ich bin nicht wissenschaftsphob, sondern hasse Kategorie-Fehler wie die Pest.

Wissenschaft kann "Sein" innerhalb seiner Methodik objektiv überprüfen - das ist ausdrücklich super. - Der Umkehrschluss, wonach das, was Wissenschaft innerhalb ihrer Methodik nicht objektiv überprüfen könne, deshalb kein "Sein" sei, ist mindestens ein Kategorie-Fehler, in forcierter Formulierung eine intellektuelle Fehlleistung erster Güte.

sven23 hat geschrieben:Wie würdest du denn Aberglaube definieren?
Alles, was sich als Glaube versteht, nicht aber zu Gott hin ausgerichtet ist.

closs
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#103 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » Mo 29. Dez 2014, 15:58

Münek hat geschrieben:Wie kommen theologische Wissenschaftler dazu, einvernehmlich zu konstatieren, Jesus habe sich in seiner NAHERWARTUNG GEIRRT, wenn es diese Naherwartung Jesu NIE gegeben hat?
Karl Barth schreibt dazu (wik) :

Karl Barth beschäftigt sich in seiner Kirchlichen Dogmatik mit dem Thema der Parusie Christi an mehreren Stellen. Er unterscheidet dabei drei Gestalten der Parusie.[16]

Die erste Gestalt der Parusie Christi ist für ihn das Osterereignis, ist die Auferstehung Jesu Christi.
Die zweite Gestalt der Parusie, auch „die mittlere Gestalt“, ist „die Gabe des Heiligen Geistes“, ist das Pfingstereignis, die Ausgießung des Geistes an die Gemeinde und Kirche.
Die dritte Gestalt, „die letzte Form“, ist „das Herbeikommen Jesu Christi als des Zieles der Geschichte der Kirche, der Welt und jedes einzelnen Menschen.“ [17] So definiert Karl Barth den „Jüngsten Tag“. Es ist dies das „neue Kommen“ des zuvor Gekommenen, „das neue Bei-uns-Sein dessen, der bei uns war.“ [18]

Diese dreifache Gestalt der Parusie Christi darf nicht auseinandergerissen werden, sondern sie muss als Einheit verstanden werden.


Es gibt also ganz andere Sichtweisen - ganz sicher nicht als Einzelmeinung.

Münek hat geschrieben:Hatten und haben diese Theologieprofessoren alle einen "Kolbenfresser"
Möglicherweise einen methodischen Kolbenfresser:

Man übersehe bspw. Barths Deutung, übersehe weiterhin den Zusammenhang zwischen Naherwartung und Verklärung, übersetze "Volk" mit "Generation", mache nicht die Substanz ("Sein"), sondern die Rezeption der Jünger/Urschristen ("Wahrnehmung") zum Maßstab - und schon hat man seine Version. - Persönlich vermute ich zudem einen der historisch-kritischen Methode inhärenten Zusammenhang:

Man nimmt sich reduktiv ein Zitat nach dem anderen heraus und analysiert es in sich selbst (also neutral ohne jeglichen Blick über den Tellerrand - man will ja als unanfechtbar wissenschaftlich gelten) - und dann erhält man Mosaike, die man zusammenfügt, und sagen kann: "All diese Mosaike weisen eine Naherwartung Jesu nach". - Danach baut man sich sein Bild und meint, wissenschaftlich sauber gearbeitet zu haben.

Hat man vielleicht auch - aber halt an der Substanz vorbei.

sven23 hat geschrieben:dann würde das Glaubenskartenhaus zusammenkrachen.
Stimmt - wüsste Gott (in Jesus) nicht einmal selber, wann er wiederkommen würde, stimmte etwas nicht. - Aber: Siehe oben K. Barth, etc.

Münek hat geschrieben: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Das stimmt doch auch - der Erlöser ist da und wird demnächst am Kreuz sterben.

Münek hat geschrieben:Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis des Menschen Sohn kommt.".
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#104 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » Mo 29. Dez 2014, 15:59

closs hat geschrieben:Ja - und? - Was hat das mit "Sein" oder "Nicht-Sein" zu tun?

Eben, was hat Astrolüge oder Wünschelrutengängerei mit Sein oder Nichtsein zu tun? Gar nichts.
Vorhersagen lassen sich ganz einfach auf ihre Zuverlässigkeit überprüfen. Um mehr gehts doch gar nicht.

closs hat geschrieben: Ich bin nicht wissenschaftsphob, sondern hasse Kategorie-Fehler wie die Pest.

Wenn Jemand behauptet, er habe übernatürliche Fähigkeiten, dann darf man doch einen klitzekleinen Beweis verlangen. Was hat das mit Kategorienfehler zu tun? :roll:

closs hat geschrieben: Alles, was sich als Glaube versteht, nicht aber zu Gott hin ausgerichtet ist.

Das wäre dann doch das große Feld der kommerziellen Esoterik.
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#105 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » Mo 29. Dez 2014, 16:10

closs hat geschrieben:Stimmt - wüsste Gott (in Jesus) nicht einmal selber, wann er wiederkommen würde, stimmte etwas nicht. - Aber: Siehe oben K. Barth, etc.

Barth ist aber kein Vertreter der historisch kritischen Methode. Er steht als Kirchendogmatiker für die Theologie der Verkündigung, die im Gegensatz zu einer wissenschaftlichen Theologie steht. Also eher Old School. ;)
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#106 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » Mo 29. Dez 2014, 16:36

sven23 hat geschrieben:Vorhersagen lassen sich ganz einfach auf ihre Zuverlässigkeit überprüfen. Um mehr gehts doch gar nicht.
Doch - Überprüfungen sind der Königsweg - nur geht's halt nicht immer. - Unterm Strich geht es aber eben NICHT um Überprüfung (= Wahrnehmung), sondern um Realität/Sein - egal, ob wie weit wir da mitziehen können.

sven23 hat geschrieben:Wenn Jemand behauptet, er habe übernatürliche Fähigkeiten, dann darf man doch einen klitzekleinen Beweis verlangen.
Dürfen tut man viel. - Die Frage ist, ob Beweisbarkeit entscheidend ist. - Im Zweifelsfall sollte man kritisch sein - denn bei Leuten, die so etwas öffentlich behaupten, ist meistens der Wurm drin.

sven23 hat geschrieben:Was hat das mit Kategorienfehler zu tun?
Dass man - wie üblich - Wahrnehmung zum Maßstab dafür macht, ob etwas ist oder nicht-ist. - Wahrnehmung ist eine unverzichtbare Hilfe, aber kein Maßstab.

sven23 hat geschrieben:Das wäre dann doch das große Feld der kommerziellen Esoterik.
Soweit man sich transzendent auszurichten vorgibt, JA. - Wenn jemand dagegen sagt "Ich glaube, mein Schwein pfeifft", hat das nichts mit Aberglauben zu tun - mangels Transzendenz-Anspruch - selbst wenn es Weltraumschweine gibt. :geek:

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#107 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » Mo 29. Dez 2014, 16:36

sven23 hat geschrieben:Barth ist aber kein Vertreter der historisch kritischen Methode.
Eben - deshalb hat er auch keine diesbezüglichen Kolbenfresser.

sven23 hat geschrieben:Old SChool
Zeitlich richtig - aber substantiell ist das keine Aussage. - Entwicklungen können auch Rückschritte sein.

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#108 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » Mo 29. Dez 2014, 16:59

closs hat geschrieben:Doch - Überprüfungen sind der Königsweg - nur geht's halt nicht immer. - Unterm Strich geht es aber eben NICHT um Überprüfung (= Wahrnehmung), sondern um Realität/Sein - egal, ob wie weit wir da mitziehen können.

Wenn man mal die Religion außen vor läßt, warum soll Überprüfung nicht möglich sein?

closs hat geschrieben: Dürfen tut man viel. - Die Frage ist, ob Beweisbarkeit entscheidend ist. - Im Zweifelsfall sollte man kritisch sein - denn bei Leuten, die so etwas öffentlich behaupten, ist meistens der Wurm drin.

Also finden Wunder doch im Geheimen statt, du mußt dich mal entscheiden.

closs hat geschrieben: Wahrnehmung ist eine unverzichtbare Hilfe, aber kein Maßstab.

Eben, auch oder gerade Glaube, Religion, Gott sind rein subjektive Wahrnehmungen und die können täuschen, wie die Hirnforschung zeigt.

closs hat geschrieben: Soweit man sich transzendent auszurichten vorgibt, JA. - Wenn jemand dagegen sagt "Ich glaube, mein Schwein pfeifft", hat das nichts mit Aberglauben zu tun - mangels Transzendenz-Anspruch - selbst wenn es Weltraumschweine gibt. :geek:

Na ja, mein Schwein pfeift, ist ein flotter Spruch, hat aber nichts mit Aberglauben zu tun. Esoterik schon eher.
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#109 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » Mo 29. Dez 2014, 17:24

sven23 hat geschrieben: warum soll Überprüfung nicht möglich sein?
Weil "Sein/Realität" kategorial etwas anderes ist als "Wahrnehmung". - Wo steht geschrieben (außer in Weltanschauungen), dass "Sein/Realität" grundsätzlich durch "Wahrnehmung" überprüfbar ist? - Wünschenswert ist das gewiss - aber garantiert?

sven23 hat geschrieben:Also finden Wunder doch im Geheimen statt, du mußt dich mal entscheiden.
Muss ich nicht - Wunder finden da statt, wo sie stattfinden. - Das ist doch nicht Gegenstand unserers Befindens. - Unabhängig davon, dass es aus meiner Sicht nach wie vor keine allgemeingültige Definition von "Wunder" gibt.

sven23 hat geschrieben:Glaube, Religion, Gott sind rein subjektive Wahrnehmungen
Das kann man weltanschaulich GLAUBEN - aber substantiell sagt ein Glaube nur, was man denkt/fühlt, dass es Realität ist, aber nicht weiss. - Das ist bei Christen genauso.

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#110 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » Mo 29. Dez 2014, 17:40

closs hat geschrieben:Weil "Sein/Realität" kategorial etwas anderes ist als "Wahrnehmung". - Wo steht geschrieben (außer in Weltanschauungen), dass "Sein/Realität" grundsätzlich durch "Wahrnehmung" überprüfbar ist? - Wünschenswert ist das gewiss - aber garantiert?

Wenn etwas als Realtität verkauft wird, sollte es sich auch überprüfen lassen. Das ist doch kein grundsätzliches unlösbares Problem.

closs hat geschrieben: Muss ich nicht - Wunder finden da statt, wo sie stattfinden. - Das ist doch nicht Gegenstand unserers Befindens. -

Nein, aber wer etwas behauptet, ist in der Beweispflicht.

closs hat geschrieben: Unabhängig davon, dass es aus meiner Sicht nach wie vor keine allgemeingültige Definition von "Wunder" gibt.

Wenn man die Definition von Wunder tief genug hängt, dann ist die Welt natürlich voller Wunder. Wunder im engeren Sinn sind Dinge, für die wir selbst heute keine Erklärung hätten. Nur gibt es diese nicht. Wir können alles naturalistisch erklären.
Wenn jemand quasi per Knopfdruck Menschen heilen könnte, wäre das für mich auch ein Wunder. Aber auch das gibt es nicht. Also worüber reden wir also?
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