Pluto hat geschrieben:Ich sagte "wir", weil diese Gefahr für uns real existiert. Vor allem dann, wenn die innere Kraft fehlt, nicht im "Morast" der Beliebigkeit zu versinken.
Aber andere kann man deswegen nicht gängeln. Man kann von außen nicht beurteilen, ob jemand den Weg der "Beliebigkeit" geht, oder ob er "von innen geführt" wird. Womit ich meine: man muss diesen Weg gehen, man kann nicht anders. Wie heißt es doch so schön? "Wenn ich mich irre, irre ich mir."
Auf gut Deutsch: Mein Irrtum ist mein Recht.
Anders als closs sehe ich auch den Irrtum als Weg zur Erkenntnis und zum Verstehen. Manches muss ich erst falsch machen, um deutlicher zu begreifen, was etwas taugt und was nicht. Ich denke da nicht dualistisch.
Pluto hat geschrieben:Ich gebe gerne auch zu, eine gewisse "Angst" vor dem Einfluss der Willkür zu haben. Vielleicht weiß ich dann am Ende nicht mehr was "Sache" ist, und was nicht? Spirituelles ist sehr leicht mit Beliebigkeit zu verwechseln.
Auch wenn ich im Moment nicht greifen kann, was Du mit "Beliebigkeit" meinst: Warum nicht die Zuversicht haben, dass der Mensch aus einem Irrtum auch wieder herausfindet? Warum ihm sein Fragen nicht mehr erlauben, wenn dieses Fragen doch aus seiner innersten Existenz kommt?
Was einen selbst betrifft, und das meintest Du vielleicht:
Es muss einen selbst drängen, sich ein neues Gebiet zu erschließen, um einen Schmerz oder Ähnliches zu lindern. Dann erschließt man sich das, ganz instinktiv. Aber was davon man in sein eigenes Leben nimmt - jedenfalls geht es mir so -, wird auf der Basis meiner Ich-Substanz entschieden. Es ist ein vorsichtiges Erweitern meiner Ich-Vorstellung. ->
Wenn der Selbstmord eines geliebten Neunzehnjährigen mich als Achtzehnjährige aus der Bahn wirft und ich 13 Jahre später durch das Klavierspiel einer begnadeten Pianistin wieder in meine eigene Bahn katapultiert werde, binnen weniger Minuten, dann WEISS ich etwas über das Wesen der Wirkung von Musik. Das ist kein Glaube, sondern eine Erfahrung, die mich radikal in die Glücksfähigkeit geschossen hat.
Wenn ich dann Erfahrensberichte auch von anderen Musikern lese, wie sie durch andere Musiker begriffen haben, was Kunst und was Leben in ihrer Tiefendimension in einem auslösen können - dann sehe ich mich darin bestätigt.
Da ist keine Beliebigkeit, keine Willkür. Und vor allem auch keine bewusste Entscheidung.
Pluto hat geschrieben:Man muss schon eine ganz spezielle Gabe haben um hier zielgenau die Klippen zu umschiffen. Ich gebe unumwunden zu, ich habe sie nicht.
Aber ist es wirklich "Angst"? Oder ist es nicht vielmehr die Rationalität, die mich zurückhält?
Ich habe irgendwann einmal an mir kapiert - da war ich um die 30, glaube ich -, dass ich darum eine so starke Rationalität entwickelt hatte, weil ich Angst hatte, die Grenzen des Verstandes zu verlieren. Ich konnte nicht einmal einen Sonnenaufgang genießen, weil der Verstand mich da blockierte. Ich konnte mich nicht fallen lassen.
Und das lag offenbar daran, dass ich, wenn ich mich fallen gelassen hätte, vermutlich versunken wäre, mein Ich verloren hätte. Die ratio war mein Schutz.
Aber irgendwann wurde genau diese ratio zu meinem Gefängnis. Der Tod hatte mir neue Fragen vor die Füße geschmissen, die ich nicht gewählt habe. Die Musik erzählte mir etwas, das mir Erleichterung verschaffte. Das war keine Erkenntnis durch die ratio, sondern ein Verstehen, das auf einer anderen Ebene lag, aber einem Menschen zugänglich war.
Pluto hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Was ich eigentlich nur sagen wollte: ich staune über diese so starke Abwehr bei neuen Gedankengängen, die man doch riskieren muss, wenn man nicht in einem Kerker ersticken will.
Du meinst, nicht alles zu glauben, sei ein Kerker?
Aber nein! Entschuldigung, ich hab ungenau geschrieben.
Ich sprach von mir. Ich musste neue Gedankengänge riskieren, um nicht in meinem Kerker - der reinen ratio - zu ersticken.
Pluto hat geschrieben:Jedem das Seine, aber ich betrachte Wissen als das zweithöchste geistige Gut was wir anstreben können. Das Höchste ist und bleibt für mich Glückseligkeit. Diese ist nur selten erreichbar, und sie überrascht mich immer wieder wenn ich sie erleben darf.
Vielleicht meinen wir hier sogar Ähnliches.