closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Ich glaube sogar, dass das, was ich beschrieben habe, geistiger Natur ist.
Das sehe ich ähnlich - Du sprichst auf Basis einer Transzendenz-Fähigkeit, ordnest das Gesprochene aber nicht deutlich der Transzendenz zu.
Das hast Du gut beobachtet. Substantivierungen von Geschehnissen nimmt der Verstand vor. Darum vermeide ich, wenn es irgend geht, die Sehnsucht des Verstandes, alles hinter Gitter zu kriegen - gefangen in Begriffen - durch meine Wortwahl zu umgehen.
Wir Menschen transzendieren - das ist eine Tätigkeit. Die kann man beschreiben. Man beschreibt nicht das Wort, sondern den Vorgang. Die Substantivierung zu "Transzendenz" lässt unser Sprachsystem zwar zu, aber es ist ein ungedeckter Scheck, Produkt einer Verstandestätigkeit.
Es gibt Sprachen - hab leider vergessen, welche -, die diese Art der Substantivierung gar nicht in ihrem Sprachsystem haben. Darum haben sie es auch nicht in ihrem Denken.
Das war einer meiner Aha-Erlebnisse: dass es unsere - abendländische - Sprache ist, die künstlich philosophische Probleme und Fragen erzeugt. Schon als ich anfing, gut Schwedisch zu sprechen - obwohl auch das eine abendländische Sprache ist -, merkte ich, dass bestimmte philosophische Probleme, mit denen ich mich in Deutschland abgeplagt habe, in der schwedischen Sprache gar nicht formulierbar sind.
Sie waren also durch unsere Sprachstruktur und unser Vokabular erzeugt.
Das ist einer der Gründe, warum ich nicht mehr über Begriffe rätsele, sondern schaue, ob sie nur Produkt unseres Sprachsystems sind oder ob sie auf etwas gegründet sind, das außer begrifflicher Realität noch eine andere Realität hat.
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben: Aber es hat eben auch eine geistige Seite.
ISt "Geist" für Dich eine psychologische resp. rein neurowissenschaftliche Größe, oder auch unabhängig davon denkbar?
Ich sagte nicht "Geist", sondern "geistig".
Begriffe sind frei wählbar. Wenn Unterschiedliches wahrnehmbar ist, dann müssen zwei unterschiedliche Begriffe her.
Wir haben leider nicht sehr viel Auswahl.
Darum fragte ich Dich ja: Welchen Unterschied nimmst Du wahr, wenn etwas als "psychisch" bezeichnet wird, und was, wenn etwas als "geistig" bezeichnet wird.
Wenn kein Unterschied wahrnehmbar ist, dann reicht auch
ein Begriff. Ich selber finde, dass ein Begriff nicht reicht. Wahrscheinlich reichen nicht mal zwei.
Da aber alle Begriffe in diesem Zusammenhang vorbelastet sind, würde ich am liebsten neue erfinden.
Wenn andere aber mit den vorbelasteten Begriffen hantieren, dann muss ich gucken, was man - an Wahrgenommenem - damit bezeichnet. "Wahrgenommen" in sehr weitem Sinn.
Auf jeden Fall nehme ich deutlich eine Seite wahr, die das, was man als "psychisch" versteht, übersteigt. Aber man kann die psychische Ebene auch erweitern, C.G.Jung in dem Punkt folgen, der das Individualpsychische von Kollektivpsychischem unterscheidet und auch noch von anderem unterscheidet, das ich jetzt vergessen habe oder zu lange dauern würde, es zu beschreiben.
Auch das, was ich selber damit verbinde, kann ich nicht jeden Tag erwischen und niederschreiben. Bin der Meinung, ich hab es hier in einem dieser Threads schon einmal ausführlich aufgeschrieben, im Zusammenhang mit Musik.
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Diese "Parallweiten" durchdringen einander, sind jede Sekunde für uns vorhanden.
Zustimmung - wo kommen diese Welten her? - Produkt der Materie, aus der Du bestehst?
Jetzt verlangst Du wieder nach Antworten durch den Verstand.
Man hat doch selber die Freiheit, Beobachtetes mit Worten zu beschreiben. Die Wörter sind frei wählbar.
"Physisches" ist weitgehend allgemeinverständlich, da gibt es keine Diskussionen, was das ist. Bei dem Wort "Materie" hingegen - ein rein abstrakter Begriff - kommen dann wieder dermaßen viele Vorentscheidungen aus der weltanschaulichen Ecke zum Zuge, dass ich mich weigere, diese weltanschaulichen Grabenkämpfe auch noch zu unterstützen, indem ich abstrakte Begriffe kommentiere.
Mein ganzes Vorgehen beruht doch darauf, dass ich jenseits dieser Grabenkämpfe Land gewinnen will, indem ich diese Abstraktionen auf das hin abklopfe, was damit ganz konkret gemeint sein könnte. Da wir alle Menschen sind, alle aus dem selben Mustopp kommen, können wir gar nicht anders, als ganz Ähnliches meinen. Die Grabenkämpfe führt nur der Kopf.
Allerdings muss offenbar auch wieder der Kopf das auseinanderpflücken, untersuchen, was alles unter verschiedenen Begriffen läuft und doch das Gleiche ist - und umgekehrt.
Mein Grundgefühl ist:
Wir Menschen wissen nicht, was da als Mensch entstanden ist, als der Mensch entstand.
Ich nehme an, dass Du nicht kreationistisch denkst, also dass der Mensch für Dich nicht buchstäblich aus Lehm geformt wurde, dem Gott buchstäblich den göttlichen Atem eingehaucht hat.
Selbst aber, wenn man nicht kreationistisch denkt, weiß keiner von uns, was da entstanden ist, aus dieser Ursuppe.
Alle wissenschafttlichen Untersuchungen sind Teil-Untersuchungen. Man steht komplett am Anfang.
Meint man, etwas gefunden zu haben - und verallgemeinert das in der Form, dass man sagt: 'Jetzt weiß ich, was der Mensch ist, nämlich...' dann buche ich das ab unter "Na ja...". "Na ja" kann heißen: Größenwahn, leicht zufrieden zu stellen, Hilflosigkeit.
Die westliche Welt setzte auf das Physische. Darüber hat sie am meisten geforscht, und darüber gibt es die meisten Ergebnisse. Dadurch ist unser physischer Reichtum entstanden, die florierende Wirtschaft etc. Das hängt alles zusammen.
Was unabhängig vom Physischen in uns abläuft, ist bislang rein auf Intro-Perspektive angewiesen; wir sind zur Zeit darauf angewiesen, mit selbstangefertigten Hausmethoden Abläufe in uns zu beobachten, die wir vorläufig als psychische oder geistige bezeichnen.
Man muss bedenken: In unserem auf Physisches ausgerichtetes Abendland hat erst 1900 jemand - nämlich Sigmund Freud - es durchsetzen können, auch Unsichtbares als Realität zu etablieren: das, war er dann als Unbewusstes bezeichnet hat.
Dieses Unbewusste ist nicht direkt untersuchbar, sondern nur an seinen Wirkungen erkennbar.
Das war - Vorläufer lasse ich jetzt mal weg - der Beginn eines riesengroßen Umschwungs im abendländischen Denken, weg vom rein Physischen hin zu Vorgängen, die physisch nicht mehr beschreibbar sind, aber als deutlich vorhanden erkennbar sind.
Das physische Denken hat uns aber - kulturell bedingt - offenbar noch dermaßen in den Klauen, dass es schwerfällt, Vorgänge im Menschen nicht auf das Physische zurückführen zu wollen.
Ich sag es noch mal:
Wir alle wissen nicht, was mit dem Menschen entstanden ist. Wir haben nur unsere Ahnungen, die andeuten, dass da eine Menge mehr los ist, als wir bisher festgestellt haben. Viel weiter als Sigmund Freud sind wir ja noch kaum gekommen in den letzten hundert Jahren.
Das liegt möglicherweise an der übermächtigen Dominanz der Naturwissenschaften, die sich für den Menschen nur in der Form interessiert hat, was physisch mit ihm los ist.
Die Psychologie ist immerhin ein erster Versuch, diese Dominanz zu brechen.
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Ja, man muss "transzendieren", wenn man eine dieser Welten wahrnehmen will. Es ist immer ein Transit von der einen Welt zur anderen.
Gibt es für Dich Transzendenz INNERHALB des Daseins?
Ich weiß, dass "Dasein" für Dich ein weltanschaulicher Begriff ist. Du hast da ein religiöses System, in das ich mich verfangen würde, würde ich Dir darauf antworten.
Du unterscheidest ja "Dasein" und "Sein", und das sind für mich verkopfte Begriffe innerhalb eines konstruierten Systems. Es sei denn, Du kannst mir mit Beispielen zeigen, wie sich etwas anfühlt, das nicht im Dasein ist.
Aber meine Beispiele stammten ja alle von lebendigen Menschen.