sven23 hat geschrieben:closs hat geschrieben:Mir würde es schon reichen, dass man Sein als autonome Größe verstünde und sich davon überraschen lassen könnte, selbst wenn man es nicht objektivieren kann. - Allein diese Offenheit wäre ausreichend - Religion kommt viel später.
Vielleicht sollte man mal begreifen, daß alles, was wir uns ausdenken können, sei es Religion, Götter, Esoterik, Transzendenz, ja sogar das postulierte SEIN, Phänomene des Daseins sind.
Es sind keine Phänomene bekannt, die nicht Teilmenge des Daseins wären.
So, wie Du es schreibst - mit einer Ausnahme allerdings -, würde ich es auch schreiben. Denn was immer man nennt an wahrgenommenen Phänomenen, es ist immer aufzeigbar, dass
ein Mensch das wahrgenommen, gedacht oder notiert hat.
NUR, und jetzt kommt das große Nur:
Und ich benutze dafür jetzt mal ein Wort, das mir bislang nicht eingefallen war, und das, wie alle Wörter, nur bedingt tauglich ist, aber als Analogie vielleicht doch nützlich ist; ein Wort, das ich jetzt ein bisschen zweckentfremde, in einem Sinn, den ich gleich noch erklären will:
Parallelwelt.
Ich habe mal ziemlich lange für mich zu klären versucht, was ich eigentlich genau tue, wenn ich Anleihen bei unserer realen Wirklichkeit mache und daraus eine Theateraufführung bastele. Statt realer Häuser
angemalte Häuser aus Sperrholz auf die Bühne stelle. Was verlange ich da dem Zuschauer ab? Soll er sich echte Häuser dabei denken oder was?
Ich hatte da eine echte Krise, weil ich mein Tun inzwischen etwas albern fand, wollte so'n Quatsch nicht mehr weiterführen.
Bis mir dann - und das dauerte Jahre - aufdämmerte, dass man mit sowas keineswegs unsere reale Wirklichkeit auf äußerst unzulängliche Weise imitiert, sondern im Zuschauer eine andere Form von Wahrnehmungsorganen aktiviert.
Deutlicher beschreiben kann ich das mit einem anderen Beispiel, das mir das mit der "
Parallelwelt" klar gemacht hat.
Ich komme müde und erschossen von der Arbeit, habe mich aber am Abend mit Freunden in einem Gartenrestaurant verabredet.
Wir betreten den Garten des Gartenrestaurants, das sehr geschickt mit indirekten Lampen hinter den Büschen beleuchtet ist, dazu eine sanfte Musik von einem Orchester und das leise heitere Plaudern der Gäste miteinander:
und schlagartig fällt meine Müdigkeit und gestresste Laune ab, ich atme tief durch, bin plötzlich glücklich. Ich habe eine "Parallelwelt" betreten und meine Arbeitswelt abgelegt.
Erzeugt worden ist das durch ein geschicktes Arrangement (Pflanzen, Beleuchtung, Musik, plaudernde Menschen), aber was das in mir
ausgelöst hat, ist eine eigene, in sich ruhende Welt.
Diese Welt hat eine andere Seinsform als die Arbeitswelt, weil da andere Wahrnehmungsorgane aktiviert sind.
Diese anderen Wahrnehmungsorgane kreieren eine unterschiedlich empfundene Welt.
So auch, wenn man Musik hört.
Diese andere Welt sucht man ja auch bewusst auf, wenn man zum Beispiel in einem Wald spazieren geht und keinen Autolärm mehr hören will, sondern nur Vogelgezwitscher.
Insofern sind das zwei unterschiedliche Dinge:
das,
was die Wahrnehmung einer Parallelwelt ausgelöst hat, ist klar beschreibbar und ist materiell. Das, was da ausgelöst
wurde, ist nicht materiell, und was genau da entstanden ist - danach fragen wir ja die ganze Zeit. in diesem Thread und auch in dem "Geist"-Thread.
Eins scheint mir sonnenklar:
es sind zwei unterschiedliche "Seins"formen.
Und etwas anderes ist ebenfalls sonnenklar:
es ist nicht "ausgedacht", wie sven23 behauptet.
Die ewige Frage von closs, wie man unterscheiden kann, ob bloßes Ausdenken vorliegt oder nicht, kann schon mit der Kritik an solchen Aussagen wie "alle Phänomene sind von Menschen "
ausgedacht" beginnen:
es ist eben nicht ausgedacht, sondern es geschieht. Es ist vorhanden, real vorhanden.
Kein Psychologe würde behaupten, dass ein Trauma ausgedacht ist, dass ein Glücksgefühl ausgedacht ist.
Der Vorwurf des Ausgedachtseins beruht auf ungenauer Beobachtung. Er ist schon mit wissenschaftlichen Mitteln widerlegbar.
Klar gibt es auch ein Ausdenken. Aber das, was in dem Gartenlokal ausgelöst wurde, war ja nicht ausgedacht. Es wurde eine Welt wahrgenommen - man war in sie abgetaucht -, in der die Alltagsprobleme plötzlich lösbar schienen.
Und so kann auch eine gemalte Kulisse eines Hauses auf der Bühne in dem Zuschauer ein Verstehen dafür auslösen, dass man "behaust" oder "unbehaust" leben kann. Die künstliche Kulisse kann
das Wesentliche eines empirischen Hauses bewusst machen.
Kommt das dem nahe, was Du suchst, closs?