Anton B. hat geschrieben:Wir reden über Wahrnehmungen untereinander und aus geistigen Konstrukten gewonnenen Wahrnehmungsvoraussagen.
Ja - das ist erkenntnis-theoretisch nach meinem Kenntnisstand korrekt. - Das ist das, über das "das Seiende" (im Sinne Heideggers) nicht hinauskommen kann.
Dabei unterscheidet man in der Praxis jedoch stark, ob eine Wahrnehmung objektiv nachvollziehbar ist oder nicht. - Insofern gilt die Aussage "Die Sonne sendet Licht-Strahlen" als etwas anderes als "Ich liebe meine Frau" - ersteres ist objektiv nachprüfbar, zweiteres nicht. - Trotzdem können beide Aussagen gleich wahr
(= kongruent mit dem Sein) sein.
Diese Unterscheidung ist durchaus sinnvoll - sagt aber nichts darüber aus, ob eine Aussage wahr ist. - Es wird lediglich ausgesagt, dass, im ersten Fall, eine Aussage nach den Gesetzen des Wahrnehmungs-Systems "Naturwissenschaft" korrekt ist. Das heisst: Diese Wahrnehmungs-Aussage ist nur deshalb "korrekt", weil sie den Gesetzen des Wahrnehmungs-Systems "Naturwissenschaft" folgt - ist also eine system-intern richtige Aussage - einen anderen Anspruch erhebt sie ja gar nicht (nebenbei: Genau das versuche ich seit ewiger Zeit erfolglos zu vermitteln).
Platonisch gesehen (wie auch christlich gesehen) geht es aber nicht um die Selbstvergewisserung eines Wahrnehmungs-Systems des Seienden (Mensch), sondern um die Annäherung an das Sein (Gott). - Das ändert nichts daran, dass - in Deinem Sinne - man trotzdem lediglich "über Wahrnehmungen untereinander" reden kann. Trotzdem wird das "Sein" zum Orientierungs-Punkt und nicht die methodische Wahrnehmungs-Selbstvergewisserung.
Und somit ist Wahrnehmungs-Selbstvergewisserung für den geistigen (im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen) Menschen nicht möglich, weil die Beantwortung der Frage, ob eine Aussage geistig korrekt (also wahr) ist, nicht objektiv nachvollziehbar ist. - Warum? Weil Wahrheit kein Attribut des Seienden, sondern des Seins ist - und somit für methodische Wahrnehmungs-Selbstvergewisserung nicht zugänglich ist. - Da hilft methodisch dann die Hermeneutik (wobei dieser Begriff anscheinend extrem heterogen besetzt ist).
Das erklärt, warum naturwissenschaftlich und geistig Denkende dazu neigen, sich dem jeweils anderen überlegen zu fühlen - dieser, weil der andere nichts objektivieren kann - jener, weil der andere nur Wahrnehmung anstrebt, die objektivierbar ist.
Anton B. hat geschrieben: Eine Annäherung an eine bestimmte Realität lässt sich aber nicht nachweisen, weil die Messmethode, der Maßstab, fehlt.

- Also wird Wahrnehmung doch als utilitaristisches Tool verwendet - oder nicht?
Anton B. hat geschrieben:Naturwissenschaft "liest" nicht die Realität.
Eigentlich würde ich schon sagen, dass Naturwissenschaft die ihr fassbaren Zeilen der Realität liest - nur eben nicht den ganzen Text. - Gerade deshalb hatte ich ja Hoffnung, dass man in einem Forum wie diesem verschiedene Zeilen zu einem etwas größeres Text zusammenführen kann - was auf extrem hohe Hürden stößt.
Trotzdem zu Deinem Satz: Was "liest" die Naturwissenschaft, wenn sie sagt: "Die Sonne strahlt die und die Strahlen aus, die so und so stark bei ihrem Aufprall auf die Erde gemessen werden". - Wie bewertet man in der Naturwissenschaft die Sonne? - Als Realität - als Wirklichkeit, als das - "was der Fall" ist?
Anton B. hat geschrieben:Also zumindest Lamarck, Janina und ich stellen es so nicht dar.
Janina hat einige ironische Halbsätze losgelassen, die mir sehr deutlich gezeigt haben, dass sie ein geistiger Mensch ist - also nicht NUR Wissenschaftlerin. - Über Lamarck äußere ich mich nicht, weil er keine Chance hat, darauf zu antworten.
Generell würde ich der naturwissenschaftlichen Fraktion empfehlen, NICHT den Eindruck zu erwecken, dass die Objektivierbarkeit INNERHALB ihrer naturwissenschaftlichen Methodik mehr aussagt als eben das. - Diese Empfehlung erscheint mir deshalb angebracht, weil regelmäßig der Eindruck entsteht, die Suche nach Wahrheit/Realität/Sein sei irrelevant, wenn sie nicht in eine sich methodisch selbst-vergewisserungs-fähige Wahrnehmungsform eingebunden wäre. - Dies ist - offensichtlich auch nach Deinem Verständnis - falsch.