Vergiftet der Neo-Atheismus?

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Zeus
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#71 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Zeus » Sa 16. Mai 2015, 01:11

closs hat geschrieben:
Zeus hat geschrieben: that 93 percent of the members of the National Academy of Sciences, one of the most elite scientific organizations in the United States, do not believe in God Quelle
:wave:
closs hat geschrieben:Hier spielt etwas anderes hinein: Die Vertreter der Naturwissenschaft haben sich mehrheitlich selber nolens volens in den Rang einer Weltanschauung manipuliert,
Lieber closs, ich verstehe dich wirklich nicht. Was hat denn Wissenschaft mit Weltanschauung (oder Religion) zu tun?
Ich denke da an Laplace.
Laplace stellte sein Buch dem Ersten Konsul Napoleon vor. Dabei ergab sich ein Gespräch, dessen Wortlaut allerdings in zahlreichen Variationen überliefert ist. Der französische Astronom Hervé Faye zitierte es wie folgt:

«Comme le citoyen Laplace présentait au général Bonaparte la première édition de son Exposition du Système du monde, le général lui dit : « Newton a parlé de Dieu dans son livre. J'ai déjà parcouru le vôtre et je n'y ai pas trouvé ce nom une seule fois. À quoi Laplace aurait répondu : « Citoyen premier Consul, je n'ai pas eu besoin de cette hypothèse. »»

„Als der Bürger Laplace dem General Bonaparte die erste Ausgabe seiner Exposition du Système du monde zeigte, sagte der General zu ihm: ‚Newton sprach in seinem Buch von Gott. Ich habe das ihrige schon durchgesehen und dabei diesen Begriff kein einziges Mal gefunden.‘ Woraufhin Laplace erwidert hatte: ‚Bürger und Erster Konsul, ich habe dieser Hypothese nicht bedurft.‘“
(Wiki)
Kein Atheist/Säkularist bedarf dieser Hypothese.
Gottlos glücklich. :D
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Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
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closs
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#72 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 08:24

Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche zum Beispiel.
Aha - aber er thematisiert das Ganze, um dann zu sagen, es gäbe es nicht. - Ich formuliere neu: Kannst Du Dir vorstellen, dass ein Philosoph das Ganze NICHT thematisiert?

Davon abgesehen: Der Jaspers-Text ist super. Daraus erscheint mir Nietzsche als heimatloser Metaphysiker - jedenfalls ist er kein Neo-Atheist. Aber das hast Du auch nicht behauptet.

Savonlinna hat geschrieben:Ich weiß im Moment gar nicht, wo ich das gesagt habe und in welchem Zusammenhang.
Es ging um die Definition "Philosophie" (meine ich), die ähnlich definitions-resistent sei wie "Fantasy" - irgendwann orientiert man sich am Etikett. - Und darauf kam meine Frage, warum es trotzdem möglich ist, dass sich Menschen bei geistigen Themen auf Anhieb verstehen und andere nie.

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#73 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 08:32

Zeus hat geschrieben:Was hat denn Wissenschaft mit Weltanschauung (oder Religion) zu tun?
Es sollte NICHTS miteinander zu tun haben (siehe: methodischer Atheismus).

Zeus hat geschrieben:Kein Atheist/Säkularist bedarf dieser Hypothese.
Methodisch ausdrücklich richtig. - Du bestätigst aber genau das, was ich auszudrücken versuche: Der Wissenschaftler weiss um das methodische Gerüst der Wissenschaft und kann deshalb geneigt sein, es als weltanschauliches Gerüst zu verstehen. - Anders gesagt: Der Wissenschaftler kann sich im privaten Denken nicht von seinen dienstlich-methodischen Vorgaben emanzipieren.

Die Folge: Man überträgt den methodischen Atheismus auf sich selbst. - Insofern sind die 95(?)% nicht-gläubiger Wissenschaftler folgerichtig - nur ein verschwindend kleiner Rest scheint Methodik und Weltanschauung trennen zu können.

Zeus hat geschrieben:Was hat denn Wissenschaft mit Weltanschauung (oder Religion) zu tun?
Wie es aussieht, mehr als es sein sollte.

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Savonlinna
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#74 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 10:35

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: dass viele Philosophen überhaupt kein Interesse daran hatten, ein schlüssiges System zu entwickeln und von vornherein andere Ziele hatten.
Das überrascht mich wirklich.
Den Punkt jedenfalls sind wir erst mal durch?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche zum Beispiel.
Aha - aber er thematisiert das Ganze, um dann zu sagen, es gäbe es nicht. - Ich formuliere neu: Kannst Du Dir vorstellen, dass ein Philosoph das Ganze NICHT thematisiert?
Die Philosophen pflegen sich in ihren Werken mit der Tradition auseinanderzusetzen. Insofern thematisieren sie natürlich - so wie in dem google-book-Zitat - das, was die Philosophen vor ihnen gedacht und entwickelt haben.
Einen Philosophen, dessen Werk komplett erhalten ist und der nicht frühere Philosophen erwähnt und beschreibt, kenne ich nicht.

Das ist ein bisschen wie in der Dichtung. Die Expressionisten und Dadaisten zerschlagen die Syntax in ihren Werken, brechen mit der vorauasgehenden Literaturtheorie, die irgendwie einen "Sinn" vermitteln will.
Dann kommt ein furchtbarer Krieg, und die Autoren verlieren den Glauben an diese Sinnstruktur. Ihre neuen Werke setzen sich dann mir der Tradition insofern auseinander, als sie bewusst davon abheben.
Das läuft nie im luftleeren Raum ab - es sei denn, jemand ist autistisch und kennt die Tradition gar nicht, fängt ganz von vorne an zu dichten oder zu philosophieren.
Oder nimm Wolfgang Borchert. In seinem Kriegsheimkehrer-Drama "Draußen vor der Tür" lässt Borchert einen alten Mann rumlaufen, der Gott ist und darüber jammert, dass niemand mehr an ihn glaubt. Gott tritt auf, weil er nicht geholfen hat auf dem Schlachtfeld, und das muss ja auch erst mal verarbeitet werden: dass man diese alte Metaphysik nicht mehr hat, dass sie nicht mehr helfen kann.

closs hat geschrieben:Davon abgesehen: Der Jaspers-Text ist super. Daraus erscheint mir Nietzsche als heimatloser Metaphysiker - jedenfalls ist er kein Neo-Atheist. Aber das hast Du auch nicht behauptet.
Man muss Nietzsche ohne die Brille durch einen anderen Philosophen lesen. Ich habe gestern Abend auf die Schnelle nur dieses Jaspers-Buch gefunden, aber man raubt sich selber den persönlichen Eindruck, wenn man mit einem Werk ÜBER Nietzsche anfängt.
Gerade Philosophen - und Jaspers ist einer - lesen gerne tendenziös, weil sie oft die Vorgänger wie eine Art Sprungbrett für ihre eigene Philosophie benutzen.

Nietzsche ist einer der heftigsten und radikalsten Christentum-Kritiker, vielleicht auch Christentum-Hasser, den wir unter den Philosophen finden.
Er zerhaut das Christentum kurz und klein, sieht es - vergleiche Threadthema :D - als etwas an, das das Leben vergiftet.
Wenn man - wie ich - in einem streng-christlichen dumpfen Umfeld groß geworden ist, weiß man, wovon er redet. Und fühlt sich von ihm verstanden.
Aber er verharrt nicht in der Negation, sondern entwickelt eine Utopie, die aus der vergifteten Atmosphäre herausführen kann.
Und dazu ist der erste Schritt: zu verstehen, wie der Mensch ist, der nicht durch Christen in ein sündiges Raster gesteckt wurde.
Es ist eine Art Emanzipation von der christlichen Menschdeutung und der damit verbundenen seelischen Vergiftung.


closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich weiß im Moment gar nicht, wo ich das gesagt habe und in welchem Zusammenhang.
Es ging um die Definition "Philosophie" (meine ich), die ähnlich definitions-resistent sei wie "Fantasy" - irgendwann orientiert man sich am Etikett. - Und darauf kam meine Frage, warum es trotzdem möglich ist, dass sich Menschen bei geistigen Themen auf Anhieb verstehen und andere nie.
Okay. Zumindest die Erwähnung eines Aspektes:
Wer in einer ähnlichen Tradition aufgewachsen ist, benutzt die gleichen Begrifflichkeiten. Die müssen nicht erst durch die Hölle völlig verschiedener Begriffsverständnisse hindurch, sondern können gleich die Sache selber durch die Begriffsanwendung erkennen.
Und wenn sie dann noch ähnlich gelagert sind, klappt die Kommunikation auf Anhieb, und es genügen zwei Worte, um Gemeinsamkeiten zu erkennen.

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#75 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Zeus » Sa 16. Mai 2015, 12:04

Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche ist einer der heftigsten und radikalsten Christentum-Kritiker, vielleicht auch Christentum-Hasser, den wir unter den Philosophen finden.
Er zerhaut das Christentum kurz und klein, sieht es - vergleiche Threadthema :D - als etwas an, das das Leben vergiftet.
Wenn man - wie ich - in einem streng-christlichen dumpfen Umfeld groß geworden ist, weiß man, wovon er redet. Und fühlt sich von ihm verstanden.
Aber er verharrt nicht in der Negation, sondern entwickelt eine Utopie, die aus der vergifteten Atmosphäre herausführen kann.
Und dazu ist der erste Schritt: zu verstehen, wie der Mensch ist, der nicht durch Christen in ein sündiges Raster gesteckt wurde.
Es ist eine Art Emanzipation von der christlichen Menschdeutung und der damit verbundenen seelischen Vergiftung.
:thumbup:
Manchmal schreibst du ganz vernünftig, liebe Savon! :)
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#76 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 12:14

Zeus hat geschrieben: Manchmal schreibst du ganz vernünftig, liebe Savon! :)
Die Aussage imponiert mir nicht. Ich bin immer die Gleiche.
Aber wenn ich im Sinne der Christentum-Hasser schreibe, bin ich willkommen, wenn ich sie selber aber nach gleichem Maßstab kritisiere, unsterstellt man mir Unwahrhaftigkeit.

Dermaßen durchschaubar, dieses Spiel - nur die Agierenden selber durchschauen das nicht.

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#77 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Zeus » Sa 16. Mai 2015, 12:55

Savonlinna hat geschrieben:
Zeus hat geschrieben: Manchmal schreibst du ganz vernünftig, liebe Savon! :)
Die Aussage imponiert mir nicht.
Wie schade. :cry:
Savonlinna hat geschrieben:Ich bin immer die Gleiche.
Aber wenn ich im Sinne der Christentum-Hasser schreibe, bin ich willkommen, wenn ich sie selber aber nach gleichem Maßstab kritisiere, unsterstellt man mir Unwahrhaftigkeit.
Nicht möglich! :shock:
Savonlinna hat geschrieben:Dermaßen durchschaubar, dieses Spiel - nur die Agierenden selber durchschauen das nicht.
Du hast Recht, die Menschen sind ungerecht und es gibt keine Liebe mehr in dieser Welt.
Es müssen viel mehr Kirchen gebaut werden. :engel:
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#78 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 14:21

Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche ist einer der heftigsten und radikalsten Christentum-Kritiker, vielleicht auch Christentum-Hasser, den wir unter den Philosophen finden.
Der Psychologe würde eventuell hinzufügen: "Selbsthasser". - So richtig weg von Gott kam Nietzsche aus meiner Sicht nie: "Ich habe den ganzen Gegensatz einer religiösen Natur ausgelebt. Ich kenne den Teufel und seine Perspektive für Gott." (Nachlass/"Zarathustra). - "Gott-Teufel darf es das, fragt Ulrich Beer, für einen areligiösen Menschen überhaupt noch geben?" (zitiert aus "Nietzsche und das Christentum", U. Homann).

Wie auch immer: Wenn man da näher reingucken würde, stieße man wohl (wie meistens) auf ein differenziertes Bild.

Savonlinna hat geschrieben:Und dazu ist der erste Schritt: zu verstehen, wie der Mensch ist, der nicht durch Christen in ein sündiges Raster gesteckt wurde.
Das würde im Sinne von Röm. 2,14 zur Frage führen, was Menschen gemeinsam haben, bevor sie sozialisiert werden. - Mein Hypothese dazu wäre, dass man Kinder bis zum - naja - 3. Lebensjahr beliebig mit Gleichaltrigen anderer Kulturen zusammenstecken könnte und sich alle verstehen würden.

Savonlinna hat geschrieben:Und wenn sie dann noch ähnlich gelagert sind, klappt die Kommunikation auf Anhieb, und es genügen zwei Worte, um Gemeinsamkeiten zu erkennen.
Wie kommt es, dass man ähnlich oder nicht-ähnlich gelagert sein kann?

Savonlinna hat geschrieben:Den Punkt jedenfalls sind wir erst mal durch?
Im Sinne Deines Ansatzes, ja.

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#79 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Pluto » Sa 16. Mai 2015, 14:39

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche ist einer der heftigsten und radikalsten Christentum-Kritiker, vielleicht auch Christentum-Hasser, den wir unter den Philosophen finden.
Der Psychologe würde eventuell hinzufügen: "Selbsthasser".
Im Gegenteil, Nietzsche hatte narzisstische Züge — er war z. Bsp. sehr stolz auf seinen Bart.

Bild
[ Quelle: wikimedia commons]
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#80 Re: Vergiftet der Neo-Atheismus?

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 15:12

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Und wenn sie dann noch ähnlich gelagert sind, klappt die Kommunikation auf Anhieb, und es genügen zwei Worte, um Gemeinsamkeiten zu erkennen.
Wie kommt es, dass man ähnlich oder nicht-ähnlich gelagert sein kann?
Das weiß ich nicht.
Es geht nur deskriptiv. Es gibt Introvertierte, die verstehen Introvertierte natürlich sofort, die brauchen nur zu grunzen, und man weiß, was gerade los ist. :D

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