closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben: dass viele Philosophen überhaupt kein Interesse daran hatten, ein schlüssiges System zu entwickeln und von vornherein andere Ziele hatten.
Das überrascht mich wirklich.
Den Punkt jedenfalls sind wir erst mal durch?
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Nietzsche zum Beispiel.
Aha - aber er thematisiert das Ganze, um dann zu sagen, es gäbe es nicht. - Ich formuliere neu: Kannst Du Dir vorstellen, dass ein Philosoph das Ganze NICHT thematisiert?
Die Philosophen pflegen sich in ihren Werken mit der Tradition auseinanderzusetzen. Insofern thematisieren sie natürlich - so wie in dem google-book-Zitat - das, was die Philosophen vor ihnen gedacht und entwickelt haben.
Einen Philosophen, dessen Werk komplett erhalten ist und der nicht frühere Philosophen erwähnt und beschreibt, kenne ich nicht.
Das ist ein bisschen wie in der Dichtung. Die Expressionisten und Dadaisten zerschlagen die Syntax in ihren Werken, brechen mit der vorauasgehenden Literaturtheorie, die irgendwie einen "Sinn" vermitteln will.
Dann kommt ein furchtbarer Krieg, und die Autoren verlieren den Glauben an diese Sinnstruktur. Ihre neuen Werke setzen sich dann mir der Tradition insofern auseinander, als sie bewusst davon abheben.
Das läuft nie im luftleeren Raum ab - es sei denn, jemand ist autistisch und kennt die Tradition gar nicht, fängt ganz von vorne an zu dichten oder zu philosophieren.
Oder nimm Wolfgang Borchert. In seinem Kriegsheimkehrer-Drama "Draußen vor der Tür" lässt Borchert einen alten Mann rumlaufen, der Gott ist und darüber jammert, dass niemand mehr an ihn glaubt. Gott tritt auf, weil er nicht geholfen hat auf dem Schlachtfeld, und das muss ja auch erst mal verarbeitet werden: dass man diese alte Metaphysik nicht mehr hat, dass sie nicht mehr helfen kann.
closs hat geschrieben:Davon abgesehen: Der Jaspers-Text ist super. Daraus erscheint mir Nietzsche als heimatloser Metaphysiker - jedenfalls ist er kein Neo-Atheist. Aber das hast Du auch nicht behauptet.
Man muss Nietzsche ohne die Brille durch einen anderen Philosophen lesen. Ich habe gestern Abend auf die Schnelle nur dieses Jaspers-Buch gefunden, aber man raubt sich selber den persönlichen Eindruck, wenn man mit einem Werk ÜBER Nietzsche anfängt.
Gerade Philosophen - und Jaspers ist einer - lesen gerne tendenziös, weil sie oft die Vorgänger wie eine Art Sprungbrett für ihre eigene Philosophie benutzen.
Nietzsche ist einer der heftigsten und radikalsten Christentum-Kritiker, vielleicht auch Christentum-Hasser, den wir unter den Philosophen finden.
Er zerhaut das Christentum kurz und klein, sieht es - vergleiche Threadthema

- als etwas an, das das Leben vergiftet.
Wenn man - wie ich - in einem streng-christlichen dumpfen Umfeld groß geworden ist, weiß man, wovon er redet. Und fühlt sich von ihm verstanden.
Aber er verharrt nicht in der Negation, sondern entwickelt eine Utopie, die aus der vergifteten Atmosphäre herausführen kann.
Und dazu ist der erste Schritt: zu verstehen, wie der Mensch ist, der nicht durch Christen in ein sündiges Raster gesteckt wurde.
Es ist eine Art Emanzipation von der christlichen Menschdeutung und der damit verbundenen seelischen Vergiftung.
closs hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Ich weiß im Moment gar nicht, wo ich das gesagt habe und in welchem Zusammenhang.
Es ging um die Definition "Philosophie" (meine ich), die ähnlich definitions-resistent sei wie "Fantasy" - irgendwann orientiert man sich am Etikett. - Und darauf kam meine Frage, warum es trotzdem möglich ist, dass sich Menschen bei geistigen Themen auf Anhieb verstehen und andere nie.
Okay. Zumindest die Erwähnung
eines Aspektes:
Wer in einer ähnlichen Tradition aufgewachsen ist, benutzt die gleichen Begrifflichkeiten. Die müssen nicht erst durch die Hölle völlig verschiedener Begriffsverständnisse hindurch, sondern können gleich die Sache selber durch die Begriffsanwendung erkennen.
Und wenn sie dann noch ähnlich gelagert sind, klappt die Kommunikation auf Anhieb, und es genügen zwei Worte, um Gemeinsamkeiten zu erkennen.