Alles Teufelszeug?

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sven23
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#451 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 10:28

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Sowohl closs, als auch Ratzinger berufen sich bei der kanonischen Exegese auf Erkenntnisquellen (bei closs heißt das "anderes Wahrnehmungssystem"), die wissenschaftlich nicht zulässig sind, weil sie nur gesetzt, aber nicht begründet werden können.
Erneut: Die Wissenschafts-Theorie sieht dies heute differenzierter.
Aber nicht grundsätzlich anders. Vor allem ist zu beachten, zu welchem Zweck sie eingesetzt wird.
Sie ist geeignet ein Glaubenskonstrukt zu "bestätigen", sie ist aber z. B. nicht geeignet, sich dem historischen Jesus anzunähern, der unter vielen Rezeptionsschichten freigelegt werden muß. Siehe Teißens Erklärung dazu.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#452 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 10:35

closs hat geschrieben: Der Hauptsinn von Hiob ist, dass er am Ende erkennt, dass sein Menschenmaß für den Arsch ist.
Wenn das die Quintessenz der Hiobgeschichte sein sollte, hätten sich die Schreiber extrem ungeschickt ausgedrückt. Das hätte man auch eleganter lösen können. Meiner Meinung nach geht es hier eher um das Theodizeeproblem, aber eben mit dem perfiden Beigeschmack, daß Gott selbst der Drahtzieher des Leids ist.
Vielleicht eine literarisch wertvolle Geschichte, aber moralisch-ethisch eine Katastrophe.
Aber das ist ein anderes Thema.

closs hat geschrieben: - Wer also meint, "die Welt" ließe sich an menschlichen Verständnis-Dimensionen messen, ist "vor Hiob".
Als Menschen haben wir nun mal keine anderen Verständnis-Dimensionen, oder sollen wir die unmenschlichen bevorzugen?
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#453 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 14. Feb 2016, 10:39

Thaddäus hat geschrieben:Die HKM ist kein Teil des Glaubens, sie ist Teil der wissenschaftlichen Theologie!
Methodisch richtig. - Aber Du wirst doch einräumen, dass Du die Bibel anders liest, wenn Du von Gott ausgehst, als wenn Du rein säkular denkst.

Mir geht es nicht darum, dass Wissenschaft zur ancilla ecclesiae wird, sondern dass WISSENSCHAFTLICH unter den obigen Annahmen (stell Dir vor, a) es gäbe Gott/B) es gäbe Gott NICHT) etwas anderes dabei rauskommt, wenn es über handwerkliche Dinge (Quelle x aus Zeit a, Zeitgeschehen wie folgt, Sprachkritik wie folgt, etc.) hinausgeht. - Und deshalb stimme ich Ratzi zu, wenn er NICHT möchte, dass die HKM über rein wissenschaftliche Aufgaben hinaus interpretatorisch ("Jesus hatte eine Naherwartung") tätig wird.

sven23 hat geschrieben: sie ist aber z. B. nicht geeignet, sich dem historischen Jesus anzunähern
Das ja - nur das schafft die HKM letztlich auch nur mit wagemutigen Annahmen - siehe Quellenlage. - Letztlich ist es doch so, dass das Projekt "historischer Jesus" gescheitert ist.

closs
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#454 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 14. Feb 2016, 10:40

sven23 hat geschrieben:Als Menschen haben wir nun mal keine anderen Verständnis-Dimensionen, oder sollen wir die unmenschlichen bevorzugen?
Nein - wir sollen erkennen, dass unsere Verständnis-Dimensionen nicht ausreichen, um uns ein Urteil über Gott machen zu können (wenn es ihn gibt) - das reicht schon.

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sven23
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#455 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 10:50

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: sie ist aber z. B. nicht geeignet, sich dem historischen Jesus anzunähern
Das ja - nur das schafft die HKM letztlich auch nur mit wagemutigen Annahmen - siehe Quellenlage. - Letztlich ist es doch so, dass das Projekt "historischer Jesus" gescheitert ist.
Nein, nicht mit "wagemutigen" Annahmen, sondern auf Grund der Quellenlage. Das Projekt, einen historischen Jesus vollständig zu rekonstruieren, ist spätestens seit Albert Schweitzer aufgegeben worden, das ist schon richtig. Das heißt aber nicht, daß man auf Grund der Quellen nun überhaupt nichts authentisches finden könnte.
Wenn überhaupt, dann geht es nur mit historisch-kritischer Methode und nicht mit kanonischer Exegese. Aber genau das will uns Ratzinger weismachen.

"Der Wunderglaube ist heute aber selbst unter Theologen anrüchig, und niemand würde heute
ernstlich damit argumentieren. Eine populäre Ausnahme ist Benedikt XVI., der sogar die Details der
Weihnachtsgeschichte (übrigens sowohl bei Lukas wie bei Matthäus) für historisch hält, incl.
Jungfrauengeburt, diversen Engelsverkündigungen, Stern über Bethlehem, Weisen aus dem
Morgenland, Gold, Weihrauch und Myrrhe und den Kindermord des Herodes.176 Es ist dabei
überhaupt keine Frage, dass Ratzinger ähnliche Geschichten z. B. im Koran sofort als Legenden und
Mythen identifizieren würde. Ratzinger ist in erster Linie Dogmatiker. Und man kann eben nicht erst
in zweiter Linie Wissenschaftler sein."

Kubitza, Dogmenwahn
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#456 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 10:52

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Als Menschen haben wir nun mal keine anderen Verständnis-Dimensionen, oder sollen wir die unmenschlichen bevorzugen?
Nein - wir sollen erkennen, dass unsere Verständnis-Dimensionen nicht ausreichen, um uns ein Urteil über Gott machen zu können (wenn es ihn gibt) - das reicht schon.
Na ja, im Falle der Hiobgeschichte kann ein Urteil über Gott nicht besonders schmeichelhaft ausfallen.

Ich habe gestern abend das Buch Hiob gelesen – Gott kommt darin nicht sonderlich gut weg.
(Virginia Woolf, brit. Schriftstellerin, 1882-1941)
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Thaddäus
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#457 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Thaddäus » So 14. Feb 2016, 11:11

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Sowohl closs, als auch Ratzinger berufen sich bei der kanonischen Exegese auf Erkenntnisquellen (bei closs heißt das "anderes Wahrnehmungssystem"), die wissenschaftlich nicht zulässig sind, weil sie nur gesetzt, aber nicht begründet werden können.
Erneut: Die Wissenschafts-Theorie sieht dies heute differenzierter.
Ähm, - nein. Mir ist keine Wissenschaftstheorie bekannt, in der es erlaubt wäre, übersinnliche, wahrheitsgarantierende Erkenntnisquellen zu setzen, um mit diesen die eigenen Ergebnisse und Einsichten zu begründen.
Das ist schon darum undenkbar, weil sich die Wissenschaften von solchen Setzungen übersinnlicher, wahrheitsgarantierende Erkenntnisquellen überhaupt erst im Laufe ihrer Geschichte befreien mussten! So ist es heute in allen Wissenschaften dezidiert nicht einmal mehr erlaubt, sich auf Autoritäten als wahrheitsgarantierend zu stützen, wie das in der Scholastik noch selbstverständlich war.

closs hat geschrieben:Erneut: Die Wissenschafts-Theorie sieht dies heute differenzierter.
Erneut: Nein ...

closs hat geschrieben: Außerdem muss man AUCH wissenschaftlich nachvollziehen können, wie die Bibel zu verstehen wäre, wäre Jesus wirklich der, für den ihn die Christen halten.
Ähm, nein! Das wäre sogar eine wissenschaftlich streng verbotene petitio principii, bei der man voraussetzt, was man erst herausfinden will.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Mit exakt einer solchen Berufung auf angeblich wahrheitsgarantierende Erkenntnisquellen, könnte man jederzeit auch Anhänger der angeblichen Prophetin Gabriele Wittek werden
Du kommst auf diese absurden Ideen, weil für Dich die Bibel nur wissenschaftlich analysiert werden kann, wenn man davon ausgeht, dass es Gott NICHT gibt. - Das KANN man machen, sollte aber auch den Fall exegestisch durchspielen, dass Jesus tatsächlich Gott ist.
Nein. Ich schreibe das Obige, weil du und Ratzinger letztlich genau das tun, was diese Gabriele Wittek tut: eine übersinnliche, wahrheitsgarantierende Erkenntnisquelle setzen. Dass diese Wittek vorgibt, direkte Eingebungen von Gott zu bekommen, ist nur besonders kurios. Im Grunde ist es aber nicht weniger kurios, ein anderes, übersinnliches und wahrheitsgarantierendes "Wahrnehmungssystem" als Erkenntnisquelle zu setzen oder zu glauben, die katholische Tradition müsse schon darum richtig sein und zur Wahrheit führen, weil angeblich der hl. Geist in ihr wirkt.
Jede Wissenschaft, die Wissenschaft bleiben will, muss sich von solchen willkürlich gesetzten, unfehlbaren und intersubjetiv nicht vermittelbaren Erkenntnisquellen streng distanzieren.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wissenschaftlichkeit ist überhaupt nur möglich, wenn solche willkürlichen Setzungen angeblich wahrheitsgarantierender Erkenntnisquellen konsequent ausgeschlossen wird!
Dieses Mantra ist selbst eine Setzung, weil dann die Bibel nicht wissenschaftlich unter dem Aspekt analysiert werden kann, dass Jesus Gott ist.
Nein, das ist kein Mantra, sondern es gehört zur Wesenbestimmung von Wissenschaft.
Und es ist auch gerade keine Setzung, sondern es ist das zentrale Ergebnis der historischen Entwicklung der Wissenschaften selbst, der Natur-, wie der Geisteswissenschaften. Noch bis tief in das christliche Spätmittelalter hinein, wurde nämlich auch in den Wissenschaften noch selbstverständlich davon ausgegangen, dass z.B. Gott existiert und die Bibel sogar jede naturwissenschaftliche Wahrheit enthält. Bert Brechts Leben des Galilei greift die Emanzipation zuerst der Naturwissenschaften, später auch der Geisteswissenschaften von diesem Glauben als Drama auf. In Brechts Galilei fordert dieser die anwesenden Kirchenvertreter auf, durch sein Fernrohr zu schauen, wo sie selbst sehen können, dass der Jupiter Monde hat, die ihn umkreisen, was belegt, dass auch die Erde um die Sonne kreisen kann. Aber die Kirchenvertreter weigern sich hindurchzusehen, weil sie es nicht für nötig halten, denn in der Bibel stehe ja bereits die Wahrheit, dass dies nicht sein kann. Genau das bedeutet es, sich auf eine übersinnliche, wahrheitsgarantierende Erkenntnisquelle zu berufen. Und genau davon haben sich die Wissenschaften ab der Neuzeit emanzipieren können, wodurch sie überhaupt erst zu wirklichen Wissenschaften werden konnten.

closs hat geschrieben: Das scheint mir der Grund zu sein, warum die christliche Theologie die HKM (in ihrer Eigenschaft als rein historische und nicht theologische Wissenschaft) als Hilfswissenschaft versteht.
Hilfswissenschaft hin oder her: wenn die christliche Theologie etwas als Glaubensinhalt deklariert, was den Ergebnissen der HKM eindeutig widerspricht (Beispiel: Naherwartung), dann vertritt sie etwas, wozu es keine wissenschaftliche Berechtigung gibt. Die Logik ist ebenfalls eine Hilfswissenschaft. Wenn aber Theorien formuliert werden, die der Logik widersprechen, dann sind diese Theorien eben inkonsistent und müssen verworfen werden.
Was du und Ratzinger aber versuchen ist (im übertragenen Sinne) einfach die logischen Gesetze umzudefinieren, was nicht möglich ist, da sie nur in genau ihrer logischen Form zu wahren Aussagen führen.

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Münek
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#458 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » So 14. Feb 2016, 11:31

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Das ändert ja nichts an dem Faktum, dass Ratzinger die Wissenschaft seinem Glauben unterordnen will.
Aber nicht die Methodik, etwas wissenschaftlich zu erarbeiten, wo man wissenschaftlich weiterkommen kann. - Ratzinger schließt etwas an den wissenschaftlichen Bereich an - das ist etwas ganz anderes. - Die HKM-Hardliner meinen, das sei nicht nötig.

Du hast den Sinn der von Ratzinger favorisierten "kanonischen Exegese" offensichtlich nicht verstanden.

Ratzinger erwartet von den Exegeten einen vorherigen Glaubensentscheid. Er erwartet, dass als notwendige Prämisse für wissenschaftlich arbeitende Neutestamentler die Existenz Gottes, seines wesensgleichen Erlösersohnes und eines Heilsplanes Gottes mit den Menschen zu gelten hat.

Nur vor diesem hermeneutischen Hintergrund und erst nach dieser Setzung dürfen sie dann "ergebnisoffen" forschen.

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Savonlinna
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#459 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » So 14. Feb 2016, 11:32

Münek hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:...
Ich kann ja in acht Jahren noch mal in das Forum reinschauen, ob Du sie inzwischen alle überzeugt hast - von Deiner Variante. ;)

Das steht nicht zu befürchten.

Sein selbstgebasteltes Glaubenskonstrukt besticht ja nicht gerade durch Plausibilität.
Und seine beharrliche Weigerung, bestimmte Fakten einfach zur Kenntnis zu nehmen,
spricht eine mehr als deutliche Sprache - nämlich die Sprache der Selbsttäuschung.

Kurt möchte halt "sein Ding" auf Teufel komm raus durchziehen.

Teilweise stimme ich Dir zu. closs hinterfragt zu wenig, denkt nicht ausreichend in die Tiefe, bleibt bei Begriffen stehen.
Insofern ist dieses Konstrukt nur ihm selber plausibel; es ist zu verworren und aus der Weigerung, Begriffe zu hinterfragen, gespeist.
Letzteres zum Beispiel würde Ratzinger nie tun.

In einigen Teilen aber gebe ich ihm Recht, denn das, was Du als "Fakten" bezeichnest, ist ebenfalls hinterfragbar.
Ihr seid Euch beide, was die Un-Bereitschaft - möglicherweise Un-Fähigkeit -, sich selber zu hinterfragen, betrifft, außerordentlich ähnlich.

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Münek
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#460 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » So 14. Feb 2016, 11:38

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Zur Wesensdefintion von Wissenschaft gehört, dass keine übersinnlich wahrheitsgarantierenden Erkenntnisquellen gesetzt werden dürfen, auf die man dann die Wahrheit und Überzeugungskraft der eigenen Einsichten stützt.
WÄRE es so, dürfte die HKM nicht Teil der Theologie sein, sondern müsste den Geschichts-Wissenschaften untergeordnet werden.

Sehr richtig! Gut erkannt! :thumbup:

Mit übernatürlichen, geglaubten Wesenheiten hat Wissenschaft nun wahrlich nichts zu tun.
Oder siehst Du das anders?

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