closs hat geschrieben:Deine historische Skizzierung ist aus meiner Sicht sehr zutreffend - aber das gilt heute nicht mehr. - Wie ich überhaupt den Eindruck habe, dass man heute nicht rezipiert, sondern erst mal versucht zu falsifizieren, dass man nicht reizipieren muss. - Spart Energie.
Ich glaube, da sind einfach wir "älteren" gefragt, die Zeitereignisse laufend in einer bestimmten Form zu besprechen - in der Familie, in Foren - und nicht nur auf irgendwelche Schlagzeilen in der Presse zu warten. Irgendwann musste ich mich auch damit "abfinden", dass ich mit 50 nicht mehr als sportlich aktiver Teenager durchgehe, auch wenn ich mich so gefühlt habe und bei lustigen Wettrennen gar nicht so schlecht abschnitt.
Wenn sie die Reihe der vorigen Generation zu lichten beginnt, kommt ein am Riemen reißen. Die Alten wussten noch so manches mehr. Man konnte da fragen. Da begann ich zu verstehen, dass Großeltern nicht ein überflüssiges Anhängsel sind, sondern dass unsere Kulturen mehr von den Älteren geprägt wurden, als von denen, die erst das ABC lernen.
Wenn also Martin Buber nicht falsiz.... was eigentlich? Das "hässliche" Wort ist nicht in meinem Sprachgebrauch. Ein komplett verdrehter Eindruck vom Judentum entstand durch einige Zusammenhänge. (Ich hänge das hier rein, weil Analoges auch bei Heidegger der Fall ist - Kluft von Volksmeinungen zu Studierten / Gebildeten mit anderem Blickwinkel. Sven hat da ganz gut eine "faule" Stelle erkannt: Hat nicht geprägt - und dein "tat es doch...)
Aus Sicht der Generation vor mir - war vom Judentum nie gehört worden, bis zur "Propaganda" der 40er Jahre. Ein "Jud" war Händler, Immobilienmakler, Viehhändler - mysteriös mit "Geschäftstüchtigkeit'". Die Mentalität war fremd. Mit Radio, Fernsehen und Filmen kam die Aufarbeitung der deutschen Geschichte, von welcher die Meisten bis in die 50er Jahre hinein - keine Ahnung hatten. Man wusste von Arbeitslagern, weil das jeden drohte, der sich den Staatsbefehlen verweigerte. Das betraf vor allem die Wehrdienstverweigerer, zu denen sehr viele Zeugen Jehovas gehörten, die ihre moralische Sicht aus dem zukünftigen Gottesreich bezogen, in denen es keine Kriege mehr gibt. Da kursierten deren "Briefe" - auch bei normal christlichen. Da wären noch einige unverarbeitete Dinge - die aber seltsamerweise nie in Filmen kommen ... nur man wunderte sich, wo all die Krüppel im Krieg in Genesungsheimen blieben.
Die Volksbildung war mit 8 Schulklassen nicht so, dass nach schwerer landwirtschaftlicher Arbeit irgendwer sich Lektüren von Martin Buber zugelegt hätte. Es gab oft außer dem Gebetbuch und Heiligenlegenden kein Buch im Haus. Zumindest war das auf den Dörfern so. Das Volksgut wurde in Liedern weiter gegeben und am Stammtisch oder am Brunnen von den Älteren erzählt. Es waren bestimmte Rituale, nach denen ein "Hochzeitslader" (gewerblicher Organisator von Hochzeiten, Heiratsvermittler, Einlader, Festorganisator, Minnesänger und Geschichtsschreiber in einer Person) seine Themen und Morallehren vorbrachte. Praktischerweise hörten das alle auf dem Fest in lustigen Reimen. (Das ist uralt. In dem Muster laufen auch die biblischen Lehren.)
Unter der etwas anders gebildeten städtischen Bevölkerung (nicht die Gewerbetreibenden, die ganz froh um die guten Produkte von "daheim" waren) sondern vom Völkchen der studierenden Schreiberlinge wurde das ländliche Treiben eher abwertend beurteilt. Später wurde es aber zur "Folkore" erhoben. In solchen Kreisen gab es etliches an Literatur, aber zu hören war nur: Er hat Goethe gelesen! Das reichte als Image. Zwischen dem was ich erzähle (50er Jahre, in denen es noch nicht mal in allen Orten Deutschlands elektrisches Licht gab) und der heutigen Zeit der Fernsehberieselung ist ein gewaltiger Sprung passiert ....
Der Riss ging nach vorne und hinten!
Rückwärtsgang ist, dass keiner mehr Lieder singt - kaum noch die alten kennt.
Nacherzählen kann man auch nicht mehr - die Fähigkeit wird nicht gebraucht.
Denken - das erledigen die anderen ...
Um nun endlich zu Martin Buber zu kommen - und dem bequemen Denken:
Man darf sich wundern, wieso er - bei der ganz anderen Kultur des Judentums - eine Bibel in gleichem Wortlaut (wenn ihr versteht was ich meine) wie im Christentum übersetzt.
Da habe ich, nachdem was ich (nun) kenne, eine Beule im Kopf. Vielleicht sind mir aber nicht alle Werke bekannt. Aus den Erzählungen über die Chassidim erschließe ich wohl, dass ihm die *Auslegung (zumindest unbewusst) bekannt gewesen sein muss. So blind kann man doch nicht sein!
Was war da los? - Warum geschah diese Übersetzung?