Heidegger und kein Ende?

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#21 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von Pluto » Fr 1. Mai 2015, 22:24

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:was aber kein Qualitätskriterium sein muß
Was wichtig ist, setzt sich selber irgendwann durch. - In unserer Zeit ist dies nicht klärbar.
Altes Sprichwort: Was Du heute kannst besorgen verschiebe nicht auf morgen. ;)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#22 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von closs » Fr 1. Mai 2015, 22:49

Pluto hat geschrieben:Was Du heute kannst besorgen verschiebe nicht auf morgen.
Die heutige Zeit kann nicht viel besorgen und MUSS deshalb verschieben. ;)

2Lena
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#23 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von 2Lena » Sa 2. Mai 2015, 08:05

Pluto hat geschrieben:Heidegger war aber nicht ungebildet.
Er ist das beste Beispiel dafür, wie man trotz Bildung Senf erzählen kann.
Ist nur unangenehm, wenn berühmte Menschen nicht Mensch sein können, auch mal beim Nasenbohren ertappt werden.

An den ganzen Zeitungsartikeln vermisse ich eine "Tiefe", das Hineinversetzen in das was war. Kritisiert wird eine eigene Befindlichkeit bei den "schwarzen" Jahren. Das muss nicht nur die 40er Jahre des Krieges betreffen, die in heutiger Zeit als Tabu behandelt werden.

Das Verständnis soll viel früher beginnen. Der Umbruch begann auch durch die Idee der Französischen Revolution. Es war ein Aufbruch zum Abschütteln eines Jochs, wie man meint. Es regierten verwandte Herrscherfamilien, egal ob in Polen, Österreich, Frankreich, Spanien ... im Prinzip herrschte eine Familie. Deutschland war zersplittert und galt nicht als Nation. Daher muss man den Schmerz verstehen, der schließlich zu einem nationalen Bestreben und einer einheitlichen Republik führte.

Die Bestrebungen "ein Land" zu werden, begannen mit Turn- und Singwettbewerben, Vereinstreffen. Die waren sich nicht einige mit dem vorgeschlagenen Habsburger als König. Auch diese Geschichte ist mit einer Reihe von weiteren (teils unbeachteten) Ereignissen belastet. Die gehen auf eine deutsche Kaiserwahl zurück. Weitere, noch immer nicht bereinigte Streitfälle in den Herrscherhäusern gingen u.a. auf die ganz anderen Glaubensstrukturen zurück, die damals schon zu bröckeln begannen. (Ist aber ein abweichendes Thema, Glaubensgeschichte, missverstandene Bibel).

Da war nicht nur einfach ein Attentat zu Beginn der 1. Weltkrieges, dass ein persönlich Verärgerter schoß. Eigentlich muss ich hier nicht deutsche Geschichte erzählen. Man sollte mal ein älteres Geschichtsbuch lesen ... und kann dann nachvollziehen, was die Ausbildung Heideggers und seiner Familie war.

Darüber hinaus geht die Angelegenheit noch tiefer. Das kann wohl nur der verstehen, wer die "Pumphosen tragenden Voralpenphilosphen" in Wirtsstuben erlebte, als das Modell einer Lederhose noch keine Fremdenverkehrswerbung trug. Das heute noch beliebte Kleidungsstück kann vermutlich auf eine Zeit zurückblicken, als es noch wenig Webstühle gab, aber harte Burschen als Träger. Die stammen von einem der ältesten Stammbäume, verwurzelt in einer Kultur, seit den Anfängen der Philosophieschulen wohl (fast) unverändert daran festhaltend.

Damals war Pannonien (Alpen, Karpaten, Donauraum bis an die Mündung) mit einer einheitlichen Kultur geprägt. Noch heute findet man dort Reste einer "Ursprache". Man kann diese Struktur nicht nachvollziehen, hat eigentlich überhaupt keinen Plan von unserem Land vor unserer Zeitrechnung.

Heidegger kam an, weil er es verstand, etwas von den "tiefeneren" philospischen Ebenen ganz gekonnt zu präsentieren. Seltsamerweise (was war ich erstaunt!) wird er in Japan gelesen. Ich lernte jemand kennen, der nur deshalb deutsch gelernt hatte.

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sven23
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#24 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von sven23 » Sa 2. Mai 2015, 08:09

2Lena hat geschrieben:[ Seltsamerweise (was war ich erstaunt!) wird er in Japan gelesen. Ich lernte jemand kennen, der nur deshalb deutsch gelernt hatte.
Warum hast du ihm nicht gesagt, daß es eine japanische Übersetzung gibt? :lol:
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#25 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von 2Lena » Sa 2. Mai 2015, 08:56

Es gibt sogar Philosophiegruppen und eben nicht nur Übersetzungen.
Wenn dir die "philosophischen" japanischen Schriftzeichen was sagen, wirst du vielleicht dein Erstaunen vergrößern, dass in den Bibliotheken AUCH die deutschen Urtexte mitkommen.

P.S. Das ist ein Rat, wie es auch mit der Bibel gemacht gehört.

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#26 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von closs » Sa 2. Mai 2015, 09:46

2Lena hat geschrieben:An den ganzen Zeitungsartikeln vermisse ich eine "Tiefe"
Das ist genau das Problem. - Es gibt (mindestens) 3 Personen im deutschsprachigen Raum des 20. Jh., die unsere Kultur nachhaltig verändert haben (auch wenn wir es im Mainstream nicht merken): Thomas Mann, Martin Heidegger und Martin Buber.

Mann wird gerade noch anerkannt, wohl weil er der Verständlichste ist. Heidegger und Buber geistern unrezipiert als Größen durch die Zeit.

Deine historische Skizzierung ist aus meiner Sicht sehr zutreffend - aber das gilt heute nicht mehr. - Wie ich überhaupt den Eindruck habe, dass man heute nicht rezipiert, sondern erst mal versucht zu falsifizieren, dass man nicht reizipieren muss. - Spart Energie. :devil:

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sven23
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#27 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von sven23 » Sa 2. Mai 2015, 12:29

closs hat geschrieben: Mann wird gerade noch anerkannt, wohl weil er der Verständlichste ist. Heidegger und Buber geistern unrezipiert als Größen durch die Zeit.
Dann halte ich es für gewagt zu behaupten, daß sie zu den dreien gehören, die das 20. Jahrhundert verändert haben. Das mag für einige Philosophen und Theologen im Elfenbeinturm gelten, aber nicht für die breite Masse.
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#28 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von closs » Sa 2. Mai 2015, 13:01

sven23 hat geschrieben:Dann halte ich es für gewagt zu behaupten, daß sie zu den dreien gehören, die das 20. Jahrhundert verändert haben.
Das behaupte ich auch nicht (Popper hat weit mehr Einfluss auf die Gegenwart) - ich sprach darüber, dass sie Giganten des 20. Jh. sind.

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#29 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von 2Lena » Sa 2. Mai 2015, 13:48

closs hat geschrieben:Deine historische Skizzierung ist aus meiner Sicht sehr zutreffend - aber das gilt heute nicht mehr. - Wie ich überhaupt den Eindruck habe, dass man heute nicht rezipiert, sondern erst mal versucht zu falsifizieren, dass man nicht reizipieren muss. - Spart Energie.

Ich glaube, da sind einfach wir "älteren" gefragt, die Zeitereignisse laufend in einer bestimmten Form zu besprechen - in der Familie, in Foren - und nicht nur auf irgendwelche Schlagzeilen in der Presse zu warten. Irgendwann musste ich mich auch damit "abfinden", dass ich mit 50 nicht mehr als sportlich aktiver Teenager durchgehe, auch wenn ich mich so gefühlt habe und bei lustigen Wettrennen gar nicht so schlecht abschnitt.

Wenn sie die Reihe der vorigen Generation zu lichten beginnt, kommt ein am Riemen reißen. Die Alten wussten noch so manches mehr. Man konnte da fragen. Da begann ich zu verstehen, dass Großeltern nicht ein überflüssiges Anhängsel sind, sondern dass unsere Kulturen mehr von den Älteren geprägt wurden, als von denen, die erst das ABC lernen.

Wenn also Martin Buber nicht falsiz.... was eigentlich? Das "hässliche" Wort ist nicht in meinem Sprachgebrauch. Ein komplett verdrehter Eindruck vom Judentum entstand durch einige Zusammenhänge. (Ich hänge das hier rein, weil Analoges auch bei Heidegger der Fall ist - Kluft von Volksmeinungen zu Studierten / Gebildeten mit anderem Blickwinkel. Sven hat da ganz gut eine "faule" Stelle erkannt: Hat nicht geprägt - und dein "tat es doch...)

Aus Sicht der Generation vor mir - war vom Judentum nie gehört worden, bis zur "Propaganda" der 40er Jahre. Ein "Jud" war Händler, Immobilienmakler, Viehhändler - mysteriös mit "Geschäftstüchtigkeit'". Die Mentalität war fremd. Mit Radio, Fernsehen und Filmen kam die Aufarbeitung der deutschen Geschichte, von welcher die Meisten bis in die 50er Jahre hinein - keine Ahnung hatten. Man wusste von Arbeitslagern, weil das jeden drohte, der sich den Staatsbefehlen verweigerte. Das betraf vor allem die Wehrdienstverweigerer, zu denen sehr viele Zeugen Jehovas gehörten, die ihre moralische Sicht aus dem zukünftigen Gottesreich bezogen, in denen es keine Kriege mehr gibt. Da kursierten deren "Briefe" - auch bei normal christlichen. Da wären noch einige unverarbeitete Dinge - die aber seltsamerweise nie in Filmen kommen ... nur man wunderte sich, wo all die Krüppel im Krieg in Genesungsheimen blieben.

Die Volksbildung war mit 8 Schulklassen nicht so, dass nach schwerer landwirtschaftlicher Arbeit irgendwer sich Lektüren von Martin Buber zugelegt hätte. Es gab oft außer dem Gebetbuch und Heiligenlegenden kein Buch im Haus. Zumindest war das auf den Dörfern so. Das Volksgut wurde in Liedern weiter gegeben und am Stammtisch oder am Brunnen von den Älteren erzählt. Es waren bestimmte Rituale, nach denen ein "Hochzeitslader" (gewerblicher Organisator von Hochzeiten, Heiratsvermittler, Einlader, Festorganisator, Minnesänger und Geschichtsschreiber in einer Person) seine Themen und Morallehren vorbrachte. Praktischerweise hörten das alle auf dem Fest in lustigen Reimen. (Das ist uralt. In dem Muster laufen auch die biblischen Lehren.)

Unter der etwas anders gebildeten städtischen Bevölkerung (nicht die Gewerbetreibenden, die ganz froh um die guten Produkte von "daheim" waren) sondern vom Völkchen der studierenden Schreiberlinge wurde das ländliche Treiben eher abwertend beurteilt. Später wurde es aber zur "Folkore" erhoben. In solchen Kreisen gab es etliches an Literatur, aber zu hören war nur: Er hat Goethe gelesen! Das reichte als Image. Zwischen dem was ich erzähle (50er Jahre, in denen es noch nicht mal in allen Orten Deutschlands elektrisches Licht gab) und der heutigen Zeit der Fernsehberieselung ist ein gewaltiger Sprung passiert ....

Der Riss ging nach vorne und hinten!
Rückwärtsgang ist, dass keiner mehr Lieder singt - kaum noch die alten kennt.
Nacherzählen kann man auch nicht mehr - die Fähigkeit wird nicht gebraucht.
Denken - das erledigen die anderen ...

Um nun endlich zu Martin Buber zu kommen - und dem bequemen Denken:
Man darf sich wundern, wieso er - bei der ganz anderen Kultur des Judentums - eine Bibel in gleichem Wortlaut (wenn ihr versteht was ich meine) wie im Christentum übersetzt.

Da habe ich, nachdem was ich (nun) kenne, eine Beule im Kopf. Vielleicht sind mir aber nicht alle Werke bekannt. Aus den Erzählungen über die Chassidim erschließe ich wohl, dass ihm die *Auslegung (zumindest unbewusst) bekannt gewesen sein muss. So blind kann man doch nicht sein!

Was war da los? - Warum geschah diese Übersetzung?

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#30 Re: Heidegger und kein Ende?

Beitrag von 2Lena » Sa 2. Mai 2015, 13:59

P.S. Gibt es verdeckte oder direkte Hinweise in dem Vorwort der Bibelübersetzung von Buber?
(Siehe erste Seite von Sven23 Aufarbeitung der "schwarzen Zeit". )

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