Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#1511 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 22. Okt 2015, 10:24

Savonlinna hat geschrieben:Unserer beider Positionen zum Threadthema sind klar.
"Klar" ist mir, dass wir unterschiedlich positioniert sind - Deine Postition selbst ist mir nicht klar.

Savonlinna hat geschrieben:Ja, aber es ist nicht so wichtig, ob wir die gleichen Worte benutzen. Wir meinen grundlegend anderes.
Stimmt - das habe ich auch schon festgestellt. - Manchmal hüpfe ich vor Begeisterung, wenn Du was sagst - und stelle dann fest, dass Du mit gleichen Worten etwas anderes meinst. - Sehr interessant.

Savonlinna hat geschrieben:Möglicherweise fragst Du nach der Grenze zwischen Mensch und Gott.
Zwischen Daseins-Existenz und Nach-Daseins-Existenz wäre auch schon was.

Aber hier ist nach meiner Erinnerung die Frage, ob "Gott" ein Phänomen innerhalb der Daseins-Existenz ist oder autonom etwas anderes ist.

Savonlinna hat geschrieben:Wie soll dieser Mensch unterscheiden, ob sie von jenseitig oder von diesseitig kommen?
Möglicherweise ist das auch nicht so wichtig, WENN man das Göttliche und dessen Erscheinung im Menschen nicht als PRodukt des Menschen, sonder als etwas davon Unabhängiges versteht. - Damit könnte man schon Klarheit schaffen.

Savonlinna hat geschrieben:Wer traut sich zu sagen: Idee 1 stammt aus dem Dasein, Idee 2 stammt aus dem Sein oder aus Gott?
Wie gesagt: Das ist nicht wichtig, wenn man das Göttliche als autonom versteht und nicht als Entwicklungs-Größe aus dem Menschen heraus (Mensch = Produzent des Göttlichen --- reproduzierend ja, produzierend nein).

Savonlinna hat geschrieben:Falls es weiterhin stimmt, dass alles, was geschieht, letztendich heilsam ist
Daran glaube ich übrigens - alles, was passiert, ist notwendig.

Savonlinna hat geschrieben:Dann würde die Frage nämlich lauten: Kann man diesen Prozess, der Schöpferisch-Heilsames intendiert und bewirkt, als "göttlich" bezeichnen oder kann man es auch anders bezeichnen?
Als göttlich gewollt ganz sicher - "göttlich" selbst, wohl nicht (weil ja auch Böses auf dem Weg geschieht) -- ich würde es pragmatisch "heilsgeschichtlichen Prozess" nennen.

Mir ist eigentlich nur wichtig, dass man geistige Dinge nicht ausschließlich als Projektion des Menschen versteht, sondern als Kommunikation mit etwas, aus dem diese Kommunikations-Fähigkeit kommt.

Savonlinna hat geschrieben: Und wer sagt: "von Gott", hat nur dem Unwissen einen Namen gegeben.
Natürlich - man könnte auch "liukghliu" sagen. - Am weitesten kommt man mit Funktions-Beschreibungen: "Welche Funktionen hat etwas, damit ich es 'Gott' nennen kann?"

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#1512 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 22. Okt 2015, 10:26

Savonlinna hat geschrieben:Doch, man kann beides unterscheiden.
Du begründest dies sprachlich - versuche mal inhaltlich folgende Frage zu beantworten:

Kann der Mensch unterscheiden, ob das, was er wahrnimmt, Produkt seines Gehirns ist oder unabhängig von seinem Gehirn existiert?

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#1513 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 22. Okt 2015, 11:10

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Doch, man kann beides unterscheiden.
Du begründest dies sprachlich - versuche mal inhaltlich folgende Frage zu beantworten:
Dann stell die Frage bitte ohne Sprache und ohne Begriffe.

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#1514 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 22. Okt 2015, 11:22

closs hat geschrieben: Kann der Mensch unterscheiden, ob das, was er wahrnimmt, Produkt seines Gehirns ist oder unabhängig von seinem Gehirn existiert?
Von einer anderen Seite aus betrachtet:
ja, das kann der Mensch unterscheiden, weil er dafür unterscheidbare Kriterien formuliert hat.

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#1515 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 22. Okt 2015, 11:28

Savonlinna hat geschrieben:Dann stell die Frage bitte ohne Sprache und ohne Begriffe.
Geht nicht - aber Sprache ist doch nicht Inhalt, sondern Werkzeug.

Savonlinna hat geschrieben:ja, das kann der Mensch unterscheiden, weil er dafür unterscheidbare Kriterien formuliert hat.
Er unterscheidet INNERHALB seine Wahrnehmung, was Wahrnehmung und was "Realität" ist - wie er, der Mensch, es unterscheidet. - Das beantwortet aber meine Frage nicht.

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#1516 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Do 22. Okt 2015, 11:36

closs hat geschrieben:Du machst auf elegante Weise denselben Fehler wie Münek. - Denn selbst der Urknall könnte Projektion sein.
Ich verstehe den Einwand nicht. Was genau ist der Fehler?
Es ist überdies kein Argument sondern eine reine Behauptung aus Angst die Realität könnte wahr sein.
Die Welt ist keine Projektion unserer Wahrnehmung, sondern wir essen, kämpfen und freuen uns über die kleinen und großen Dinge des Lebens, und das ist unumstrittener Teil unserer Wirklichkeit.

closs hat geschrieben:Nochmals (damit wir uns nicht in falsche Diskussionen verrennen):
Wir streiten NICHT darüber, ob die Welt "real" oder "Projektion" ist, sondern lediglich darüber, dass wir beides nicht unterscheiden können.
Nein. Nur du lehnst aus mir unerfindlichen Gründen ab anzuerkennen, Projektion sei von Wirklichkeit nicht unterscheidbar.

closs hat geschrieben:Was wäre, wenn unser Leben in einem "Raum" ... den wir nicht im geringsten kennen, und aus dem wir die naturwissenschaftliche Welt (Urknall, Materie) projezieren? - Wir könnten es nicht nachprüfen (denn auch Messungen sind Wahrnehmungen).
Das Komplexitäts-Problem der Informatik beweist das Gegenteil: Es ist schlicht nicht möglich die reale Welt in ihrer Ganzheit zu simulieren.
Und selbst wenn es einen solchen Computer geben könnte, wer hat ihn erschaffen, und warum?

cöoss hat geschrieben:Dieses Problem tritt aber erst auf, wenn man vorher davon ausgeht, dass die Grundlage dafür die "naturwissenschaftliche Welt" ist. - Bei meinem obigen Ansatz ist es irrelevant.
Nein. Es bleibt für den Teil des Universums bestehen, den wir erkennen können.

closs hat geschrieben:Es ist aber ein Zirkelschluss, weil man auf diese Setzung erst dann verzichten kann, wenn man die Existenz der naturwissenschaftlichen Welt als gegeben ansieht. - Dies ist bei meinem obigen Ansatz nicht der Fall - also muss man setzen.
Verstehe ich nicht.
Wir beobachten bloß die Welt wie sie ist. Wo soll da ein Zirkelschluss sein?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1517 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 22. Okt 2015, 11:41

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Dann stell die Frage bitte ohne Sprache und ohne Begriffe.
Geht nicht - aber Sprache ist doch nicht Inhalt, sondern Werkzeug.
Das zur Verfügung gestellte Werkzeug lenkt und bestimmt das Denken. Wofür es keinen Begriff gibt, wird nicht in Betracht gezogen. Wofür es einen Begriff gibt, nimmt man zugrundeliegende Realität an, auch wenn keine Realität zugrunde liegt.
Und die Fragen werden durch die Sprache gelenkt. Es gibt Fragen, die nur aus Sprache bestehen und sich auf keinen Inhalt beziehen lassen können.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:ja, das kann der Mensch unterscheiden, weil er dafür unterscheidbare Kriterien formuliert hat.
Er unterscheidet INNERHALB seine Wahrnehmung, was Wahrnehmung und was "Realität" ist - wie er, der Mensch, es unterscheidet. - Das beantwortet aber meine Frage nicht.
Vielleicht verstehe ich jetzt Deine Aussage nicht.
Aber ich tappe mal rum und antworte irgendwie: weil der Mensch definiert hat, was als Produkt des Gehirns aufgefasst wird, kann ich sagen, dass es Dinge gibt, die nicht Produkt des Gehirns sind. Ich kann sogar nachweisen, dass es ein Fehlschluss ist, dass überhaupt irgendetwas Produkt des Gehirns sei.

Das kann ich darum, weil "Produkt des Gehirns" exakt definiert ist.

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#1518 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 22. Okt 2015, 12:01

Pluto hat geschrieben:Die Welt ist keine Projektion unserer Wahrnehmung, sondern wir essen, kämpfen und freuen uns über die kleinen und großen Dinge des Lebens, und das ist unumstrittener Teil unserer Wirklichkeit.
Niemand kann per Wahrnehmung wissen, ob das Essen, Kämpfen, etc. Projektion oder "Realität" ist - das geht grundsätzlich nicht (Münchhausen).

Pluto hat geschrieben:Nur du lehnst aus mir unerfindlichen Gründen ab anzuerkennen, Projektion sei von Wirklichkeit nicht unterscheidbar.
Richtig - mit Wahrnehmung/Messung ist dies prinzipiell nicht zu unterscheiden.

Du meinst wahrscheinlich, weil man naturwissenschaftliche Welt und "Phantasie" unterscheiden kann, NACHDEM man die objektivierbare Welt als "real" gesetzt hat, könne die naturwissenschaftliche Welt keine Projektion sein. - Das macht pragmatisch Sinn, ist aber prinzipiell falsch - denn Wahrnehmung kann nicht sich selbst analysieren.

Pluto hat geschrieben:Es ist schlicht nicht möglich die reale Welt in ihrer Ganzheit zu simulieren.
Du gehst schon wieder davon aus, dass das, was Du "reale Welt" nennst, der Maßstab wäre - genau das ist die Setzung. - WENN es so ist, hast Du recht - aber Du kannst nicht wissen, OB es so ist.

Pluto hat geschrieben:Es bleibt für den Teil des Universums bestehen, den wir erkennen können.
Auch das, was wir Universum nennen, könnte unsere Projektion sein - wir können es prinzipiell nicht unterscheiden, sondern müssen es setzen.

Pluto hat geschrieben:Wir beobachten bloß die Welt wie sie ist. Wo soll da ein Zirkelschluss sein?
Wir beobachten etwas mit unserer Wahrnehmung/MEssung, was wir als naturwissenschaftliche Welt bezeichnen - ob sie überhaupt unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert, können wir prinzipiell nicht nachweisen.

Wieder Descartes: Er hat das erkannt und deshalb damit den Deckel drauf gemacht, indem er sagt: "Wir müssen einen wohlwollenden Gott annehmen, der uns nicht veräppelt". - Damit hat er per Glaube etwas gesetzt und hat auf dieser Basis keine erkenntnis-theoretischen Probleme mehr.

Die Naturwissenschaft hat diese erkenntnis-theoretischen Probleme nur deshalb nicht, weil sie offenbar nicht darüber nachdenkt. - Davon abgesehen: Es ist auch keine naturwissenschaftliche Frage - denn ob Naturwissenschaft in der "Realität" oder einer gleich-funzenden Projektion funktioniert, ist de facto wurscht.

Es geht hier einzig und allein darum, dass Wahrnehmung/Messung nicht über sich selbst befinden kann - sie kann lediglich aufgrund von Setzungen solche Fragen wegwischen und sich dann an die Arbeit machen.

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sven23
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#1519 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Do 22. Okt 2015, 12:10

closs hat geschrieben: Wieder Descartes: Er hat das erkannt und deshalb damit den Deckel drauf gemacht, indem er sagt: "Wir müssen einen wohlwollenden Gott annehmen, der uns nicht veräppelt". - .
Müssen tun wir gar nichts. Denn auch ein wohlwollender Gott verursacht nur weitere Erklärungs-Probleme.
Alles ist wesentlich logischer und geschmeidiger ohne die Zusatzhypothese Gott.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#1520 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 22. Okt 2015, 12:26

Savonlinna hat geschrieben:Das zur Verfügung gestellte Werkzeug lenkt und bestimmt das Denken. Wofür es keinen Begriff gibt, wird nicht in Betracht gezogen.
Moment: Es gibt auch den umgekehrten Weg, dass Literatur dadurch glänzt, dass der Verfasser Inhalten einen sprachlichen Begriff gegeben hat. - Wie würde man sich sonst erklären, dass bspw. über Goethe und Th. Mann viele neue Worte in die deutsche Sprache eingegangen sind?

Savonlinna hat geschrieben: Es gibt Fragen, die nur aus Sprache bestehen und sich auf keinen Inhalt beziehen lassen können.
Das ist die Kehrseite - Worte sind dann nicht Chiffren für Inhalte, sondern Worthülsen ohne inhaltliche Korrespondenz.

Savonlinna hat geschrieben:Das kann ich darum, weil "Produkt des Gehirns" exakt definiert ist.
Ist das INHALTLICH ausreichend? - Ich meine, es sagt lediglich aus, wie die Wahrnehmung ihre Eindrücke aufteilt.

Savonlinna hat geschrieben:Ich kann sogar nachweisen, dass es ein Fehlschluss ist, dass überhaupt irgendetwas Produkt des Gehirns sei.
Wie soll das gehen? - Höchstens über dementsprechende Definitionen (= Setzungen) - dann geht alles.

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