Undogmatischer Atheismus

Philosophisches zum Nachdenken
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Queequeg
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#111 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Fr 11. Dez 2015, 15:15

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Es geht wohl auch um den Umbau des Gehirns. Man kann sich dann Menschen mit ihren Eigenschaften "bestellen", denke ich, wie im Quelle-Katalog.
Das hat man auch schon im Zuge der Gentechnik befürchtet, man könne sich dann wie im Science Fiction Film Designerbabys bestellen. Die Praxis hat dann gezeigt, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Davon sind wir weit entfernt, vor allem wohl auch deshalb, weil sich Eingriffe ins Erbgut als viel komplexer dargestellt haben, als ursprünglich vermutet, von den unwägbaren Risiken ganz zu schweigen.

Den Maschinenmenschen gibt es ja teilweise schon, indem unterstützende Technik eingesetzt wird. Vom Cyborg in Science-Fiction Filmen ist man aber noch weit entfernt. Und ich denke, die wenigsten halten so eine Entwicklung für erstrebenswert.

http://www.3sat.de/page/?source=/nano/t ... index.html

Allerdings ist so manches aus den Science-Fiction Filmen und auch Büchern schon Wahrheit geworden, schreckliche Wahrheit.

Ich denke, das hier einmal wieder die "Ethik des Mammons" die erste Geige spielt, um den Menschen das sprechende Salatblatt auf's Gemüt zu drücken, oder man den Menschen gebrauchte Damenunterwäsche verkaufen kann, die bei Bedarf auch Schillers Ode an die Freude erklingen lässt.

Transhumanismus, ein Dingens, das im Grunde kein Mensch braucht, nicht wirklich.

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Savonlinna
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#112 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Savonlinna » Fr 11. Dez 2015, 16:03

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Es geht wohl auch um den Umbau des Gehirns. Man kann sich dann Menschen mit ihren Eigenschaften "bestellen", denke ich, wie im Quelle-Katalog.
Das hat man auch schon im Zuge der Gentechnik befürchtet
Mir geht es hier weniger um das, was umsetzbar ist, sondern darum, wie Menschen heute dazu stehen.
Und das schwankt eben zwischen ungebremster Begeisterung und dem Gegenteil.

Mit Zustimmeung bzw. Ablehnung wird nämlich auch die zukünftige Ethik schon mal vorbereitet.
Auch kann man den Gehorsamscharakter - also den Grad der Unterwürigkeit - daran erkennen, wie jemand dazu steht.

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sven23
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#113 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » Fr 11. Dez 2015, 16:13

Zurück zu unserem Freund Joachim Kahl. In "Dieseits", Ausgabe 4/99 schreibt er:

"Eine Welt ohne Gott
Es besteht - zumindest von seiten eines undogmatischen Atheismus - auch die Möglichkeit argumentativen, abwägenden Vorgehens nach Plausibilitätsgesichtspunkten. Es geht darum, eine erklärungsstarke Hypothese für das Dasein und Sosein der Welt zu finden, ein überzeugendes Konstruktionsmodell für ihren strukturellen und funktionalen Zusammenhang zu entwerfen. Und da lässt sich nüchtern feststellen: Ohne die Hypothese "Gott" lässt sich die Welt viel schlüssiger, klarer, redlicher, widerspruchsfreier begreifen als mit ihr!"


Rot gefärbtes von mir. Diesen Satz kann ich voll unterstreichen.
Weiter schreibt er:
"Alles, was die Wissenschaften über die Unermesslichkeit des Weltalls, über die Evolution der Organismen und über das Gehirn des Menschen herausgefunden haben, lässt sich nicht oder nur gewaltsam und gekünstelt mit dem Glauben an einen fürsorglichen und gerechten Vatergott vereinbaren."

Sein Fazit:

"Undogmatischer, skeptischer Atheismus kennt keine Heilsgewissheit, freilich auch keine Unheilsgewissheit, sondern sinnt - nüchtern und der Erde treu - auf ein menschenwürdiges Leben diesseits von "Himmel" und "Hölle". Statt auf Erlösung zu hoffen, arbeiten Atheisten "nur" mit an der Befreiung. Das Höchste, was sie kennen, ist Glück im Unglück, das es mit Anstand und Humor zu meistern gilt."

Dem kann ich nur zustimmen. :clap:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#114 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » Fr 11. Dez 2015, 16:52

Kahl spricht von "säkularer Spiritualität".

"Das Suchen nach Sinn für die eigene Existenz ist der spirituelle Kernvorgang. Konsequent zu Ende getrieben, führt er in metaphysische Höhen und Tiefen. Nur keine Angst vor Metaphysik! Gemeint sind damit hier die unveränderlichen Grundstrukturen der menschlichen Existenz. Was ist das Unveränderliche, Unbedingte in uns und an uns? Dass wir endliche, sterbliche, relative Wesen sind. Dass wir uns als solche erkennen und anerkennen, setzt freilich gedanklich und real voraus, dass es etwas Unendliches, Ewiges, Absolutes gibt. Wobei darauf zu achten ist, dass dieses Ewige, Unendliche, Absolute nicht zum Heiligen oder gar Göttlichen aufgeladen, sondern in seiner Profanität belassen wird. Dass alles relativ ist, ist – paradoxerweise – eine absolute Wahrheit, der freilich nichts Transzendentes oder Sakrales anhaftet."
Quelle

Farbliche Hervorhebung von mir.
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#115 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von closs » Fr 11. Dez 2015, 17:06

sven23 hat geschrieben:Farbliche Hervorhebung von mir.
Alles nachvollziehbar. - Ich würde es "Ersatz-Religion" nennen - gar nicht aggressiv gemeint. - Man sieht, dass der Auto-Tank voll ist, und vergisst darüber, dass der Sprit von der Tankstelle kommt.

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Queequeg
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#116 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Fr 11. Dez 2015, 17:15

sven23 hat geschrieben:
"Undogmatischer, skeptischer Atheismus kennt keine Heilsgewissheit, freilich auch keine Unheilsgewissheit, sondern sinnt - nüchtern und der Erde treu - auf ein menschenwürdiges Leben diesseits von "Himmel" und "Hölle". Statt auf Erlösung zu hoffen, arbeiten Atheisten "nur" mit an der Befreiung. Das Höchste, was sie kennen, ist Glück im Unglück, das es mit Anstand und Humor zu meistern gilt."

Dem kann ich nur zustimmen. :clap:

Oh je, das liest sich aber jetzt wie das "Herrngebet" des Atheismus, oder?

Ich nenne das immer einen visionären Transzendentalatheismus, der den Menschen an sich völlig unberücksichtigt lässt, das Leid der Welt, das Leid der Kreatur geht hier im Totalirismus eines Juchhei-Atheismus völlig unter.


Und das hier:

Statt auf Erlösung zu hoffen, arbeiten Atheisten "nur" mit an der Befreiung. Das Höchste, was sie kennen, ist Glück im Unglück, das es mit Anstand und Humor zu meistern gilt."

das wäre dann das atheistisch verschwimelte - Jesus liebt dich, oder Er kömmet bald...

Nee, nee, das ist mir zu süßlich, zu kitschig, zu unkritisch und mehr der Atheismus der empiristischen Elfenbeintürmler, die mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurden.

Der Atheist stöhnt und leidet unter den Lasten des Daseins genauso, wie der religiöse Mensch, da braucht es dann wohl keine völlig widersinnige Verschlagwortung wie dieses - das höchste Glück im Unglück zu finden, wenn das ein Motto der Atheisten sein sollte, dann habe ich den Atheistmus wohl grundsätzlich falsch verstanden.

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#117 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Fr 11. Dez 2015, 17:24

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Farbliche Hervorhebung von mir.
Alles nachvollziehbar. - Ich würde es "Ersatz-Religion" nennen - gar nicht aggressiv gemeint. - Man sieht, dass der Auto-Tank voll ist, und vergisst darüber, dass der Sprit von der Tankstelle kommt.

Eigentlich und innerhalb der Strukturen der verschiedensten Sinnkriterium, auch des Verifikationismus abseits anti-metaphysischer Haltungen, kommt der Sprit nicht von der Tankstelle.
Denn nur unter dem Aspekt der sinnlichen Wahrnehmung kann man darüber etwas aussagen, hier im Sinnlich-Wahrnehmbaren wie auch in der Zuordnung des Authentischen, denn die erste Ursache des Sprits wäre hier die Entität, der Demiurg, also grundsätzlich Gott.

Womit wir dann beim schönsten Clossis-Muss angelangt wären.

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sven23
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#118 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » Fr 11. Dez 2015, 17:31

Queequeg hat geschrieben: Nee, nee, das ist mir zu süßlich, zu kitschig, zu unkritisch und mehr der Atheismus der empiristischen Elfenbeintürmler, die mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurden.

Der Atheist stöhnt und leidet unter den Lasten des Daseins genauso, wie der religiöse Mensch, da braucht es dann wohl keine völlig widersinnige Verschlagwortung wie dieses - das höchste Glück im Unglück zu finden, wenn das ein Motto der Atheisten sein sollte, dann habe ich den Atheistmus wohl grundsätzlich falsch verstanden.

Tja, der junge Kahl war halt noch kämpferischer:

"Der empirische Beweis zielt auf den unerlösten, elenden Zustand der Welt, das herzzerreißende, unschuldige Leiden und Sterben von Tier und Mensch, die mit dem Glauben an einen zugleich allgütigen, allwissenden, allwirksamen und allmächtigen Gott nicht vereinbar sind. Der Atheismus findet seine eigentliche Begründung in der Wirklichkeit selbst, in der blut- und tränengetränkten Geschichte des Tier- und Menschenreiches. Wie kann ein angeblich liebender Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, die Lebewesen, die er doch geschaffen hat, so unsäglich leiden lassen? Entweder er ist nicht allmächtig und kann die Leiden nicht verhindern, oder er ist nicht allgütig und will die Leiden nicht verhindern."
Kahl, Das Elend des Christentums
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sven23
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#119 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » Fr 11. Dez 2015, 17:34

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Farbliche Hervorhebung von mir.
Alles nachvollziehbar. - Ich würde es "Ersatz-Religion" nennen - gar nicht aggressiv gemeint. - Man sieht, dass der Auto-Tank voll ist, und vergisst darüber, dass der Sprit von der Tankstelle kommt.
Du meinst, die 3 von der Tankstelle verkaufen den Sprit? :lol:
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#120 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Fr 11. Dez 2015, 18:19

sven23 hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben: Nee, nee, das ist mir zu süßlich, zu kitschig, zu unkritisch und mehr der Atheismus der empiristischen Elfenbeintürmler, die mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurden.

Der Atheist stöhnt und leidet unter den Lasten des Daseins genauso, wie der religiöse Mensch, da braucht es dann wohl keine völlig widersinnige Verschlagwortung wie dieses - das höchste Glück im Unglück zu finden, wenn das ein Motto der Atheisten sein sollte, dann habe ich den Atheistmus wohl grundsätzlich falsch verstanden.

Tja, der junge Kahl war halt noch kämpferischer:

"Der empirische Beweis zielt auf den unerlösten, elenden Zustand der Welt, das herzzerreißende, unschuldige Leiden und Sterben von Tier und Mensch, die mit dem Glauben an einen zugleich allgütigen, allwissenden, allwirksamen und allmächtigen Gott nicht vereinbar sind. Der Atheismus findet seine eigentliche Begründung in der Wirklichkeit selbst, in der blut- und tränengetränkten Geschichte des Tier- und Menschenreiches. Wie kann ein angeblich liebender Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, die Lebewesen, die er doch geschaffen hat, so unsäglich leiden lassen? Entweder er ist nicht allmächtig und kann die Leiden nicht verhindern, oder er ist nicht allgütig und will die Leiden nicht verhindern."
Kahl, Das Elend des Christentums

Das ist ja alles nicht unrichtig.

Aber welche Lösungsansätze bietet Kahl an. Etwa diesen hier:

"Statt auf Erlösung zu hoffen, arbeiten Atheisten "nur" mit an der Befreiung. Das Höchste, was sie kennen, ist Glück im Unglück, das es mit Anstand und Humor zu meistern gilt."

Da verwechselt Kahl dann wohl den Atheismus mit dem Masochismus.

Oder er ist ein Zyniker, denn die Abermillionen von unschuldigen Menschen, die unter den Ersatz und Pseudoreligionen des Stalinismus und Maoismus grausam verreckten, denen ist es wohl kaum gelungen, die Qualen und das Leid mit - Anstand und Humor zu tragen.

Das was Kahl hier abliefert, das ist wohl mehr die atheistische "Theologie" der Verdrängung, oder Atheismus für Dummys und simple Seelen, je nach Ansicht.

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