2Lena hat geschrieben:Rembremerding, deine Argumentation klingt recht "beschaulich", kann aber nicht im Entferntesten das Kapitel erklären, in dem ein aufreizender Gott, ausgerechnet als Mittelpunkt des Gartens, ein Verbotsschild hinstellt - mit Todesdrohung.
Das Grundmotiv Rems kann ich schon erkennen, weil seine Argumentation auf das Verhältnis göttlicher und menschlicher Realitäts-Ebene hinweist (Vertikale). Deine Argumentation betont dagegen den horizontalen Aspekt von Lebens-Gesetzen im Dasein. - Im folgenden mein Versuch zur Vertiefung (sorry, ist etwas ausgeholt):
Was ist Erkennen? – Unter ontologischen Gesichtspunkten ist „Erkennen“ die bewusste Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Realitätsebenen – also einerseits dem (göttlichen) Sein und dem Dasein sowie andererseits dem ebenbildlichen Dasein (Mensch) und dem nicht-ebenbildlichen Dasein (Tier).
In diesem Sinne kann Adam bereits vor dem Essen vom Baum bewusst zwischen Seinesgleichheit und Nicht-Seinesgleichheit unterscheiden, indem er Nicht-Seinesgleiches unterhalb seiner Ebenbildlichkeits-Qualität, nämlich die Tiere, mit Namen benennt (vgl. zu 2,18). – Gott als Nicht-Seinesgleichheit
über sich und die Gefährtin auf gleicher Ebene jedoch kann er (vor dem Essen vom Baum)
nicht benennen. – Zwar gebraucht die Gefährtin den Namen „Gott“, als sie Gottes Schutzgebot (vgl. 3,3) zitiert, jedoch erscheint dieses Wort nicht als Adressierung, sondern als Abgrenzungs-Chiffre für Nicht-Seinesgleichheit. Erst nach dem Sündenfall kann Adam erstmals Gott erkennend addressieren („Ich habe Dich im Garten kommen hören“ (3,10)).
Adam nimmt also vor dem Essen vom Baum wahr, dass weder Gott (nach „oben“) noch die Tiere (nach „unten“) Seinesgleiche sind, die Gefährtin dagegen Seinesgleiche ist: Man ist vom selben „Bein“ (2,23), „nackt“ und „schämt sich nicht“ (2,25). – Aber erst nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis „erkennen“ sie, dass sie nackt sind. Erst nach dem Essen vom Baum können sie sich auf ihresgleicher Ebene benennen (vgl. 3,20) und Gott darüber hinaus addressieren, also den Unterschied eigener und göttlicher Identität qualifizierend erkennen ("Ich bin Adam, Du bist Eva, Du bist Gott") und somit von A nach B addressieren, also kommunizieren. Die Aktivierung der Ebenbildlichkeit im eigenen Bewusstsein erlaubt also das Erkennen der Ebenbildlichkeit im Gegenüber und dessen, von dem diese Ebenbildlichkeit kommt, also Gott.
Im Umkehrung ihrer vorherigen Schamunfähigkeit (vgl. 2,25) können sich beide als weitere Konsequenz aus ihrer Erkenntnis-Befähigung durch das Essen vom Baum nun schämen – sonst würden sie sich nicht „einen Schurz“ (3,7) machen. Dies ist – ontologisch gesehen – der Moment, in dem sich die Realitätsebene des Daseins von der Realitätsebene des göttlichen Seins trennt – Adam und Eva lösen sich vom „Drinsein“. Beide Realitätsebenen sind existent, aber das göttliche Sein umfängt nicht mehr das Dasein. Es gibt keinen „Holon“ mehr.
Warum nun geht Scham mit Erkennen einher? Psychologisch versteht man unter „Scham“ die Erkenntnis des „Versagens vor einer Idealnorm“. Scham ist demnach eine Folge von Erkenntnis - somit ist Erkenntnis die Voraussetzung für Scham. Auch hier ein menschliches Beispiel: Kinder sind erst schamfähig, nachdem sie in ihrer Entwicklung das nötige Maß an erkennender Selbst-Wahrnehmung dazu haben.- Aber warum ist es die Nacktheit, die beim heranwachsendes Kind zur Scham führt? Vor welcher „Idealnorm“ „versagt“ es?
Zur Beantwortung dieser Frage zurück zu Adam und Eva: Die Idealnorm, vor der Adam und Eva versagen, ist Gott. Da aber der Mensch Ebenbild Gottes ist, ist es das Göttliche im Menschen (vgl. zu 2,7), vor dessen Idealnorm der Mensch ebenso versagt wie gegenüber Gott selbst. – Eine weitergehende Frage ist dann: Warum überhaupt bezieht sich Scham auf die Geschlechtlichkeit? Ontologisch geantwortet: Weil das Geschlechtliche wesensmäßig verbunden ist mit der göttlichen Gabe der Wieder-Schöpfung durch die Schöpfung (also Zeugung und Geburt) - diese Gabe wird mit dem Erkennen zu einer erkannten Gabe. Der Mensch wird also erkennungsfähig für die göttliche Schöpfungskraft des Seins im Dasein. Damit wird das Dasein schamfähig in einem göttlichen Feld, vor dessen Idealnorm es versagt hat.
Wie eng „Erkennen“ und „Körperliche Vereinigung von Mann und Frau“ verbunden ist, zeigen die Bedeutungen des hebräischen Wortes „jadah“, das sowohl „erkennen“ (im heutigen Sinne), als auch „beischlafen“ heißt (in den Nebenbedeutungen von „an die Hand nehmen“ und „vertraut sein“, was zumindest per analogiam in Begriffsgebiete wie „trauen“ und „treu“ führt) - liebe 2Lena, was meinst Du dazu? – Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, dass unter ontologischen Gesichtspunkten „Erkennen“ die bewusste Unterscheidungsfähigkeit zwischen verschiedenen Realitätsebenen bezeichnet, dann ist beides, „Erkennen“ im geistigen Sinne und „Erkennen“ im Sinne von Beischlaf, Ausdruck eines erkannten Zusammentreffens von göttlichem Sein und menschlichem Dasein. Geschieht dieses Zusammentreffen in Reinheit des Daseins dem Sein gegenüber, entfällt die Scham – dies gilt sowohl für geistiges wie auch für körperliches Zusammentreffen.