In der Sauna schäme ich mich überhaupt nicht. Ich gehe nur deswegen nicht hin, weil es da so heiß ist.
Überhaupt hat meine Verschämtheit in den letzten Jahrzehnten immer mehr abgenommen. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung?
Würde man mich erpressen, nackt durch die Stadt zu gehen

, wäre nicht die Scham mein Problem, sondern die Erpressung. Was gibt es denn da groß zu sehen?
Vielleicht meinen Bauch. Dafür hätte ich mich vor zehn Jahren noch geschämt. Nix Sixpack.
Ich sehe Scham als ein Indiz für Selbstunsicherheit. Ich hasse es, bloßgestellt zu werden. Und dabei dreht es sich höchstens peripher um eine körperliche Bloßstellung. Aber wenn ich was gemacht habe, für das ich mich schäme. Ich schäme mich, weil ich etwas verbummbeutelt habe. Oder wenn ich etwas Dummes gemacht habe. Oder wenn jemand meine Unfähigkeit (leider an vielen möglichen Stellen meines Lebens) ans Licht zerrt.
Dann kommen mir Gedanken und Gefühle in die Richtung: "Bastler, Du bist einfach eine schwache Figur. Du könntest schon viel weiter, viel besser sein. Hättest Du Dir nur mehr Mühe gegeben! Versager!" All die schönen Dinge, mit denen man sich selbst beschimpfen kann, kommen mir dann in den Sinn. Das ist sehr unangenehm. Dagegen ist mein Leibesumfang ein Klacks. Oder wenn mich jemand nackt sehen würde. Pff! Was soll's? Aber wenn jemand meine wahre Blöße entblößt daliegen sieht, also all die Stellen, wo ich schwach bin, unbeholfen, unfähig, unmoralisch, mir selbst gegenüber hilflos: Das tut dann schon richtig weh.
Dabei können sich daraus die tollsten Begegnungen ergeben. Wenn jemand meine Scham mitbekommt und dann feinfühlig reagiert, wenn er womöglich sogar freundlich über das grinst, was ich nie auf die Reihe bekommen habe, dann kann dies zu einem echten Aha-Erlebnis werden. Noch besser ist, wenn jemand dieselbe Schwäche hat, sie aber schon innerlich verdaut hat und mir zu verstehen gibt: "War bei mir auch so. Habe mich auch geschämt. Was soll's? So bin ich nun mal."
Ich richte mich schon mal auf mein Fegfeuer ein. Wenn dann meine gesamte Geschichte und mein Seelenleben so völlig ausgebreitet vor Gott dastehen, dann werde ich mich sicherlich ganz furchtbar schämen. Und vielfältig. Meine Fresse! Aber genau das erhoffe ich dann von Gott: Dass er mir sagt "was soll's? Du bist mein geliebter Sohn. Und diese ganzen peinlichen Macken in Deiner Geschichte halten mich nicht davon ab, Dir als geliebten Sohn anzunehmen."
In geringerem Umfang habe ich so was schon oft erlebt. Gut: Es war nicht Gott. Und es war auch nicht meine gesamte Lebensgeschichte. Aber es war diese Erlösung von der Scham.
Es gibt einen alten Film über Therese von Lisieux. Sie putzt gerade mit einer anderen Schwester Fische.
Schwester: "Ich komme sicher in die Hölle."
Therese: "Ach quatsch!"
Schwester: "Du hast keine Ahnung, was ich nachts im Bett mache!"
Jepp. Da stellt sich jemand gerade seiner Scham. Die Schwester sagt das auch nur flüsternd. Das ist ja nichts für die Öffentlichkeit des Konvents. Sie würde sich vor hundert anderen Schwestern zu sehr schämen, um dies zuzugeben. Und ihre Worte haben etwas Flehentliches: "Bitte, liebe, liebe Therese, verurteile mich nicht! Ich bin's, Deine Freundin und Mitschwester! Glaub bitte, bitte nicht, dass ich ein furchtbares Schweinchen bin. Oder verurteile mich - dann weiß ich wenigstens, wo ich meine ewige Zukunft verbringen werde."
Therese antwortet nur ganz kurz, geradezu lakonisch: "Ach, du nimmst ihm (Jesus) nur einen ganz kleinen Teil!"
Genial. Keine Überbewertung, keine Dramatisierung. Auch keine Beschönigung: Du nimmst ihm was.
Aber einen gesunden Realismus - genau das, was die Schämende nicht mehr zu leisten vermag. Denn sie hat ihr Verhalten und ihre Schwäche schon längst überbewertet.
Der Realismus heißt: Deine Beziehung zu Jesus ist weitaus größer, als wenn Du im Bett egalwas machst. Hauptsache die Beziehung stimmt. Dilige, et fac quot vis: Liebe, und dann tu, was Dir in den Sinn kommt.