"Chiffren" in der Bibel

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closs
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#1 "Chiffren" in der Bibel

Beitrag von closs » So 12. Okt 2014, 01:04

Thema abgetrennt aus: Das Himmelreich ist nahe


Münek hat geschrieben:Dass beispielsweise die Paradiesgeschichte oder die Sintflut eigentlich "Chiffren" für "was weiß ich" sein sollen, wird im Christentum wo und von wem offiziell vertreten?
Ich kenne es so von evangelischen und katholischen Theologen, die es ihrerseits so in der Theologie-Ausbildung gelernt haben. - Und vergiss nicht: Ev./kath. Theologie erkennt ja auch die ET als Gestaltungsform der Schöpfung vollumfänglich an.

Allerdings predigt man das nicht, weil man befürchtet, dass "das Publikum" meinen könne, "Historie" stünde für "real" und "Chiffre" stünde für "irreal". Man kann sich leicht vorstellen, dass irgendein einfaches Gemüt beim Hören des Wortes "Chiffre" meint "Ach - dann isses ja gar nicht echt". - Dass die öffentliche Wahrnehmung da nicht viel weiter ist, mag man erkennen, wenn man Fernseh-Serien kennt mit Titel "Wahrheit oder Mythos".

Damit meint man offen oder unterschwellig oder bewusst oder unbewusst, dass "Mythos" das Gegenstück zu "Wahrheit" sei - man kommt also gar nicht darauf, dass "Wahrheit" per "Mythos" vermittelt werden könne - dieser Weg ist per Präjudikation bereits abgeschnitten. - Und schon wären wir wieder im Feld der materialistischen Unterwanderung geistiger Dinge - einfach mal so ein "Wahrheit ODER Mythos" in die Gesellschaft reinschlendern, so dass sich als Normalität festsetzt, geistige Wahrheit könne nur historische Wahrheit sein.

Und in diesem Kontext fängt man als Pfarrer (außer wahrscheinlich in einer Studentengemeinde) erst gar nicht an, sein Kirchenvolk mit Differenzierungen zwischen "Historie" und "Chiffre" durcheinander zu bringen. - Denn wie sollte das ohne eigens anberaumtes Seminar gelingen, wenn die Mainstream-Öffentlichkeit diesbezüglich generalstabsmäßig verwirrt wird? - Die predigenden Pfarrer, die ich dazu befragt habe, haben entsetzt abgewunken ("zu großes Fass"/"das braucht Generationen"/"wir brauchen Lösungen zu bestehenden Problemen und keine neuen Probleme"/etc.).

Aber selbstverständlich glaubt kein Pfarrer, dass die Sintflut genau SO stattgefunden hat, wie es in der Bibel steht, sondern ein geistiges Zeichen gesendet wird, für das eine (irgendwann mal tatsächlich stattgefundene) Flut als Erzählrahmen dient.

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sven23
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#2 Re: Das Himmelreich ist nahe

Beitrag von sven23 » So 12. Okt 2014, 07:28

closs hat geschrieben: Und in diesem Kontext fängt man als Pfarrer (außer wahrscheinlich in einer Studentengemeinde) erst gar nicht an, sein Kirchenvolk mit Differenzierungen zwischen "Historie" und "Chiffre" durcheinander zu bringen. - Denn wie sollte das ohne eigens anberaumtes Seminar gelingen, wenn die Mainstream-Öffentlichkeit diesbezüglich generalstabsmäßig verwirrt wird? - Die predigenden Pfarrer, die ich dazu befragt habe, haben entsetzt abgewunken ("zu großes Fass"/"das braucht Generationen"/"wir brauchen Lösungen zu bestehenden Problemen und keine neuen Probleme"/etc.).

Diese Denke stammt noch aus einer Zeit, als man das Kirchenvolk möglichst dumm hielt. Man sollte seine eigenen Mitlglieder nicht so sträflich unterschätzen.

Du bist da sicher noch im Denken Goethes verhaftet:

Es ist gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber sie will herrschen, und da muß sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die hohe, reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.
(Goethe, zu Eckermann)

Der Theologe Gerd Lüdemann aber meint:
Aber die Gemeinden und die Öffentlichkeit haben ein Recht, über den gegenwärtigen Forschungsstand auch in der Theologie orientiert zu werden.


closs hat geschrieben: Aber selbstverständlich glaubt kein Pfarrer, dass die Sintflut genau SO stattgefunden hat, wie es in der Bibel steht, sondern ein geistiges Zeichen gesendet wird, für das eine (irgendwann mal tatsächlich stattgefundene) Flut als Erzählrahmen dient.

Da bin ich mir gar nicht so sicher, wenn man sich anschaut, was in anderen Foren so verzapft wird. :lol:
Zuletzt geändert von sven23 am So 12. Okt 2014, 09:08, insgesamt 2-mal geändert.
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#3 Re: Das Himmelreich ist nahe

Beitrag von closs » So 12. Okt 2014, 10:42

sven23 hat geschrieben:Da bin ich mir gar nicht so sicher, wenn man sich anschaut, was in anderen Foren so verzapft wird.
Da handelt es sich um spezielle Glaubensgemeinschaften - aus dem ev./kath. Raum wirst Du selten so etwas hören.

sven23 hat geschrieben:Diese Denke stammt noch aus einer Zeit, als man das Kirchenvolk möglichst dumm hielt. Man sollte seine eigenen Mitlglieder nicht so sträflich unterschätzen.
Ganz ehrlich: Hier auf dem Forum sind ziemlich überdurchschnittlich intelligente Menschen, die ebenfalls keinen Zugang zu Dingen haben, die anderen glasklar vor Augen liegen. - Warum sollte das beim Durchschnittsvolk anders sein?

sven23 hat geschrieben:Eines Praktikers, der mit harter Hand regierte und im Laufe seiner Karriere tausende hat kreuzigen lassen. Für ihn war Jesus sicher ein nobody
Ja - sehe ich genauso.

sven23 hat geschrieben:So zeichnen sie (die Evangelien) den Römer Pilatus als Werkzeug der Juden, bürden diesen die Schuld am Tode Jesu voll auf und werden so mitschuldig am Antisemitismus der Folgezeit bis in die Gegenwart hinein.
Stimmt auch - aber auch das ist Chiffre: Das auserwählte Volk des AT erkennt nicht seine Sendung - so (ähnlich) würde man es biblisch interpretieren.

Was die historische Praxis angeht: Der Hauptgrund für den Antisemitismus war und ist bis heute der Umstand, dass die Juden aufgrund ihrer Vertreibung 70 n.Chr. in der Folgezeit in allen Ländern unterwegs waren, überall ein Wort mitredeten, nie assimiliert wurden und vor allem überall Minderheit waren - also blendend geeignet waren für Wutumleitung der Massen. - Das gilt besonders im christlichen Europa wie im muslimischen Spanien oder sonstwo.

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sven23
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#4 Re: Das Himmelreich ist nahe

Beitrag von sven23 » So 12. Okt 2014, 11:28

closs hat geschrieben:Ganz ehrlich: Hier auf dem Forum sind ziemlich überdurchschnittlich intelligente Menschen, die ebenfalls keinen Zugang zu Dingen haben, die anderen glasklar vor Augen liegen. - Warum sollte das beim Durchschnittsvolk anders sein?

Das spricht aber dafür, daß sich alles nur im Kopf/Phantasie abspielt, was scheinbar so glasklar vor den Augen abspielt. Imo hat jemand ein Problem, wenn er Dinge "sieht", die andere nicht sehen.


closs hat geschrieben: Stimmt auch - aber auch das ist Chiffre: Das auserwählte Volk des AT erkennt nicht seine Sendung - so (ähnlich) würde man es biblisch interpretieren.

Aber eine Chiffre mit fatalen Folgen. Was soll man von einem Gott halten, der sein auserwähltes Volk so leiden läßt?
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#5 Re: Das Himmelreich ist nahe

Beitrag von closs » So 12. Okt 2014, 11:39

sven23 hat geschrieben:Was soll man von einem Gott halten, der sein auserwähltes Volk so leiden läßt?
Da müsste man jetzt wieder das Fass aufmachen, was Leid ist, welche Funktion es hat und was Tod ist.

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sven23
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#6 Re: Das Himmelreich ist nahe

Beitrag von sven23 » So 12. Okt 2014, 11:42

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was soll man von einem Gott halten, der sein auserwähltes Volk so leiden läßt?
Da müsste man jetzt wieder das Fass aufmachen, was Leid ist, welche Funktion es hat und was Tod ist.

Nee, laß mal lieber, da kommen sowie keine neuen Erkenntnisse. ;)
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#7 Re: "Chiffren" in der Bibel

Beitrag von closs » So 12. Okt 2014, 23:10

sven23 hat geschrieben: laß mal lieber, da kommen sowie keine neuen Erkenntnisse.
Du unterschätzt Dich. ;)

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Magdalena61
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#8 Re: "Chiffren" in der Bibel

Beitrag von Magdalena61 » Mo 13. Okt 2014, 01:56

closs hat geschrieben:Aber selbstverständlich glaubt kein Pfarrer, dass die Sintflut genau SO stattgefunden hat, wie es in der Bibel steht, sondern ein geistiges Zeichen gesendet wird, für das eine (irgendwann mal tatsächlich stattgefundene) Flut als Erzählrahmen dient.
:angel:
Für dich-- etwas zum Lesen.
Eckdaten: Gen 6,5-9,22 Die Sintflut

Überlegungen: Hat die Sintflut wirklich stattgefunden?

Hm....
Interessant- :roll:

Ach, hier habe ich nochmal einen: Das Rätsel der Sintflut.
Biblische und kulturgeschichtliche Streifzüge


Und nun?

Eine große Flut oder mehrere Fluten hat es gegeben, so viel steht fest. Die Sintflutgeschichte ist nicht frei erfunden, wie manche Gelehrten meinen.
Nur: Bedauerlicherweise waren Anno 2500 v. Chr. oder so... keine Journalisten vor Ort gewesen, die in der Sprache des 21. Jahrhunderts- also den Erwartungen der technoverwöhnten Erdlinge des Westens genehm- hätten berichten und ihre Reportagen dann selbstverständlich auch mit Videoaufnahmen / Satellitenbildern hätten belegen können.
Und nun bleibt uns nichts anderes übrig, als die moralische, geistliche oder was auch immer... Essenz der biblischen Überlieferung herauszufiltern, damit wir auch etwas davon haben.
LG
God bless you all for what you all have done for me.

closs
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#9 Re: "Chiffren" in der Bibel

Beitrag von closs » Mo 13. Okt 2014, 08:03

Magdalena61 hat geschrieben:Eine große Flut oder mehrere Fluten hat es gegeben, so viel steht fest. Die Sintflutgeschichte ist nicht frei erfunden, wie manche Gelehrten meinen.
Zustimmung - es muss irgendwas passiert sein, was so außergewöhnlich war, dass es über Generationen überliefert wurde.

Magdalena61 hat geschrieben:Und nun bleibt uns nichts anderes übrig, als die moralische, geistliche oder was auch immer... Essenz der biblischen Überlieferung herauszufiltern
Genau das ist der Haupt-Sinn der Sache.

2Lena
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#10 Re: "Chiffren" in der Bibel

Beitrag von 2Lena » Mo 13. Okt 2014, 09:20

Closs: Denn wie sollte das ohne eigens anberaumtes Seminar gelingen, wenn die Mainstream-Öffentlichkeit diesbezüglich generalstabsmäßig verwirrt wird? - Die predigenden Pfarrer, die ich dazu befragt habe, haben entsetzt abgewunken ("zu großes Fass"/"das braucht Generationen"/"wir brauchen Lösungen zu bestehenden Problemen und keine neuen Probleme"/etc.).
Das Argument kenne ich zu gut!
.... und weil die Bäume hoch sind, erreichen wird das nie ... ging vor langer Zeit einmal ein Schlager.

Sven: Der Theologe Gerd Lüdemann aber meint:
Aber die Gemeinden und die Öffentlichkeit haben ein Recht, über den gegenwärtigen Forschungsstand auch in der Theologie orientiert zu werden.

Aber, wenn sie sich daran orientieren, kommen sie vom Regen in die Traufe ... sind noch verwirrter als zu den Zeiten, als einer sagte: Eine Sechstageschöpfung gibt es nicht. (Ist aber so nützlich, weil eine "Rot-Kreuz-Spinne" :-) ein Kinderwitz, vor ein paar Tagen hier geschrieben.) Wer soll das alles lernen, was die Theologie an Meinungen und Verwirrungen aufbringt?

Da ist nicht das "Essenz" herausfiltern,
das Magdalena61 gekonnt ausgedrückt hat.
Die Noah-Geschichte hat als Gesetz Ruhe finden durch Ordnung und richtiges Überlegen. Der Erfolg des Ostens rührt unter anderem daher, dass sie diese Gesetze nicht als "Märchen" sondern in ausgeführter Form überliefert haben.

Unser Erfolg kam, weil wir die "anfängliche Ausbildung" des Christentums (wenn auch nur in wenigen praktischen Dingen) in das Leben integrierten. Dann meinte man zu trennen, wer in die Kirche geht sind - fromme Spinner, die anderen sind die tüchtigen. Ob die mal über die wahnwitzigen Ideen Bücher schreiben?

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