Pluto hat geschrieben:Genau das bestreite ich! Mit welcher Begründung nimmst du an, dass das ICH vom Körper unabhängig ist?
Da sind wir jetzt exakt am Kern der Sache.
Zunächst umgekehrt gefragt: Mit welcher Begründung nimmst Du an, dass das ICH vom Körper abhängig ist?
Beiden Postulaten/Setzungen/Annahmen (?) liegen unterschiedliche Konzepte zugrunde - zur Verdeutlichung noch einmal das cartesianische bzw. cartesianisch angelehnte:
Demnach weiss der Mensch nur sicher, dass er ist: "ICH-BIN" (übrigens bemerkenswerterweise sehr ähnlich der Jahwe-Übersetzung: "Ich-bin-der-ich-bin").
Damit ist KEINERLEI Postulat verbunden - wie etwa: "Ich bin Materie" oder "Ich bin Geist". - Dieses "ICH-BIN" ist unabhängig von den 5 Sinnen, da es nicht Folge von Sinneseindrücken ist - es ist eine rein denkerische Feststellung - wobei ausdrücklich "denkerisch" NICHT nur zu verstehen ist als kognitiver-reflektiver Akt, sondern auch so, wie ein Kleinkind denkt. - Auch Kleinstkinder (wohl auch Embryos) haben das, was man im Groben als "Ich-Bewusstsein" bezeichnen könnte - "Ich rufe Dich mit Deinem Namen", heisst es irgendwo in der Bibel.
Dass dieses "ICH-BIN" postulativ mit dem Gehirn verbunden ist, interessiert ein Kleinkind nicht - es wird als denkerische und nicht als körperliche Sache angesehen. - Descartes nennt dieses "ICH-BIN" das "Res cogitans".
Mit diesem "Res cogitans" stellt das "ICH-BIN" nun fest, dass es das, was wir "Natur" oder "Dasein" nennen, sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt (waren das die Fünfe?). - Sowieso stellt das "ICH-BIN" fest, dass es Hunger und Durst gibt. - Später stellt dieses "ICH-BIN" fest, dass zwischen Denken und Gehirn ein Zusammenhang besteht.
Descartes sagt nun - meines Erachtens total zu Recht - , dass das "Ego sum" ("Ich-bin") die einzige Wahrnehmung ist, die im strengen erkenntnis-theoretischen Sinne
sicher ist. - Denn das Thema "ICH-BIN" ist das einzige, das nicht dialektisch ist. - Denn selbst, wenn das ICH feststellt, dass es NICHT "ist", "ist" es, weil es nur feststellen kann, dass es nicht "ist", wenn es "ist".

- Wir haben hier also den einzigen Fall (kennt einer einen anderen?), bei dem sich das "Sein" intersubjektiv gegen "Wahrnehmung" durchsetzen kann - eben weil Subjekt ("ICH") und Objekt ("ICH") identisch sind.
Bei allen Fragen die "Res extensa" betreffend (also auch bei Fragen der eigenen Sinne und des eigenen Gehirn) sind Subjekt und Objekt NICHT identisch. - Man kann also fragen: "Ist mein Körper 'real' oder Projektion meines Cogito?". - Völlig unabhängig davon, wie wahrscheinlich das eine oder das andere ist, ist diese Frage möglich, weil beides sein kann: Das "ICH-BIN" kann eine rein geistige Identität sein ODER eine mit Materie verbundene Identität sein. - Wenn ein nicht gefüttertes Kind verhungert, kann das "ICH-BIN" als "Res cogitans" problemlos weiter-"sein" ODER mit dem Tod des Körpers vollkommen verschwinden. - Beides ist NICHT falsifizierbar, also von uns nicht entscheidbar.
In diesem Kontext sagt eben Descartes, dass alle Fragen bezüglich der "Res extensa" kein SICHERES Wissen bringe (sondern nur Wissen unter Vorbehalt). - Oder Sokrates, der mit seinem "Ich weiss, dass ich nichts weiss" jegliches sichere Wissen außerhalb des "ICH-BIN" als Nicht-Wissen bezeichnet. - Das sind also keine demütigen Gesten ("Was bin ich gegen das Universum - *schluchz*), sondern knallharte erkenntnis-theoretische Aussagen.
Nun zu Deiner Frage: Ich nehme im Dasein NICHT an, dass das ICH unabhängig vom Körper ist - im Gegenteil. - Es ist für mich jedoch nicht falsifizierbar, ob jede Phase meiner ICH-Existenz abhängig vom Körper ist - Begründung siehe oben.
Und jetzt kommt - wie mir scheint - der erkenntnis-theoretische Sündenfall des Materialismus: Der Materialismus übergeht die Nicht-Falsifizierbarkeit der Frage, ob das ICH essentiell an den "Res extensa" gebunden ist oder nicht, indem er einfach das Postulat/die Setzung/die Annahme (?) vorschiebt, das ICH sei Folge der Materie - und dann noch die Frechheit besitzt zu postulieren, dies sei KEIN Postulat/KEINE Setzung/KEINE Annahme.

- Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Das heisst: Der Materialismus entscheidet, was ist, statt zuzugestehen, dass diese Frage nicht falsifizierbar ist. - Diesbezüglich ist die geistige Fraktion ehrlicher, weil sie unumwunden Gott postuliert/setzt/annimmt. - Das führt unter anderem dazu, dass der Materialismus aus seiner (unbewussten?) Selbst-Entscheidung heraus meinen kann, die geistige Fraktion würde ZUSÄTZLICH zur Realität etwas anderes postulieren/setzen/annehmen. - Dass diese Meinung des Materialismus nur möglich ist, weil sie ihre eigenen erkenntnis-theoretischen Hausaufgaben nicht gemacht hat, wird nicht erkannt - VERMUTLICH weil man zu Recht(!) darauf hinweisen kann, dass man INNERHALB des materialistischen Systems ein super erkenntnis-theoretisches System hat (KR) - und dabei übersehend, dass man einen entscheidenden Schritt zu spät angefangen hat zu denken.
ODER - und daher das Popper-Lob: Man übersieht das NICHT und sagt ganz bewusst (hier: Popper in den Mund gelegt): "Dieser erste Schritt interessiert mich nicht, weil das nicht meine Thema ist - ich tue so, als seien die "Res extensa" die Grundlage - denn ich will eine Methodik schreiben und keine transzendente Philosophie". - Nochmals: Das ist voll ok. - Aber die zahlreichen Popper-Jünger scheinen diese kluge Haltung halt nicht zu druchschauen.
Pluto hat geschrieben:Wenn ich etwas denke, geschieht dies ebenfalls mit meinem Gehirn.
Stimmt - sehe ich im Dasein genauso. - Ob das Dasein nur EINE MAtrix meines Ich-Bewusstseins ist oder die einzige, ist jedoch nicht falsifizierbar - deshalb ist Deine Aussage nur auf die Matrix anwendbar, aus der sie kommt.