Pluto hat geschrieben:Woran liegt der oft kritisierte Mangel an gegenseitigem Vertrauen zwischen dem Glauben und der Naturwissenschaft?
An Grenzüberschreitungen - zwei Beispiele:
Die Kurzzeit-Kreationisten überschreiten die Grenze zur Naturwissenschaft, indem sie gegen alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse den Beginn der Welt auf (irgendwann) 7000 v.Chr. legen. - Vorher gab es keine Menschen - punkt. - Reaktion der Naturwissenschaft: Glaube = Spinnerei.
Die Naturalisten überschreiten die Grenze zu Geistigem, indem sie die Ergebnisse innerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft zu weltanschaulichen Schlussfolgerungen verbauen ("Das, was die Naturwissenschaft wahrnehmen kann, IST alles, was der Fall sein kann"). - Reaktion des geistigen Menschen: "Ihr armen Irren".
Beide räubern also in den Gefilden des anderen, ohne das jeweils andere überhaupt zu kennen.
Notabene: Es mangelt übrigens NICHT an Vertrauen zwischen Glauben und Naturwissenschaft, sondern am Vertrauen, dass Naturwissenschaft (= Wissenschaft) und Naturalismus (= Weltanschauung) nicht auseinandergehalten werden. - Beispiele:
Die Naturwissenschaft kann sagen:
* Wir können nachweisen, dass Aspirin wirksam ist.
* Wir können nachweisen, dass wir NICHT nachweisen können, dass Aurum D100 wirkt
Die Naturwissenschaft kann NICHT sagen:
* Aurum D100 "ist" nicht wirksam. Das wäre ein Verlassen der Grenzen der Naturwissenschaft.
Die Naturwissenschaft kann sagen:
* Wir können (möglicherweise) sagen, dass sich das Universum aus "nichts" selbst entwickelt hat.
Die Naturwissenschaft kann NICHT sagen:
* Die Wahrscheinlichkeit, dass es Gott nicht gibt, liegt über 50%. Das wäre ein Verlassen der Grenzen der Naturwissenschaft.
Und da diese Grenze zwischen eigenen und fremden Gefilden nicht klar gesehen wird, wird der Eindruck erweckt, dass Naturwissenschaft sich so ausrichtet, dass ihre klammheimliche Unterwanderung durch den Naturalismus (= Weltanschauung/Ideologie) Einfluss nimmt auf ihre Arbeit innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin - dass sie also zu "Disziplin-Losigkeit" neigt.
Die Naturwissenschaft kann sagen:
* Wir orientieren uns am Konstruktivismus - weil für uns alles irrelevant ist, was außerhalb unseres Wissens ist.
Die Naturwissenschaft kann NICHT sagen:
* Weil etwas nicht nachprüfbar ist, "ist" es als Sein irrelevant.
Das sind manchmal feine, aber fundamentale Unterschiede, die (auch bei mir) zum Eindruck führen, dass Naturwissenschaft zu einer Pro-Domo-Veranstaltung für Materialismus/Naturalismus/Konstruktivismus/etc. neigt. - Damit macht sich Naturwissenschaft verdächtiger und vertrauensunwürdiger, als sie es eigentlich verdient. - Denn solange Naturwissenschaft nur genau DAS sagt, was sie beschreibt und KEINE Schlussfolgerungen in Gefilde hinein zieht, die sie nicht kennt, ist sie selbstverständlich glaubwürdig.