Plausibilität des Seins

Philosophisches zum Nachdenken
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Andreas
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#271 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von Andreas » So 15. Jun 2014, 02:37

Pluto hat geschrieben:In der Spiritualität hingegen ist Glaube = Fürwahrhalten, d.h. etwas für bedingungslos wahr halten.
Da sollte man differenzieren. Manche, vor allem Bibeltreue Christen, Evangelikale Christen äußern sich so, wie du das mit Fürwahrhalten verstehst. Im 2jesus-Forum sind sie stark vertreten, weil Dave das so will. Hier sind sie auch dominant, weil einige von ihnen sehr viele Beiträge schreiben. Im gesamten Christentum repräsentieren sie aber eine relativ kleine Minderheit.

Die Mehrheit der Christen sieht das viel entspannter und da hat Glaube andere Bedeutungen. In ihrer Theologie ist Glaube mehr so etwas wie ein Zustand, eine Haltung, eine innere Einstellung, von mir aus auch """Weltanschauung""". Das ist so ähnlich wie mit dem starken und schwachen Naturalismus - extrem vs. gemäßigt. Hier wird eher nach dem geistigen Sinn in der Bibel gesucht, indem man sich nicht so ans Wortwörtliche klammert.

Die Uneinigkeit im Christentum kann man als Problem wahrnehmen aber auch als Chance der Einheit in der Vielfalt. Das ist kompliziert. Ich persönlich bevorzuge es, keiner christlichen Gemeinschaft anzugehören. Für mich sind auch spirituelle Erfahrungen wichtig - als eine Säule meines christlichen Glaubens. Von der Sorte gibt es auch ein paar, aber wir sind sicher eine Minderheit und wissen als "Einzelkämpfer" kaum voneinander. Wenn jetzt viele Christen auf mich losgehen, weil ich so etwas schreibe, wundert mich das nicht. Ist gut möglich, dass da auch Fehler drin sind.

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Demian
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#272 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von Demian » So 15. Jun 2014, 05:02

closs hat geschrieben:Warum das? - Für-wahr-halten ist doch ein Moment-Ausschnitt der gegenwärtigen Erkenntnis.Man erkennt etwas und sagt NICHT "Das IST wahr", sondern "Ich halte es für wahr".

Ein verwickelter Geist wird die Welt immer aus der Perspektive der Verwicklung und der daraus resultierenden Ignoranz betrachten. Ignoranz heißt in der Terminologie des Vedanta: Identifikation mit dem Unwirklichen. Darum braucht es die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen, damit der höhere Verstand - Buddhi - möglich wird und die Einheit mit der Kutastha-Nitya (unwandelbaren Wirklichkeit) entdeckt wird.

"Buddhi (Sanskrit, f., बुद्धि; Erkenntnisvermögen, Unterscheidungskraft), ein Ausdruck der indischen Philosophie, ist von der gleichen Sprachwurzel (budh – erwachen; verstehen; wissen) abgeleitet, wie seine bekanntere männliche Form buddha. Der Begriff bezeichnet eine transpersonale geistige Fähigkeit des Verstandes, höher als der rationale Verstand. Buddhi könnte auch mit „intuitiver Intelligenz“ oder mit „höherer Verstand“ übersetzt werden. Buddhi ist „das, was weiß“, z. B. fähig ist, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden."

Vedanta versteht die Erscheinungswelt mit all ihren Phänomenen, als einen Ausdruck des reinen Bewusstseins, der sich als eine sich abstufende Entfaltung des Bewusstseins in Zeit, Raum und Kausalität vollzieht. Die gesamte phänomenale Welt aus Nama-Rupa (Namen und Formen) ist mit ihm eins. Manas, der gewöhnliche Verstand, kann das aber nicht verstehen.

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sven23
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#273 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von sven23 » So 15. Jun 2014, 07:36

closs hat geschrieben:Seiner Ansicht nach sind christlicher Glaube und Evolutionstheorie vollständig miteinander vereinbar" (wik). Das klingt gut - das ist exakt die Haltung der RKK - und meine auch. -

Vereinbar sind sie nur, wenn man die Bibel beiseite legt und sich zum Deismus bekennt.
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sven23
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#274 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von sven23 » So 15. Jun 2014, 08:28

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich begnüge mit der naturwissenschaftlichen Methodik des ontologischen Naturalismus welcher fordert, dass Modelle der Welt überprüfbar und falsifizierbar sein müssen, weil nur so gewährleistet werden kann, dass man nicht im Sumpf der Beliebigkeit untergeht.
"Begnügen" ist das richtige und ein ehrliches Wort dazu. Solange Dir bewusst ist, dass das Postulat, dass Modelle der Welt überprüfbar und falsifizierbar sein müssen, allgemeingültige Aussagen ausschließt, ist das ok.

Dazu ein paar Anmerkungen von Martin Neukamm.

"Der Begriff Ontologie wird im traditionellen Sinne oft mit Religion, nutzloser Spekulation oder mit dem Geltungsanspruch, irrtumsfreie, letzte Wahrheiten über die Welt erlangen zu können, in Verbindung gebracht. Es gibt aber auch Ontologien, die sich von der Religion emanzipiert haben, die Fehlbarkeit allen Wissens anerkennen, kritisierbar sind und sich zu einem respektablen Zweig der akademischen Philosophie entwickelt haben, wie der Naturalismus und Materialismus.

Nach der These des ontologischen Naturalismus ist der Kosmos kausal strukturiert und in sich abgeschlossen, das heißt alle Phänomene können gesetzmäßig und auf der Basis weltimmanenter
(natürlicher) Prinzipien und Mechanismen – also ohne Zuhilfenahme von Göttern, Geistern, un-
spezifischen Designern, Seelen als rein geistiges Substrat, Wundern, Prophezeiungen, Telepathie, Astrologie und sonstigen transzendenten Dingen – beschrieben und erklärt werden."


Wer wollte da widersprechen?
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#275 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von closs » So 15. Jun 2014, 09:33

Pluto hat geschrieben:Allerdings herrscht unter Fundamentalisten eine andere Haltung zur Wahrheit.
Deshalb ja die Wendung "für-wahr-HALTEN" - also keine Seins-, sondern eine Wahrnehmungs-Größe.

Pluto hat geschrieben:Dehalb wird auch (aus meiner Sicht) an falschen Prinzipien festgehalten, wie bspw. die Verurteilung der HS.
Das wäre jetzt ein eigenes Fass, das man öffnen müsste. Es wäre dabei u.a. zu klären, was der Unterschied zwischen "fundamentalem" und "fundamentalistischem" Denken ist.

Aber ist das ein Grund, erkenntnis-theoretische Strukturen zu verändern? - Will heißen: Muss man den sprachlich neutralen Begriff "für-wahr-halten" in Anti-These zu "erkennen" setzen? - "Wahre" und "unwahre" Erkenntnis täten es doch auch. -Zudem: Wie soll man sprachlich mit fundamentalistischen Prinzipien etwa von Naturalisten umgehen? "Erkennen" oder "fürwahrhalten".

Ich empfehle zur Vermeidung von Missverständnissen Attribute - also zum Beispiel "naturwissenschaftliches Erkennen/Für-Wahr-Halten" contra "naturalistisches Erkennen/Für-Wahr-Halten" contra "christliches Erkennen/Für-Wahr-Halten", etc. - Dann weiß jeder, was gemeint ist, weil die Grundlagen der jeweiligen Denksysteme bekannt sind.

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#276 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von Pluto » So 15. Jun 2014, 10:27

closs hat geschrieben:Ich empfehle zur Vermeidung von Missverständnissen Attribute - also zum Beispiel "naturwissenschaftliches Erkennen/Für-Wahr-Halten" contra "naturalistisches Erkennen/Für-Wahr-Halten" contra "christliches Erkennen/Für-Wahr-Halten", etc. - Dann weiß jeder, was gemeint ist, weil die Grundlagen der jeweiligen Denksysteme bekannt sind.
Sprachlich ist das jetzt schon auseinander zu halten.
Wenn ein Naturwissenschaftler sagt, dass er glaubt, so meint er, er VERMUTET nur. Das ist Ausdruck seiner Bereitschaft umzudenken, sobald sich neue Erkenntisse ergeben. Wenn Jemand etwas für wahr hält, dann impliziert dies sich des Geglaubten ganz sicher zu sein. Wenn man die heutigen Konventionen abschafft, dann sollte es beim Naturwisssenschaftler heißen: erkennen/vermuten, und beim Glaubenden: glauben/fürwahhalten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#277 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von closs » So 15. Jun 2014, 10:55

sven23 hat geschrieben:Vereinbar sind sie nur, wenn man die Bibel beiseite legt und sich zum Deismus bekennt.
Genau das ist der Denkfehler. - Wie kommst Du darauf?

sven23 hat geschrieben:Nach der These des ontologischen Naturalismus ist der Kosmos kausal strukturiert und in sich abgeschlossen, das heißt alle Phänomene können gesetzmäßig und auf der Basis weltimmanenter
(natürlicher) Prinzipien und Mechanismen – also ohne Zuhilfenahme von Göttern, Geistern, un-
spezifischen Designern, Seelen als rein geistiges Substrat, Wundern, Prophezeiungen, Telepathie, Astrologie und sonstigen transzendenten Dingen – beschrieben und erklärt werden."

Wer wollte da widersprechen?
Da kann man nicht widersprechen, weil es eine innerbetriebliche Anwendung des Begriffs "Ontologie" ist und somit (zumindest wollen wir das annehmen) innerhalb des Naturalismus widerspruchsfrei ist. Es ist - wenn Du so willst - das Herunterbrechen der Ontologie in ein System hinein.

Genau das ist aber das Oxymoron dabei: "Naturalistische Ontologie" kann es eigentlich nicht geben, weil "Ontologie" für das Sein an sich steht - unabhängig davon, wie es wahrnehmungsmäßig verwurschtelt wird. -Wenn man aber setzt, dass der Kosmos kausal strukturiert ist und in sich geschlossen (es also auch keine seins-mäßige Meta-Ebene über dem so verstandenen Kosmos gibt), ist das eine Präjudizierung des Seins. - Das Sein wird plausibel GEMACHT (siehe Thread-Thema), indem man es stutzt, bevor man es hinterfragt.

Deshalb bleibe ich dabei: Der Begriff "Ontologie" wird entstellt, wenn man ihn als Attribut eines Seins-Ausschnitts darstellt. - Oder um es aus einer ganz anderen Richtung zu sagen: In 200 Jahren wird das alles vergessen sein und man wird wieder Heidegger lesen, weil seine Auffassung von Ontologie interessens-frei ist.

Naturalistische Ontologie ist Lobby-Ontologie - so wie die gängigen Philosophien unserer Zeit Business-Philosophien sind.

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#278 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von closs » So 15. Jun 2014, 10:57

Pluto hat geschrieben:Sprachlich ist das jetzt schon auseinander zu halten.
Ja - wenn man es aus Sicht des Naturwissenschaftlers definiert. - Meinst Du, man könne die Fachsprache einer wissenschaftlichen Disziplin auf die Allgemeinsprache übertragen?

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sven23
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#279 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von sven23 » So 15. Jun 2014, 11:07

closs hat geschrieben: In 200 Jahren wird das alles vergessen sein und man wird wieder Heidegger lesen, weil seine Auffassung von Ontologie interessens-frei ist.

Oder man wird Heidegger vergessen haben, wer weiß das schon? Aber auch ein Heidegger hat nicht interessefrei argumentiert. Geht das überhaupt? Ich denke nicht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#280 Re: Plausibilität des Seins

Beitrag von Pluto » So 15. Jun 2014, 11:29

closs hat geschrieben:Genau das ist aber das Oxymoron dabei: "Naturalistische Ontologie" kann es eigentlich nicht geben, weil "Ontologie" für das Sein an sich steht -
Gibt es auch nicht. Was es gibt ist die Methodologie der Naturwissenschaft, die man als "ontologischen Naturalismus" bezeichnet.
Es geht darum das Seeinde in der Natur zu erforschen und zu beschreiben.

closs hat geschrieben:Deshalb bleibe ich dabei: Der Begriff "Ontologie" wird entstellt, wenn man ihn als Attribut eines Seins-Ausschnitts darstellt. - Oder um es aus einer ganz anderen Richtung zu sagen: In 200 Jahren wird das alles vergessen sein und man wird wieder Heidegger lesen, weil seine Auffassung von Ontologie interessens-frei ist.

Naturalistische Ontologie ist Lobby-Ontologie - so wie die gängigen Philosophien unserer Zeit Business-Philosophien sind.
Interessensfreiheit ist Utopie!
Immer dann wenn Menschen im Spiel sind kann es keine "Interessensfreiheit" geben. Dann wird es immer einen kausalen, auf Eigennutz basiernden Grund für alles Tun geben.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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