Stimmt. Der Autor zeigt nur auf, wie von Menschen oft relativiert wird, und hier finde ich, hat er ein allzu krasses Beispiel gefunden. Eines ohne Mord wäre besser gewesen, um sein Thema "an den Mann" zu bringen.closs hat geschrieben:Der Autor relativiert damit doch nicht.
Die Diktatur des Relativismus
#11 Re: Die Diktatur des Relativismus
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
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#12 Re: Die Diktatur des Relativismus
Hallo und einen schöne sonnigen Tag an alle Foristen!
Der Philosoph Robert Spaemann sagt im aktuellen Spiegel (24/2014 vom 07.06.2014, Interview: "Ein notwendiges Medikament"):
„Der Relativismus, der heute die Voraussetzung des politisch Korrekten ist, signalisiert den Verzicht auf Wahrheit. Der Anspruch auf Wahrheit ist selbst schon politisch unkorrekt, weil man ihm unterstellt, die Gleichberechtigung des anderen nicht anzuerkennen. Damit wird aber auch die Toleranz bedeutungslos, denn sie muss einen Grund haben, der nur in der Achtung der Würde des anderen bestehen kann. Dazu gehört, ihm die Wahrheitsfähigkeit zuzusprechen. Nichteinmischung im Meinungsstreit ist keine Toleranz – Gleichgültigkeit vor der Meinung des anderen bedeutet, ihn nicht ernst zu nehmen. Dann erlischt der Diskurs. Michel Foucault, auch jemand, der an Wahrheit überhaupt nicht glaubte, sah im Diskurs nur einen Machtkampf mit anderen Mitteln: Es ginge nicht mehr darum, Wahrheit zu suchen, weil es sie gar nicht gibt, sondern darum, sich zu behaupten und durchzusetzen. Das Denken kann aber, ohne sich selbst zu zerstören, nicht auf Wahrheit verzichten.“
Diese Angst vor der Wahrheit betrifft natürlich ebenso die Religionen.
Doch auch in der Wissenschaft breitet sich immer mehr ein "Wissenschaftsglauben" aus, wie Jaspers ihn bezeichnet. Anfänglich hatte die Naturwissenschaft das Bestreben, aus ihren disziplinären Erkenntnissen ein neues Fundament der Universalität zu legen. Man grenzte dabei alles auf eine sinnlich erfahrbare Welt ein, übersah aber, dass sich Werte wie Religion, Kunst, Recht oder Moral nicht wissenschaftlich begründen lassen.
Dies wird jedoch heute immer mehr in Frage gestellt. Die naturalistische Methode will nun auch erkennen, was es zu wissen gibt (epistemologischer Naturalismus) und gar was als seiend anzunehmen ist (ontologischer Naturalismus). Eine ehemals neutrale wissenschaftliche Weltanschauung (Szientismus) ist auf dem Weg zu einem Glaubenssystem zu werden, eine Ideologie, deren narrativer Grund nicht mehr die Wissen-schaft ist, sondern der Glaube daran.
Und was geschieht, wenn Naturwissenschaft Werte bestimmen und erkennen will, zeigte sich schon einmal, in "unwertem Leben" und "entarteter Kunst". Und es passiert erneut, im Heute.
Servus

Der Philosoph Robert Spaemann sagt im aktuellen Spiegel (24/2014 vom 07.06.2014, Interview: "Ein notwendiges Medikament"):
„Der Relativismus, der heute die Voraussetzung des politisch Korrekten ist, signalisiert den Verzicht auf Wahrheit. Der Anspruch auf Wahrheit ist selbst schon politisch unkorrekt, weil man ihm unterstellt, die Gleichberechtigung des anderen nicht anzuerkennen. Damit wird aber auch die Toleranz bedeutungslos, denn sie muss einen Grund haben, der nur in der Achtung der Würde des anderen bestehen kann. Dazu gehört, ihm die Wahrheitsfähigkeit zuzusprechen. Nichteinmischung im Meinungsstreit ist keine Toleranz – Gleichgültigkeit vor der Meinung des anderen bedeutet, ihn nicht ernst zu nehmen. Dann erlischt der Diskurs. Michel Foucault, auch jemand, der an Wahrheit überhaupt nicht glaubte, sah im Diskurs nur einen Machtkampf mit anderen Mitteln: Es ginge nicht mehr darum, Wahrheit zu suchen, weil es sie gar nicht gibt, sondern darum, sich zu behaupten und durchzusetzen. Das Denken kann aber, ohne sich selbst zu zerstören, nicht auf Wahrheit verzichten.“
Diese Angst vor der Wahrheit betrifft natürlich ebenso die Religionen.
Doch auch in der Wissenschaft breitet sich immer mehr ein "Wissenschaftsglauben" aus, wie Jaspers ihn bezeichnet. Anfänglich hatte die Naturwissenschaft das Bestreben, aus ihren disziplinären Erkenntnissen ein neues Fundament der Universalität zu legen. Man grenzte dabei alles auf eine sinnlich erfahrbare Welt ein, übersah aber, dass sich Werte wie Religion, Kunst, Recht oder Moral nicht wissenschaftlich begründen lassen.
Dies wird jedoch heute immer mehr in Frage gestellt. Die naturalistische Methode will nun auch erkennen, was es zu wissen gibt (epistemologischer Naturalismus) und gar was als seiend anzunehmen ist (ontologischer Naturalismus). Eine ehemals neutrale wissenschaftliche Weltanschauung (Szientismus) ist auf dem Weg zu einem Glaubenssystem zu werden, eine Ideologie, deren narrativer Grund nicht mehr die Wissen-schaft ist, sondern der Glaube daran.
Und was geschieht, wenn Naturwissenschaft Werte bestimmen und erkennen will, zeigte sich schon einmal, in "unwertem Leben" und "entarteter Kunst". Und es passiert erneut, im Heute.
Servus

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#13 Re: Die Diktatur des Relativismus
Aktuell habe ich heute einen ZEIT-Beitrag zu diesem Thema von einem Marcus Gabriel gelesen, der als (junger) Philosoph (geb. 1980) den Begriff Wahrheit u.a. an der Demokratie festmacht. - Ich habe manchmal den Eindruck, dass gewisse Wurzeln so weit weg sind, dass sie überhaupt nicht mehr gesehen, geschweige denn verstanden werden. - Er wird seine Philosophie als "Fortschritt" begreifen - das scheint der Lauf der Dinge zu sein.
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#14 Re: Die Diktatur des Relativismus
closs hat geschrieben:Aktuell habe ich heute einen ZEIT-Beitrag zu diesem Thema von einem Marcus Gabriel gelesen, der als (junger) Philosoph (geb. 1980) den Begriff Wahrheit u.a. an der Demokratie festmacht. - Ich habe manchmal den Eindruck, dass gewisse Wurzeln so weit weg sind, dass sie überhaupt nicht mehr gesehen, geschweige denn verstanden werden. - Er wird seine Philosophie als "Fortschritt" begreifen - das scheint der Lauf der Dinge zu sein.
Wer Wahrheit an Demokratie festmacht, gibt sie der Abstimmung preis, den Mehr- und Minderheiten und letztendlich denen, die die Demokratie nur benützen. Solche Entwicklungen sind wirklich schrecklich.

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#15 Re: Die Diktatur des Relativismus
Von welcher Wahrheit spricht er denn? Was ist eigentlich die Wahrheit? Anders gefragt: Können wir sterblichen jemals erahnen, was wirklich wahr ist?Rembremerding hat geschrieben:Der Philosoph Robert Spaemann sagt im aktuellen Spiegel (24/2014 vom 07.06.2014, Interview: "Ein notwendiges Medikament"):
„Der Relativismus, der heute die Voraussetzung des politisch Korrekten ist, signalisiert den Verzicht auf Wahrheit.
Nochmals:Rembremerding hat geschrieben:Doch auch in der Wissenschaft breitet sich immer mehr ein "Wissenschaftsglauben" aus, wie Jaspers ihn bezeichnet.
Glaube ist im Bezug auf die Wissenschaft das falsche Wort, denn nirgendwo werden so hohe Hürden an wahrhaftiger Erkenntis gestellt, wie in den Wissenschaften. Wissenschaft bedeutet Erkenntnisgewinn auf dem Weg zur Wahrheit.
So wie einst Karl Popper schreib:
"Und wenn wir auch nie wissen können, ob wir dieses Ziel erreicht haben, so können wir dennoch gute Gründe für die Vermutung haben, daß wir unserem Ziel, der Wahrheit, nähergekommen sind."
Da geb ich dir Recht, aber man sollte nicht der Naturwissenschaft die Schuld dafür in die Schune schieben, wenn Menschen sich dem rationalen Denken der Vernunft zuwenden.Rembremerding hat geschrieben:Man grenzte dabei alles auf eine sinnlich erfahrbare Welt ein, übersah aber, dass sich Werte wie Religion, Kunst, Recht oder Moral nicht wissenschaftlich begründen lassen.
Von wem eigentlich?Rembremerding hat geschrieben:Dies wird jedoch heute immer mehr in Frage gestellt.
Man sollten meinen: Kein Rauch ohne Feuer....Rembremerding hat geschrieben:Die naturalistische Methode will nun auch erkennen, was es zu wissen gibt (epistemologischer Naturalismus) und gar was als seiend anzunehmen ist (ontologischer Naturalismus).
Eine ehemals neutrale wissenschaftliche Weltanschauung (Szientismus) ist auf dem Weg zu einem Glaubenssystem zu werden, eine Ideologie, deren narrativer Grund nicht mehr die Wissen-schaft ist, sondern der Glaube daran.
Was ich an manche Theorie der Naturwissenschaft bemängele, ist der oft beobachtete Verlust an "Bodenhaftung".
Leute wie Planck, Bohr, Bohm, Eintein, Schrödinger, Heisenberg... waren Visonäre die sich aber nie zu weit vom "Ufer" der Verifizierung entfernten. Alles was sie taten, konnten sie mit Experimenten oder Beobachtungen bestätigen, selbst wenn so Mancher sich nie auch nur in die Nähe eins Labors begab (Einstein).
Heute schwadroniert mancher visionäre Physiker von String-Theorien, Multiversen und Quantenfeldern — und da ist tatsächlich viel Spekulation im Spiel...
Doch von Glaube im Sinn von Fürwahrhalten, wie Glaube in den Religionen gehandhabt wird; wo mancher Fanatiker sich des Geglaubten über alle Maßen sicher ist, kann in der Naturwissenchaft keine Rede sein.
Wenn ein Naurwissenschaftler sagt, "Ich glaube so könnte es sein", dann spricht er damit eine reine Vermutung aus. Diese rationale Form des Glaubens ist Ausdruck des "sich nicht ganz sicher seins", des demütigen Zwiefels an seinen eigenen Fähigkeiten. Es ist aber gerade dieser Ausdruck des Zweifels, der die Bereitschaft zum umdenken signalisiert, sobald seine Theorie in Frage gestellt wird. Und dies ist die größte Stärke der Wissenschaft, denn nur durch Fehler lernen wir unser Wissen zu korrigieren und zu verbessern (Irren ist schließlich menschlich). Damit stellt die Wissenschaft sicher, dass sie möglichst auf dem geraden Pfad bleibt der zur Wahrheit hin gerichtet ist.
Tsk, tsk....Rembremerding hat geschrieben:Und was geschieht, wenn Naturwissenschaft Werte bestimmen und erkennen will, zeigte sich schon einmal, in "unwertem Leben" und "entarteter Kunst". Und es passiert erneut, im Heute.
Und wieder regt sich im falschen Moment die Nazikeule.

Meinst du wirklich, dass solche Unterstellungen in diese Diskussion gehören?

Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
#16 Re: Die Diktatur des Relativismus
"Erahnen" können wir es - nur nicht wissen können wir es. - Manche leben sogar Wahrheit, ohne es zu wissen. - Andere meinen, sie lebten wahr und leben unwahr. - Alle Varianten sind drin.Pluto hat geschrieben:Können wir sterblichen jemals erahnen, was wirklich wahr ist?
Nein - nicht der Wissenschaft - aber den Weltanschauungen, die sich über die Denkweise der Wissenschaft definieren.Pluto hat geschrieben:man sollte nicht der Naturwissenschaft die Schuld dafür in die Schune schieben, wenn Menschen sich dem rationalen Denken der Vernunft zuwenden.
#17 Re: Die Diktatur des Relativismus
Ich weiß ich widerhole mich, aber kann eine Weltanschung schuld sein, wenn Menschen das Hirn einmal nicht zusammen mit dem Hut an der Garderobe abgeben, sondern es zum rationalen Denken einsetzen?closs hat geschrieben:Nein - nicht der Wissenschaft - aber den Weltanschauungen, die sich über die Denkweise der Wissenschaft definieren.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
#18 Re: Die Diktatur des Relativismus
Im Gegenteil: Weltanschauungen sind sogar dafür da, dass sie ein schlüssiges System abgeben. - Naturalismus/Konstruktivismus tun das auch.Pluto hat geschrieben: kann eine Weltanschung schuld sein, wenn Menschen das Hirn einmal nicht zusammen mit dem Hut an der Garderobe abgeben, sondern es zum rationalen Denken einsetzen?
Aber transzendent orientierte Weltanschauungen tun das schon einige Jahrtausende länger - Plato ist nicht der erste von dieser Sorte.
Der Unterschied zwischen den beiden Richtungen ist NICHT die Brillanz des rationalen Denkens - das sind sie alle, wenn sie gut sind. - Der Unterschied ist die Zielrichtung des Denkens. - Und da sagen halt die materialistischen Weltanschauungen: "Wir setzen unsere rationale Brillanz auf der Basis ein, dass "das, was der Fall ist", rein materieller Natur ist". - Die transzendent orientierten Weltanschauungen sehen das anders.
#19 Re: Die Diktatur des Relativismus
Schlimmer noch...closs hat geschrieben:Und da sagen halt die materialistischen Weltanschauungen: "Wir setzen unsere rationale Brillanz auf der Basis ein, dass "das, was der Fall ist", rein materieller Natur ist".
Was der Fall sein könnte aber für die Erklärung der Welt nicht notwendig erscheint, wird ignoriert.
Wie geht das, wenn man dasgesuchte Objekt nicht kennt.closs hat geschrieben:Die transzendent orientierten Weltanschauungen sehen das anders.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.
#20 Re: Die Diktatur des Relativismus
Indirekt - wobei Th.v.Aquin dazu gemeint hat, dass wir mehr darüber wissen, was Gott NICHT ist, als darüber, was Gott ist. - Davon abgesehen, dass viele Menschen "das Objekt" ja durch eigenes Erleben kennen - aber Du meinst es ja intellektuell.Pluto hat geschrieben:Wie geht das, wenn man das gesuchte Objekt nicht kennt.
Stimmt - halt eine Business-Weltanschauung.Pluto hat geschrieben:Schlimmer noch... Was der Fall sein könnte aber für die Erklärung der Welt nicht notwendig erscheint, wird ignoriert.