Wind hat geschrieben:Dein Aufsatz ist sehr gut durchdacht, Naqual. Ich nehme an, dass du eine recht lange Zeit gebraucht hast, bis du zu diesem Ergebnis gekommen bist und bist noch lange nicht zu Ende damit.
Danke. Ja, es hat lange Zeit gedauert und irgendwie auch nicht. Klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht wirklich.
Ausgangspunkt war ein Inneres Erleben "reiner durchdringender, einen annehmender Liebe", auf eine Art wie es der Verstand nicht fasst, sondern eher verwirrt (im Nachhinhein, währenddessen war es nicht möglich). Zu dem Zeitpunkt (2005) habe ich eigentlich gar nichts geglaubt (wenn auch "Ex-Kirchenchrist" mit intensiver Vergangenheit). Das Erleben war auch nicht mit dem Christlichen Denken, wie ich es kannte in Einklang zu bringen. Die Liebe war kompromisslos, ohne jede Widersprüche in sich. Ganz anders wie z.B. ein "strafender Gott" (was nicht ausschließt, dass etwas, das wir als Strafe empfinden, eigentlich eine Hilfestellung für uns ist). Es lag dann nahe mit dem Erleben einen Vergleich anzustellen, mit meinem früheren Glauben. Dazu diente mir ein Schweizer evangelikales Forum ganz gut.
Das Interessanteste: man kann die Bibel (nicht überall, aber in großen Teilen) ganz anders interpretieren und dann harmonisiert es mit meinem Erleben.
über viele Jahre war mein Gottesbild stimmig mit dem, wie mein Leben verlief. Als dann auf einmal vieles nicht mehr passte, habe ich auch zunächst versucht, es passend zu machen, indem ich so manche scheinbare "Wahrheit" hin und her schob. Aber irgendwann passte nichts mehr wirklich. Das war für mich der Punkt der Entscheidung: will ich dem Glauben ganz absagen oder nach dem Kern suchen, worauf ich mein Gottesbild neu gestalten und aufbauen kann? Ich habe mich für Letzteres entschieden, nachdem ich mein altes Gottesbild mal geprüft habe nach den Merkmalen, die ich als unbrauchbar wegwerfen kann und was dann noch bleibt. Im momentanen Stand hat es sich um so viel verändert, dass man im Vergleich des neuen Gottesbildes mit dem alten kaum noch gleiche Muster erkennen kann. Und trotzdem weiß ich, dass es sie gibt. Denn ich habe nicht von vorn begonnen sondern auf Erfahrenes aufgebaut.
Ich denke, es ist gar nicht so schlecht, wenn man zwischendurch mal wirklich alles verwirft (was ein streng Gläubiger sich oft gar nicht traut, weil er da die Verdammnis schon auf Griffweite wähnt). Und quasi von Null anfängt. (Ist aufwändig!)
Dann stellt man wiederum fest, dass vieles, was man früher gehört hat unter einem etwas anderen Blickwinkel doch wieder "aufgeht" und man eigentlich nichts umsonst mal gelernt oder geglaubt hat.
Es ist eine Entwicklung, die man durchmacht, in Schritten. Mit allem Hin und Her. Das kann man vermeiden, wenn man in festen dogmatischen Formen glaubt (jene gibt einem eine vermeintliche Glaubenssicherheit). Aber anders gerät man dann in mehr "Tiefe", man setzt sich (intellektuell) stärker damit auseinander, erarbeitet sich vieles auch selbst, manchmal natürlich mit Anregungen von anderen.
Insofern kann ich Deine persönlichen Einlassungen recht gut nachvollziehen.
Warum ich jetzt so weit aushole ... irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass auch das damalige Gottesbild "richtig" war. Ebenso, wie das heutige es ist. Selbst wenn es gegensätzlich zu sein scheint. Weil Gott mehr ist, als alle Gottesbilder zusammen. In jedem Gottesbild steckt ein Teil der Wahrheit. Aber auch ein Teil von dem, was mich selbst ausmacht. Gott begegnet den Menschen nämlich so, wie dieser es in seiner gegenwärtigen Situation aufnehmen kann.
Es klingt ein wenig härter: Genaugenommen bastelt sich JEDER ein wenig das, was er selbst vertragen kann. Das verzerrt einiges. Auch der bloße Glaube an literales Widergeben biblischer Inhalte bewahrt davor nicht, da es ohne Interpretationen nicht geht.
Ich meine, das Gebot (oder der Rat) kein Bild von Gott zu machen liegt mehr darin, dass man sich nicht festlegen sollte auf ein Bild, welches nicht mehr veränderbar ist.
Das buddhistische Bild des Elefanten ist hier recht treffend. Der eine langt den Rüssel an und beschreibt den Elefanten hiervon, der andere den Schwanz, ein anderer ein Bein. Und jeder trägt etwas dazu bei, auch wenn die Gesamtsicht (keiner sieht von denen im Beispiel den ganzen Elefanten) stark verzerrt ist.
Christen sagen oft: "Gott ändert sich nie" - und begründen damit das festgelegte Gottesbild. Aber Menschen ändern sich und sollen es auch. Das ist der Sinn des Lebens und der Sinn der Gottesbegegnungen einzelner Menschen, die Veränderung oder das Wachstum, was aber oft nur als Veränderung erkannt wird.
Das ist zwar richtig, dass Gott sich nicht ändert. Nur, in dem Moment wo Gott sich in der Realität wirkend manifestiert, ändert er sich als raum- und zeitangepasste "Wirkung". Gott selbst entzieht sich der Wahrnehmung, aber nicht seine Wirkung (für den Glaubenden). Wirkung ist aber total änderlich.
Von daher ist die Aussage "Gott verändert sich nie" wenig aussagekräftig im ganz "praktischen Nutzen".
Wenn auch inhaltlich wohl korrekt.
Eines der sehr schwer lösbaren Probleme des festgelegten Gottesbildes bei Christen ist die Bibel. Weil man sie als das unveränderliche und unfehlbare Wort Gottes verstehen will. Da werden lieber die Widersprüchlichkeiten so verzerrt, dass es passt als dass man irgendetwas daraus anzweifelt. Das ist eine Barrikade, die sämtliche Veränderung aufhält und alles Rückfragen abprallen lässt. Deshalb halte ich die Bibel als eine der größten Widersacher gegen eine Gottesbeziehung und da heraus folgende Erfahrungen, die verändern können.
Für mich habe ich es immer so gefasst: die Bibel ist eine Anleitung für Gotteserfahrungen. Sie wird aber oft als Ersatz für jene genommen, weil die Bibel immer greifbar und lesbar ist. Erfahrungen nicht. So dass unser "religiöses Sicherheitsbedürfnis" uns hier quasi einen Streich spielt. Wir brauchen was Gegenständliches zum Festhalten (und sei es die Bibel) statt den Fokus auf das Erleben (Gefühl, Verstand, etc.) zu legen.