Liebe deinen Nächsten

Themen des Neuen Testaments
JackSparrow
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#161 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von JackSparrow » Do 18. Mär 2021, 19:42

Naqual hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 18:07
z.B. wenn Hegel kein Philosoph ist, wie begründest Du dies aus den von ihm angewandten Methoden?
Ich schrieb nicht dass Hegel kein Philosoph sei. Ich schrieb dass sich Philosophie nicht mit Wissenschaft gleichsetzen lässt.

Laut Hegel handelt es sich bei der gesamten Menschheitsgeschichte um die Offenbarung eines vernunftbegabten Weltgeistes, der die Welt sukzessive zum "Guten" hin steuert. Ist dies eine empirische, falsizifierbare, wissenschaftliche Hypothese?

Hast Du schon einmal etwas gelesen, das von ihm direkt geschrieben worden war?
Ich besuchte einst ein Wochenendseminar an der Uni. Leider traf mich zwischendurch die Erleuchtung, dass das Leben für solcherlei Lektüre eigentlich zu kurz ist, so dass ich nach der Mittagspause nicht zurückkehrte.

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Naqual
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#162 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Naqual » Fr 19. Mär 2021, 10:33

JackSparrow hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 19:42
Naqual hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 18:07
z.B. wenn Hegel kein Philosoph ist, wie begründest Du dies aus den von ihm angewandten Methoden?
Ich schrieb nicht dass Hegel kein Philosoph sei. Ich schrieb dass sich Philosophie nicht mit Wissenschaft gleichsetzen lässt.
Das ist ja noch schlimmer! :-)

Laut Hegel handelt es sich bei der gesamten Menschheitsgeschichte um die Offenbarung eines vernunftbegabten Weltgeistes, der die Welt sukzessive zum "Guten" hin steuert. Ist dies eine empirische, falsizifierbare, wissenschaftliche Hypothese?
Hegel als Beweis dafür herzunehmen dass Philosophie keine Wissenschaft ist, ist methodisch schon der verkehrte Ansatz. Auch wenn zumindest ich persönlich die "spekulative Philosphie" Hegels eher kritisch betrachte.
Du betrachtest Wissenschaft als nur aus "empirisch, falszifierbare Hypothesen" bestehend. Das ist eine Art "imperialistische Denke von Popper-Fundis", eine Sichtweise auf die Wissenschaften wie sie (im allgemeinen und von der Mehrheit der Wissenschaftler) so nicht geteilt wird und zumindest seine Ausgangsthesen sind heute seit Jahrzehnten eigentlich überholt.
Gleichwohl hat die Zentrierung auf empirische und falszifierbare Hypothesen im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang einen Sinn gehabt: Es ging um einen Kampf gegen Ideologien! (wie z.B. den Kommunismus im auch philosophisch kaltem Krieg). Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich gegen Kritik immunisierten. Popper zeigte hier sehr deutlich auf, wie das funktioniert und warum das verkehrt ist. In diesem Zusammhang muss man auch die sehr starke Konzentration auf die Falsifizerbarkeit sehen.
Die Wissenschaften aber auf empirisch-falsifizierbare Aussagen zu reduzieren ist schlicht verkehrt (wenn man es hart ausdrückt: "Methoden-Faschismus") :
a) das Anwendungsfeld ist bei den Naturwissenschaften gut gegeben, aber nicht bei allen Geisteswissenschaften und bei großen Teilen der Sozialwissenschaften. In letzteren würde der Poppersche Anspruch wie eine Denkblockade wirken und z.B. Zukunftsprognosen in komplexen Gesellschaften völlig ad absurdum führen.
b) die Phllosophie ist die Grunddiszplin wissenschaftlichen Arbeitens, ohne die die Naturwissenschaften nicht mal ihre Grundlagen hätten (Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie usw.)
c) es ist oftmals sogar zweckmäßig spekulative und empirische Ansätze zu kombinieren. Nur es muss jeweils klar ausgewiesen werden. Deswegen gibt es z.B. Sinn die Theologe als wissenschafltiche Disziplin zu sehen. Gott kannst Du nicht falsifizieren (Der "Forschungsgegenstand" ist nicht ausreichend definiert oder konkretisiert und nicht empirisch belegbar). Was die aber können ist z.B. antike Schriften auswerten und interpretieren mit wissenschaftlichen Methoden, teils unter Hinzuziehung von Hilfswissenschaften wie die Geschichtswissenschaften, Soziologie, u. a. m. Ich persönlich bevorzuge da schon eher die "Religionswissenschaften", weil die diesen spekulativen Anteil nicht so gefährlich nah an Axiomen setzen.

Philosophie über Pausch und Bogen einfach als nicht wissenschaftlich abzuklassifzieren ist auch schon deswegen verkehrt, weil diese Diszplinen folgende Unterdisziplinen hat (vereinfacht und grob gesagt):
- Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie
- die Logik (also wie man wissenschftlich denkt, auch in den Naturwissenschaften)
- die Ethik (was ist rechtes Handeln?)
- Metaphysik (die ersten Gründe des Seins und der Wirklichkeit)

bei den ersten beiden wirst Du kaum Einwendungen haben können, dass diese Wissenschaft pur sind,
bei den letzten beiden kann ich Einwendungen verstehen, sehe es aber mehr so, dass man aufpassen muss: die Beweiskraft ist deutlich geringer und Ergebnisse in diesem Bereich als allgemeinverbindlich dazustellen mit angeblich wissenschaftlicher Kompetenz eher mehr politisch (Interessengeleitet) und fragwürdig. Trotzdem benutzen auch diese Bereiche des wissenschaftlichen Denkens eigene wissenschaftliche (!) Methoden, die dazu dienen Fehleinschätzungen zu minimieren. Und das wiederum kann man denen schlecht selbst als "Popper-Fundi" vorwerfen, denn diese gehen von Haus aus davon aus, dass sich nichts letztgültig beweisen lässt, nur es muss falsifizierbar bleiben um die Errorquote nach unten zu drücken. Und die "Popper-Fundis" sind, jetzt stark vereinfacht gesagt die Speerspitze des "empirisch, falsifiierbar, ..... " Eigenartig nicht wahr?

Ich denke man muss auch akzeptieren, dass jede wissenschaftliche Diszplin seine ganz besonderen Eigenarten hat. Also in den Politikwissenschaften (viel konkreter bei den Forschungsgegenständen als die Philosophie) kannst Du z.B. nicht wie ein Biologe einen Schmetterling am Untersuchungstisch kreuzigen oder in Käfigen isolieren um dann wiederholbare empirische Versuche zu machen...

(Zu Hegel:)
Ich besuchte einst ein Wochenendseminar an der Uni. Leider traf mich zwischendurch die Erleuchtung, dass das Leben für solcherlei Lektüre eigentlich zu kurz ist, so dass ich nach der Mittagspause nicht zurückkehrte.
LoL. In Bezug auf Herrn Hegel kann ich das gut nachvollziehen.

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Naqual
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#163 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Naqual » Fr 19. Mär 2021, 11:13

Helmuth hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 16:07
Ich denke es bedarf Offenbarung, warum Jesus am Kreuz dermaßen erniedrigernd sterben musste. Er tat das weil es keine anderen Ausweg gibt uns vom Bösen zu erlösen. Ich hoffe, das kannst du mal erkennen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Heute wirst du es nicht annehem, aber heute ist nicht alle Tage. :D
Danke für Deinen persönlichen Erfahrungsbericht (den ich jetzt nicht zitiert habe). Du kannst Dir leicht vorstellen, bei mir war es ein wenig anderes..... :-)
Stellenweise sogar genau gegenteilig. Also mir hat die Ablehnung(!) des Kreuzes gut getan. Sehr sogar. Ich bin um einiges gelassener in religiösen Dingen als wie mit der permanenten Todes- und Folterdrohung, dem Ultimatum wenn Du nicht bis zu Deinem Tode .... Ich sehe auch nicht, worin die heilende Kraft liegen soll, die Schuld auf einen anderen abzuschieben.
Das ist für mich sogar das Gegenteil von nett und gut.

Den von Dir genannten Tao te King als Grundlage des Taoismus kenne ich nicht, wenn ich auch die Aussage "Wen der Himmel retten will, den schützt er durch die Liebe" (kurz mal nach gesurft) süß und sinnvoll formuliert finde.
Letztlich sehe ich es so, dass es nicht Himmel und Hölle gibt, sondern nur Gott näher oder ferner (stufenlos). Dies wird aus der Liebe bestimmt, die über das eigene Wesen hinausgeht.
Dafür muss ich aber eine Vorstellung haben von der Liebe Gottes. Es hat aber mit Liebe nichts zu tun, wenn dieser mir ein Ultimatum setzt (leiblicher Tod) ohne das es für dieses eine rationale Begründung gibt (es ist ja nicht so das der Ewige auf eine Stoppuhr schauen müsste). Oder wenn dieser nur lieb sein kann, wen jemand zu Tode gefoltert wird (das ist Rache, nicht Liebe). Sicher habe ich da einen für manchen spekulativen, wenn nicht philosophischen Weg. Aber ich bemühe mich zumindest die Grundlage von allem widerspruchsfrei zu halten: Liebe. Und das hat dann eine ändernde Kraft, zumindest ganz anders, als ich das mit der "Annahme des Kreuzes" noch geglaubt hatte. Ich freue mich für Dich, dass Du etwas gefunden hast, was Dir etwas gibt. Aber ich sehe es für mich anders. Zum Beispiel: was nützt mir die Vergebung meiner Vergangenheit, wenn meine Gegenwart nicht anders ist. Also wichtiger als so etwas wie "Vergebung" ist, wie Gott mich sieht für das was ich bin und worum ich mich bemühe. Im Hier und Jetzt. Und das ist dann auch der Punkt wo die Liebe das Böse verdrängt (tendenziell, nicht im Sinne eines platten entweder-oder).

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#164 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von SilverBullet » Fr 19. Mär 2021, 12:19

Ruth hat geschrieben: Stimmt ... es hat vielleicht eher was von einem "Magneten". Man zieht an und fühlt sich angezogen, ohne dass man weiß, welcher Mechanismus vielleicht dahinter stecken könnte.
Das Wahrnehmen desselben ist aber ein Anfang, um zu entscheiden, diese Anziehung zu vertiefen ... oder eben nicht. Weil möglicherweise Vernunftsgründe dafür oder dagegen sprechen.
Genau, diese "Magnet"-Situation wird irgendwann erkannt.
Das bewusste Erkennen, bei dem es dann zu einer Überlegung kommen kann (Motto: "wird mehr daraus oder nicht"), ist der zweite Schritt auf dem Weg zu Liebe.

Ruth hat geschrieben: Aber du hast schon recht: der Ausgang in beide Richtungen passiert grundsätzlich unwillkürlich. Und auch eine nachfolgende vernunftgesteuerte Entscheidung kann die Tendenz in die andere Richtung (gegen die Vernunft) übertönen/in den Schatten stellen, weil die (unwillkürliche) Anziehung zu groß ist. Daher auch der Spruch: "Liebe macht blind (kann blind machen). Das Gegenteil davon ist dann vielleicht: schlechte Erfahrungen in der Liebe machen oft blind FÜR die Liebe.
Ja, dieser unwillkürliche Anteil ist (aus meiner Sicht) für den Einsatz des Wortes "Liebe" zentral wichtig.

Auf Basis der Unwillkürlichkeit stellt man an sich ein gewisses "Durcheinander in Bezug auf eine andere Person" fest.
Das "Durcheinander" ist dabei fast schon "maximal umfangreich", denn man steht quasi "verändert" im Alltag, man scheint nicht mehr derselbe Mensch zu sein.
-> Verliebtheit

Je nach eigener Entscheidung und nach Reaktion der anderen Person wird diese Situation beendet oder verstärkt (die andere Person erwidert den "Magnetismus" und signalisiert das Feststellen einer ähnlichen Ausrichtung).
Egal ob beendet oder verstärkt wird, nach einiger Zeit klingt das Durcheinander ab.

Der Unterschied "Liebe" oder "Nicht-Liebe" liegt ab diesem Moment darin begründet, dass man die Zusammenhänge der anderen Person in sich aufgenommen hat, also quasi nicht mehr der "alte Mensch" ist - man denkt dann nicht mehr als Einzelner, sondern berücksichtigt immer den Bezug zur anderen Person.
Bei "Liebe" hat man sich fundamental in Richtung einer anderen Person verändert.

Ruth hat geschrieben: Mir bestätigt der Austausch mit dir, zu deinem Weltbild und meinem Glauben, meine Vermutung, der ich seit längerer Zeit folge, dass Gott auf vielfältige Weise auch dort wirkt, wo Menschen Gott gar nicht wahrnehmen können. Für mich ist es immer noch "Gott", der dieses bewirkt.
Mir ist natürlich auch aufgefallen, dass du meine Ansichten nicht ablehnst, sondern versuchst, sie in deine Vorstellungen einzuordnen.
Ich stehe in deiner Vorstellung nicht "ohne Gott" da, sondern gehöre dazu und weiss es halt nicht oder gehe nicht direkt damit um - was für mich vollständig in Ordnung ist.

Ruth hat geschrieben: Es ist viel mehr förderlich in Sachen "Liebe deinen Nächsten", wenn man nach Gemeinsamkeiten sucht.... weil diese im zwischenmenschlichen Miteinander immer Gutes bewirken können. Wogegen die Absonderung und sich selbst bestätigend darin eher zerstörend wirkt.
Diese "goldene Regel" dreht sich meiner Meinung nach auch eher darum, dass man nach einem "Miteinander-Auskommen" bzw. einem "In Ruhe lassen" sucht und nicht auf Konfrontation und Zwangsauflagen aus sein sollte.

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Tree of life hat geschrieben: An Naqual:
Jedenfalls war mir da der Sex nie genug, ich hatte eher das Bedürfnis seelisch in den anderen rein schlüpfen zu wollen (klingt komisch) so, dass man wirklich "eins wird", das nur halten und kuscheln deckte dieses Bedürfnis nicht ab
Nö, "seelisch in den anderen reinschlüpfen zu wollen" klingt überhaupt nicht komisch, sondern es ist aus meiner Sicht genau das, worum es bei Liebe geht.
Oben an "Ruth" habe ich es einwenig angesprochen, dass wir uns bei Liebe ausgehend von der unwillkürlichen Verliebtheit zentral verändern und nicht mehr die Zusammenhänge einer Einzelperson verwalten.

Du wolltest nicht nur Handlungen mit dem anderen Menschen durchführen, sondern ein Stück weit "verschmelzen".

Innerhalb von Wahrnehmung ist so ein "Verschmelzen" auch tatsächlich möglich, denn dort geht es nur darum, welche Zusammenhänge aufgebaut werden.
Man kann sich dort als Einzelperson verwalten oder als "mit jemand anderem vereinigt".

Bei Liebe ist das jedoch derart zentral und umfangreich, dass man es nicht bewusst, nicht willkürlich herbeiführen kann.

Aus meiner Sicht kannst du dein "Bedürfnis des Reinschlüpfens" nicht auf alle möglichen Leute ausdehnen, d.h. dieser (oben mit "Ruth" angesprochene) "Magnetismus" muss die Basis bilden.

In meinem Weltbild ist diese Basis körperlich, denn für mich ist es das Wahrnehmungssystem, das in den Zusammenhängen des anderen Menschen eine Möglichkeit "erkennt", eine umfassende Harmonie zu erreichen.
Man kann sich das so vorstellen, dass sich die Aktivitäten der Nervenzellen, die Rhythmen, im Gehirn tatsächlich auf die andere Person ausrichten, und zwar nicht wie bei sonstigen Beschäftigungen in einem Teilbereich, sondern viel grundsätzlicher: auch dahingehend, dass der eigene Status, die Zusammenhänge von sich selbst (bisher als Einzelperson - mit Liebe als Partnerschaft) verändert werden.

Hören wir z.B. Musik, dann geht es ganz offensichtlich um Harmonie, aber dies betrifft nicht die Sichtweise auf den eigenen Status.
Genauso ist es bei jedem Thema: wir suchen immer nach bzw. orientieren uns an einer Gelegenheit der Harmoniesteigerung.
Eine Handlung, ein Objekt gefällt uns, wenn es irgendwie zu unserer Situation passt und die (innere) Harmonie steigert.

Genau das gilt auch für Sex.
Der Unterschied zu Liebe besteht aus meiner Sicht nicht in einem völlig anderen Vorgang, es ist nach wie vor eine Steigerung der Harmonie, sogar eine sehr umfassende, weil es um enorme körperliche Reaktionen geht.
Die "Abgrenzung" zu Liebe besteht nur darin, ob man die Sichtweise auf sich selbst verändert, indem die andere Person "verschmilzt".
Sex (insbesondere wohlwollender, zärtlicher Sex) umfasst einen wichtigen Tel von Liebe: das körperliche Ausdrücken der eigenen Ansichten/Haltung zu einem anderen Menschen.
Es ist aber nicht der ganze Umfang von Liebe, wenn dahinter nicht auch tatsächlich eine Veränderung der Sichtweise auf sich selbst in Bezug zum anderen Menschen steht.

Wird es bei Sex zu offensichtlich, dass der andere Mensch kein wirklicher Teil im eigenen Selbstverständnis ist, dann sprechen wir vom Eindruck, dass der andere Mensch wie ein Objekt benutzt wird.

Die alte Idee, Sex als untergeordnete, tierische/minderwertige Verhaltensweise einzustufen (keine Sorge, das hast du nicht gemacht - ich sage es nur, weil es gerade passt), teile ich in keiner Weise.
Auch die religiös verbreitete Ansicht, dass Sex nur der Fortpflanzung dienen darf, ist in meinem Weltbild abwegig.

Genauso sind die Spielarten der sexuellen Orientierung kein Hinderungsgrund von Liebe zu sprechen.
Ich sehe kein Hindernis, weshalb eine Frau nicht eine Frau, ein Mann nicht einen Mann oder gemischt lieben können sollte.

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Naqual hat geschrieben:Ich habe auch das angeschaut, was du an Ruth geschrieben hast. Und kann es gut nachvollziehen. Hier im Konkreten habe ich aber ein Verständnisproblem:
wenn ich Dich richtig verstehe , entsteht für Dich Liebe aus einer defizitären Situation heraus (die einer Ergänzung bedarf).
"Ergänzung" im Sinne der Möglichkeit zur Harmoniesteigerung.

Wir alle machen das ständig.
Wenn ich mir für heute Abend einen Film aussuche, dann reagiere auf die Idee des jeweiligen Themas und mir gefällt die Vorstellung damit heute Abend "auszuruhen" und mich "entführen zu lassen".
Die Basis dieses Vorganges, der Ausgangspunkt, kann aber nicht als Defizit bezeichnet werden.
"Defizit" würde ich als Disharmonie bezeichnen, d.h. ein Ausgleich ist notwendig.
Eine Harmoniesteigerung muss aber nicht von einer Disharmonie ausgehen, sondern kann einfach als "Gelegenheit" erkannt werden.

Als Mann habe ich kein "Defizit", das nur eine Frau ausgleichen könnte. Eine Frau bildet für mich aber prinzipiell die Möglichkeit einer umfassenden Harmoniesteigerung.
(natürlich nicht jede Frau)

Naqual hat geschrieben:Hast Du schon mal definiert oder beschrieben was Du unter Liebe verstehst? Weil das wäre jetzt meine Frage an Dich.
Ich mache das eigentlich ständig - oben an "Ruth" und an "Tree of life", aber auch schon in vorherigen Beiträgen.
In meinem Weltbild sind all diese Vorgänge körperlich und sind zentral im Wahrnehmungssystem/Nervensystem verankert, d.h. die Harmoniesteigerung ist eine tatsächlich physikalisch vorhandene Harmoniesteigerung in den Reaktionen.
=> Liebe ist (aus meiner Sicht) voll und ganz körperlich. (gut, das ist keine Sensation, in meinem Weltbild ist ein Mensch: Körper)

Naqual hat geschrieben:Sprunghaft? Was sollte man da langsamer machen?
"Sprunghaft" weil du den Liebesvorgang zwischen zwei Menschen (und zwar das, was ich oben als Liebe beschrieben habe) in nur einem Satz auf eine Gruppe (unbestimmter Grösse) ausdehnen können möchtest.
An dieser Stelle wechselst du zur Philosophie, es werden keinerlei Mechanismen mehr berücksichtigt und im Ergebnis wird das Wort "Liebe" an Stellen auftauchen, wo es nicht hingehört.

Naqual hat geschrieben:Du verwendest eine Begrifflichkeit von Philosophie aus der Trivial-Literatur (so wie auch Sparrow): also mal einfach so rumphilosophieren, sich über dies und das Gedanken machen.
Die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin muss man da schon anders orten! Aber ziemlich klar.
Gerade in der Philosophie (wie in allen Geisteswissenschaften) spielt die Definition vom Gegenstand der Forschung eigentlich die erste und oberste Geige.
...
Es ist interessant, wie glorifizierend du über Philosophie redest.
Ist dir aufgefallen, dass du bei all dieser "Definitionsgenauigkeit" und "beeindruckender Erkenntnistheorie" am Ende mich nach einer Definition fragst?

Was genau liefert Philosophie zu Liebe? (du nennst es ja immerhin "die Grunddisziplin des wissenschaftlichen Arbeitens", die "erste Wissenschaft")

Ich habe hier einen Link gefunden, der das mal etwas anspricht:
Zitat aus dem Link:
Obschon es sich bei der Liebe gewissermassen um ein universelles Phänomen handelt, das Menschen wohl seit Anbeginn der Zeit verspüren, sind sich viele Philosophen darin einig, dass das Konzept der Liebe als romantisches, sexuelles oder zwischenmenschliches Phänomen relativ jungen Datums ist.

Aha, im Grunde kommt Liebe seit "Anbeginn der Zeit" (bezogen auf die Entstehung von Menschen) vor und für (viele) Philosophen seit 300 Jahren.
Kannst du mir mal kurz sagen, wie ich darauf reagieren soll?

Hast du dir schon mal überlegt, wie ungünstig der Begriff "Geisteswissenschaft" ist, wenn ein Mensch gar nichts mit "Geist" zu tun hat?

Ich sehe mich als Körper und ich versuche "Liebe" auf einem vernünftigen Konzept aus Körperreaktionen (insbesondere Wahrnehmungsreaktionen) zu erklären.

Naqual hat geschrieben:Ich denke nicht, dass man muss. Aber es spricht auch nichts dagegen dieses Optimalziel zu erreichen.
Nochmal, "Liebe" in "Feindesliebe" ist ein ungünstiger Einsatz des Begriffes "Liebe" (weil sie so nicht funktioniert).
Du sollst es nicht als Auftrag zu "emotionaler Sympathie" verstehen, sondern als irgendetwas, bei dem der Feind ein Feind bleiben darf.
(selbstverständlich darfst du aus einem Feind einen Freund machen, aber darum geht es bei "Feindesliebe" nicht, sonst würde es ja explizit dastehen)

Naqual hat geschrieben:Wenn ich meinen Feind liebe (ihm Gutes will) und gleichzeitig ihn nicht zum Freund machen will. Was soll das sein?
=> ein Irrtum rund um den Einsatz des Wortes "Liebe" -> ein dicker Fehler in der Übersetzung bzw. im Verständnis, was Liebe überhaupt ist.

Auch wenn du es herumdrehst (Motto: es steht aber auch nicht drin, dass man einen Feind nicht zu einem Freund machen soll) ändert sich an dem grundsätzlichen Fehleinsatz des Wortes "Liebe" nichts.

Ich vermute dein Problem besteht nun darin, dass du diesem Text keinen derartigen Fehler unterstellen möchtest.
Dieses Problem habe ich natürlich nicht, denn Text ist bei mir nur ein Transportmittel und die Aussagen müssen schon auf andere Weise Gültigkeit erlangen, als dass sie nur in einem bestimmten Text stehen.

---
---

Punch hat geschrieben:Noch einmal kurz ein Ausflug zu Wittgenstein und hier zu seinem unsterblichen Tractatus logico-philosophicus: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen".
...
Also unter dem Strich - von der Nächstenliebe kann ich aus eigenem Erleben nichts berichten, kann also darüber nicht sprechen, müsste also (laut Wittgenstein) schweigen, oder ich wäre ein Heuchler, kannst du es?
Ich nehme an, du hast meine Beiträge an die anderen User in diesem Thread nicht im Detail verfolgt, wodurch du nicht einschätzen kannst, wie ich zu der "Nächstenliebe"-Aussage stehe.

Wenn ich es so ähnlich ausdrücken sollte wie die obige "Wittgenstein"-Aussage, dann würde ich so sagen:
"Ein Wort, das einen bestimmten Umstand beschreibt, sollte nicht in einer Situation eingesetzt werden, die mit diesem Umstand nichts zu tun hat"
=> Aus meiner Sicht kann man gerne über "Beziehung zum Nächsten" sprechen, aber das Wort "Liebe" ist fehl am Platze.

Meine Ausgangslage ist, dass ich an mir den Umstand "Liebe" erst im Nachhinein feststellen kann, d.h. ich bin schon lange auf Liebe eingestellt, merke es aber erst viel später.
Begegne ich einer Frau, die mich fasziniert, dann durchlebe ich einen oder mehrere Tage und nehme quasi die Eindrücke rund um diese Frau in den gesamten Tagesablauf mit, bevor ich merke, dass ich wohl voll und ganz auf diese Person eingeschwungen bin, dass ich plötzlich nirgendwo mehr kalte Sachlichkeit sehe, sondern irgendwie ist alles "viel besser".

Auch wenn meine Formulierung hier nicht sonderlich poetisch ist, könnte ich mir vorstellen, dass du verstehst und nachvollziehen kann, was ich hier anspreche.

Der Ablauf, dass ein Mensch auf eine andere Person "einschwingt" und sich zentral verändert, ohne dass er es bewusst entscheidet, ist für mich das Kriterium für den Einsatz des Wortes "Liebe" - oben in diesem Beitrag schreibe ich weitere Details zu meiner Sichtweise.

Kommt nun ein Satz daher wie "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", dann entstehen für mich logischerweise Probleme und tatsächlich wurde meine Verwicklung in diesen Thread dadurch gestartet, dass ich geschrieben habe, dass es sich in dieser Nächstenliebe-Aussage um ein eigenartiges Konzept von Liebe handelt.

Meine Haltung weicht also ein klein wenig von deiner letzten Aussage ab:
Du gehst bei "Nächstenliebe" davon aus, verstanden zu haben worum es gehen soll und schlussfogerst dann auf dein Unvermögen dies erfüllen zu können.
Meine Haltung ist, ich kann hier im Sinne meines Liebesverständnisses gar nichts erfüllen, denn die "Nächstenliebe" ist eine schräge Formulierung.

Ein Hinweis von "Lena" hat mich darauf gebracht, dass hier eine philosophische Liebes-Einteilung von Beziehungen verwendet wird.
Eine Einteilung, bei der das Wort "Liebe" in alle Absichtsrichtungen verwendet wird und zur Nächstenliebe infrage steht, ob überhaupt eine "emotionale Sympathie" beteiligt ist.

Und damit sind wir doch am eigentlichen Punkt, den du als Problem erkannt hast: du kannst nicht durch die Welt laufen und jedem Menschen mit tiefer emotionaler Sympathie begegnen.
Das Problem stellt sich aber nur deshalb, weil das Wort "Liebe" in einem Umfeld eingesetzt wird, in dem es nichts zu suchen hat, sprich du baust eine Vorstellung auf, was du zu erfüllen hast, die zwar zu den Wörtern passt, aber die Wörter ergeben keinen Sinn.

Bei Wiki habe ich eine Übersetzung gefunden, die sich ergibt, wenn man den alten Texte mal nicht elegant ausformuliert und eigene Sinnvorstellungen hineininterpretiert.
Plötzlich bleibt nur noch das hier übrig:
„Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes:/ liebe deinen Genossen/ dir gleich/ ICH.“ (ER RIEF 19:18)

Das hier ist tatsächlich die Nächstenliebe-Stelle aus dem alten Testament.

Schau genau hin, hier steht nicht "liebe, wie dich selbst". Auf Basis meines Kriteriums kann ich auch "mir gegenüber" keinerlei Liebesähnlichen Vorgang feststellen, wodurch dieser Teilsatz bereits zu einer eigenartigen Interpretation wird.

Nun steht in der obigen Übersetzung aber immer noch "liebe deinen Genossen" wofür ich selbstverständlich auch auf Basis meines Kriteriums von einer eigenartigen Interpretation bzw. einem eigenartigen Liebesverständnis ausgehen muss.
Ich denke die Übersetzer haben sich selbst bei diesen kurzen Fragmenten wieder auf die altbackene philosophische Liebes-Inflation eingelassen, wodurch der Sinn verschwindet.

Ich kann "Nächstenliebe" dahingehend akzeptieren, dass "man einen anderen Menschen nicht auf eine Art belasten sollte, die man selbst nicht ertragen möchte" - hierfür sind wir auf Basis unserer "Spiegelneuronen-Funktionalität" befähigt.

Die Formulierung "Nächstenliebe" (samt "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst") ist aus meiner Sicht untauglich.
Es wird eine Vorstellung getriggert, die funktional nicht möglich ist.

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sven23
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#165 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von sven23 » Fr 19. Mär 2021, 12:54

Tree of life hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 17:45
sven23 hat geschrieben:
Do 18. Mär 2021, 17:43
Sind die Römer nicht weltlich genug?
Und wann genau legte Jesus sich mit denen (Autoritäten)an?
Spätestens als er nach Jerusalem kam und sich im Tempel wie die Axt im Walde aufführte, wurde sicher auch die römische Obrigkeit auf ihn aufmerksam. Entweder von alleine oder man hat es ihr zugetragen, wie auch immer.
Um den Bogen zum Threadthema zu spannen: für das Propagieren der Nächsten- und Feindesliebe wurde man bei den Römern sicher nicht angeklagt.
Die Evangelisen scheinen sich auch nicht recht entscheiden zu können, wie sie das Verhör wiedergeben sollen. Einmal schweigt Jesus zu den Vorwürfen, ein andermal gibt er es zu.
Dazu muß man wissen, dass es in der antiken Prozessordnung kein Aussageverweigerungsrecht gab. Schweigen galt als Schuldeingeständnis. In beiden Fällen war Jesus also schuldig.

In der Sache wandte Pontius Pilatus römisches Strafrecht an, während der Hohe Rat nach jüdischem Recht verfuhr. Dies zeigt sich schon an der unterschiedlichen Fassung des Tatvorwurfs: Vor dem jüdischen Gericht wurde Jesus vor allem Gotteslästerung vorgeworfen. Bei Pontius Pilatus wurde Jesus hingegen angeklagt, weil er sich als König der Juden ausgegeben und so die Herrschaft des Kaisers in Frage gestellt habe. Diese Anklage könnte auf den Tatbestand der Anstiftung zum Aufruhr oder auch des so genannten Majestätsverbrechens zielen.
Quelle
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#166 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Tree of life » Fr 19. Mär 2021, 12:56

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 19. Mär 2021, 12:19
Nö, "seelisch in den anderen reinschlüpfen zu wollen" klingt überhaupt nicht komisch, sondern es ist aus meiner Sicht genau das, worum es bei Liebe geht.
Ja, es ist ähnlich wie die Liebe zum eigenen Kind (da war aber bei mir das "Band" intensiver, als zum Geliebten)
Auch wenn das Kind mal nicht so gut drauf ist, oder Sch...baut, das Band bleibt, egal was ist...also im "Normalfall"

Und jetzt kommts aber: Je intensiver das Band ist, dass einem verbindet, um so mehr schmerzt es, wenn es durch irgendwas durchtrennt wird.
Wenn ein Elternteil stirbt oder das eigene Kind, durchgehst du die Hölle des "emotionalen" Schmerzes.
Oder wenn der geliebten Person etwas schmerzhaftes widerfährt, das kann auch ein guter Freund sein, leidet man mit.
Ich leide auch irgendwie mit, wenn ich das Leid in der Welt sehe, nur muss ich dann echt aufpassen, dass ich in dem Leid "emotional" nicht versinke(Trauer, Wut, Zorn...)

Nun stellt sich die Frage, wäre es besser, sich nicht so sehr emotional an jemanden zu binden, damit man dann nicht dem Schmerz ausgesetzt ist?

Punch
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#167 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Punch » Fr 19. Mär 2021, 16:16

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 19. Mär 2021, 12:19


Die Formulierung "Nächstenliebe" (samt "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst") ist aus meiner Sicht untauglich.
Es wird eine Vorstellung getriggert, die funktional nicht möglich ist.

Lassen wir das einmal als abschließendes Wort so stehen.

Denn was zum Thema zu sagen war, das habe ich gesagt, weiteres wäre wohl nur die Wiederholung auf anderer Ebene unser Positionen.

Zu seiner Zeit beschloss MRR jede Sendung des literarischen Quartetts mit den Worten:  "Und so sehen wir betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen".

Wir sollten uns dem anschließen.

Lena
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#168 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Lena » Fr 19. Mär 2021, 16:27

Ein Mensch, der in Wahrheit liebt, liebt alle Menschen. Es ist seine Wesensart zu lieben.
Die Liebe liebt in Wärmestufen. Den Feind auf Stufe 1. Den Mitmenschen auf Stufe 2 
und den Freund auf Stufe 3. Alle Liebesstufen sind Liebe zu nennen. Denn sie tun dem
Mitmenschen nichts böses an. Die Liebe fliesst willentlich, weil der Mensch die Liebe 
in sich willkommen hiess. Die Gefühle werden je nachdem, ob die Liebe vom andern 
erwidert wird, inniger und herzlicher. Liebe deinen Nächsten, ist ein passender Ausdruck. 
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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Naqual
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#169 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von Naqual » Fr 19. Mär 2021, 17:33

@ SilverBullet
Vorab eine Bitte: nicht in einem ewig langen Beitrag mehrere User anschreiben. Für mich ist es so einfacher gleich auf den Text zu gehen, der mir gemeint ist. (Was nicht ausschließt, dass ich die Beiträge anderer lese und „reinspringe“.)

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 19. Mär 2021, 12:19
Naqual hat geschrieben:Hast Du schon mal definiert oder beschrieben was Du unter Liebe verstehst? Weil das wäre jetzt meine Frage an Dich.
Ich mache das eigentlich ständig - oben an "Ruth" und an "Tree of life", aber auch schon in vorherigen Beiträgen.
In meinem Weltbild sind all diese Vorgänge körperlich und sind zentral im Wahrnehmungssystem/Nervensystem verankert, d.h. die Harmoniesteigerung ist eine tatsächlich physikalisch vorhandene Harmoniesteigerung in den Reaktionen.
=> Liebe ist (aus meiner Sicht) voll und ganz körperlich. (gut, das ist keine Sensation, in meinem Weltbild ist ein Mensch: Körper)

Bei mir wächst der Verdacht, dass Du die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Begrifflichkeit von Liebe bei uns beiden nicht siehst. Also zumindest meinen Part. Und – deswegen meine Nachfrage – kann ich nicht ausschließen mit Schuld zu sein hieran oder an Deinem Part.

Bei meiner Definition von Liebe ist es z.B. völlig egal, ob Du ausschließlich körperliche Ursachen siehst oder nicht. (Und dies wäre hier eine total andere Diskussion weiterzumachen. Und wie implizit gesagt: wir brauchen es auch nicht.) Meine Definition ist sicherlich verbesserungsbedürftig, aber in Sachen Materialist vs Idealist (bitte nicht die triviale Bedeutung nehmen) ist sie absolut neutral.
In Beiträgen von Dir gegenüber Ruth, hatte ich dann das Gefühl, dass wir in Beschreibungen von Einzelphänomenen von Liebe ziemlich gleich denken.
In Bezug auf Deine Umschreibung hier gerade habe ich aber das Problem, dass außer der Grundthese (Mensch ist ausschließlich biologische Materie) mir nichts damit erhellt wird.
Also beschreibe mal mit Hormonausschüttungen bestimter Art, wo sich eine sich verfestigende romantische Liebe im Laufe der Entwicklung einer Partnerschaft eines Paares sich von einer Verliebtheit unterscheidet. Da bin ich mit der Biologie sehr langsam und teils auch unbestimmt (weil eben ein Gefühl oder Gedanke mit bestimmten Inhalt biologisch gar nicht geortet werden kann). Egal wie lange ich bereit bin hinter Reagenzgläsern zu sitzen.
Also was ist jetzt Liebe als rein körperliches Phänomen? Die Ausschüttung vom Stoff xyz im Körper. Okay. Und dann? Dann hänge ich doch fest. Weil ich alleine mit der Eigenwahrnehmung von Gefühlen und Gedanken schneller und besser daran bin, selbst wenn ich diese Analysen hinterfragen und hinterfragen lassen muss und letztlich intersubjektiv Bestätigung finden muss.
Und jetzt Frage ich hier nach Deinem Verständnis von Liebe. Es ist nämlich erheblich mehr als bloße Biologie und Materialismus Und das hast Du mit konkreten Beispielen an Ruth belegt: mit Beispielen, die man biologisch (oder mit purem Materialismus) nicht fassen kann. Zwar intersubjektiv gemeinsame Darstellung von Erleben hat, aber absolut nichts Falsifizerbares (Stichwort: Verschmelzung als Bewusstseinsinhalt). Für mich bleibst Du gleich wohl wissenschaftlich tragbar :-) . Im eignen System müsstest Du aber eigentlich schon die wissenschaftliche Kapitulationsurkunde unterschrieben haben (genau genommen dem Positivismus abgeschworen haben).

Naqual hat geschrieben: Sprunghaft? Was sollte man da langsamer machen?
"Sprunghaft" weil du den Liebesvorgang zwischen zwei Menschen (und zwar das, was ich oben als Liebe beschrieben habe) in nur einem Satz auf eine Gruppe (unbestimmter Grösse) ausdehnen können möchtest.
An dieser Stelle wechselst du zur Philosophie, es werden keinerlei Mechanismen mehr berücksichtigt und im Ergebnis wird das Wort "Liebe" an Stellen auftauchen, wo es nicht hingehört.

Ich hatte ja schon geschrieben dass meine Begrifflichkeit von Liebe (so wie ich persönlich den Begriff verwende) nichts mit romantischer Liebe zu tun hat. Und auch nichts damit ob es zwei oder Menschen betrifft, da es in meinem Verständnis das Gleiche ist. Liebe beschrieben als „Bildung von Wir’s“ ist in dieser Sichtweise erst einmal gleich ob es zwei oder mehr Leute betrifft, fünf Personen, oder ganze Gruppen, die ein Wir bilden. Das Gefühl zwischen zwei Heteros dabei ist als „hormonelle Begleitmusik“ sicherlich anders, als wenn sich zwei Interessengruppen zu einem Verein zusammenschließen. Deswegen sehe ich da auch den Sprung nicht. Es ist nur eine andere Spielart von Liebe, aber in der Substanz funktional gesehen dasselbe.
Ergänzend nehme ich eine „Zutat“ vom „alten“ Scardanelli, der darauf hinwies (ohne Liebe direkt zu definieren meines Wissens) dass bei Liebe die Beteiligten sich als Subjekte sehen und nicht eine Seite die andere als Objekt. So kurz wie dieses Kriterium auch ist (und für Sparrow „Geschwurbel“) . Es ist geradezu genial in aller Kürze dargestellt. Mir ist auch nie ein Gegenbeispiel eingefallen, obwohl ich bemüht war.
„Liebe“ beschreibe ich genaugenommen soziologisch und als „intentionales Verhalten“. Und damit auch – aus meiner Sicht – wissenschaftlich fassbar. (Gefühlsvermutungen und Spekulationen sind ein unsicherer Ast.)

Es ist interessant, wie glorifizierend du über Philosophie redest.
Ist dir aufgefallen, dass du bei all dieser "Definitionsgenauigkeit" und "beeindruckender Erkenntnistheorie" am Ende mich nach einer Definition fragst?
Die Motivation Dich nach einer Definition zu fragen ist eine zwischenmenschliche: eine gemeinsame Sprache zu verwenden. Siehe weiter oben in meinen Ausführungen.

Was genau liefert Philosophie zu Liebe? (du nennst es ja immerhin "die Grunddisziplin des wissenschaftlichen Arbeitens", die "erste Wissenschaft")
Ich habe hier einen Link gefunden, der das mal etwas anspricht:
Zitat aus dem Link:
Obschon es sich bei der Liebe gewissermassen um ein universelles Phänomen handelt, das Menschen wohl seit Anbeginn der Zeit verspüren, sind sich viele Philosophen darin einig, dass das Konzept der Liebe als romantisches, sexuelles oder zwischenmenschliches Phänomen relativ jungen Datums ist.

Aha, im Grunde kommt Liebe seit "Anbeginn der Zeit" (bezogen auf die Entstehung von Menschen) vor und für (viele) Philosophen seit 300 Jahren.
Kannst du mir mal kurz sagen, wie ich darauf reagieren soll?
Du hast den Begriff hier aus dem Kontext gerissen. Philosophen reden und schreiben über Liebe zumindest seit es Schriftstücke gibt. Also auch in der Antike. Da gibt es tausende von Büchern drüber. Und natürlich die beiden Parade-Soldaten der antiken Philosophie wie Sokrates und Platon fehlen da auch nicht.
Die von Dir angegebene Quelle geht von etwas aus, was uns heute gar nicht mehr bewusst ist. Dass Eheschließungen aus romatischer Liebe eine Erfindung in der Neuzeit sind. Vorher waren sie rein funktional und wenn man sich gefühlsmäßig liebte war das toll, aber nicht das Ziel der Ehe.
(Und manchmal frage ich mich ob unsere Vorläufer gerade in diesem Punkt weiser waren).
Also bei der von Dir angegebenen Quelle geht es um ein ganz bestimmtes Verständnis von Liebe.
(Es würde hier zu weit führen, dies zu erläutern, müsstest Du jetzt selbst schauen, wenn es Dich weiter interessiert)
Ansonsten wenn Du Zweifel hast, schaue z.B. einfach unter:
https://www.google.com/search?client=fi ... hilosophie

Hast du dir schon mal überlegt, wie ungünstig der Begriff "Geisteswissenschaft" ist, wenn ein Mensch gar nichts mit "Geist" zu tun hat?
Nein, weil ich bei dem Begriff Geisteswissenschaft nicht an Gespenster denke. Eher: bei den Naturwissenschaften ist der Gegenstand des Forschens materielle Zusammenhänge, bei den Geisteswissenschaften geistige Zusammenhänge. Und das es z.B. zwischen zwei Menschen einen geistigen Zusammenhang in der Form von Liebe geben kann, wird auch der hartgesottenste Materialist einräumen.

Ich sehe mich als Körper und ich versuche "Liebe" auf einem vernünftigen Konzept aus Körperreaktionen (insbesondere Wahrnehmungsreaktionen) zu erklären.
Warum nicht? Aber es gibt auch andere Wege der Erkenntnisgewinnung zum Thema.

Nochmal, "Liebe" in "Feindesliebe" ist ein ungünstiger Einsatz des Begriffes "Liebe" (weil sie so nicht funktioniert).
Du sollst es nicht als Auftrag zu "emotionaler Sympathie" verstehen, sondern als irgendetwas, bei dem der Feind ein Feind bleiben darf.
(selbstverständlich darfst du aus einem Feind einen Freund machen, aber darum geht es bei "Feindesliebe" nicht, sonst würde es ja explizit dastehen)
Also in meiner begrifflichen Welt taucht das Problem nicht auf. Ich sehe einfach mindestens zwei Personen und stelle die Frage,wie die zwei ein Wir bilden können (Liebe) und was für Hürden dabei auftauchen können (Nichtwohlwollen des einen gegenüber dem anderen). Und wie man damit umgeht. Ich sehe da auch keinen Zwang zur Liebe. Eher das Wir’s funktionale Vorteile haben für alle Beteiligten. Damit ist es für mich auch rationaler, als wenn ich im Extremfall unter Liebe nur ein Gefühl verstehe. (So kenne ich auch keinen Auftrag zur „emotionalen Sympathie“, das wäre eher eine im Wir-Bildungsfall hormonelle Begleitmusik)
Ich habe die nicht ganz unbegründete Hoffnung dass Du mich irgendwo ein wenig nachvollziehen kannst!

Ich vermute dein Problem besteht nun darin, dass du diesem Text keinen derartigen Fehler unterstellen möchtest.
Dieses Problem habe ich natürlich nicht, denn Text ist bei mir nur ein Transportmittel und die Aussagen müssen schon auf andere Weise Gültigkeit erlangen, als dass sie nur in einem bestimmten Text stehen.
Du meinst den biblischen Text (bzw. Texte) zur Nächsten- und Feindesliebe?
Das Problem habe ich auch nicht. Die Bibel ist für mich ein geistig anregendes Buch, mehr nicht.
Du kannst da auch mithalten, übrigens! :-)

SilverBullet
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#170 Liebe deinen Nächsten

Beitrag von SilverBullet » Fr 19. Mär 2021, 17:38

Tree of life hat geschrieben: Ja, es ist ähnlich wie die Liebe zum eigenen Kind (da war aber bei mir das "Band" intensiver, als zum Geliebten)
Auch wenn das Kind mal nicht so gut drauf ist, oder Sch...baut, das Band bleibt, egal was ist...also im "Normalfall"
Genau, ich würde auch sagen, dass die Liebe von einer Mutter zu einem Kind (im Durchschnitt) noch stärker sein wird, als zu einem Partner.
In meinem Weltbild erklärt sich dies dadurch, dass das Kind tatsächlich im Organismus der Mutter heranwächst und damit die Zusammenhänge des Kindes direkt Teil des Wahrnehmungssystems der Mutter sind, d.h. die Mutter nimmt automatisch das Kind in sich auf.
Das Kind wird dies zur Mutter bis zu einem gewissen Alter auch als starke Bindung verwalten, d.h. die Mutter kommt auch beim Kind als Teil vor, jedoch dürfte sich dies durch die starken Umbauvorgänge beim Kind ab einem gewissen Alter abschwächen.

Tree of life hat geschrieben: Und jetzt kommts aber: Je intensiver das Band ist, dass einem verbindet, um so mehr schmerzt es, wenn es durch irgendwas durchtrennt wird.
Ja, das trifft bestimmt genauso zu.
"intensives Band" bedeutet eine sehr umfangreiche Einbindung der Zusammenhänge des anderen Menschen in das eigene Denken. Zwischen Liebespartnern gibt jeder quasi einen Teil von sich auf (je weniger die Erfahrung, desto mehr gibt man auf), bei Mutter und Kind wächst das Kind in der Mutter heran und wird somit automatisch als enorm wichtiger Teil aufgenommen.

Aus meiner Sicht:
Bei einem Wegfall der Verbindung (für die eine Harmonie gefunden wurde) kommt es regelrecht zu einer Disharmonie im Wahrnehmungssystem (im "Denken"). Der zentral wichtig gewordene Teil des anderen Menschen wird in der ersten Zeit danach immer noch versucht aufzubauen, aber da das nicht mehr korrekt ist, werden Korrekturreaktionen aktiv, d.h. das Gehirn "muss sich bremsen" und die absofort unstimmigen Reaktionen abschwächen und blockieren.
Bewusst erlebt man dies als Schmerzen, Zerrissenheit oder als Leere.
In der Gehirnforschung nennt man so etwas dann wohl "kognitiver Konflikt", d.h. des Gehirn treibt einen enormen Aufwand, um mit einer Unstimmigkeit, einem Widerspruch umzugehen und muss auf Basis der Unlösbarkeit einen Inhibitionsprozess (Blockade, Abschwächung) einleiten.
Man kann hier im Grunde nur sagen "es braucht Zeit" bis die Disharmonie abklingt und die, durch den Wegfall der Verbindung "unstimmige" Selbstwahrnehmung, zumindest wieder ausgeglichen ist - es wird aber wohl eine Erfahrung über den Vorgang bleiben.

Tree of life hat geschrieben: Wenn ein Elternteil stirbt oder das eigene Kind, durchgehst du die Hölle des "emotionalen" Schmerzes.
Auch wenn ich es mir in meinem Weltbild so ein wenig zu erklären versuche, kann ich mir bestimmt nicht vorstellen, wie dies für eine Mutter sein muss.

Du hast glaube ich soetwas durchleben müssen und das tut mir sehr leid.

Die Liebe, die du in dir hattest, war bestimmt eine der engsten Verbindungen, die man überhaupt erreichen kann.
Durch deinen kleinen Beitrag mit dem "reinschlüpfen" habe ich gleich gemerkt, dass du ein grosses Verständnis über die Vorgänge hast.

Tree of life hat geschrieben: Nun stellt sich die Frage, wäre es besser, sich nicht so sehr emotional an jemanden zu binden, damit man dann nicht dem Schmerz ausgesetzt ist?
Ich würde sagen, als "Neuling" gibt es so gut wie kein Gegensteuern, man müsste während des Verliebtsein aus irgendeinem Grund willentlich abbrechen.
Bei jemandem, der bereits durch Liebes-Schmerz geprägt ist, kann es zu gewissen Automatismen kommen, so dass ein nochmaliges Hineinfallen abgeschwächt ist.

Ob ein strategisches Vorgehen à la "ich lasse mich nicht so richtig darauf ein, damit es später nicht so weh tut" funktioniert, kann ich nicht sagen.

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Punch hat geschrieben: Lassen wir das einmal als abschließendes Wort so stehen.
OK

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Lena hat geschrieben: Ein Mensch, der in Wahrheit liebt, liebt alle Menschen. Es ist seine Wesensart zu lieben.
In der ersten Hochphase des Verliebtseins ist es tatsächlich so, dass die ganze Welt "verbessert" erscheint.

Lena hat geschrieben: Den Feind auf Stufe 1. Den Mitmenschen auf Stufe 2
und den Freund auf Stufe 3. Alle Liebesstufen sind Liebe zu nennen. Denn sie tun dem
Mitmenschen nichts böses an.
In Ordnung, das ist eine Art Definition, wann du das Wort "Liebe" einsetzt und dir glaube ich das auch.

Gibt es bei dir eine Stufe 4: einen Menschen, in den du "seelisch reinschlüpfen" möchtest?

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