
Dir ist da aus meiner Sicht zurecht ein Spannungsverhältnis aufgefallen, dass ganz schön eigenartig wirkt.Ruth hat geschrieben: ↑Es gibt unter den christlichen Verkündigern, die "im Namen Gottes" am liebsten das Gericht verkündigen, und das dann als "das Evangelium" bezeichnen.
Dabei wird dann hauptsächlich "Strafe" angekündigt, für diejenigen, welche die Vorschriften, so wie die Verkündiger diese selbst verstehen (wollen), nicht erfüllen.
Jesus hat sein Leben lang gegen diese Ansicht der Frommen und Schriftgelehrten angepredigt und es vorgelebt. Trotzdem wird das von Vielen nicht verstanden, und oft die Gerichtsankündigung als Strafe in den Vordergrund der christlichen Botschaft gestellt.
Auf der einen Seite die Liebes- und Friedenshaltung, der man kaum ein vernichtendes Gericht unterstellen mag, auf der anderen Seite eine eigenartige Aggressivität, die voll und ganz auf Druck und Angst zu setzen scheint.
Nun habe ich ja eine ganz bestimmte Idee (einen Verdacht), was im ersten Jahrhundert los war und vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass tatsächlich beides in den Texten (des Neuen Testaments) drin stecken kann (ohne, dass ich jetzt konkrete Stellen im Kopf habe).
Ich denke, die Bibel vermittelt im "Neuen Testament" kein wirklich historisches Bild, sondern eine "Glaubensunterstützung", die ein wenig an historische Abläufe angelehnt ist.
Aus meiner Sicht geht das "vernichtende Gericht" auf eine zelotische Motivation zurück - hier wurde unter massiven Druck/Drohung + Gewalteinwirkung auf das Einhalten "des Gesetzes", samt Untergangphantasien bei Nichteinhaltung hingearbeitet.Ruth hat geschrieben: ↑Wie versteht Ihr die verschiedenen Gerichtsankündigungen in der Bibel ... und wie erlebt Ihr dieses im eigenen Leben ?
Die "harte" zelotische Haltung ist aber im Konflikt mit Rom vernichtend geschlagen worden und endete im Totalverlust von allen religiösen Ansprüchen, von nahezu allen religiösen Besitztümern (einschliesslich "gelobtes Land").
Stell dir nun einen dieser flüchtigen Gläubigen vor, die (man glaubt es kaum) Messias-Anhänger waren, obwohl sie von einem "Jesus" noch nichts gehört haben dürften.
Welche Art von Text wäre geeignet, um diesen Leuten den Glauben (über das Messias-Thema) zurückzugeben?
=> ein Verlangen nach einer Gewaltorgie erfüllt dies bestimmt nicht.
=> eine Abkehr von der Gewalt, eine Erlösung auf Basis von Liebe schon viel eher.
Ich denke die zweite Ansicht ("Jesus"-Legende) hat sich aus dem Schockzustand der Kriegsniederlagen gebildet.
In den Texten findet man damit für beide Seiten etwas vor, vermutlich so wie es damals die flüchtigen Gläubigen benötigt haben (der eine mehr, der andere weniger).
Das geht meiner Ansicht nach auch auf das Scheitern der Zeloten zurück, bei denen es direkt ein Problem war, dass nicht alle Juden an ihrer Messias-Phantasie mitgemacht haben.Ruth hat geschrieben: ↑Manche christlichen Gruppen behaupten sogar, dass Israel die Gnade Gottes und seine Erwählung verscherzt habe, und diesen Bund nun auf die Christen (Jesusnachfolgern) gelegt habe. Was meint Ihr dazu ?
Die flüchtigen Messias-Anhänger haben bestimmt die Schuld an der Niederlage den sonstigen Juden zugeschoben.
In ihrer Vorstellung war vermutlich die gespaltete Einstellung des jüdischen Volkes zur "reinen Lebensweise und zum Aufstand gegen Rom" die Ursache, dass es kein Eingreifen Gottes gab.
Auch diese Strömung hat sich bestimmt in den Texten niedergeschlagen und mit der Abkopplung der Messias-Fanatiker vom übrigen Judentum, ergab sich darauf letztlich eine gehörige Portion an Judenfeindlichkeit. "Gott soll dann mit seinem Volk gebrochen haben"
Wer heute Richtung Juden zeigt und ihnen in Bezug auf "Jesus" eine Abtrünnigkeit vorwirft, vertritt meiner Meinung nach eine alt-zelotische Einstellung und merkt es noch nicht einmal.