closs hat geschrieben: ↑Di 19. Nov 2019, 20:43
Das Pragmatischste zum jetzingen Zeitpunkt ist, dass "Wahrheit" ein "Sensu-"Begriff ist. - "Wahrheit sensu Claymore/Thaddäus/Closs". --- MEIN Wahrheitsbegriff ist eben KEIN System-Begriff, sondern eine Objekt-Größe: Wahrheit ist definiert durch das, was der Fall ist.
Für wen ist es denn ein “System-Begriff”? Was soll das überhaupt sein? Bis jetzt hat nur Anton klar gesagt, dass für ihn “wahr” das gleiche ist wie “gerechtfertigt” (“Modelle und deren Äquivalenz mit Beobachtungen”). Also wäre “wahr” für Anton ein “System-Begriff”. Sonst habe ich in diesem Forum niemanden bemerkt, für den Wahrheit ein “System-Begriff” in diesem Sinne ist.
Ich habe mehrfach erklärt, dass es z. B. gerechtfertigt ist, bei einem Rascheln im europäischen Wald an europäisches Großwild wie Wildschweine und Rehe zu denken. Aber nicht gerechtfertigt ist, einen Löwen anzunehmen. Dennoch könnte es natürlich trotzdem ein Löwe sein, der das Rascheln verursacht.
Vielleicht sollte man mal mit der einfachsten aller Überlegungen anfangen: warum benötigt man das Wort “wahr” überhaupt? Mir scheint es prima facie komplett überflüssig zu sein. Denn was bedeutet es schon, wenn jemand sagt: “‘Schnee ist weiß’ ist wahr”? Was bringt das Wort “wahr” hier für eine zusätzlichen Informationsgehalt? Es sieht so aus, als ob es keinen zusätzlichen Informationsgehalt liefert. Denn wer “‘Schnee ist weiß’ ist wahr” sagt, der kann auch einfacher sagen “Schnee ist weiß”, ohne dass irgendetwas verloren geht.
Man benötigt wohl recht komplexe und abwegige Überlegungen, die bei Behauptungen wie “Morgen wird es regnen” auftauchen, um überhaupt zu dem Schluss zu kommen, dass das Wort “wahr” mehr ist als eine nützliche Formulierungshilfe.
Denn
- “‘Morgen wird es regnen’ ist wahr oder falsch”
…… erscheint eine andere Aussage zu sein als ……
- “Morgen wird es regnen oder morgen wird es nicht regnen”.
B ist unproblematisch zu akzeptieren, für jeden – auch für die, die glauben, dass die Zukunft nicht determiniert ist.
In A dagegen steckt sehr wohl drin, dass bereits jetzt feststeht, ob es morgen regnen wird oder nicht, und wir bloß nicht wissen, ob es morgen regnen wird oder nicht. Ganz genau so, wie wir nicht wissen, ob jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, Summe zweier Primzahlen ist, aber bereits feststeht
ob jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, Summe zweier Primzahlen ist
oder ob es eine gerade Zahl > 2 gibt, die nicht Summe zweier Primzahlen ist.
Falls man jedoch eine Lösung für derartige Randprobleme findet (d. h. Behauptungen, die keinen Wahrheitswert haben – über die Zukunft oder von der Sorte “Der König von Nordrhein-Westfalen wiegt mehr als 100 Kilo”), dann sehe ich das Wort “wahr” als streng genommen komplett überflüssig an. Natürlich ist “wahr” sehr nützlich und jeder dürfte es weiter verwenden. Besser als mit verquasten Satz-Ungetümen anzurücken, die sich durch Verwendung von “wahr” sehr viel einfacher ausdrücken lassen. Aber wir sollten uns immer daran erinnern, dass wir auch ohne “wahr” (und “falsch”) auskommen würden. D. h. dass diese Worte nichts sind, worüber wir eine komplexe philosophische Analyse starten müssen oder sollten.
* Der Planet in einer Billion Lichtjahren von uns ist wahr, wenn es ihn gibt.
* Dito der Sack Reiss in China.
Solche Formulierungen sind schon auf der einfachsten sprachlichen Verständnisebene schwer zu akzeptieren.
“Existieren” ist ein vielschichtiger Begriff. Aber nehmen wir mal ohne tiefe ontologische Überlegung an, dass “existieren” irgendwie, im Rahmen des alltäglichen Diskurses, auf abstrakte Objekte zutreffen kann. D. h. also: Die Zahl 7 existiert, das Schachspiel existiert. usw. Dann ergibt sich aber mit deiner Definition des Wortes “wahr” folgendes: “Die Geschichten des Freiherr von Münchhausen sind wahr, wenn sie existieren”. Da sie nun existieren folgt: “Die Geschichten des Freiherr von Münchhausen sind wahr”. Das ist absurd.
Der Unterschied zwischen uns könnte sein, dass Du Wahrheit als systemische Größe siehst, und ich als das, worauf sich ein Wahrnehmungs-System bezieht. - Angenommen, es gäbe Gott als Entität: Wie würdest Du dann den Satz "Gott ist die Wahrheit" in Deinem Denken unterbringen?
“Gott ist die Wahrheit” ist für mich aus moderner Sicht ein poetischer Ausdruck, mehr nicht.
Man muss weit zurückgehen um “Gott ist die Wahrheit” ernsthaften
philosophischen Gehalt zu geben. Zurück zu den
Transzendentalien – “Dem Wahren Schoenen Guten”, wie über der Frankfurter Oper steht.
Was wird da wohl herauskommen, wenn du deine “Aufklärung” nun mit der Hochscholastik kombinierst?
Ich glaube, das
wollen wir gar nicht erfahren…