Der sprachbegabte Mensch

Philosophisches zum Nachdenken
SilverBullet
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#21 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von SilverBullet » Mi 2. Okt 2019, 21:02

Schwarmtiere handeln nach bestimmten Regeln, so dass sich ein „Verhalten“ des Schwarms bildet. Diese Regeln enthalten bereits Zusammenhänge über die Reaktion der Nachbarn, so dass sich eine (im Sinne des Schwarms) sinnvolle Reaktion ergibt, jedoch ist dies ein sehr rudimentäres Verständnis über die Vorgänge „im“ jeweiligen Nachbarn (es ist eher sogar nur eine Art „optische“ Abstimmung, also rein „äusserlich“, wobei es nicht über den Sehsinn gehen muss).

Sobald es im Nervensystem aber zu einem umfangreichen Aufbau der Zusammenhänge über die Reaktion des Anderen kommt und diese Reaktion in Bezug zu den Möglichkeiten des wahrnehmenden Individuums gestellt werden (Stichwort „Spiegelneuronen“) erhöht sich das Verständnis über die Reaktion des Nachbarn -> Gruppentiere (z.B. komplexes Jagdverhalten).

Was passiert nun, wenn eine Zusammenhangsauflösung den „sichtbaren“ Reaktionsumfang überschreitet und quasi ein Verständnis für „das Dahinter“ entsteht?
Motto:
• Was geht in dem Anderen vor?
• Wie „sieht“ er gerade die Welt, wie teilt er sie gerade ein und wie reagiert er demnächst?

Wie tauschen die Gruppentiere dies aus, denn sie haben ja damit eine gegenseitige (sinnvolle) Verständnisfähigkeit, die sie wie bei der Jagd zu etwas nutzen können?

-> Sprache

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abc
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#22 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von abc » Do 3. Okt 2019, 09:25

Mirjam hat geschrieben:
Mi 2. Okt 2019, 19:15
OK, dies ist ein Beispiel gescheiterter sprachlicher Kommunikation ... Ich verstehe deine Frage nicht.
Wo siehst du den Logikfehler?
Es wäre schön, wenn du näher erläutern könntest, was du mit deinen Grundfragen meinst.
Hallo Mirjam, schön, daß du nachfragst. Ich überlege gerade, wie sich meine Grundfragen besser vermitteln lassen. Es liegt weniger an mangelnder Logik, sondern an der verkürzten Darstellungsweise einer evolutionären Sprachtheorie, die elementare Entwicklungsschritte einfach überspringt und dennoch meint, eine hinreichende Erklärung gefunden zu haben. Wie kann ich es dir/euch besser veranschaulichen?

Zur Erinnerung ...

Mirjam hat geschrieben:
Mo 30. Sep 2019, 18:51
Andreas hat geschrieben:
Mo 30. Sep 2019, 18:11
Es hat sich niemals ein sprechender Clan gebildet, sondern die Sprache entwickelte sich im Clan.
Wie Andreas sagt: Erst gibt es die Gruppe, innerhalb der Gruppe entwickelt sich die Sprache. Ist doch logisch, dachte ich?

Logisch ist hier lediglich, daß 'Menschengruppe & Sprachentwicklung' von dir (Andreas, ...) in Beziehung gesetzt werden, was für unseren Diskurs eine Grundvoraussetzung ist, denn wir wollen ja genau diese Beziehung (und was ihr zugrunde liegt) näher untersuchen. Noch völlig ungeklärt sind gleich zwei Aspekte ...

(1) Wie hat sich besagte Menschengruppe gebildet/gefunden?
(2) Wie sahen die Anfänge der Sprachentwicklung innerhalb dieser Gemeinschaft aus?

Beide Fragen geben mir Rätsel auf.

In der Regel werden Sachverhalte verständlicher, wenn man sie in eine anschauliche Darstellung bringt. Beispiel: Es ist einfacher ein Handwerk durch praktische Anschauung zu erlernen, als sich durch eine Gebrauchsanweisung zu lesen. Darum schlage ich an dieser Stelle vor, daß wir besagte Anfänge menschlicher 'Sprachentwicklung' in ein konkretes Bild setzen.

Bild

Darum würde ich dich (oder geneigte Leser/innen) bitten, ein Anfangsszenario zu skizzieren, an dem man beispielhaft die ersten Entwicklungsschritte nachvollziehen könnte. Ich schlage vor, es gerade zu Beginn, so einfach wie möglich zu halten ...

lg abc

closs
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#23 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von closs » Do 3. Okt 2019, 09:59

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:25
(1) Wie hat sich besagte Menschengruppe gebildet/gefunden?
Durch Vermehrung und durch Assimilierung. - Da wuchs eine "Herde" auf, die andere "Herden" in sich aufgenommen hat oder von einer anderen "Herde" aufgenommen wurde. - Bei dieser Gelegenheit hat man sich vermehrt und miteinander kommuniziert - am Anfang so, wie das heute bspw. Affen tun.

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:25
(2) Wie sahen die Anfänge der Sprachentwicklung innerhalb dieser Gemeinschaft aus?
Durch Evolution. --- Das Gehirn war irgendwann in der Lage, Gebärden und Laute zugunsten der Laute auszubauen, so dass daraus nach vielen Jahren so etwas wie eine Grammatik wurde. - Wir reden hier von einem Prozess über 100 Tausenden von Jahren. - Disziplin zur Erforschung dieses Prozesses nennt man "Anthropologische Linguistik".

Großer Bogen: Der sogenannte "Sündenfall" ist der Moment, in dem Lautentwicklung und damit verbundene semantische Prozesse soweit ist, dass der Betroffene sich selber reflektieren kann ("ICH") - wenn man so viel, wird in diesem Moment der Laut zur Sprache.

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abc
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#24 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von abc » Do 3. Okt 2019, 10:24

closs hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:59
abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:25
(1) Wie hat sich besagte Menschengruppe gebildet/gefunden?
Durch Vermehrung und durch Assimilierung. - Da wuchs eine "Herde" auf, die andere "Herden" in sich aufgenommen hat oder von einer anderen "Herde" aufgenommen wurde. - Bei dieser Gelegenheit hat man sich vermehrt und miteinander kommuniziert - am Anfang so, wie das heute bspw. Affen tun.

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:25
(2) Wie sahen die Anfänge der Sprachentwicklung innerhalb dieser Gemeinschaft aus?
Durch Evolution. --- Das Gehirn war irgendwann in der Lage, Gebärden und Laute zugunsten der Laute auszubauen, so dass daraus nach vielen Jahren so etwas wie eine Grammatik wurde. - Wir reden hier von einem Prozess über 100 Tausenden von Jahren. - Disziplin zur Erforschung dieses Prozesses nennt man "Anthropologische Linguistik".

Hallo closs,
herzlich Willkommen :D

Du scheinst ein Traditionalist zu sein, der verkürzten Darstellungsweisen (Erklärungen) die Treue hält, zumal du dich auf meinen letzten Beitrag beziehst, der doch von konkreten Beispielen spricht. Wenn du (wir) schon Probleme haben, uns aufeinander zu beziehen, wie viel mehr wohl die ersten Menschen, die das Wort noch gar nicht kannten :lol:

closs
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#25 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von closs » Do 3. Okt 2019, 10:36

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 10:24
Du scheinst ein Traditionalist zu sein, der verkürzten Darstellungsweisen (Erklärungen) die Treue hält, zumal du dich auf meinen letzten Beitrag beziehst, der doch von konkreten Beispielen spricht. Wenn du (wir) schon Probleme haben, uns aufeinander zu beziehen
Inwieweit beziehen wir uns NICHT aufeinander?

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 10:24
wie viel mehr wohl die ersten Menschen, die das Wort noch gar nicht kannten
Das ist immer dasselbe - ich gehe sogar davon aus, dass es damals ein kleineres Problem war. - Denn heute haben wir mehr Ich-Bezug, weshalb man Gefahr läuft, das Ich in die Äußerungen des Du einzubauen, so dass sich das Du nicht mehr erkennt. - Insofern: Ich bilde mir ein, konkret auf Dich eingegangen zu sein, was Du offenbar nicht so siehst. - Ich kann nicht erkennen, warum.

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abc
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#26 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von abc » Do 3. Okt 2019, 13:43

closs hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 10:36
Ich bilde mir ein, konkret auf Dich eingegangen zu sein, was Du offenbar nicht so siehst. - Ich kann nicht erkennen, warum.
Halb so wild, vielleicht liegt es nur am ...
closs hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 10:36
Ich-Bezug
Der sei dir gegönnt :D

Bild

Es stellen sich vielleicht noch konkrete Beispiele ein, nicht nur von Mirjam (...) - die uns ein Anfangsszenario skizzieren.

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Andreas
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#27 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von Andreas » Do 3. Okt 2019, 15:05

Kommunikation brauch immer mindestens einen Sender und einen Empfänger - also mindestens zwei. Der Mensch ist von seiner Abstammung her, schon tropischer Säuger und Herdentier, lange bevor er Mensch wurde und ist es noch heute. Unsere Sprache kann sich also nur in überlebensnotwendiger Gemeinschaft entwickelt haben. Die Gemeinschaft der Herde und die Kommunikation, welche die Herde zusammenhält, ist selbst schon "kritische Infrastruktur" lange bevor es den Menschen und seine Sprache gibt. Bot die tropische Umgebung anfangs alles andere was "kritische Infrastruktur" ist, so gab es irgendwann einen räumlichen Ausbreitungsdruck, der in den neuen Gebieten die nicht mehr tropisch waren, keine Überlebenschance für die Körperlichkeit tropischer Säuger darstellten.

Unser Wärmebedürfnis dürfte dabei das größte Problem dargestellt haben, und so mussten dafür künstliche kritische Infrastrukturen geschaffen werden. Wir hatten ein Energieproblem: Feuer, Kleidung, Behausung waren aber nur durch "mehr" Kommunikation zu bewerkstelligen, da unsere rein körperlich-evolutionäre Entwicklung sich nicht schnell genug an die veränderten Umweltbedingungen anpassen konnte. Bei dieser Anpassungsleistung, unsere körperliche Schwäche durch geistige Stärke in Form neuer kritischer Infrastrukturen zu kompensieren, wozu mehr und bessere Kommunikation nötig ist, muss Hand in Hand und Stück für Stück mit unserer Sprachentwicklung einhergegangen sein. So stelle ich mir das vor.

closs
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#28 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von closs » Do 3. Okt 2019, 21:49

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 13:43
Der sei dir gegönnt
Dir auch - aber könntest Du mal rauslassen, was Du anderes meinst, als Dir hier geantwortet wird?

Mirjam
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#29 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von Mirjam » Do 3. Okt 2019, 23:11

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 09:25
(1) Wie hat sich besagte Menschengruppe gebildet/gefunden?
(2) Wie sahen die Anfänge der Sprachentwicklung innerhalb dieser Gemeinschaft aus?

Konkrete Bilder und Beispiele sind schwierig, wenn es keine sicheren Erkenntnisse über einen konkreten Hergang gibt.
Man kann sich eine Modellvorstellung ausdenken, doch das birgt die Gefahr, dass eine These plötzlich als Fakt angesehen wird.

Aber ich versuche es noch einmal in anderen Worten, und mit ein paar Beispielen aus der Tierwelt und einer kleinen Geschichte:

(1) Die Menschengruppe gab es schon. Ist das wirklich so schwer vorstellbar?
Ich nehme an, dass auch die frühen Vorfahren der Menschen bereits in Gruppen zusammenlebten als sie noch - vereinfacht gesagt - kleine Äffchen in den Baumwipfeln waren. Wie weit willst du dann noch zurückgehen? Auch Dinoaurier und primitive Säugetiere lebten mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in sozialen Gruppen, und sie kommunizierten miteinander. Rangordnung, Paarung, Warnung vor Fressfeinden, gegenseitige Körperpflege, gemeinsame Wanderung... Vielleicht sogar schon kooperatives Verhalten bei der Jagd und bei der Aufzucht der Jungen.

Die Gruppe ist viel älter als die Sprache. Die Gruppe löst sich auch nicht auf sondern lebt über ihre Nachkommen fort. Manchmal wird eine ganze Gruppe ausgerottet, manchmal wechseln Individuen von einer Gruppe in die andere, manchmal schließen sich Gruppen zu größeren Verbänden zusammen.
Aber einzelne Individuen einer frühen Hominidenart, die erst einzeln verstreut sind und sich irgendwann zu einer Gruppe zusammenschließen? Wo sollten die denn herkommen? Wer hätte die denn geboren, wenn nicht eine Mutter? Wie hätten die denn die Kindheit überstanden, wenn nicht mit der Hilfe einer fürsorglichen Familiengruppe?

(2) Wie sahen die Anfänge der Sprachentwicklung innerhalb dieser Gemeinschaft aus?
Nehmen wir doch als ein konkretes Beispiel den Präriehund. Diese kleinen Säuger besitzen nicht nur einen einzelnen Warnruf, sie besitzen verschiedene Warnrufe, je nach Gefahrenlage.
- Wenn ein Raubvogel herabstösst, dann fliehen nur diejenigen Individuen, die sich direkt in der Flugbahn befinden. Der Rest der Kolonie richtet sich auf die Hinterbeine auf und beobachtet den Raubvogel weiter.
- Wenn ein Mensch gesichtet wird, dann fliehen alle Präriehunde ins Innere ihres Baus
- Wenn ein Kojote auftaucht laufen die Präriehunde zum Eingang ihrer Baue, richten sich auf und beobachten den Kojoten. Nur wenn er näher kommt tauchen sie ab
- Ein Hund ist anscheinend noch weniger gefährlich: Die Präriehunde laufen noch nicht einmal vorsorglich zum Tunneleingang, sie richten sich erst einmal nur auf und beobachten.

So weit so gut. Was hat dieses Verhalten mit Sprache zu tun? Nun, das spezielle daran ist, dass die Präriehunde das obige Verhalten auch dann zeigen, wenn gar kein Feind in der Nähe ist: Es genügt, wenn über Lautsprecher der jeweilige Warnruf abgespielt wird.
Das beweist, dass die Präriehunde ganz klar über die Lautstruktur des Warnrufs eine spezifische Bedeutung vermitteln können. Es sind also echte "Worte".
C.N. Slobodchikoff von der Northern Arizona University behauptet sogar, dass die Kommunikation der Präriehunde noch viel komplexer ist und noch viel genauere Informationen übermittelt: Nämlich sogar über Entfernung, Farbe oder Richtung der entdeckten Gefahr.
https://animalstudiesrepository.org/cgi ... t=acwp_vsm

Hat ein Präriehund ein Ich-Bewusstsein? Eine Vorstellung vom Tod? Eine Religion? - Unwahrscheinlich. Trotzdem hat er schon eine lautbasierte Kommunikation, die einer Sprache sehr ähnlich ist. Daraus schließe ich: Eine Spezies kann schon eine ganze Menge "Worte" kennen, benutzen und an die Nachfahren weitergeben, wenn sie auf anderen Gebieten (Bewusstsein, Hirnmasse, Lernfähigkeit, Gebrauch von Werkzeugen) nicht so menschenähnlich entwickelt ist.

Anderes Beispiel. Der Schimpanse. Einer unserer genetisch engsten Verwandten.
Komplexes Sozialverhalten, verhältnismäßig lange Kindheit, Gebrauch von Werkzeugen und Weitergabe von Wissen über solche Werkzeuge an die Nachkommen. Erwiesene Fälle von Ich-Bewusstsein, besonders bei älteren Individuen (der berühmte Spiegeltest. Man tupft einem Tier einen Farbklecks oder einen kleinen Aufkleber auf die Stirn. Man beobachtet solange, bis man sicher ist, dass das Tier den Klecks entweder gar nicht bemerkt oder wieder vergessen hat, weil es sich nämlich nicht darum kümmert. Dann stellt man einen Spiegel auf.
Wenn das Tier nun sein Spiegelbild bemerkt, betrachtet, und als Reaktion darauf beginnt, die eigene Stirn zu säubern - dann hat es den Farbklecks im Spiegel entdeckt, hat sein Spiegelbild als Abbild seiner selbst erkannt und korrekt geschlossen, dass ein Klecks auf der Stirn des Spiegelbildes in der Tat einen Klecks auf der eigenen Stirn bedeutet.
Ein Tier ohne Ich-Bewusstsein interessiert sich entweder gar nicht für das Spiegelbild, oder versucht mit dem Spiegel wie mit einem Artgenossen zu kommunizieren. Oder es versucht, den Farbklecks im Spiegelbild zu berühren, statt am eigenen Kopf.)
Aber entschuldige bitte den Exkurs, zurück zum Thema: Es gibt also Tiere, die haben schon ein relativ weit entwickeltes Denkvermögen und Bewusstsein. Sie erinnern sich, sie kennen und erkennen die Gruppenmitglieder als Individuen und sind sich sogar ihrer selbst bewusst. Sie können Werkzeuge gezielt einsetzen und damit ihre Umwelt zu ihren Gunsten manipulieren.
Dennoch ist ihre "Sprache", im Sinne einer mit spezifischer Bedeutung versehenen Lautäußerung, primitiver als die der Präriehunde.
(Man kann einem Schimpansen vom Tonband nicht so viele Rufe seiner Artgenossen abspielen und damit eine ganz bestimmte, je unterschiedliche Reaktion hervorrufen).


Ich denke mir, dass die Entwicklung der menschlichen Sprache irgendwo in der Kombination beider Systeme liegt.
So, wie es der Schöpfer vielleicht schon von Anfang an vorgesehen hat.

Spinnen wir einmal eine Geschichte, da du doch ein konkretes Bild suchtest:
Da ist irgendwo eine Spezies früher Menschen. Anatomisch und sozial ähnelt diese Spezies den heutigen Schimpansen. Sie belegt auch eine ähnliche ökologische Nische. Aber eine Eigenschaft dieser Wesen ist es, dass sie ein System aus spezifischen Warnlauten besitzen, mit denen sie eine ganze Reihe von Fressfeinden und Gefahrenquellen benennen können.
Über viele Generationen hinweg entwickelt sich das System. Die Laute können nun nicht nur die Art der Gefahr, sondern auch Entfernung und die Richtung relativ zum Sonnenstand kodieren.
Abseits der Warnrufe ist die "Sprache" weniger spezifisch... andere Laute drücken nur allgemein Sympathie aus, Zufriedenheit, Drohung... Außerdem sind die Lautäußerungen der Jungen eine eigene Kategorie: Es gibt ein Wimmern, das Hunger ausdrückt, und einen Ruf, der Einsamkeit und Angst zeigt, wenn es sich verlaufen hat - auch das sind Worte in dem Sinne, dass das Jungtier eine bestimmte Wirkung davon erhofft. Nämlich: Gefüttert oder wiedergefunden zu werden. Wenn es erwachsen wird nutzt es diese Laute nicht mehr.

Können wir uns noch einigen, dass alles oben beschriebene noch nicht entscheidend "menschlich" ist? Das alle oben beschriebenen Elemente, zumindest einzeln, bei Arten vorkommen, die wir noch als "Tiere ohne echtes Sprachvermögen" definieren würden?
Dennoch sind da schon alle wichtigen Punkte angelegt.

Denn spinnen wir die Geschichte weiter. Einzelne Individuen, durch Spiel, Experiment oder Zufall, entwickeln das Lautrepertoire weiter.

Eine nutzt den Laut für "in Richtung der Sonne" während sie die Gruppenmitglieder zu einer Futterquelle in dieser Richtung führt. Dieser Laut war bisher nur ein Modifikator, für die spezifischere Warnung vor Fressfeinden. Aber nun wird er entkoppelt und erhält eine eigenständige Bedeutung. Eine Richtungsanzeige. Die erste Präposition ist geboren: "sonnwärts"

Ein Anderer hat die Eigenschaft, dass er auch als Erwachsener noch den Babylaut des verlassenen Jungtiers ausstößt. Die Gruppenmitglieder verstehen die Bedeutung - auch wenn sie zunächst irritiert sind, den Laut von einem ausgewachsenen Männchen zu hören. Vielleicht ahmen sie den Laut dann ebenfalls nach, wenn sie sich einsam oder traurig fühlen. Wieder wird ein Laut also aus seinem vorigen Zusammenhang heraus geholt, abstrahiert, verallgemeinert.
Als ein Gruppenmitglied stirbt versammelt sich der Rest der Gruppe, und alle machen den Laut des verlorenen Jungtiers nach. Sie versichern sich gegenseitig: "Ich bin auch traurig." und "Wir fühlen uns einsam ohne den Verstorbenen."

Dann gibt es da noch ein Weibchen in der Gruppe, die ihre Zufriedenheit im Alltag durch ein ständiges Brummeln ausdrückt. Dieses Brummeln wird auch von anderen als Ausdruck der Zufriedenheit gebraucht, aber dieses Weibchen brummelt lauter und häufiger als die anderen.
Deren Sohn kombiniert den Wimmerlaut, mit dem er als Baby nach Milch bettelt, mit dem Brummeln, das ihm von klein auf die Gegenwart seiner Mutter signalisierte. Er nutzt diese Lautkombination, wann immer er seine Mutter begrüßt. Seine Geschwister und Cousins machen es nach. Dann auch seine eigenen Kinder, Neffen und Nichten.
Und nun kommt es darauf an:
Wird das neue "Wort" nur auf dieses bestimmte Weibchen verwendet, dann haben sie soeben den ersten Personennamen erfunden.
Wir es aber verallgemeinert und mit der Zeit auf alle erwachsenen Weibchen angewendet, wenn jüngere Nachkommen diese begrüßen oder rufen - dann haben sie das Wort "Mutter" erfunden.


Wichtig: Der Prozess geschieht in der Gruppe. Ein Individuum "erfindet" ein Wort. Aber wenn die anderen das Wort nicht verstehen, dann wird es bald wieder verschwinden. Das Individuum hat keinen Grund, diesen Laut weiterhin von sich zu geben, wenn es damit keine Wirkung erzielen kann.
Ein neu erfundenes Wort, oder ein Bedeutungswandel bei einem bekannten Laut, muss anfangs aus der Situation heraus und durch den Zusammenhang den anderen Gruppenmitgliedern "erklärt" werden. Wenn andere das Wort dann nachahmen und dies der Kommunikation in der Gruppe einen Vorteil verschafft, wird es in den festen Sprachbestand integriert. Die nächste Generation lernt es schon in der Kindheit als Bestandteil ihrer "Muttersprache".
Mit dem Wortschatz wächst dann auch die Komplexität der Sprache. Durch Verallgemeinerung und durch Neukombination können immer abstraktere und genauere Inhalte übermittelt werden.

Und die Gruppe?
Nun, das alles geschieht in einer Zeit als nur sehr, sehr wenige Menschen (Menschenartige? ab wann nennen wir sie Mensch?) auf der Erde lebten. Es sind relativ kleine Gruppen (vielleicht 10-30 pro fester Gruppe, je nach Nahrungsangebot), jede mit einem relativ großen Territorium. Eine Population besteht aus mehreren Gruppen. Sie treffen sich selten, aber einigermaßen regelmäßig. Vielleicht versammeln sie sich zur Trockenzeit an einer zentralen Wasserstelle oder wenn eine bestimmte Frucht reif ist an dem Wald, wo diese reichlich gedeiht.
Zu diesen Gelegenheiten wechseln einzelne Individuen vielleicht die Gruppe, oder die Überlebenden einer dezimierten Gruppe schließen sich einer anderen, größeren an.
Verstehen die sich noch untereinander, wenn sie doch im Alltag meist getrennt sind und getrennt ihre neuen Worte erfinden?
Nun, wenn man annimmt, dass in jeder Generation vielleicht nur ein oder zwei neue Wort erfunden werden, dann wäre schon genug Zeit, dieses neue Wort während der jahreszeitlichen Versammlungen an andere Gruppen weiterzugeben.
(Vielleicht nicht alle. Manche Worte oder Bedeutungen werden vielleicht zum lokalen "Dialekt" einer bestimmten Gruppe.)
Aber solange (a)eine Reihe von Gruppen als Population (Volk?) einen lockeren Verbund bilden und (b) die Sprachentwicklung relativ langsam voranschreitet würde ich annehmen, dass diese Population eine gemeinsame Sprache entwickelt.

Wird aber eine Gruppe isoliert, so isoliert sich auch deren Sprache. Da, wo es keinen regelmäßigen Austausch und keine Treffen zwischen den Gruppen der selben Spezies mehr gibt, da werden sie sich langsam aber sicher auseinander entwickeln. Auch in der Sprache.


Also, abc, wie sieht es aus?
Das war nun eine hoch spekulative Geschichte, aber hast du darin den Schimmer einer möglichen Antwort gefunden?


Liebe Grüße

Mirjam

JackSparrow
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#30 Re: Der sprachbegabte Mensch

Beitrag von JackSparrow » Fr 4. Okt 2019, 01:16

abc hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 13:43
Es stellen sich vielleicht noch konkrete Beispiele ein, nicht nur von Mirjam (...) - die uns ein Anfangsszenario skizzieren.
Seien A und B zwei Populationen menschenähnlicher Primaten. Nun werden beide Populationen jeweils von einem Rudel Raubtiere angegriffen.

In Population A sieht jemand das Rudel Raubtiere, äußert einen bestimmten Laut und rennt weg, aber alle anderen Gruppenmitglieder bleiben stehen.

In Population B sieht jemand das Rudel Raubtiere, äußert einen bestimmten Laut und rennt weg, und alle anderen Gruppenmitglieder rennen ihm hinterher.

Population A wird gefressen und stirbt aus. Population B überlebt und pflanzt sich fort.

In Population A war die Lautäußerung eine evolutionäre Sackgasse. In Population B wurde die Lautäußerung zum Morphem, da sie eine bestimmte Reaktion provozierte und somit mit einer bestimmten "Bedeutung" verknüpft war.

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