So, ich bin zurück von der langweiligen Praxis der Sprache, nun wieder zur spannenden Theorie...
abc hat geschrieben: ↑Mo 30. Sep 2019, 17:30
Der Mensch ist ein sprachbegabtes Wesen, mehr noch, er scheint Anteil am Wort zu haben. Das Wort sei aller Dinge Anfang - Baustein der Schöpfung - heißt es im Johannes Evangelium.
Sehe ich ebenso. Sia und Hu, Einsicht und Wort, sind die Begleiter des höchsten Gottes und Werkzeuge des Schöpfers. Indem der Mensch ein Sedschemu, ein "Hörender" ist, der die Worte hört und versteht, wird er ein Rechu, ein "Wissender", der sich verständig in die Welt und in die Gesellschaft einfügen kann.
So ist der Mensch einer, der Einsicht hat und das Wort nicht nur hören sondern selbst sprechen kann. Er kann die Dinge beim Namen nennen und gewinnt dadurch Macht über sie. (nicht nur ein ägyptisches Konzept - Adam, der den Tieren Namen gibt, ist nichts anderes, denke ich)
abc hat geschrieben: ↑Mo 30. Sep 2019, 17:30
Das Wort regt mich immer wieder dazu an, über es nachzudenken, den Verbindungen nachzugehen, all das, was wir Sprache nennen, um am Ende über mein Bewußtsein zu staunen, mich fragend, was wohl zuerst da war - im übertragenden Sinne: die Henne oder das Ei?
Ich denke, dass Bewusstsein und Sprache sich beim Menschen gleichzeitig entwickelt haben, und sich beides wechselseitig befruchtet hat. Daher sind Sprache und Bewusstsein eng verknüpft. Daraus ergeben sich zwei interessante Thesen:
1. These: Inwieweit unterscheidet sich das Denken von Menschen anhand ihrer Muttersprache?
Denken Menschen mit verschiedenen Sprachen merklich verschieden? Zum Beispiel in der Art, wie sie Zeit- und Kausalverhältnisse erkennen und strukturieren oder Konzepte voneinander abgrenzen.?
Beispiel 1, Struktur der Grammatik:
Die englische Sprache kennt das "progressive", die Verlaufsform. "She plays the piano." und "She is playing the piano." sind Sätze mit unterschiedlichem Sinngehalt. Im Deutschen kann ich wörtlich in beiden Fällen nur "Sie spielt Klavier" übersetzen. Will ich die zusätzliche Bedeutung mit übermitteln - ob sie spielen kann, oder ob sie jetzt gerade dabei ist - muss ich zusätzliche Erklärungen anfügen.
(Witziger Weise kennt ein Teil der Deutschen sehr wohl eine Verlaufsform, nämlich im rheinischen Dialekt: "Sie ist Klavier am spielen". Kein Hochdeutsch, aber der Hochsprache an grammatischer Präzision überlegen!)
Beispiel 2, Worte und Konzepte
Es gibt Worte, die sich ziemlich vollständig von einer Sprache in die andere übersetzen lassen. Beispiel: Sohn, son, fils, filius, ben, ibn, sa
Bei anderen funktioniert das nicht so gut. Die ägyptische Sprache kennt zwei Worte für Ewigkeit:
Djet, die ewige Dauer, und Neheh, den ewigen Kreislauf. Beide Worte kann man als "Ewigkeit" übersetzen, aber man wird damit dem vollen Bedeutungsspektrum nicht gerecht.
Ein Ägypter, der das deutsche Wort "Ewigkeit" übersetzen sollte, hat die Qual der Wahl und muss sich überlegen, ob im Textzusammenhang wohl eher "Djet" oder "Neheh" gemeint ist.
Anders herum das Wort Maat, das im Deutschen sowohl mit "Wahrheit" als auch mit "Recht", "Gerechtigkeit" oder "Ordnung" übersetzt werden kann.
Das ägyptische Wort verbindet all diese Konzept zu einem einzigen, die deutsche Sprache unterscheidet...
Also, ich will sagen: Menschen mit verschiedenen Sprachen können durchaus verschieden denken, weil sie Begriffe anders voneinander abgrenzen.
Interessant aber, dass Übersetzungen trotzdem möglich sind. Man kann durch Erklärungen und Umschreibungen JEDE menschliche Sprache in JEDE ANDERE Sprache übersetzen. Klar, es geht dabei mehr oder weniger viel an Nuancen und Anspielungen verloren - aber es geht! Wir Menschen sind uns offensichtlich ähnlich genug im Denken um in verschiedenen Sprachen doch analoge Strukturen und Konzepte zu verwenden.
Oder ob es eine einzige menschliche Ursprache gibt, von der alle anderen abstammen? Ich glaube es nicht, aber ich kann es natürlich nicht beweisen...
2. These: Es könnte andere intelligente Lebewesen geben, die aber auf ganz andere Weise kommunizieren - und dadurch auch ganz anders denken!
Das Universum ist groß, und es mag durchaus irgendwo intelligentes außerirdischen Leben geben. Aber selbst, wenn wir mit denen irgendwann einmal in Kontakt kämen: Könnten wir mit ihnen kommunizieren? Was, wenn sie ganz andere Schallfrequenzen nutzen, oder Lichtsignale, oder chemische Stoffe, oder binäre Codes, oder etwas, wofür wir noch nicht einmal Wort und Konzept besitzen? Könnte man eine solche "Sprache" je übersetzen, oder wären die zu Grunde liegenden Begriffe und Strukturen zu verschieden?
Es ist auch möglich, das wir dazu tendieren die Intelligenz anderer Wesen auf der Erde gnadenlos zu unterschätzen, da sie auf eine uns nicht sofort ersichtliche Weise kommunizieren. Siehe Fledermäuse, Bienen, Ameisen...
Ich habe mir gerade ein Buch bestellt, der deutsche Titel ist "Der Krake, das Meer und die tiefen Ursprünge des Bewusstseins", von Peter Godfrey-Smith, da geht es um genau dieses Thema. Ich muss es noch vom Laden abholen, bin schon sehr gespannt...
... ja, Sprache ist auch so ein "Thema von mir". Merkt man das?

...
liebe Grüße
Mirjam