Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Er geht doch in seiner skeptischen Phase davon aus, dass die Welt Produkt seines Geistes ist.
Nein - Descartes meint das NICHT, sondern dass es niemand unterscheiden könne von einer "echten "Welt, wenn die Welt Produkt der menschlichen Vorstellung (meinst Du es so?) wäre. - Also entwickelt er eine philosophische Begründung, warum die Welt "echt" sei - das nennt er "Gottesbeweis", ich nenne es "hermeneutische Vorannahme".
Relevant für den Naturalismus des 20. Jh ist, dass er genauso wie Descartes diese Glaubens-Setzung macht - bzw. machen müsste

, wenn er (der Naturalismus) philosophisch satisfaktionsfähig sein wollte.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Eine religiöse Kultur wie das Christentum kann nicht authentisch zu dem sein, was der Fall ist. Wie auf jede Form der Kultur lassen sich Begriffe wie ontisch wahr oder ontisch falsch nicht auf sie anwenden.
Verstehe ich überhaupt nicht. - Welche Hermeneutik hätte denn nach Deiner Auffassung die richtigen Voraus-Setzungen, um zu dem, was ontisch wahr oder falsch ist, authentisch sein zu können? - Verstehst Du "was der Fall ist" nicht auch geistig?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Ja, weil bewusst werden ein selbstreferentieller Prozess ist. “Ich werde mir bewusst” – durch was denn? Durch die Definition, oder zumindest eine Proto-Definition.
Man kann damit erfüllen, was man vor-definiert hat. - Aber damit ist doch nicht geklärt, was andere Systeme mit "Bewusstsein" meinen. ---- Christlich wäre "Bewusstsein" definiert durch die Fähigkeit, transzendent zu denken und nach Gott fragen zu können. - Ich wette, dass KI-Bewusstsein ganz anders definiert wird. - Was nützt da das Selbst-Referentielle?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
nicht alles Wissen benötigt einen Wissenden. Das Wissen liegt doch in den Denk-Systemen – waren wir uns nicht darüber einig?
Und WER schafft diese Systeme? - Doch nicht die Objekte, über die gedacht wird.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Z. B. die Lehre der Katharer, die davon ausgingen, sie wären (als irdische Personen) Schöpfungen des Demiurgen. Hier habe ich einen schönen Artikel dazu gefunden
Hochinteressant - aber was hat das mit "Egoismus ja oder nein" zu tun?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Auch einer rationalistischen Philosophie, wie der von Descartes, würde ich die Spiritualität absprechen.
Aber sie basiert doch auf Spiritualität. -Salopp gesagt: Descartes kann doch nur deshalb Rationalist werden, weil er VORHER die Grundlagen des rationalistischen Systems als spirituell klärt.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Du meinst aber, dass sich die universale Vernunft nie den Menschen auf eindeutige Weise offenbart!
Nie "beweisbar" offenbart - richtig. - Wiewohl ich PERSÖNLICH sehr wohl meine, dass Mathematik Teil der universalen Vernunft ist.
Bereits bei der Logik wird es problematisch, weil Logik an sich kein Inhalt ist, sondern immer auf einem Inhalt aufgesetzt werden muss: "Ich behaupte, dass Bewohner eines Planeten von Alpha Centauri 4 Ohren haben - also ist es logisch, das 4 Bewohner zusammen 16 Ohren haben". - Logik kann auch für Unsinn eingesetzt werden. - Und dann gibt es noch logische Aporien - Du kennst sicherlich die Geschichte:
* Alle Kreter lügen.
* Ein Kreter sagt: "Ich lüge".
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Wobei damit Wissen nichts mehr mit Weisheit zu tun hat. Und um die geht es doch in der Philosophie.
Es würde mich sehr überraschen, wenn Philosophie des 20./21. Jh. diesen Anspruch hätte. ---- Prinzipiell hast Du recht - aber genau das kann ich im 20./21. Jh. gerade NICHT erkennen.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Was wäre für Dich in diesem Kontext "Weitblick"?
So wie Wittgenstein auch darauf zu achten, dass Glaube zu einer Grundeinstellung im Leben führt, die das Verhalten bestimmt.
Ja - kommt mir sehr naheliegend vor.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Aber das bedarf eben des Glaubens, dass die Welt nach der menschlichen Vernunft funktioniert. Denn sonst würde das Abtasten des Bildes von der Welt nichts über die Welt aussagen.
Das muss man setzen - Ratzinger nennt so etwas in anderem Kontext "Glaubensentscheid": "Ich tue so, als seien meine (nicht falsifizierbaren) Vorannahmen wahr, obwohl ich es nicht beweisen kann" - "begründen" ja, "beweisen" nein.
Man HOFFT also, dass das eigene Abtasten der Welt nicht sinnlos ist - und da wären wir wieder bei Descartes' "wohlwollendem Gott", der uns nicht verarscht, weshalb wir mit diesem Gott im Rücken selbstbewusst ("rationalistisch") in die Welt gehen können. ---- Diese Verankerung des Rationalismus im Spirituellen gibt es heute nicht mehr - heute setzt man sich selbst.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Ja, das ist deine Meinung. Aber das muss nicht so sein. Für mich plausibler ist die Auffassung der Advaita Vedanta, wo Ishvara (Gott) die Reflexion des Brahman (kosmischer Geist) in Maya (Täuschung) ist.
Dann wäre die universale Vernunft eine, die den Menschen täuschen WILL - oder nicht? ---- Christlich gesprochen, gäbe es diese universale Vernunft/Wahrheit, der aber ein Mangel daran gegenübersteht - bspw. vom Menschen, der sich seine eigene Vernunft zimmert, die zwar systemisch brillant sein kann, aber nicht wahr sein muss. - Diesen Dualismus gibt es also "bei uns" ebenfalls - aber, wie es aussiehst, anders gestrickt.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Ich kann in deinen Ausführungen nur eine Ver-Anthropozentrierung der Wahrheitsfindung erkennen – Stichwort hermeneutischer Zirkel.
Da scheint es ein Missverständnis zu geben. ---- Natürlich denkt der Mensch nur mit sich selber (= "anthropozentrisch"). - Aber gerade im hermeneutischen Zirkel, der nie ein Ende nimmt, zeigt sich doch der Sisyphos des Anthropozentrischen.
Richtig ist, dass ein Suchender sagt "ICH will der Wahrheit näher kommen" - ist das anthro?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Aber einen gangbaren Weg zum Meer zu kennen, besagt auch, dass man sich mit dem Wasser des Meeres seinen Eimer füllen kann. Und dieses Wasser besitzt man dann – wenn auch nicht das ganze Meer.
Ja - im Wissen, dass es nur EIN Eimer von Aber-Trillionen Eimern ist. - Das erinnert mich gerade spontan an die "Gomer"-Geschichte im AT.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Wenn man die Lebensäußerungen der damaligen Epoche in den hermeneutischen Zirkel einfließen lässt, wird man jeden Denker nur gefärbt durch den jeweiligen Zeitgeist erfahren. Dabei müsste man doch annehmen, dass er die Grenzen desselben gerade überwinden konnte.
Wenn ich Dich recht verstehe: Das gibt es tatsächlich, aber nie "im Volk". --- Es wird auch in 1000 Jahren Leute geben, die sofort merken, dass Shakespeare und Bach etwas getan haben, was sofort wieder erkannt wird - auch nach 1000 Jahren. - Geist ist nicht beweisbar, sondern erkennt sich gegenseitig - zeitlos.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Möglich. - Da wäre es sehr hilfreich, wenn Du nicht nur zitieren und fragen würdest, sondern mal rauslassen würdest, was DUU denkst.
Das mache ich doch die ganze Zeit.
Heute, ja. - Ich verstehe zwar immer noch nicht, wo genau Du stehst, aber langsam sammelt sich etwas, um es herauszukriegen.
Nebenbei: Du schreibst heute (auf angenehme Weise) GANZ anders als sonst.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Wenn man dieses “steckt einfach drin” als Glaubensentscheid auffasst, gebe ich dir recht.
Das ist hier eher eine Praxis-Erfahrung. - Da kommt eine kasachische Künstlerin - wir kennen uns nicht - nach 1 Stunde sprechen wir über Themen, die man nur bespricht, wenn man sich schon "ewig" kennt. ---- Da kommt ein chinesischer Professor - wir kennen uns nicht - nach 1 Stunde sprechen wir über Themen, die man nur bespricht, wenn man sich schon "ewig" kennt. ----- Selbstverständlich klappt das oft auch NICHT.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Dann hätte ich auch endlich verstanden, was du mit Glaubensentscheid meinst.
Das ist etwas anderes, als das eben Thematisierte: "Glaubensentscheid" ist, wenn man etwas spürt/einen was zieht, das man nicht "nachweisen" kann, es aber trotzdem zu seiner Leitlinie macht ("Ich tue jetzt mal so, als sei das wahr"). - No risk, no fun.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 4. Sep 2019, 21:57
Welches ist die reale Welt? Nach der Hypothese von Descartes sind beide real.
So habe ich Descarte nie verstanden. --- Er selber hat die Res extensae NIE für nicht-real gehalten (aus Glaubensgründen/"Glaubensentscheid"), hat aber logisch erkannt, dass die "echte" Welt als solche nicht nachweisbar ist. - Mit anderen Worten: Wenn man die Welt so untersucht, als sei sie "echt", hat man nolens volens einen "Glaubensentscheid" voraus-zu-setzen - das wird heute kaum mehr erkannt.