Nun ja, es gibt schon einen entscheidenden Unterschied zwischen Meinongs Dschungel und dem platonischen Ideenreich. Wenn wir sagen: 1 + 2 + ⋯ + 𝑛 = 𝑛(𝑛+1)/2 gilt für alle natürlichen Zahlen 𝑛 … dann soll das zu den sicher gültigsten Wahrheiten gehören – gültig bevor man überhaupt in der Lage war allgemeine Aussagen der Zahlentheorie zu formulieren. Wenn man dagegen sagt: “Harry Potter hat eine Brille†haben wir kein Problem dies als bloße Redensart für “In der Geschichte von J. K. Rowling hat der fiktive Charakter ‘Harry Potter’ eine Brille†aufzufassen. Und dass der Satz vor der Veröffentlichung von “Harry Potter†falsch bzw. sinnlos war.Thaddäus hat geschrieben: ↑Sa 23. Mär 2019, 10:31Zahlen existieren in der Wirklichkeit, immer schon. Sie gehören zu dem Teil der Wirklichkeit, den wir mit unserem Denksinn erfassen können.
Das zumindest ist die Ansicht des Bonner Philosophen Markus Gabriel, dessen Erkenntnistheorie und Ontologie ich augenblicklich für die einleuchtendste und klügste halte.
Natürlich ist das ontologische Problem, was Wirklichkeit ist und wovon wir genau sprechen, wenn wir feststellen, dass etwas "existiert" weitaus komplexer und man muss sehr viel erläutern, will man die gabrielschen Überlegungen zum Thema zusammenhängend-verständlich ausbreiten. Aber der "Neue Realismus" oder "Neutrale Realismus", wie man ihn nennt, gehört zum Spannendsten und Interessantesten, womit man sich philosophisch gerade beschäftigen kann.
Das Grundproblem ist ein fest in unserer Gedankenwelt eingegrabener Irrtum, an dem maßgeblich Platon bzw. eher seine Rezeption in der Philosophiegeschichte Schuld ist. Der Gedanke nämlich, es gäbe einerseits die Welt der materiellen Dinge, die "wirklich" und "real" existieren und andererseits eine spukhafte geistige Welt der immateriellen Dinge wie Zahlen, fiktive Personen und Gegenstände wie Harry Potter, Pegasus oder Sherlock Holmes Pfeife, die irgendwie etwas weniger wirklich und real sind, als die Dinge, an denen man sich den Kopf stoßen oder über die man stolpern kann.
Theoretisch könnte man sich sogar den Luxus erlauben und “Harry Potter hat eine Brille†den Wahrheitswert ‘falsch’ zuzuweisen, da der Satz auf nichts referiert – eine unschöne Lösung, aber weder der philosophische noch wissenschaftliche Betrieb würde dadurch zusammenbrechen.
Das ist also die aristotelische Lösung, die mir auch sehr sympathisch ist. Der Haupteinwand ist halt, was dann mit Zahlen ist, die nicht auf diese Weise “instantiiert†(ah, das hört sich auch schon platonisch an – weiß aber nicht wie ich es sonst ausdrücken soll) sind? Oder selbst wenn sie es alle sind, d. h. das Universum unendlich viele Objekte enthält, es mit Sicherheit “mathematische Objekte†gibt, die nicht irgendwie in den Dingen vorliegen.Wenn man aber auf einer Hacienda in einen Pferdestall mit 5 Pferden kommt, dann sind da von Anfang an nicht nur der Stall, Boxen, Heu und 5 spezielle Ansammlungen von Atomen, die Pferde ergeben, sondern auch die Größenverhältnisse der Pferde zueinander, ihre unterschiedlichen Färbungen, ihre unterschiedlichen Charaktere und auch die Tatsache, dass es 5 sind, was wir mit dem Zahlzeichen "5" oder deutsch ausgeschrieben mit "fünf" wiedergeben. Dazu benötigen wir keinen speziellen platonischen Himmel, in dem unter anderem die Zahl 5 herumschwebt, die wir dann wie ein Etikett erhaschen. Das ist ja auch ein alberner Gedanke.
Es gehört schlicht zur Wirklichkeit, dass da 2 braune, 1 schwarzes und 2 weiß-gefleckte Pferde stehen. Nur deshalb können wir anfangen zu rechnen, wieviele Pferde noch in den Boxen sind, wenn ich die beiden braunen auf die Wiese führe.
Der andere Einwand ist, dass die Definitionen für “mathematische Objekte†als Eigenschaften (d. h. inklusive Relationen) schon in einfachsten Fällen extrem kompliziert wird. Im Fall einer natürlichen Zahl wäre das wohl “Die Relation zwischen einer Gesamtheit und der Eigenschaft, die die Elemente dieser Gesamtheit zu Einzeldingen macht†– im Stall sind ja fünf Pferde aber 10 Pferdeohren und 20 Pferdehufen. Wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob das reicht. Warum sollten Zahlen die einzigen Relationen sein, die zu dieser Definition passen?
Ein komplexerer Fall wären Mengen, u. a. da sie wiederum Mengen als Elemente enthalten können: {1, {1}}. Könnte man wenigstens Mengen in völliger Allgemeinheit sauber auf etwas Konkretes “reduzierenâ€, hätte man den Rest der Mathematik in der Tasche, da die Mathematik – so weit mir bekannt ist – komplett auf der Mengenlehre basiert.
Da hatte ich auch eine Diskussion mit unserer silbernen Kugel hier. Sowas ist aber genauso sinnlos wie mit closs: wenn jemand ihre eigene philosophische Position als “nicht philosophisch†in maximal diffuser Privatsprache (ohne Lust zu haben die verwendeten Geheimbegriffe zu definieren) und komplettem Ignorieren von Gegenargumente verkauft und dann höchste Präzision und demütiges Abarbeiten abstrusester, ja, dadaistisch anmutender Fragen vom Diskussionsgegner erwartet, während sie den konträren Standpunkt hochpolemisch als bloß “Philosophie†abtut und sich in blumigen Schimpftiraden über die bösen Philosophen ergeht, kann man sich das ganze sparen.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Leute sich online den “Sieg†herbei halluzinieren, wenn tatsächlich der Diskussionsgegner nur einfach irgendwann genug von ihrem Blödsinn hatte und sie allein im Regen stehen ließ.