Claymore hat geschrieben:Ich bezweifle das. Keine Ahnung, was an bayerischen Universitäten irgendwann mal dazu gelehrt wurde und ob du es richtig verstanden hast.
Umgekehrte Frage: Welchen Sinn macht "kritischer Rationalismus", wenn er dann doch Dinge untersucht, die NICHT falsifizierbar sind?
Hoppla - da gibt es schon eine Antwort: Man kann Dinge, die nicht falsifizierbar sind, auch kritisch rational untersuchen, wenn sich der Terminus "kritisch rational" auf die Argumentationsweise bezieht:
1) "Wir wollen wissen, ob es Gott gibt" ---- Gott ist nicht falsifizierbar, also als Objekt nicht kritisch-rational entscheidbar.
2) ABER: Die Argumentations-Führung selbst kann intersubjektiv überprüft werden, also falsifiziert werden, wenn sie nicht logisch im Sinne der hermeneutischen Vorannahmen ist.
Dies war damals bei uns in etwa die Begründung der Geisteswissenschaft, warum Geisteswissenschaft "WIssenschaft" ist, und warum der KR auch in der Geisteswissenschaft etwas zu tun hat. --- Dies aber wird heute weitgehend abgelehnt - dazu stellvertretend unsere Physikernin Janina, dernach Vorannahmen falsifizierbar sein müssen, damit man überhaupt von Wissenschaft sprechen könne. - Demnach wäre Popper (so wie WIR ihn damals gelernt haben) raus.
Claymore hat geschrieben:Du musst i.Ü. nicht aus Poppers Werk zitieren; Sekundärliteratur geht genauso.
Parat habe ich momentan nur die "Sekundärliteratur" der damaligen universitären Begründung in den GEISTESWISSENSCHAFTEN und der heutigen Begründung in den Naturwissenschaften, die anders lauten. - Ich kann mal wühlen, weiß aber noch nicht, wo ich anfangen soll.
Claymore hat geschrieben:Aber das findet man nicht durch Empirie heraus, sondern man liefert Beweise für einen Satz und dessen Negation.
Das wäre nah an unserer damaligen Begründung in den Geisteswissenschaften "Falsifizierung, wenn etwas nicht logisch im Sinne der hermeneutischen Vorannahmen ist".
Wenn wir da jetzt tiefer reingehen wollen, wird die Hauptarbeit sein, Popper und Popper-Rezeption (alias Instrumentalisierung) zu unterscheiden - das ist eine Habilitationsarbeit.
Claymore hat geschrieben:Und da es nun bei so einfachen Fragen schon hakt, was bringt es den Kritischen Rationalismus hier in die Diskussion einzuführen? Das schafft nur noch mehr Verwirrung.
Können wir uns sparen, wenn auf andere Weise folgendes Problem deutlich wird - nämlich:
Heute gilt im Allgemeinen (= öffentliche Wahrnehmung/mittlere intellektuelle SChicht - also fast alle) nur DAS als Wissenschaft, was Falsifizierbares behandelt. Gleichzeitig wird "wissenschaftliches Ergebnis" und "so ist es" (also Wahrnehmungs-Ebene und Seins-Ebene) gleichgeschaltet: "Methodisches Ergebnis = Tatsache/Faktum".
Dies hat aus meiner Sicht mit einem Missverständnis/einer Fehl-Rezeption von Popper zu tun, demnach man aus dem Satz "Wir untersuchen nur Falsifizierbares" gemacht hat "Was nicht falsifizierbar ist, 'ist' nicht". - Nach meiner Erinnerung ist hier Popper in SChutz zu nehmen, weil er sich vornehmlich als Methodiker verstanden hat ("Die Vorannahme ist, dass die Welt, so wie wir sie wahrnehmen, untersuchbar ist und nicht Produkt menschlicher Vorstellung ist - diese Art von Welt untersuche ich resp. der kritische Rationalismus") - ich kann mich NICHT erinnern, dass er gemeint hat: "Die Welt IST so und deshalb reicht meine Methodik aus, alles, was ist, zu untersuchen, da das, was ich nicht untersuchen kann, demgemäß nicht sein kann". - So wird es aber zeitgenössisch typischerweise philosophisch umgemodelt, was dann zur Schlussfolgerung führt, dass Gott als Entität nicht existieren kann, sondern nur "Einbildung" sein kann.
Das ist der Hintergrund für das Auftauchen des Begriffes "kritisch-rational", der gleichsam als Ticket d'entrée in jegliche Erkenntnis veredelt wird, weshalb alles andere "Geschwurbel" und "Esoterik" sei. --- Nun wird die echte intellektuelle Oberschicht dem nicht unbedingt folgen - aber diese hat keinen großen Einfluß auf das, was gesellschaftlich gilt. - Soweit zum Hintergrund für die Relevanz von Popper und Kritischer Rationalismus hier auf dem Forum.
Claymore hat geschrieben: Es geht hier schließlich nicht um Naturwissenschaft, sondern um Vernunft.
Dito. - "Vernünftig" sei nur das, was falsifizierbar, also kritisch-rational nachweisbar sei. - Dazu kommt übrigens noch die wichtige Frage: Von WELCHER Vernunft sprechen wir: Menschen-Vernunft (das, was wir können) oder universale Vernunft (das, was IST)?
Claymore hat geschrieben:Die Frage war, warum Popper nicht Naturwissenschaftler war – wenn er doch (angeblich!) meinte “er wolle nur untersuchen, was falsifizierbar ist.†– und stattdessen Philosoph?
Aus meiner Sicht ist er weder das eine noch das andere, sondern er ist Methodiker. - Wenn man natürlich "Methodiker" gleichsetzt mit "Philosoph", war er Philosoph (Sprache ist flexibel).
Ich habe gerade mal in "Gablers Wirtschafts <sic!>-Lexikon" geguckt - dort steht:
"Popper-Kriterium
von Popper, dem Begründer des Kritischen Rationalismus, formulierter Vorschlag zur Abgrenzung erfahrungswissenschaftlicher Aussagen. Gefordert wird, dass ein empirisch-wissenschaftliches System an der Realität scheitern können muss. Es handelt sich um die logische Eigenschaft der Falsifizierbarkeit bzw. Prüfbarkeit erfahrungswissenschaftlicher Aussagen"
Also nicht nur Natur-Wissenschaft, aber "empirische Wissenschaft" . Denn was anderes soll mit "erfahrungswissenschaftliche Aussagen" gemeint sein? --- Da waren "wir" jetzt wieder großzügiger in der Geistes-Wissenschaft, indem wir auch logische Aussagen miteinbezogen haben: "Ist etwas intersubjektiv als logsch konsistent nachweisbar?".
Claymore hat geschrieben:Von meiner Warte aus sollte man lieber allgemein verständlich sagen, was man meint, anstatt sich hinter halb-verstandenen buzzwords wie “kritisch-rational†zu verstecken.
Meinetwegen. - Aber dann kommt der Nächste und erzählt einem, dass Geistes-Wissenschaft keine Wissenschaft sei, weil sie dem den Wissenschafts-Theorien unterliegenden kritischen Rationalismus nicht gerecht werden würde - und dann sind wir wieder bei "buzzwords".
Im Grunde müsste man ja noch viel tiefer gehen:
1) Was ist "Realität"?
2) Was ist "Wirklichkeit"?
3) Was ist "Tatsache"?
Und dann nochmal unterteilt in: Wie ist das
a) wissenschafts-sprachlich
b) allgemein-sprachlich
gemeint. - Denn daran scheitern hier Diskussionen ständig.