Anton B. hat geschrieben:"Das Veto-Recht der Wirklichkeit", was soll das aber sein?
Wenn Du ein Modell zur Existenz von x widerlegst, x aber trotzdem existiert.
Anton B. hat geschrieben:Scheint mir eine andere, kritischere Einstellung zu sein.
Das ist nicht kritisch-ER, sondern etwas ganz anderes und gut so. - Du sagst doch selber, dass Wissenschaft und Wirklichkeit zwei Kategorien sind - mir geht es darum, genau daran festzuhalten. - Das heißt doch nicht, dass ich eine ANDERE Wirklichkeit postuliere, sondern nur, dass die Falsifizierung eines Modells etwas anderes ist als "es-IST-nicht".
Anton B. hat geschrieben:Härter: Die "methodischen Ergebnisse" sagen unmittelbar nichts über Deine "Wirklichkeit". Sie sagen etwas über Annahmen (Modelle), Korrelationen und Beobachtungen aus.
Eben - genau darauf will ich hinaus.
Anton B. hat geschrieben:Nur, weil vielerlei dieses Wissens so unmittelbar nützlich ist und der "kleine Mann" dies immer und immer wieder bestätigt bekommt, interpretiert er dieses Wissen dann als Abbild der Wirklichkeit.
Genau - und gegen diese "kleinen Männer" kämpfe ich die ganze Zeit an. - Konkret:
Die Tatsache, dass eine Wirkung von HP in den Modellen 1 - n falsifiziert sein kann, heißt nicht, dass HP keine Wirkung haben kann - genau so aber wird es kolportiert.
Anton B. hat geschrieben:Doch nicht die "Wirklichkeit ist auf Seiten der Betroffenen", sondern deren Empfinden, da wäre etwas.
Was ist "Wirklichkeit"? - In Bezug auf Patienten würde ich sagen, dass es für sie ein Wirklichkeits-Unterschied ist, ob sie kotzen oder lachen - auch wenn es ein Empfinden ist. - Nun kann man philosophisch oder wissenschaftlich "Wirklichkeit" ganz anders definieren - aber dann explodiert irgendwann die Sprache in sinnlose Teile.
Anton B. hat geschrieben:Das fängt damit an, dass sich die Beobachtungen, sobald sie systematischer erhoben werden, immer mehr von dem abweichen, was die Betroffenen berichten.
Natürlich gibt es so etwas - aber auch dann ist die Frage, ob beide Seiten vom Selben reden. - Als Frage formuliert: Wie bringt man Beobachtungen und Selbst-Wahrnehmung in Übereinstimmung? - Wie respektiert man, dass jemand nach 5 Jahren Krankheit seit 5 Jahren subjektiv gesund ist, selbst wenn systematische Beobachtungen zum Ergebnis kommen (ich überspitze): "Der Patient war systematisch gesehen die ersten 5 Jahre gesund und ist die letzten 5 Jahre krank - er hat nur umgekehrt empfunden". ---???---
Anton B. hat geschrieben:Warum denn nicht? Ist das sakrosankt? Wenn vernünftig begründet werden kann, dass der Inhalt der Empfindungen nicht durch systematischer aufgesetzte Beobachtungen nachvollzogen werden können, niemand, auch nicht die Betroffenen, Fehler aufzeigen können, dann lässt sich vernünftig begründet durchaus der Inhalt dieser Empfindungen in Frage stellen. Ich betone nochmal: VERNÜNFTIG BEGRÜNDET in Frage stellen.
"Vernünftig" ist zwar wichtig, aber doch in den Diensten des jeweiligen wissenschaftlichen Modells - oder nicht?
Anton B. hat geschrieben:Letzten Endes sagst Du ja nichts anderes, als dass "vernünftige Begründung" Humbug ist.
Nee - ich sage, dass "Vernunft" ein Handwerkszeug im Dienste eines jeweiligen Modells ist. - Wenn mein Modell ist, dass alle Estraterrestrials 4 Ohren haben, ist die Schlussfolgerung vernünftig, dass 10 Menschen 40 Ohren haben - ob sie richtig ist, ist vollkommen offen.
Anton B. hat geschrieben:Closs ..."Damit bin ich dann fein raus und brauche mir meine schönen Vorstellungen auch nicht madig machen zu lassen."
Du übersiehst etwas ganz Wesentliches: Ich HABE überhaupt keine Vorstellungen bzw. ich bestehe auch keinerlei Vorstellungen in Bezug auf das, was der Fall ist ("Wirklichkeit") - ich will nur, dass Wirklichkeit nicht zum Büttel von Vorstellungen wird. - Diese Gefahr besteht dann, wenn man wissenschaftliche Modell-Ergebnisse mit Wirklichkeit gleichsetzt - und genau das passiert ständig.
Anton B. hat geschrieben:closs: "Vernünftige Begründung endet an der Wirklichkeit".
So ähnlich - "sie findet ihren Meister in der Wirklichkeit" wäre mir lieber.
Anton B. hat geschrieben:closs: "Ich weiß nur nicht, was Wirklichkeit ist".
Das weiß NIEMAND. - Wir sind auf unsere Vorstellungen angewiesen und gehen mit ihnen pragmatisch um - Wissenschaft ist dabei sehr hilfreich.
Anton B. hat geschrieben:Naturwissenschaftler: "Vernünftige Begründung ist vernünftige Begründung. Eine vernünftige Begründung kann sich allerdings unter Umständen in der Zukunft als nicht mehr vernünftig heraus stellen.
Würde ich anders formulieren: Denn eine vorhergehende Begründung, die sich bei einem anderen Modell als falsch erweist, bleibt doch in ihrem ursprünglichen System vernünftig. - Das ist übrigens eine Grundlage der hegelschen Dialektik.
Für ein Kind ist es vernünftig, Gott als Mann mit Bart zu verstehen - für einen erwachsenen Intellektuellen stimmt das nicht mehr. - Trotzdem ist das Bart-Mann-Bild "aufhebungswürdig" im Sinne der hegelschen Dialektik. - Auch das Bohrsche Atommodell ist heute "unvernünftig" - aber es bleibt im Rahmen der damaligen Zeitbedingungen vernünftig.
Anton B. hat geschrieben:. Was soll Wissenschaft, was sollen Anton und die anderen im Forum jetzt dazu sagen? Sollen sie sich den kategorischen Imperativ des closs zu eigen machen?
Bei Aliens gibt es keine Betroffenen - in Sachen HP rennen sie überall rum - das ist schon ein großer Unterschied.
Heben wir es mal ab von Anton, Janina oder Closs ab und sehen den großen Kontext, zu dem das HP-Thema nur die Blaupause ist:
Da wird Wissenschaft gesellschaftlich so penetriert, als seien Modelle Träger der Wirklichkeit, was ja glasklar falsch ist - aber es kommt halt nachhaltig so rüber - Dem gegenüber stehen die Menschen, die wissenschaftliche Ergebnisse und Wirklichkeit in vielen Fällen überhaupt nicht als übereinstimmend nachvollziehen können und halten erst mal den Mund - man möchte ja nicht als wahrnehmungs-gestört stigmatisiert werden.
Dann häuft sich das, und man bekommt mit, dass es den anderen genauso geht. Und irgendwann steht man auf und wird als "unaufgeklärt" bezeichnet. - Dann wendet man sich ab (hier könnte man problemlos abzweigen ins Thema AfD). --- In anderen Worten: Weit mehr als 90% der Bevölkerung weiß nicht, was Wissenschaft ist und vor allem, was es NICHT ist - kein Wunder, wenn sogar Wissenschaftler den Eindruck erwecken, sie würden "Modell" und "Wirklichkeit", "methodische Ergebnisse" und "was ist wirklich?" nicht unterscheiden können (hier könnte man problemlos abzweigen ins Thema "Historisch-kritische Exegese").
Da wird wissenschaftlich verkündet, dass eine Schachtel Zigaretten 40 Euro zur Abdeckung aller volkswirtschaftlichen Raucherschäden kosten müsste - ebenso wird wissenschaftlich verkündet, dass es dann 4 Euro wären. - Da wird wissenschaftlich verkündet, dass knapp 40% aller inländischen Muslime extremistisch seien, obwohl das BKA von deutlich unter 1% spricht. - Alles wissenschaftlich - warum? Weil die Modelle unterschiedlich sind und somit die Ergebnisse daraus unterschiedlich sind. - Da geht es alltäglich Patienten gesundheitlich erheblich, manchmal dramatisch, besser, seitdem sie beim HP-Arzt sind - gleichzeitig wird ihnen erklärt, dass sie damit einer "Einbildung" aufsäßen.
Man könnte noch viele Beispiele sammeln, die im Ergebnis aufs selbe rauslaufen - nämlich: Eine Divergenz von methodischen Modell-Ergebnissen und Wirklichkeits-Empfinden. - Eine zeitlang kann man diese Divergenz zu Lasten der Menschen kommunizieren ("Da habt Ihr Euch verguckt") - aber ewig geht das nicht. - Und man braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Menschen plötzlich selber das in Anspruch nehmen, was man als Wissenschaftler meint, exklusiv gepachtet zu haben:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung".
Meine Empfehlung: Wissenschaftler sollten dafür sorgen, dass Wissenschaftliches in der Öffentlichkeit angemessen dargestellt und kommentiert wird. - Das heißt zu allererst: Modell-Ergebnisse ist nicht dasselbe wie Wirklichkeit.