closs hat geschrieben:
2) Selbst WENN die jungen Frauen lieber ohne Kopftuch herumlaufen wollten, wäre es nicht unsere Sache, dies zu ändern. - ICh kann mich erinnern, dass manche Kinder mit Lederhosen rumlaufen mussten, obwohl sie lieber Jeans getragen hätten - staatlicher Eingriff?
Ich habe gerne Lederhose getragen...
Aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich eine tragen musste, um mich als Menschen zweiter Klasse zu kennzeichnen. Wenn aber das Kopftuch den Frauen verordnet wird, ist das eine Deklassierung der Frau per se. Denn: sonst würden auch Männer ein Kopftuch tragen können.
Der Vergleich mit der Lederhose hinkt gewaltig.
Staatlicher Eingriff? Davon rede ich eigentlich gar nicht. Erst müsste mal die gesellschaftliche Einsicht kommen, dass Kopftücher ein Rückschritt in patriarchalische Normen sind. Es gab auch in der Frauenbewegung keine staatlichen Eingriffe zum Verbot des "kleinen Schwarzen". Brauchen wir auch nicht. Ich werbe nur für einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen.
closs hat geschrieben:
Man hat diese Daten gebraucht, um zielgruppengerecht bildlich anzusprechen. - Den Marketing-Agenturen kannst Du hier wirklich vertrauen, denn sie haben keinerlei ideologische Vorprägung, weil es NUR um Geld geht.
Und deshalb sind das die Letzten, denen ich trauen würde.
Da sitzt ein Statistiker in einem Marketingbüro, der gerne nackte Haut auf Plakaten sieht und entwickelt dann eine solche Untersuchung, die ihm die Mittel und Möglichkeiten dafür an die Hand gibt.
Das ist aber gar nicht die Frage. Unabhängig davon sind wir - glaube ich - darin einig, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt (zumindest anatomisch). Aber bedeutet das, dass wir Männer und Frauen deshalb ungleich behandeln sollten?
Anders gefragt: welcher spezifische Unterschied zwischen Frau und Mann rechtfertigt das Tragen des Kopftuches?
Wenn es eine entsprechende Rechtfertigung gibt, wundert mich, warum das Kopftuchgebot nicht allgemeinverbindlich ist. Da es aber nicht allgemeinverbindlich ist, muss ich davon ausgehen, dass eine Frau ohne Kopftuch ebenso "vollwertig" ist wie eine mit. Wozu also ein Kopftuchgebot?
Frage: sind Muslimas, die kein Kopftuch tragen, schlechtere Muslimas oder verraten sie damit ihre Kultur?
closs hat geschrieben:Richtig - aber das geschah vor dem Hintergrund eines "Krieges" zwischen Islamismus und Säkularstaatlichkeit - das haben wir bei uns nicht. - Atatürks Staat war nie freiheitlich demokratisch, sondern eher autoritär westlich.
Und dieser Krieg zwischen Islamismus und Säkularsystem ist friedlich beendet worden? Ich vermute, er geht munter weiter - vornehmlich in den islamischen Ländern, aber mit starker Tendenz, sich nach Westen auszubreiten.
Dieser Systemkrieg ist in Wirklichkeit in vollem Gange - der Islamismus hat allerding einige entscheidende Schlachten gewonnen und deshalb sind wir offenbar geneigt, klein beizugeben.
closs hat geschrieben:PeB hat geschrieben:Die gleichen Leute, die das Abhängen von Kreuzen in Gerichtssälen betreiben, sind oftmals auch die, die das Kopftuch als gern gesehen in den Verwaltungen propagieren.
Stimmt - woran man sieht, wie bescheuert ideologische Menschen sind.
Genau, damit kommen wir der Sache nahe!
Denn wie ist der Name der Ideologie, die Frauen das Kopftuch vorschreibt? Islamismus!
Es lässt sich doch eindeutig korrelieren, dass das Erstarken fundamentalistischer islamistischer Ideologien mit der Zunahme konservativer Kleidervorschriften in islamischen Gesellschaften Hand in Hand geht.
BTW: vor 100 Jahren war es üblich, kleine Kinder beim Essen am Stuhl festzubinden, damit sie nicht rumzappelten und aufaßen. Ich unterstelle sogar, dass man geglaubt hat, dies sei zum Wohle der Kinder. Heute wissen wir es - gottseidank - besser. Ähnliche Erkenntnisse hat unsere Gesellschaft in Bezug auf geschlechtersprezifische Kleidervorschriften gewonnen. Deshalb ist es mir rätselhaft, wie ein aufgeklärter Mensch wie du derart diskriminierende Kenntlichmachungen verteidigen kann. Ich will den Vergleich nicht überreizen, aber doch darauf hinweisen, dass im Mittelalter Juden aus dem gleichen Grund einen spitzen Hut tragen mussten.
closs hat geschrieben:Und da kommt wieder die Frage: Welche Kultur hat Deutschland, wenn man damit NICHT die regionalen Kulturen meint? - Ich kenne keine "gesamtdeutsche" Kultur, außer der überregionalen Kirchen-Kultur, der literarischen Kultur und der grundgesetzlichen Kultur.
Ich kenne schon eine deutsche Kultur, die über die deutschen Philosophen, Theologen, Schriftsteller und Wissenschaftler zu unserem heutigen Gesellschaftsbild hingeführt hat. Ich verstehe "Kultur" nicht als Synonym für "Trachtengruppe". Du hast recht, dass es in den verschiedenen deutschen Regionen unterschiedliche Kulturtraditionen gibt, aber es gibt auch eine übergeordnete. Wenn du sie nicht "deutsch" nennen willst, dann nenne sie "mitteleuropäisch". Ich habe kein Problem damit. Aber die Änderung der Begrifflichkeit führt natürlich genau zu dem, was du hier dargestellt hast: die Vermutung es gäbe keine "deutsche Kultur", weil wir den Begriff "deutsch" hinterfragen.
Das ist durchaus auch in Ordnung. Ich brauche keine "deutsche Identität", ich weiß aber, dass ich eine kulturelle Identität mit anderen Mitteleuropäern teile. Diese Identität ist über rund 1500 Jahre gewachsen und hat sich evolutionär entwickelt. Ich möchte sie ungern in einem Anfall von Übertoleranz aufgeben und mich einer Kulturtradition anschließen, die mir kulturell fremd ist - nur weil sie momentan stärker ist.
closs hat geschrieben:Das ist doch das, was viele befragte Ausländer ständig dagegenfragen: "In WAS sollen wir uns denn integrieren?".
In DAS, was Zuwanderer gewählt haben, als sie dieses Land als neue Heimat gewählt haben.
Es gibt doch zwei Möglichkeiten:
- entweder integrieren Zuwanderer sich in unsere Gesellschaft oder
- unsere Gesellschaft passt sich der Zuwanderung an.
Dass sich Gesellschaft trotzdem weiter entwickelt unter dem Eindruck neuer Impulse, bleibt davon unbetroffen. Die Frage ist nur, ob neue Impulse reflektiert oder unkritisch aufgenommen werden.
closs hat geschrieben:Richtig - aber es kann NICHT sein, dass dann jeder beansprucht, das Andere sei rücksichtslos ihm gegenüber: "Ich finde saarländischen Dialekt und saarländische Tracht rücksichtslos mir gegenüber - bitte weg damit". - Hä?
Es geht aber nicht bloß um Dialekt und Tracht, sondern um die Frage eines respektvollen, gleichberechtigten Umgangs miteinander.
Wenn es einen Anlass gibt zu vermuten, dass saarländischer Dialekt oder saarländische Tracht diesem Grundsatz entgegenstehen, dann sollte man in der Tat darüber reden.
Würde beispielsweise eine Bewegung aufkommen, die propagiert, dass eine "gute Saarländerin" einen Ring Lyoner (Fleischwurst) um den Hals tragen muss, würde ich das auf jeden Fall hinterfragen wollen.
Eine andere Angelegenheit ist tatsächlich eine Besonderheit im Dialekt, in dem die Frau "versächlicht" wird: Es Hilde.
Der Saarländer stellt Anderen seine Frau mit den Worten "Das do is meins!" vor. Natürlich klingt das in den Ohren Außenstehender diskreditierend und respektlos gegenüber Frauen (ist aber eigentlich eine Liebesbezeugung). Und das wird auch hinterfragt. Deshalb benutzt der Saaländer diese Wendung auch nur in dem Umfeld, wo sie kulturelle Akzeptanz findet und verstanden wird. Im öffentlichen Raum wird er seine Frau also ganz normal vorstellen: "Darf ich Ihnen meine Frau, Hilde, vorstellen?"
Mehr will ich nicht. Den Sachverhalt "Kopftuch" sollte man reflektieren und ich erwarte von muslimischen Frauen (und Männern), dass sie im öffentlichen Umfeld auf entsprechende Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, so wie sie von uns erwarten können, dass wir auf ihre Befindlichkeiten Rücksicht nehmen.