Das ist etwas komplizierter: Strenggenommen war der Tod der Tochter Folge eines Handelns GEGEN Gott.Zeus hat geschrieben:Es wird mit keinem Wort in den betreffenden Bibelstellen auch nur angedeutet, dass der tolle Jephtah etwas ungewöhnliches oder gar unerlaubtes tat, als er seine Tochter ermordete.
Rich. 11,30 "Jiftach legte dem Herrn ein Gelübde ab"
Für den Fall, dass Jiftach gegen die Ammoniter obsiegen würde, gelobt er, das erste, was ihm bei seiner Heimkehr entgegenkäme, Gott zu opfern ( vgl. 11,31). Als Jiftach nach erfolgtem Sieg nach Hause kommt, kommt ihm als erstes „seine Tochter entgegen, … sein einziges Kind“ (11,34) und Jiftach „tat an ihr sein Gelübde“ (Buber: 11,39), opferte sie also Gott.
Festzuhalten ist, dass Gott weder das Aussprechen noch das Durchführen des Gelübdes anordnet. Festzuhalten ist weiterhin, dass Jiftach sich nicht an Gott wendet, als es das Gelübde einzulösen gilt. – Spirituell ist eine Parallele zu zwei Szenen naheliegend, die Mose und Aaron sowie Gideon betreffen.
Die erste Szene betrifft „das Wasser aus dem Felsen“ (Num. 20,1 – 29), in der Gott den Mose und Aaron bevollmächtigt, „zu dem Felsen“ zu sagen, „er solle sein Wasser fließen lassen“ (Num. 20,8). Ontologisch transformieren Mose und Aaron diese gegebene Vollmacht gegenüber ihrem Publikum jedoch in eine Eigenleistung, indem sie rhetorisch fragen: „Können wir Euch wohl aus diesem Felsen Wasser fließen lassen?“ (Num. 20,10) - durch das „wir können“ ersetzen sie jedoch das „Gott kann“ und machen sich somit einer satanischen Sinnbrechung schuldig. Daraufhin bestraft Gott Mose und Aaron, weil „Ihr meinem Mund widerstrebtet“ (Buber: 20,24) – was hier nicht zu interpretieren ist im Sinne eines Ungehorsams, sondern eines „Aus-Gottes-Mund-in-den-eigenen-Mund“-Legens.
Die zweite Szene betrifft Gideons „Efod“ (8,27), den er aus vom Publikum eingesammeltem Gold machen lässt und der weiterhin in der Folge als Kultgegenstand für Abgötterei verwendet wird (vgl. zu 8,27). Kurz zuvor hat Gideon noch gesagt: „Ich will nicht über Euch herrschen …; der Herr soll über Euch herrschen“ (8,23). Dieses „Aus-Gottes-Hand-in-die-eigene-Hand“-Legen (erst die Selbstaufgabe für Gott, dann das eigenmächtige Erstellen eines Abgott-Gegenstands) „brachte Gideon und sein Haus zu Fall“ (8,27).
Hier bei Jiftach geschieht etwas Vergleichbares: Zunächst kommt „der Geist des Herrn (Buber: „Geistbraus“) über Jiftach“ (11,29) – er ist also bevollmächtigt, im Namen Gottes gegen die Ammoniter zu kämpfen. Jiftach versucht diese Vollmacht jedoch mit eigenen Mitteln durch ein ungefragtes eigenes Gelübde noch werthaltiger zu machen, mit dem er sich zudem selbst zum Vollmachtgeber macht, indem er dem Gelübde nicht einen konkreten Inhalt gibt, etwa indem er ein Tieropfer gelobt, sondern er es dem selbst forcierten Zufall überlässt, wer oder was das Opfer dieses Gelübdes sein wird, was dann unglücklicherweise seine einzige Tochter ist – auch hier führt ein „Aus-Gottes-Hand-in-die-eigene-Hand“-Legen „ins Unglück“ (11,35).
Bemerkenswerterweise führt die mit dem „In-die-eigene-Hand“-Legen verbundene Egozentrik bei Jiftach zu einer folgerichtigen (Fehl-) Einschätzung der Lage: „Weh, meine Tochter, Du stürzest mich hin, wirst mir, Du, zur Zerrüttung! … Ich kann nicht zurück.“ (Buber:11,35). Jiftach kommt also gar nicht auf die Idee, Gott zu fragen, ob er nicht vielleicht doch „zurück“ könne!
Daseins-orientiert erscheint diese Episode andererseits interpretierbar als Widerhall an das Motiv der Prüfung Abrahams in Bezug auf dessen Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern (vgl. zu Gen. 22,1). Dementsprechend erscheint die Sprachführung hier in der Jiftach-Episode weniger dramatisch als vielmehr fromm: Die erste Reaktion der Tochter erscheint wie ein fromm-nüchtern anmutendes: „Mein Vater, wenn Du dem Herrn … etwas versprochen hast, dann tu mit mir, was Du versprochen hast“ (11,36) und der Vater „tat mit ihr, was er gelobt hatte“ (11,39). - Verstärkt wird der Eindruck, dass diese Episode von den Israeliten als Ausdruck sich hingebenden, gottgefälligen Tuns verstanden wurde, dadurch, dass das von der Tochter vor ihrer Opferung auserbetene Beweinen „ihrer Jugend in den Bergen“ „mit ihren Freundinnen“ (11,38) zu einem „Brauch in Israel“ (11,39) wurde, bei dem „die Töchter Israels (in die Berge) gehen und die Tochter des Gileaditers Jiftach beklagen“ (11,40).
Ohne weitere Interpretation zeigt diese Episode, dass einerseits spirituelle und andererseits daseins-orientierte bzw. offiziell religiöse Bewertungen einer Geschichte diametral sein können. Insofern ist auch für Interpretationen an sich das Motiv des „Aus-Gottes-Hand-in-die-eigene-Hand“-Legens anwendbar. Konkret: Folgt man der ontologisch-spirituellen Interpretation dieser Episode, ist die offizielle theologische Bewertung, wie sie im Text mit dem frommen Feiern eines sich – wie wir meinen: nur scheinbar – Gott aufopfernden Vaters und dessen Kindes zum Ausdruck kommt, Folge einer satanischer Sinnbrechung der göttlichen Absicht ( vgl. auch zu Lamech (Gen. 4,24)).
Auf gut deutsch: Der Tod der Tochter ist Folge eines eigenmächtigen Gottes-Verständnisses GEGEN Gottes Wille.
Bei Abraham/Isaak ist es etwas schwieriger: Hier geht es um die Unterwerfung unter den göttlichen Willen an sich (vgl. Hiob). - Und auch hier besteht die große Gefahr, dass die spirituelle Geste vom Menschen missverstanden oder gar missbraucht wird (das gilt auch noch für heutige Exegese). - So gesehen ist die Jiftach-Geschichte eine Folge des (schon damals) falschen Schrift-Verständnisses.