Guten Morgen Novalis,
wieder einmal sind wir einander wunderbar einig und uneins zugleich
Auch ich sehe die Ähnlichkeit zwischen den Religionen und die Wahrheit, die in verschiedenen Lehren verkörpert ist. Jedoch führe ich dies nicht auf die mehr oder weniger enge Verwandtschaft zu einer "unverfälschten Urreligion" zurück, sondern darauf, dass sich Menschen nun einmal in vielen Dingen grundlegend ähnlich sind und dass es mannigfache Beziehungen und Austausch zwischen den Kulturen auch schon im Altertum gab.
Novalis hat geschrieben: Ich finde gerade den Universalismus des Islam faszinierend. Wenn es nur irgendeine arabische Wüstenreligion wäre, so wäre er für mich vollkommen uninteressant. Ich gehe davon aus, dass jene Religion der Wahrheit besonders nahe ist und rechtmäßig beanspruchen kann die authentische Religion Gottes zu sein, welche den größten Grad an Universalität erreicht hat, um auf diese Weise möglichst viele „Teilwahrheiten“ zu umfassen und integrieren. In einer globalisierten Welt wird das in Zukunft immer wichtiger.
Ja, aber du gehst auch davon aus, dass es eine allgemeine, objektive Wahrheit in der Religion GIBT. Das glaube ich nicht. Ich denke, Religion im Sinne eines menschlichen Glaubens muss immer eine Metapher sein, immer nur ein VERSUCH bleiben, das ungreifbare zu greifen.
Aus diesem Grund kann Religion für mich ruhig bunt und pluralistisch sein, ohne dass die eine vor der anderen einen mehr oder weniger großen Grad an "Wahrheit" beanspruchen kann. Denn jede menschliche Erkenntnis ist subjektiv und bruchstückhaft.
Jeder kann letztlich nur, gemäß der Lessing'schen Ringparabel, die Kraft der eigenen Religion am Beispiel des eigenen vorbildlichen Lebens und Strebens zu erweisen suchen.
Novalis hat geschrieben: Ich gehe davon aus, dass der Schöpfer zu den Menschen aller Nationen und Stämme, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Gesandte und Propheten schickte. Demnach sind sie mit Sicherheit ebenso unter den Heiden erschienen, seien es nun Kelten und Germanen, das alte Ägypten, China oder Indien.
Dann gebe ich dir hier ein "Schmankerl", das zu deiner Theorie gut passt. Eines der schönsten Stückchen Lobpreis für den Schöpfer, den ich in der Weltliteratur überhaupt kenne - und fast vollkommen im Sinne eines Universalen Monotheismus.
Aus dem "Kairener Amunshymnus", der Übersetzung Jan Assmanns folgend:
Du bist der Eine, der alles Seiende geschaffen hat
der Eine Einsame, der schuf, was ist.
Die Menschen gingen aus seinen Augen hervor
und die Götter entstanden aus seinem Mund (1)
Der die Kräuter erschafft, die das Vieh am Leben erhalten
und den „Lebensbaum“ für die Menschheit
Der hervorbringt, wovon die Fische im Fluss leben
und die Vögel, die den Himmel bevölkern
Der dem, der im Ei ist, Luft gibt
und das Junge der Schlange am Leben erhält.
Der erschafft, wovon die Mücke lebt
Würmer und Flöhe gleichermaßen
Der für die Mäuse in ihren Löchern sorgt
und die Käfer(?) am Leben hält in jeglichem Holz
Sei gegrüßt, der dies alles erschaffen hat,
der Eine Einzige mit seinen vielen Armen
der die Nacht wachend verbringt, wenn alle Welt schläft
und sucht, was seiner Herde wohl tut. (2)
Amun, bleibend an allen Dingen,
Atum, Horus der zwei Horizonte (3)
Preis sei Dir mit dem, was sie alle dir sagen:
Jauchzen Dir, weil du dich abgemüht hast mit uns,
Die Erde küssen vor Dir, weil du uns erschaffen hast.
„Sei gegrüßt!“ rufen alle Wildtiere
„Jubel Dir!“ ruft jedes Fremdland
So hoch der Himmel ist, so weit die Erde
und so tief der Ozean.
(1) eine Anspielung auf den heliopolitanischen Schöpfungsmythos, wonach Atum die ersten beiden Götter Schu und Tefnut durch ausniesen und ausspucken erschuf (Was weniger "eklig" gemeint ist, als es klingt. in der überraschend schamanistischen Magie Ägyptens war "spucken" ein mächtiger magischer Akt. Außerdem wir im Mythos Schu mit "Leben" und Tefnut mit "Ma'at" explizit gleichgesetzt, der Urgott erschafft also zuerst die Lebensenergie Anch und die göttliche Ordnung Ma'at) Die Menschen dagegen sind ein Wortspiel, da "remetj"=Mensch und "remetj"=Träne ägyptisch fast gleich klingen.
(2) Man beachte das Motiv des "guten Hirten"... auch keine christliche Erfindung
(3) wenn wir die Götternamen in ihrer Wortbedeutung übersetzen, dann ähneln sie durchaus den vielen Namen Allahs: Amun=der Verborgene, Atum= der Vollendete/der Vollkommene, Horus=der Erhöhte (aus hrj=oberhalb, darüber)
Wenn du betest: "Verborgener, bleibend an an allen Dingen, Vollkommener, erhöht über den beiden Horizonten" hast du eine durchaus monotheistische Version
Ich mag diese Stelle sehr, da sie einerseits den Schöpfer der ganzen Welt lobt, andererseits bei den Beispielen seiner Schöpfung nicht die großen Dinge (Sonne, Mond, Menschen), sondern die allerkleinsten hervorhebt ("das, wovon Würmer und Flöhe leben").
Novalis hat geschrieben: Es heißt übrigens, dass die islamische Mystik der Sufis unteranderem auch Wurzeln in der ägyptischen Religion hat. Sie reicht zurück in die vorislamische Zeit. Ich dachte mir, dass Dich diese Information interessieren könnte. Die Sufis gehören zu Ägypten wie der Nil und die Pyramiden von Gizeh. Das ägyptische Erbe lebt darin fort.
Hmmm, in der Tat interessant. Ich sehe auf Anhieb nicht so viel spezifische Übereinstimmung, aber ich forsche da gerne einmal nach.
liebe Grüße
Mirjam