Hallo Novalis, hallo liebes Forum
Ich möchte mich gerne noch einmal auf das Eröffnungsposting beziehen. In einigen Punkten stimme ich Novalis voll zu, jedoch ziehe ich für mich daraus andere Konsequenzen.
Novalis, ich habe die Zitate aus deinem Post gekürzt entnommen und z.T. umsortiert, ich hoffe, ich habe den Sinn dadurch nicht entstellt.
Novalis hat geschrieben:
Mich persönlich erstaunt es, wenn religiöse Menschen einfach davon ausgehen, dass ihr Gotteskonzept richtig ist: denn ein absolutes, ewiges, allumfassendes, grenzenloses und unendliches Wesen transzendiert alle Konzepte und passt in keine Definition.
Schön formuliert, und im Großen und Ganzen auch meine Meinung.
Wie kommen wir kleinen, begrenzten Menschengeister auf die Idee, dass gerade unser eigenes, notwendig subjektives, Verstehen und Erfahren, die Gottheit "richtig" erkannt hat?
Gott ist "akbar" - größer.
(Um das hierbei noch vorweg zu stellen: ich möchte hier meine persönlichen Ansichten, Schlussfolgerungen und Erfahrung darstellen - ich hege damit keinen Anspruch auf objektive oder gar absolute Wahrheit.)
Novalis hat geschrieben:
Wer es doch versucht, erschafft sich sein eigenes Götzenbild und verfällt dem Anthropomorphismus.
Novalis hat geschrieben: Schon der antike Dichter Xenophanes bemerkt in einem berühmten Gedicht, dass Menschen ihre Götter je nach ihrem eigenen Bilde erschaffen
Zweifellos korrekt: jede menschliche Wahrnehmung und Vorstellung ist ja "gefiltert" und begrenzt: durch unsere Unterbewusstes, durch unsere Sinnesorgane und durch unsere Erfahrungen und Erinnerungen. Somit ist aber unser "eigenes Bild" gewissermaßen die einzige Gussform, die uns zur Gestaltung eines Gotteskonzeptes zur Verfügung steht.
Und hier kommt meine Abweichung zu Novalis' Meinung: Ich denke, dieser Anthropomorphismus ist nicht notwendig etwas Schlechtes - solange er reflektiert wahrgenommen wird.
Novalis hat geschrieben: ...Ein alle Vorstellungen übersteigendes reines Geistwesen absoluter Transzendenz (griech. νοῦς, nous) welches durch menschliches Reden über Gott unweigerlich begrenzt und niemals erfasst werden kann. In seinen Göttern malet sich der Mensch, so heißt es. Dieser Anthropomorphismus ist für den modernen Menschen nicht mehr akzeptabel, weil er als Projektion durchschaut wird
Für den Geist des modernen aufgeklärten Menschen ist das vielleicht so: Die Vernunft durchschaut die Projektion, entlarvt die Mythen als Archetypen menschlichen, nicht göttlichen Verhaltens und Verstehens.
Aber ist der ganz und gar gestaltlose, transzendente Gott die einzig logische Konsequenz dieser Erkenntnis?
Ich denke nicht. Glaube ist für mich eine Sache des ganzen Menschen. Geist, Leib, Herz und Seele. Und unser Herz und Gefühl tun sich recht schwer mit so einem fremden, im Wortsinne "unbegreiflichen" Gott.
Novalis, du meinst ja selbst, dass sogar der erhabene Koran Metaphern benutzt, wie das "Antlitz" Gottes, um den Menschen den Sinn leichter verständlich zu machen.
Kann man nicht auch die als "Vermenschlicht" kritisierten Gotteskonzepte an sich als Metapher verstehen?
Jesus von Nazareth hat nicht umsonst gerade durch seine anschaulichen Gleichnisse seine Anhänger begeistert.
Und solch abstrakte Themen wie Gottheit, Ewigkeit, Wahrheit, Lebenssinn - sind wir nicht geradezu auf Metaphern angewiesen, um uns diesen Konzepten auch nur anzunähern?
Um jetzt nicht zu weit auszuschweifen bleibe ich beim Christentum als Beispiel: Ich sehe nichts verwerfliches an einen "lieben Gott" der als Großvater mit Rauschebart gedacht wird, oder an einem "süßen Jesulein" in der Krippe. Warum sollen sich die Menschen in Gebet und Meditation nicht einer "Mutter Maria" zuwenden, die ihnen und ihrer Erfahrungswelt und Lebenssituation nun einmal näher steht?
Gestalten also, die uns gerade durch ich menschlichen Aspekte Vertrautheit und Trost bieten.
Der Anspruch, den ich an jede Form von Glauben und Religion stelle, ist lediglich , dass man sich und sein Glaubenssystem stets prüft und reflektiert.
Ein unreflektierte Anthropomorphismus ist meiner Meinung nach zwar sehr naiv, aber noch nicht unbedingt gefährlich oder falsch.
Ich selbst hänge einer Art reflektierter Vermenschlichung an: Ich erkenne die Gottheit in vielfältiger, teilweise auch vermenschlichter Gestalt.
Ich bin mir dabei aber stets bewusst, dass ich immer nur einen Teilaspekt sehe, nie das Ganze.
Anstatt jede Art von menschlicher Gestalt und Regung aus meinem Gottesverständnis fernzuhalten, versuche ich eher, mich dem Unerklärlichen durch eine große Fülle von Bildern und Vergleichen anzunähern.
Und ich versuche mir immer bewusst zu sein, dass ich stets in meiner subjektiven, menschlich begrenzten Sicht verhaftet bin.
Liebe Grüße,
Mirjam