West und Ost, Christentum und Islam stehen einander wie Feinde gegenüber. 1300 Jahre lang wurde es versäumt, von Mohammed und seiner reinen Sicht auf Allah zu lernen. Die SN (Salzburger Nachrichten) sprachen mit dem Theologen, Psychotherapeuten und Erfolgsautor Eugen Drewermann über Krieg, Religion und ein völlig anderes Verständnis des Islam.
SN: Wir stehen derzeit fassungslos vor Kriegen, in denen Religion eine große Rolle spielt. Woher kommt diese Potential der Religion zum Krieg?
Drewermann: Man kann Menschen nur töten in Serie, wenn man dafür absolute Rechtfertigungen hat. Die Absolutsetzung der Ziele hat immer etwas Religiöses, Totalitäres und Endgültiges. Historisch war die Religion der Ort für das Motiv, zum Äußersten zu schreiten, um etwas absolut zu verteidigen: In Gestalt der eigenen Glaubensüberlieferung, der eigenen Kulturwerte, der eigenen ethischen Tradition. Wir sehen mit Blick auf den Islam oder Krieg zwischen Palästina und den Juden sehr stark den Zustand einer solchen Religion, aus dem wir in Europa nach der Aufklärung großenteils herausgewachsen sind. Aber vergessen wir nicht, wir hatten in Spanien einen Bürgerkrieg, der im Letzten auch religiös motiviert war: Katholizismus gegen Sozialismus. Wir haben, kulturkritisch betrachtet, vielleicht auf Mahatma Gandhi zu hören, dem einzigen Politiker im 20. Jahrhundert, der den Wahn des Kriegs so begriffen hat, dass er vermied, die Hand an eine Waffe zu legen. Gandhi konnte schon vor 80 Jahren sagen, es hat ein Christentum im Abendland nie gegeben. Sonst wären von dort nicht immer wieder die schlimmsten Kriege ausgegangen. Gandhi wollte sagen, eine Religion, mit der man Krieg führt, widerlegt sich selbst. Von Gott reden kann man nur, wenn es Menschen zusammenführt, nicht spaltet, wenn es versöhnt und nicht mobilisiert bis zur wechselseitigen Vernichtung.
Aber derselbe Gandhi konnte noch hinzufügen, in Europa glaube man nicht länger an Gott. Wir in Europa glauben nicht mehr an eine Religion in dieser Art, wir haben an ihre Stelle andere, nicht weniger gefährliche, in jedem Falle zynisch erscheinende Werte gesetzt: Geld, Ressourcenzugriff, Handelswege, Absatzmärkte, geostrategische Machtgewinne. Das sind, wenn man die Maske der Propaganda wegnimmt, die wirklichen Ziele, weswegen wir Krieg führen, verbrämt mit humanen Zielgebungen.
Ist die säkularisierte Religion die des Marktes? Und das unter hehren Vorzeichen?
SN: Das Pentagon weiß, dass man Kriege akzeptabel reden kann, wenn man die Frauen überzeugt. Also gingen wir 2001 allen Ernstes nach Afghanistan zur Befreiung von Frauen. Die Burka wollten wir abschaffen. Dass wir das Desaster im Irak mit Lügen von Massenvernichtungswaffen angerichtet haben, die allenfalls dort hätten sein können, wenn die Amerikaner sie selbst geliefert hätten, wird vergessen. Schuld sind die Islamisten, nicht die Neokonservativen mit ihrem Ziel, im ganzen Nahen Osten einen Regimewechsel herbeizuführen.
Das ist die säkularisierte Form von Religion. Die biblischen Propheten würden vom Baals-Kult reden. Auch das ist eine Religion, wir betrachten sie nur nicht so. Wir bringen ihr Hekatomben von Opfern. Mit bestem Gewissen. Wir tun es nicht für Allah, wir tun es durch die Vernichtung. Ohne Skrupel. Wir sind an der Nahrungsmittelbörse in Chicago dabei, mit dem Hunger Geschäfte zu machen. Das kostet Millionen Menschen das Leben. Wir finden nichts dabei. Es ist normal.
Heute lebt das römische Wort auf: Wenn Du den Frieden willst, rüste für den Krieg.
SN: Wir kehren zurück in den Status des Kalten Kriegs, nicht weil die Russen es wollten, nicht weil die Menschen es wollten. Aber weil die Machtpolitik vor allem der Amerikaner, angeschlossen der Briten, in Gestalt der NATO dazu nötigt. Wobei die Europäer in die Pflicht genommen werden, die untragbare Rüstungslast der Amerikaner wenigstens ein Stück zu minimieren. Amerika ist völlig pleite, auch die können sich nicht 700 Milliarden Dollar jedes Jahr nur für Rüstung leisten, mehr als der Rest der Menschheit. Wir provozieren mit unserer offensiven Machtstrategie nichts anderes als Feindschaft, die wir dann den anderen anlasten. Da fängt man beinahe an, diejenigen zu beneiden, die als Muslime noch an etwas glauben.
SN: Das ist allerdings auch ein Glaube, der junge Menschen verführt, mit Begeisterung in einen Krieg zu gehen. Was passiert in diesen Seelen? Der Krieg ist eine Pathologie der menschlichen Seele. Wir haben es zu tun mit der hohen Ansteckungsgefahr dieser Seuche, die der Krieg ist. Man glaubt, etwas Richtiges zu tun, indem man sogar sein eigenes Leben bereit ist wegzuwerfen. Aber dass Muslime so glauben – unsere Sache, unsere muslimische Tradition ist unendlich viel besser als die Korruption des Westens – hat Erfahrungswerte. In der Kolonialzeit haben wir Araber nicht als Araber gesehen. Wir haben ihre Religion lächerlich gemacht und ihren Stolz beleidigt. Wir haben die Versprechen am Ende des Ersten Weltkriegs, die Araber bekämen ein geordnetes Staatswesen in einer eigenen Regierung, Lügen gestraft. Briten und Franzosen teilten sich das Terrain. Sie waren die Kriegsgewinnler an der Westfront. Das alles musste man im Nahen Osten hinnehmen. Ich drehe das Ganze einmal in die Perspektive eines gläubigen Muslims und frage mich, was wir Christen tun müssten, um dem Angebot, vielleicht auch der Herausforderung der Religion Mohammeds zu entsprechen und konstruktiv damit umzugehen: Der Islam begreift sich als die letzte Offenbarungsreligion. Im 7. Jahrhundert nach Christus entdeckt Mohammed etwas religionsgeschichtlich überaus Wichtiges: Dass die Christen Dogmen auf Gott gelegt und mit Christus in Verbindung gebracht haben. Wenn wir religionsgeschichtlich exakt sprechen, müssten wir sagen, die Christen haben die Gestalt des Jesus von Nazareth mit den Mythen der Religionsgeschichte des Vorderen Orients, insbesondere des antiken Ägyptens, begrifflich umkleidet. Und sie haben die Bilder, mit denen man die Gestalt Jesu deutete, als Selbstoffenbarung Gottes, als Mitteilung seines eigenen Wesens metaphysisch dogmatisiert. Vereinfachend gesagt hat Mohammed dazu erklärt, dass diese Bilder alle zu den Tausenden Namen Allahs gehören. Nützlich vielleicht, um sich Gott vorzustellen, aber nicht zu verwechseln mit Gott selbst. Das ist ein riesiges Angebot, die Überlieferung Jesu auf den Kern zurückzubringen, der ganz und gar prophetisch ist, es ist ein Angebot, unmittelbar auf Gott hinzuweisen und die Fenster nicht länger mit Bildern zu verkleben, sondern durchsichtig zum Himmel zu machen.
Dieses Geschenk wollte Mohammed dem Christentum, den Schriftbesitzern, auch den Juden, im Namen Allahs zurückgeben. Und wo er recht hat, hat er recht. Davon könnten wir lernen. Wenn wir irgendeinen Kirchenvertreter einmal hätten, der nur so spräche: Wir Christen lernen jetzt – wir hätten es schon seit 1300 Jahren lernen können – von euch Muslimen, Gott reiner zu sehen, unverstellter, mystischer, wie eure großen Weisen. Was für ein Gespräch zwischen Muslimen und Christen, zwischen Orient und Abendland, käme doch dadurch zustande! […] Christen und Muslime müssten sich beide aus der Gefangenschaft der eigenen Geschichte erlösen.
~ Eugen Drewermann, ehemaliger katholischer Theologe, suspendierter Priester, Psychoanalytiker, Schriftsteller und bekannter Kirchenkritiker
pressreader.com: Die Muslime sehen Gott unverstellt (Eugen Drewermann)
