Hemul hat geschrieben:Wenn nicht Jesus-wer ist denn dann der Menschensohn auf den er sich nachweislich auch im Markusevangelium mehrfach bezieht?

Voller Vorfreude auf die Antwort einer tanzenden Bibelexpertin bekommste einen dicken :blumenstrauss: von mir.

Zunächst: Danke für die Blumen!
Wie du weißt, lieber Hemul, warten die Juden immer noch auf die Ankunft ihres Messias, mit dessen Kommen übrigens - nach alttestamentlicher Ankündigung - das Ende der Welt einhergeht. Unter anderem, weil das nicht mit Jesus eingetreten ist, glauben die Juden bis heute nicht, dass Jesus der Messias war (aber das ist eine andere Thematik).
Jedenfalls haben die Juden bereits zur Zeit Jesu vor knapp 2000 Jahren ihren Messias (und damit das Ende der Welt) erwartet. Es gab zur Zeit Jesu nicht wenige Wanderprediger, die das baldige Kommen des Messias predigten, verknüpft mit diversen unterschiedlichen Lehrinhalten. Einige von diesen Wanderpredigern gaben sich sogar selbst als den erwarteten Messias aus.
Johannes der Täufer gab sich nicht selbst als Messias aus, war aber ebenfalls einer jener umherziehenden Wanderprediger, die das baldige Kommen des Messias ankündigten. Johannes predigte als Lehrinhalt, die Menschen sollen sich taufen lassen (das war aber noch keine christliche Taufe!) und "umkehren", also ihren Geist wenden (gr. "metanoein"), ihre Sünden bekennen und sich auf das nahe Ende vorbereiten.
Die Evangelien stellen Johannes den Täufer freilich als denjenigen dar, der JESUS als den Messias ankündigte.
Das dürfte historisch zwar nicht korrekt sein, hat aber eine innere Logik. Denn selbst dann, wenn Jesus sich nicht selbst als den erwarteten Messias angesehen haben sollte, haben seine Jünger doch IHN, JESUS, nach Ostern zweifellos mit dem (auch von Jesus selbst angekündigten) MESSIAS identifiziert. Insofern war es in den Augen der Jünger und der ersten Urchristen nur folgerichtig, Johannes als den Ankündiger von Jesus als den MESSIAS zu verstehen.
Genau diese Identifikation hat in den Evangelien ihre erzählerische Ausformung gefunden.
Historisch korrekt dürfte allerdings sein, dass Jesus ein
Schüler von Johannes dem Täufer war, der zumindest einige seiner Lehren aufgriff und sie umherziehend weiter verbreitete, wobei er sicherlich auch noch originär eigene Inhalte predigte, die er nicht von Johannes übernommen hatte.
Langer Rede kurzer Sinn:
Jesus war historisch ganz sicher ein umherziehender Wanderprediger, der das Kommen eines Messias predigte, was - nach jüdischem Glauben - mit dem Ende der Welt, also der Apokalypse, einhergeht. Johannes war ebenfalls ein solcher Wanderprediger, der auch das Kommen eines Messias predigte.
Da Jesus selbst immer nur in der 3. Person vom Kommen des Menschensohns (des Messias) spricht, hat er höchstwahrscheinlich nicht von sich selbst gesprochen. Er erwartete, genau wie Johannes, einen anderen, noch kommenden Messias.
Die Jünger, die Jesu Schüler waren, so wie Jesus vermutlich ein Schüler Johannes des Täufers war, identifizierten Jesus - nach dem Ostereignis - mit dem von Johannes und Jesus angekündigten Menschensohn (bzw. Messias).
Was war nun dieses Osterereignis?
Historisch-kritisch kann man darüber mit Sicherheit nur Folgendes sagen:
Nach Jesu Tod muss es ein Ereignis gegeben haben, welches aus den über den Tod von Jesus verzweifelnden Jüngern plötzlich Jünger gemacht hat, die frohgemut an Jesus als den auferstandenen Messias glaubten.
Man kann sich endlos darüber streiten, was dieses Ereignis genau gewesen sein könnte. Die Interpretationen reichen (schon zur Zeit von Jesu Tod) von Jesu tatsächlich leiblicher Auferstehung, von der die Jünger Kenntnis nahmen, bis zu der Interpretation, Jesu Leichnam sei gestohlen worden und die Jünger hätten dies als eine leibliche Auferstehung fehlinterpretiert.
Jedenfalls hat dieses Ereignis aus verzweifelten Jüngern, von einem Augenblick zum anderen, Jünger gemacht, die Jesus mit dem angekündigten Messias identifizierten und die seine "Lehre" (zunächst ausschließlich unter den Juden) weiter verbreiten wollten.