Rembremerding hat geschrieben:Eine Antwort sagt: mein Geist ist der absolute Geist, ich bin in meinem Kern mit Gott identisch
Ja, das ist die zentrale Aussage der östlichen Mystik, welche die Frage nach dem Selbst im Mittelpunkt der Spiritualität sieht: wer bin ich? (ko-aham) in allen Religionen gab es Menschen, die zu einer mystischen Wahrnehmung fähig waren, die in einer tiefen Identitätserfahrung mit der alles durchdringenden und alles transzendierenden göttlichen Wirklichkeit besteht. So gab es immer eine Spannung zwischen den Vertretern der dogmatischen Theologie (welche traditionell die Differenz zwischen Gott und Mensch betont, die Ich-Du-Beziehung des Menschen zum „ewigen Du“ Gottes) und den Vertretern der Mystik, die darüber hinaus gehen. Bis hin zu der Einsicht, dass der ganze Kosmos eine Manifestation des Stroms des einen absoluten Geistes ist. Tat Tvam Asi (Sanskrit: ततॠतà¥à¤µà¤®à¥ असि, oder ततà¥à¤¤à¥à¤µà¤®à¤¸à¤¿, „
Das bist Du“, oder „
Du bist das“) doch dann bin nicht nur ich im Kern mit Gott identisch, sondern ausnahmslos alles ist im Kern mit ihm identisch.
Da fällt mir das Bild vom kosmischen Lebensbaum ein: wie an einem Baum entfalten sich alle Dinge wie Zweige, Blätter und Früchte miteinander, durcheinander und ineinander verwoben. Von den großen Himmelskörpern, ineinander krachenden Galaxien bis zu einem winzigen Grashalm und Würmlein zu den Quarks und Leptonen: alles ist eine Manifestation des absoluten Einen. In der mystischen Wahrnehmung schaut der Mensch auf alles mit göttlichen Augen im Sinne einer allumfassenden Zusammenschau der ganzen Existenz:
"Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben." - Predigt: Qui audit me, non confundetur Sir 24,30. In: Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint. München: Hanser Verlag, 7. Auflage 1995, S. 216.
Für den Mystiker ist der ganze Kosmos eine einzige großartige Theophanie (griechisch θεός theos „Gott“; φαίνεσθαι phainesthai „sich zeigen“, „erscheinen“) eine Selbst-Offenbarung Gottes. In der indischen Mythologie gibt es das poetische Bild des göttlichen Tanzes von Shiva und Shakti (die beiden Pole des Universums: Shiva repräsentiert das unendliche Bewusstsein und Shakti die kosmische Energie, deren gemeinsame Interaktion - vergleichbar einem Tanz der Liebe - die ganze Schöpfung hervorbringt). In unsrer christlichen Theologie haben wir die Idee der Trinität, die ein ähnliches Verständnis beschreibt. Pater Richard Rohr (der Frieden und Segen Gottes seien auf ihm) hat darüber ein Buch geschrieben:
Der göttliche Tanz: Wie uns ein Leben im Einklang mit dem dreieinigen Gott zutiefst verändern kann
Richard Rohr, Franziskanerpater und Weisheitslehrer, umkreist in seinem neuen Buch das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes - Gott Vater, Jesus Christus und der Heilige Geist. Er entdeckt: Die christlichen Wüstenväter verwendeten dafür das griechische Wort perichoresis, das sich am besten mit "tanzen" übersetzen lässt. Bei allen tiefgreifenden Gedanken, die die Mönche sich damals machten, war das beste Bild, das sie für das Wesen Gottes finden konnten, das eines Tanzes, der niemals enden wird, der wie ein Strom dahinfließt.
Aber Gott ist kein Tänzer. Er ist der Tanz selbst. Und lädt alle ein, ein Teil davon zu werden, wenn wir mit ihm im Einklang leben. Wer sich auf dieses Bild einlässt, wird durch das neue Buch von Richard Rohr viele Impulse für ein intensives, erfüllendes Leben mit Gott entdecken.
Der gleiche Mensch gibt die zweite Antwort: es gibt überhaupt keinen Geist, was man Geist nennt ist das Erzeugnis des Gehirns, eine höhere Gliederung dessen, was der tote Stoff ist.
Da genügt der Hinweis, dass es dafür keinen Beweis gibt. Es handelt sich dabei um ein Glaubenskonstrukt (Dogma) der materialistischen Weltanschauung (ich persönlich habe kein Problem mit Glaubenskonstrukten, aber sie sollten wenigstens so ehrlich sein und es zugeben

). Schon alleine die Tatsache, dass es immer wieder außerkörperliche Erfahrungen und Nahtod-Erfahrungen gibt, sollten daran Zweifel aufkommen lassen. Der Neurochirurg Eben Alexander sagt dazu:
“Wenn ich eins ganz genau wusste, dann, was das Gehirn wirklich ist: eine Maschine, die das Phänomen Bewusstsein erzeugt. Sicher, die Wissenschaftler hatten noch nicht herausgefunden, wie Neuronen im Gehirn das ganz genau bewerkstelligten, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es herausfinden würden.†nach seiner Nahtoderfahrung bekannte er:
“Je mehr von meinem wissenschaftlichen Denken zurückkehrte, desto deutlicher sah ich, in welch radikalem Gegensatz das, was ich in Jahrzehnten der akademischen Ausbildung und der medizinischen Praxis gelernt hatte, zu dem stand, was ich im Koma erlebt hatte, und desto mehr verstand ich, dass das Bewusstsein und die Persönlichkeit (unsre Seele oder Geist, wie manche es nennen würden) über den Körper hinaus existieren.†(Phänomen Nahtod: Faszinierende Entdeckungen eines Psychiaters, von Walter Meili)
Man könnte noch viele solche Widersprüche sagen, aber man versteht schon jetzt: im unerschöpflichen Irrtum missversteht der Mensch sich selbst. Dies wurde nur möglich, weil er Gott losließ. Nun wurde der Mensch sich selbst unbegreiflich. Die Versuche, sich zu deuten, pendeln immerzu zwischen zwei Polen hin und her: sich absolut zu setzen im Anthropozentrismus, oder sich preiszugeben
Die Widersprüche können aufgelöst werden, wenn man erkennt und akzeptiert, dass es verschiedene Ebenen der Realität gibt, die alle gleichermaßen Bestandteil der Realität sind - unsre Sichtweisen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen und erfassen Teilwahrheiten. Eine Aussage wie “
Mein Geist und der absolute Geist sind eins†(oder “
Ich und der Vater sind einsâ€, wie Jesus sagte) ergibt nur für diejenigen Sinn, die schon mal eine mystische Wahrnehmung erlebt haben. Die meisten Menschen bewegen sich hauptsächlich auf einer dualistischen Ebene. Das nonduale Einheitsbewusstsein (Unitive Consciousness) kann auf der dualistischen Ebene nicht verstanden werden. Der Zen-Meister und christliche Mystiker Willigis Jäger sagte es sehr gut:
Gott inkarniert sich im Kosmos. Er und seine Inkarnationen sind unlösbar miteinander verbunden. Er ist nicht in seiner Inkarnation, sondern er manifestiert sich als Inkarnation. Er offenbart sich im Baum als Baum, im Tier als Tier, im Menschen als Mensch und im Engel als Engel. Es sind dies also nicht Wesen, neben denen es dann noch einen Gott gäbe, der gleichsam in sie hineinschlüpfte, sondern er ist jedes einzelne dieser Wesen – und ist es auch wieder nicht, da er sich nie in einem von ihnen erschöpft, sondern immer auch alle anderen ist. Eben diese Erfahrung macht der Mystiker. Er erkennt den Kosmos als sinnvolle Manifestation Gottes, während sich manche Menschen dem Kosmos gegenüber verhalten wie Analphabeten gegenüber einem Gedicht: Sie zählen die einzelnen Zeichen und Worte, aber sie sind nicht imstande den Sinn zu verstehen, der dem ganzen Gedicht seine Gestalt gibt.
Willigis Jäger
Die mystische Wahrnehmung transzendierte schon immer alle dogmatischen Einengungen. Die Mystiker nutzen zwar die Begriffe und Symbole einer Religion, aber reduzieren die Wirklichkeit des GEISTES niemals darauf. Ein Mensch wie Meister Eckhart weiß, dass der GEIST unendlich darüber hinaus geht. Das genügte der Inquisition, ihn wegen Ketzerei und Irrglauben anzuklagen, obwohl er nur ein treuer Nachfolger Jesu war.
Gott und ich, wir sind eins (Meister Eckhart) wenn Gott ein unendliches Wesen, absoluter Geist ist, dann umfasst er alles, dann findet alles seine wahre Identität - oder ewiges SELBST - in ihm. Das findet in der Philosophie des Vedanta in den Mahavakyas, den großen Aussprüchen Ausdruck:
„Tat Twam Asi. Das, das Unendliche, das bist du. Aham Brahmasmi. Ich bin Brahman. Ayam Atma Brahman. Dieses Selbst ist Brahman. Prajnanam Brahman. Bewusstsein ist Brahman.“ und viele weitere. Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis sind letztlich die zwei Seiten der selben Münze.