Ich habe nichts gegen die Liebe zur Nation. Das Problem ist nur, dass der Begriff der Nation meistens sehr eng und begrenzt gedacht wird. Denn für mich ist die ganze Erde meine Nation, mein Heimatland. Warum gibt es so wenig
Nationalisten der Erde? Warum dieser Tanz um einen bestimmten Bezirk im Opposition zu einem anderen Bezirk?

denn die Liebe zu dem einen Heimatland Erde beinhaltet alle Bezirke.
Unsre geistreiche Kultur und die Schönheit der Natur schätze ich sehr!
Es besteht kein Grund, vor jedem Fleck Deutschlands in die Knie zu sinken und zu lügen: wie schön! Aber es ist da etwas allen Gegenden Gemeinsames – und für jeden von uns ist es anders. Dem einen geht das Herz auf in den Bergen, wo Feld und Wiese in die kleinen Straßen sehen, am Rand der Gebirgsseen, wo es nach Wasser und Holz und Felsen riecht, und wo man einsam sein kann; wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er dort ihr Herz klopfen. Das ist in schlechten Büchern, in noch dümmeren Versen und in Filmen schon so verfälscht, dass man sich beinah schämt, zu sagen: man liebe seine Heimat. Wer aber weiß, was die Musik der Berge ist, wer die tönen hören kann, wer den Rhythmus einer Landschaft spürt ... nein, wer gar nichts andres spürt, als dass er zu Hause ist; dass das da sein Land ist, sein Berg, sein See, auch wenn er nicht einen Fuß des Bodens besitzt ... es gibt ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land. Wir lieben es, weil die Luft so durch die Gassen fließt und nicht anders, der uns gewohnten Lichtwirkung wegen – aus tausend Gründen, die man nicht aufzählen kann, die uns nicht einmal bewußt sind und die doch tief im Blut sitzen[...]
Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat ~ Kurt Tucholsky
http://www.textlog.de/tucholsky-heimat.html
Halman hat geschrieben:Vermutlich liegt es daran, dass ich z.B. einen gemäßigt-rebellischen Charakter habe (daher mein Avatar), zum anderen als Christ konservative Werte vertrete
Was genau meinst Du damit? Beispielsweise könnte die Frage gestellt werden ob der Begriff vom christlichen Abendland nicht von vornherein nur eine Fiktion gewesen ist, denn es hat schon immer verschiedene kulturelle Einflüsse gegeben. Darüber hinaus ist der Begriff ziemlich unpräzise, denn das Christentum ist in sich selbst schon ausgesprochen differenziert. Beispielsweise grenzte man sich früher als "christliches Abendland" im Westen gegen das orthodoxe Christentum im Orient ab (ungefähr ab 1054), obwohl das ebenso Christen waren. Wenn wir nur das Westchristentum betrachten, sieht es nicht besser aus, denn im 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert haben sich Protestanten und Katholiken gegenseitig umgebracht, ausgehend von der Reformation im Jahr 1517, die zum zum Schisma des westlichen Christentums führte.
Heute wird gerne von der deutsch-französischen Freundschaft gesprochen, aber davor gab es eine Jahrhunderte lange Erbfeindschaft zwischen diesen beiden Nationen: auf beiden Seiten waren es Christen, die sich gegenseitig verachtet haben. "Christlich" und "Abendland" sind also keineswegs klar definierte Begriffe.
"Christliches Abendland" wird ab dem 5. Jahrhundert ursprünglich als Bezeichnung für die ehemaligen römischen Provinzen des westlichen Europas verwendet, also das Gebiet, in dem heute Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal liegen. Er wurde gewählt als Gegenbegriff zum griechischen Patriarchat und war deckungsgleich mit dem römischen Patriarchat, dem Einflussgebiet des Vatikans gegenüber dem von Byzanz. Das christliche Abendland wurde damals als Kampfbegriff gebraucht. Dabei war er keine genau definierte Bezeichnung. Karl der Große wird zum Herrn des christlichen Abendlandes umgedeutet
Der Begriff wandelt sich in der deutschen Romantik um 1800. Danach soll er die gemeinsame kulturelle Tradition des germanischen und christlichen Erbes bezeichnen. Auch Amerika wird miteinbezogen, weil es von Westeuropa geprägt worden ist. Karl der Große wird in dieser Zeit zum Begründer Europas und zum Herrn des christlichen Abendlandes umgedeutet. So funktioniert der Begriff als Gegenentwurf zu einem islamisch gesehenen Orient. Auch das ist mehr Fantasie als eigentliche Wirklichkeit, aber ungeheuer gefühlsschwanger.
Wieder verändert sich der Ausdruck zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Es ist die Zeit, in der große Angst vor dem Untergang und dem Zerfall der westlichen Kultur herrscht. Oswald Spengler schreibt damals in seinem Buch "Der Untergang des Abendlandes", dass diese Epoche durch die der russischen Kultur abgelöst werde. Hier entstand der Gedanke eines friedvoll zusammenlebenden abendländischen Reiches. Das ist reine Fiktion und wie die folgenden Jahrzehnte zeigen sollten, war die Realität das genaue Gegenteil. Doch dieses Bild wird von der nationalsozialistischen Propaganda aufgegriffen. Sie interpretiert diese Vorstellung als Rettung und Fortsetzung einer abendländischen Kultur und sieht das abendländische Reich als eine historische Kontinuität – die es nie gewesen ist. Die Gegner dieses Abendlandes, waren die anderen, das sind in dieser Zeit die Slawen, die Russen, die Asiaten und vor allem die Juden – mit den bekannten grauenhaften Folgen.
Unter Konrad Adenauer wird als "christliches Abendland" der Geist der christlich-abendländischen Kultur verstanden. Dabei tritt die Religion zurück: Der Begriff soll nun ein konservativ-bürgerlich geprägtes Wertesystem einführen. Es steht als Gegenmodell zum Kollektivismus in der Sowjetunion und die als seelenlos und zu individualistisch empfundene amerikanische Gesellschaftsordnung. Diese Vorstellung aus den 1950er Jahren geht bereits in den 1960er Jahren unter. Bis zur Auflösung des Warschauer Paktes 1991 wurde das Abendland dann geografisch als Westeuropa, aber auch als christlich-jüdische Tradition dem Islam entgegengesetzt. Diese Tradition, bemerken Juden zu Recht, hat es in dieser Form nicht gegeben.
Ein Kampfbegriff gegen die drohende Islamisierung
Heute wird der Begriff des christlichen Abendlandes von National-Konservativen und Rechtsextremen benutzt, die behaupten, dieses Abendland müsse sich gegen eine drohende Islamisierung verteidigen. Diese Leute wollen nicht nur etwas verteidigen, was es so in der Form nie gegeben hat, sondern sie haben auch mit der Christlichkeit dieses Abendlandes garnichts zu tun.
Für etwas anderes als Abgrenzung taugt der Begriff "christliches Abendland" nicht, er ist ein Kampf- und Ausgrenzungsbegriff, eine völlig unfundierte Fiktion. Er wird zu Manipulationen benutzt, jetzt auch von der Pegida-Bewegung, die ihre politischen Ziele mit Leidenschaftlichkeit vernebeln. Damit will sich ein fiktives "Wir" von einem als gefahrvoll dargestellten "Nicht-Wir" abgrenzen.
Katholisch.de: Das christliche Abendland ist Fiktion