sven23 hat geschrieben:Auf Basis dieser irrationalen Annahme wurde die Verfolgung mit aller Konsequenz durchgezogen. Mit Vernunft hat das Ganze nichts zu tun.
Wie stehst Du zu dem Satz: "Ich plane meine Bankraube/Frauenmorde/Steuerbetruge rational durch" - ist "rational" nicht dasselbe wie "vernünftig"?
sven23 hat geschrieben:Mit Vernunft hat das Ganze nichts zu tun.
Im allgemeinen Sinne schon - worauf Du abhebst ist das, was man "Ratio recta" nennt - also die Vernunft, die das Gute will - aber es gibt eben auch eine "Ratio falsa".
Thaddäus hat geschrieben:Nein, das ist unbedingt erforderlich, um auszuschließen, dass Mathematiker ihre Modelle nicht mehr beweisen, sondern sich lediglich darauf berufen, dass Gott ihnen versichert hat, dass dieses Modell korrekt ist und Germanisten ihre Kafka-Interpretation nicht mehr mit plausiblen Argumenten stützen, sondern sich nur noch darauf berufen, dass der Erzengel Gabriel ihnen diese Interpretation im stillen Gebet offenbart hat.
OK - verstanden. - Aber so würde nicht einmal ein Theologe interpretieren. - Die Frage geht letztlich auf etwas anderes hinaus: "Ist" Geist primär aus Materie, oder "ist" Materie primär aus Geist.
Egal, wie man diese Frage beantwortet: Die Offenbarungs-Ebene von Geist ist selbstverständlich immer die Materie (kein Denken geht ohne Gehirn). - Vielleicht kommen wir mit einer Antwort auf folgende Frage weiter: Kann man Bach verstehen, wenn Geist primär (!) aus Materie "ist"? (Darum geht es mir - nicht um Cherubim und Seraphim.
Thaddäus hat geschrieben:Diese irrige Ansicht habe ich bereits zurückgewiesen.
Aber nicht überzeugend - es reicht nicht, etwas zurückweisen - das geht mit allem.
Also konkret:
Wenn uns ideale Quellen samt Handschriften von Jesus vorlägen, UND dort stünde auf jeder Seite zehn Mal: "Jesus ist Gott". - Könnte dann die HKM zum Ergebnis kommen, dass Jesus göttlich ist?
Thaddäus hat geschrieben:Ob Jesus göttlich ist oder nicht, ist kein Forschungsgegenstand der historisch-kritischen Methode.
Es ist auch kein Froschungsgegenstand christlicher Exegesen - aber es ist eine Interpretations-Grundlage. - Mit anderen Worten:
* Entweder man interpretiert nicht oder nur in sachlich-engen Spielräumen
* oder man legt offen, auf welcher Basis man interpretiert.
Thaddäus hat geschrieben:Die wird im Christentum nämlich einfach geglaubt, von der theologischen Systematik oder Dogmatik aber nicht erst rational erwiesen. Es ist ein Glaubensentscheid.
So ist es - das ist deren Interpretations-Grundlage.
Thaddäus hat geschrieben:Die Judenverfolgung verstößt nicht gegen die "ratio recta", sondern gegen elementare ethische Grundprinzipien.
Was ist der Unterschied zwischen "ratio recta" und "ethischen Grundprinzipien"? - Auch an Dich die Frage: "Ich plane meine Bankraube/Frauenmorde/Steuerbetruge rational durch" - ist "rational" nicht dasselbe wie "vernünftig"?
Thaddäus hat geschrieben: Es ist in keiner HInsicht "rational" Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes etc. pauschal zu verfolgen, weil sich hierfür keine rationalen und vernünftigen Gründe finden lassen.
Wenn ich Geld brauche und nachweisen kann, wofür, ist ein Bankraub rational begründbar - und er selbst ist rational planbar.
Um es kurz zu machen:
* Ich verstehe unter "Ratio" eine wertneutrale Größe ("Es ist rational, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen, weil die Staatsräson dagegen steht")
* Du verstehst unter "Ratio" die "Ratio recta" - was wiederum aus meiner Sicht lediglich eine wertende Ableitung ist - denn es gibt auch eine "Ratio falsa".
Thaddäus hat geschrieben:Weil "historisch-göttlich" überhaupt keine sinnvolle Wortverbindung darstellt!
Stimmt - aber das sage ich ja nicht - ich sage "historisch göttlich" (ohne Bindestrich) - also Göttlichkeit als historische Größe im Sinne von "Wenn Gott in Jesus ist, ist Gott in Jesus eine historische Größe, da Jesus historisch ist".
Thaddäus hat geschrieben:Wenn er es ist, dann war er es, als er durch das staubige Galilea wanderte und er wäre es genau so, wenn er heute Abend über die Avenida Lafuente in Buenos Aires schlendern würde.
So ist es - aber da scheinst Du mich missverstanden zu haben.
Thaddäus hat geschrieben:Die historischen Umstände machen Jesus doch nicht zu einem Gott.
Da muss man erst mal drauf kommen - dass man es so interpretieren kann, hat meine Vorstellungskraft überstiegen. - Du hast mich da wirklich missverstanden.
Thaddäus hat geschrieben:Ich muss nicht erst einen Glaubensentscheid treffen, um zu wissen, dass Michael Jackson mit ziemlicher Sicherheit ein Mensch war (wenn er kein Alien war). Ich muss aber einen Glaubensentscheid treffen, wenn ich ihn darüber hinaus für göttlich halte.
Nee - das funktioniert so nicht. - Halten wir fest.
* Jesus ist Mensch - darüber sind wir uns einig.
* Jesus ist Nur-Mensch - das glaubt die HKM (?) - jedenfalls interpretiert sie so.
* Jesus ist Gott - das glaubt die Theologie.
Und in der Tat: Ich glaube, dass Du nur Mensch bist - ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass Du göttlich (so wie Jesus lt. Theologie göttlich war) - aber ich WEISS es doch nicht. - Wir sollten hier diszipliniert im Denken bleiben - Grundsatzdenken hat nichts mit Wahrscheinlichkeiten zu tun.
Thaddäus hat geschrieben:Es gibt auch keine RATIONALEN Gründe dafür, Jesus für einen Gott zu halten. Daran kann man auschließlich nur GLAUBEN
Das kommt darauf an, wie man "Ratio" definiert:
1) Als anthropologische Größe: "rational" = "entspricht unserem üblichen Erfahrungsbereich
2) Als ontologische Größe: "rational" = "Grundprinzip dessen, was 'ist'" (incl. Gott, wenn es ihn gibt)
im Fall 1) hast Du Recht - im Fall 2) nicht. - Bei 1) wäre zudem zu fragen: Wäre es bei dieser Definition/Setzung möglich, von "göttlicher Vernunft" zu sprechen?
Thaddäus hat geschrieben:Wir könnten nur daran glauben, dass er der göttliche Sohn JHWH's war und von ihm diese Macht verliehen bekommen hat. Nichts hiervon ist rational oder vernünftig.
In Definition 1) stimmt das - MEINE Definition von Ratio entspricht der 2). - Wir haben also wieder einmal ein Polysem.
Zu vermerken ist, dass Deine Argumentation hier streng kritisch-rational ist ("Was nicht nachweisbar ist, kann nicht rational sein") und NICHT ontologisch ist: "Maßstab ist nicht die menschliche Nachweisbarkeit (oder wie Heidegger sagen könnte: Thematisierung durch das Seiende), sondern das Sein selbst".
Unter der Ratio-Definition 1) würde dies bedeuten: "Ratio" ist nicht geeignet, über Gott zu sprechen, selbst wenn er die mächtigste Realität ist. - Macht eine solche Ratio-Definition Sinn?
Und nebenbei: Wenn man mit einem Ratio-Begriff in eine wissenschaftliche Untersuchung geht, ist dessen Definition eine der Setzungen/Vorannahmen, von denen ich spreche. - Die Wissenschaft kommt zum selben zu anderen Ergebnissen, ob Ratio mit 1) oder mit 2) definiert ist.