Thaddäus hat geschrieben:Falsch.closs hat geschrieben:im übrigen ist auch die kanonische Exegese in der Art ihrer Ausführung intersubjektiv nachvollziehbar - die Frage ist, ob deren Hermeneutik nachvollziehbar ist. - Das sind zwei ganz unterschiedliche Baustellen.
Hypothese: Kanonische Exegese ist nicht intersubjektiv nach Plausibilitätskriterien nachvollziehbar.
Beweis: Die Anwendung der kanonischen Exegese erfordert die vorausgehende explizite Glaubensentscheidung, dass die biblischen Schriften als einheitlicher Kanon auf Jesus als Christus, also auf Jesus als Erlöser und Gottessohn, zu interpretieren sei. Erfolgt dieser Glaubensentscheid nicht, können die biblischen Schriften nicht adäquat interpretiert werden. Somit kann kein Nicht-Christ die biblischen Schriften adäquat interpretieren. Da Nicht-Christen die biblischen Schriften - grundsätzlich - nicht adäquat interpretieren können, ist keine intersubjektive Nachvollziehbarkeit der kanonischen Exegese gegeben, denn für alle Nicht-Christen wird methodisch von vornherein ausgeschlossen, dass sie eine sachgerechte Exegese der biblischen Schriften vorlegen können, gleichgültig wie plausibel ihre Analysen und Textuntersuchungen sind. Ihre Ergebnisse können aus dogmatischen Gründen nicht korrekt sein (es sei denn, die textanalytischen Ergebnisse von Nicht-Christen stimmen zufällig mit denen christlich-kanonischer Exegeten überein). Die "richtige" Interpretation eines Textes ist damit von einem expliziten vorausgehenden Glaubensentscheid abhängig und nicht davon, ob diese Interpretation Plausibilitätskriterien genügt.
Beispiel: closs eigene Uminterpretation der nachweislichen jesuanischen Nah- in eine unbesimmte Fernerwartung des kommenden Himmelreichs.
Dagegen ist die historisch-kritische Methode intersubjektiv nachvollziehbar bezüglich ihrer Plausibilitätskriterien.
Beispiel: Die textkritische Grundregel der "lectio difficilior potior" (die schwierigere Lesart ist die ursprünglichere). In zahllosen philologischen Analysen antiker (aber auch moderner) Texte wurde die empirische Einsicht gewonnen, dass bei parallel überlieferten Texten und Textstellen die schwierigere, sperrigere Lesart die ursprünglichere ist, da spätere Überlieferungen die Tendenz aufweisen, ürsprüngliche Aussagen an die sich erst später ausbildenden Lehrmeinungen und Lehrgebäude anzupassen - weil die ursprüngliche Lesart plötzlich unpassend erscheint - und also den Text zu glätten und Widersprüche zu harmonisieren.
Beispiel: die markinischen Jesusworte am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen". (Mk 15,34 EU; Mt 27,46). Im Lichte der späteren christlichen Verehrung Jesu als Erlöser und Gottessohn, wird dieses Psalmzitat Jesu am Kreuz, welches Verzweiflung und Gottesverlassenheit ausdrückt, im Laufe der christlichen Glaubensentwicklung an Jesus als den göttlichen Erlöser mit Heilsplan zunehmend als unpassend und anstößig empfunden. So taucht dieses höchstwahrscheinlich authentische Jesuswort im Markus- und dann noch im zeitlich unmittelbar folgenden Matthäusevangelium auf, nicht mehr aber in den später verfassten Lukas- und Johannes-Evangelien, in denen es gänzlich entfällt. Stattdessen findet sich im Lukasev. als letzte Worte Jesu am Kreuz: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46) und „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34). Im spätesten Johannesev. heißt es schließlich endgültig theologisch harmonisierend: "Es ist vollbracht“ (Joh 19,30), was den Fokus auf die Erfüllung eines christlich-göttlichen Heilsplanes legt, an den erst die späteren Christen glaubten, der aber im Markusev. nicht zu finden ist.
Das markinische Kreuzeswort ist nach der textkritischen Regel "lectio difficilior potior" darum als das ursprüngliche und am ehesten authentische Jesuslogion einzuschätzen, was weiter dadurch gestützt wird, das dieses Jesuswort bei Markus noch in der Sprache Jesu, also in Aramäisch, überliefert wird ("Eloi, Eloi, lema sabachthani?").
Diese Analyse folgt den methodischen Plausibilitätskritereien der Textkritik innerhalb der historisch-kritischen Methodik und bedarf keines Glaubensentscheides. Auch jeder Nicht-Christ kann diese Analyse nachvollziehen. Wer sie kritisieren will, muss das innerhalb der methodischen Plausibilitätskriterien tun oder die Regel der "lectio difficilior potior" mit guten Gründen infrage stellen (in dem er hiervon abweichende Überlieferungen benennt).
Eine Verpflichtung auf den Glauben an Jesus als den Erlöser als Gottessohn oder eine dogmatische Einheit des christlichen Kanons (von AT und NT) oder den Naturalismus oder auf Descartes und den Glauben an die Realität der res extensae oder sonstigem Unfug ist weder erforderlich noch nötig.
@closs
Bitte noch mal sorgfältig durchlesen, damit wir nicht immer wieder von vorne beginnen müssen. Es wäre schön, wenn auch mal was hängen bleiben würde.
