Andreas hat geschrieben:Was stelle ich falsch dar?
Du stellst das nicht komplett falsch dar. Es ist nur nicht die ganze Wahrheit.
Also zunächst einmal denke ich nicht, dass meine Gene dafür verantwortlich sind, dass ich mir heute einen Espresso und keinen Cappuchino wie üblich im Cafe bestellt habe. Du überstrapazierst die Bedeutung der Gene für unsere tagtäglichen Entscheidungen - meiner Ansicht nach. Welches Gen genau sollte mich veranlasst haben, heute diese Wahl zu treffen?
Aber das ist letztlich eine andere Diskussion über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit freier Entscheidungen ...
Insofern ich ein körperliches Wesen bin, welches handelt, hat das, was ich tue, Auswirkungen auf die Umwelt, in der ich lebe. Insofern trage ich Verantwortung gegenüber dieser Natur/Umwelt, in der ich lebe. Wenn ich meine Wohnung zumülle, dann lebe ich eben im Müll. Wenn ich ganze Landstriche zumülle, dann müssen alle, die da leben - und dazu gehört möglicherweise ein Seeadler - ebenfalls im Müll leben. Das heißt, andere Wesen werden durch mein Handeln in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb gibt es so etwas, wie die Verantwortungsethik.
Andreas hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Aber der Mensch lebt in einem unüberwindlichen Bruch zur Natur.
Begründung?
Der Seeadler lebt nicht nur in seiner Umwelt und damit IN der Natur, sondern er geht in ihr buchstäblich auf. Das soll heißen: er tritt niemals zurück von dieser Natur, stützt sich gedankenvoll den Flügel unter den Schnabel und denkt sich:
"Mensch Seeadler, dass ist aber schön hier!"
Er baut sich zwar ein Nest und greift darum schon kultivierend in die Natur ein. Aber er überlegt sich nicht, wie er sein Nest noch besser bauen könnte. Wie er sein Nest baut, ist ihm in der Tat genetisch, oder besser: instinktiv vorgegeben. Wenn es zusamenbricht, ärgert er sich vermutlich nicht einmal, sondern fängt einfach an, ein neues zu bauen (das hoffentlich hält).
Der prähistorische Mensch bezieht eine Höhle. Seine Instinkte sind zu dieser Zeit noch sehr ausgeprägt. Er geht auf die Jagd mit primitiven Speeren und was macht er als nächstes? Er malt Jagdsenen an die Wände dieser Höhle und umspritzt seine Hand mit weißer Farbe, so dass sie für viele tausend Jahre dort verewigt ist. Er will damit offenbar zum Ausdruck bringen:
"Schau! Das ist MEINE Hand. Das bin ICH!" Und dann kommt er auf die Idee, dass man Mammuts auch in eine Schlucht treiben könnte, wo sie sich zu Tode stürzen und das man einen Speer in kleinerer Ausführung vielleicht auch mit einem biegsamen Stock und einer Darmsehne schießen könnte. Er erzählt den Kindern am Feuer Geschichten über die letzte Jagd und wie tapfer Uruk war, bis er vom Geweih des Riesenhirschs aufgespießt wurde. Aber der Hirsch ist jetzt tot und sie haben zu essen und sie ehren den tapferen Jäger Uruk. Und dann baut er den ersten funktionierenden Bogen, eine Distanzwaffe.
Der Mensch geht in seiner Umwelt, der Natur, nicht völlig auf, wie es eine Pflanze oder Tiere gemeinhin tun. Er tritt von ihr zurück und empfindet:
"Das Mammut, der Riesenhirsch, der Höhlenbär können mich jederzeit töten. Ich muss mich vor ihnen schützen mit Mut, Gewalt und Waffen. Das, da draussen ist feindlich und wir brauchen das Fleisch, damit ich und die Horde nicht hungern müssen." Oder bei einem Sonnenuntergang, der das ganze Tal vor der Höhle in organgenes Licht taucht empfindet er vielleicht:
"Das ist schön!"
Und als nächstes erfindet er die Philosophie und findet heraus, wie man Atomkerne spaltet.
Es gibt für den Menschen kein einfaches "Zurück zur Natur", denn er ist von ihr durch den tiefen Graben seines Bewusstseins für immer und ewig getrennt.