Rembremerding hat geschrieben:Wäre Jesus nur ein Beispiel...
Er war und ist das vollkommene Beispiel für einen Menschen, der in vollkommener Einheit mit Gott lebt.
„Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10:30) Von einem "nur" würde ich da nicht sprechen, denn das ist keine geringe Sache

in moderner Sprache können wir sagen, dass
wir alle Teil des evolutionären Prozesses sind, in dem sich die Schöpferkraft des Göttlichen entfaltet.Als das spirituelle Ziel der menschlichen Evolution können wir das Erwachen des Gottesbewusstseins im Menschen benennen (Meister Eckhart sprach von "
der Gottesgeburt in der menschlichen Seele und dem Durchbruch zur Gottheit"). Dafür ist Jesus das zeitlose Beispiel, der Prototyp. Johannes von Kreuz sagte, dass sich die Seele "
in diesem Zustand mit Gott vereinigt und fühlt, wie alle Dinge Gott sind". Nur ein Beispiel, um zu belegen, dass ich mir das nicht selbst ausgedacht habe. Das gehört alles zu unsrer spirituellen Tradition, die beispielsweise durch die
Würzburger Schule der Kontemplation wiederbelebt wurde:
Kontemplation ist in der christlichen Tradition ein Name für ungeteilte, absichtslose Präsenzerfahrung und kommt in der "unio mystica" zur vollen Entfaltung. Diese Erfahrung wurde über die Jahrhunderte bezeugt von den Wüstenvätern und -müttern über Meister Eckhart, Margarete Porete, "Die Wolke des Nichtwissens", Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila, Gerhard Tersteegen, u.a.
Menschen wie ich und Willigis Jäger sagen also nichts wirklich Neues, denn sie führen einfach diese sehr reichhaltige Tradition fort, die es immer gegeben hat, obschon im Westen stets der Rationalismus überwiegte und die Mystik an den Rand drängte. Das ist einer der Gründe für meine Sympathie gegenüber dem östlichen Christentum, denn da stand die Mystik immer
im Mittelpunkt. Was auch Sinn macht, denn das Christentum lehrt die Menschwerdung Gottes und was könnte mystischer sein, als diese Idee? Der göttliche Geist kommt in die Materie! Das geht sehr weit über das Fassungsvermögens des rationalen Verstandes hinaus, der von Natur aus eher ein ungläubiger Thomas ist.
Willst du in diesem Thread eine theologische Begriffserklärung von "Sohn Gottes" und wie ihn Jesus verstanden hat?
Das kannst Du gerne versuchen. Mit Sicherheit besitzt die Theologie ihren Stellenwert, aber ich muss ehrlich bekennen, dass sie - in meinen Augen - die Dienerin der Mystik ist. Orthodoxe Christen sprechen von der theoria (θεοÏία), der „
Gottesschau“, die das Ziel der Theologie ist. Dionysius Areopagita sprach von der „
mystischen Theologie“, also er sah beide als Einheit miteinander verwoben. Die Theologie erfüllt ihren Daseinszweck, wenn sie Menschen in die mystische Erfahrung leitet, die ihren höchsten Grad in der innerlich erlebten Vereinigung mit Gott findet. Ein sehr gutes Beispiel für eine solche Erfahrung ist wohl das Pfingstereignis der Apostel (altgr. πεντηκοστὴ ἡμÎÏα pentÄ“kostÄ“ hÄ“méra ‚fünfzigster Tag'), welche als Aussendung oder Ausgießung des Heiligen Geistes bekannt wurde, oder das Damaskuserlebnis von Paulus.
Ausgießung des heiligen Geistes im Rabbula-Evangeliar (586)
Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte erzählt, dass der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam, als sie zum jüdischen Fest Schawuot (τὴν ἡμÎÏαν τῆς πεντηκοστῆς ‚zum 50. Tag‘) in Jerusalem versammelt waren (Apg 2,1-41 EU). Dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden.
Quelle
Die Gründung der Kirche entsprang der mystischen Erfahrung der Apostel. Seitdem gab es immer wieder Menschen, welche die selbe Erfahrung bezeugt haben und von der selben Flamme des Geistes beseelt wurden. Nicht graue Theorie, sondern echte theoria (θεοÏία) im Sinne einer innerlich nachvollzogenen Gottesschau, die über die Jahrtausende hinweg weitergegeben wurde, wie eine Fackel an der anderen entzündet wird.
„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“
– Apg 2,1–4 EU
Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (um 1180)