Alles Teufelszeug? V

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sven23
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#1371 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 08:41

Halman hat geschrieben: Von Dir hätte ich gerne dazu eine Stellungsname: Wer hat in Bezug auf Römer 3:7 gem. dieser Quelle recht: Sven oder ich? (Es darf sich übrigens jeder angsprochen fühlen.)
Das fragst du ausgerechnet jemanden, der nach über 26 Tausend Beiträgen nicht mal begriffen hat, was die Forschung unter Naherwartung versteht. :lol:
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sven23
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#1372 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 08:55

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Theißen spricht nicht von Glaubensentscheid, sondern weist darauf hin, dass die Ergebnisse nicht für alle Zeiten endgültig sind
"Glaubensentscheid" bezieht sich doch nicht auf "Jesus hatte eine Naherwartung", sondern auf die Grundlagen, auf denen solche oder andere Ergebnisse präsentiert werden. - Das hat nichts mit "Quellen-Lage" zu tun, sondern WIE man Inhalte von Quellen interpretiert.
Grundlage ist die historisch-kritische Methode, wie Halman schon richtig sagte. Die Interpretation von Quellen ist eben nicht beliebig, das ist doch gerade die Stärke einer wissenschaftlichen Methode. Natürlich gibt es einen Spielraum an bestimmten Punkten, besonders dann, wenn die Quellenlage dünn oder widersprüchlich ist. Die Naherwartung kann sich quasi seit Beginn der Forschung behaupten. Parallelen zur ET sind nicht zufällig. ;)
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sollten neue Quellen auftauchen, die darauf hindeuten, dass die Naherwartung nicht auf authentische Jesusworte zurückgeht, dann müßte eben alles neu bewertet werden.
Genau das ist NICHT das Problem.
Doch, maßgeblich ist die Quellenlage und nicht Wunschdenken, das auf irgendwelchen Glaubenssetzungen beruht.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der posthume Vergottungsprozess ist ziemlich gut dokumentiert.
Was aber NICHT per HKM untersucht werden kann, ist die Frage, ob das, was Du "Vergottung" nennst, eine Abkehr vom historischen Jesus ist oder Ausdruck eines nach und nach eintretenden Verständnisses des historischen Jesus ist.
Nein, nach allem, was man heute weiß, ist der Vergottungsprozess literarische Fiktion.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau aus diesem Grund sagt Theißen stellvertrend für die Forschung ....
Das kann aber auch ein Fall sein, bei dem Jesus heute sagen würde: "Da habt Ihr mich grandios NICHT verstanden".
Das stimmt ja auch für viele Punkte wie Weltmissionierung, Einstellung zur Obrigkeit und perönlichem Besitz usw.
Die Naherwartung der unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft auf Erden gehört nicht dazu, wohl aber die Umdeutung auf Jesus hin und die spätere Verschiebung dieses Ereignisses auf den St. Nimmerleinstag.

"Jesus stand in der jüdischen Tradition, war von antirömischer Gesinnung, glaubte an das baldige Ende der bestehenden Welt und das unmittelbar bevorstehende Anbrechen des irdischen Gottesreiches. Mit der Auffassung des Christentums ist dieser Befund unvereinbar." ... "Wie konnte nun aus dieser ethnozentrisch- apokalyptischen Lehre des Nazareners die Weltreligion des Christentums werden? Entscheidend war hier in erster Linie Paulus: Er, der Jesus nicht mehr persönlich kennenlernte, prägte die weitere Geschichte der Religion so maßgeblich, dass man eigentlich vom paulinischen Christentum sprechen muss." ... "Entscheidend für das Überleben des Christentums, war die massive Veränderung und Adaptierung der Lehre, sodass am Ende vom ursprünglichen Kern nichts mehr übrigblieb. Während die paulinische Variante zur Weltreligion avancierte, verschwanden die Anhänger der Urlehre sehr bald im Dunkel der Geschichte."
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Zuletzt geändert von sven23 am Sa 8. Apr 2017, 09:36, insgesamt 1-mal geändert.
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#1373 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 09:15

Halman hat geschrieben: Ich beobachte dies bei Dir und Münek nur schon länger. (Savonlinna ebenfalls.)
Savonlinna musste ja eingestehen, von der historischen Jesusforschung überhaupt keine Ahnung zu haben, nachdem sie vorher alle vorgestellten Ergebnisse abgestritten hat.


Halman hat geschrieben: Hier vertritts Du nach meiner Kenntnis tatsächlich dem Mainstream der Exegeten, zumindest der protestantischen.
So ist es. Aber auch das hatte Savonlinna immer abgestritten.

Halman hat geschrieben: Tatsächlich bietet das NT hier einen gewissen Interpretationsspielraum und enthält neben Naherwartungslogien auch Fernerwartungslogien und appelliert im Gesamtkontext eher zur Stehtserwartung.
Auch das sind spätere christliche Umdeutungen, nachdem sich die Naherwartung als Irrtum erwiesen hat. Paulus erfand die Idee der
Parusieverzögerung
Nebenbei: die Parusie, also das Erwarten der Wiederkunft Jesu, war ja schon eine christliche Umdeutung der Naherwartung, die Jesus selbst gem. jüdischem Glauben hatte.
Genau wie Johannes der Täufer erwartete Jesus das baldige Ende der bestehenden Ordnung, deshalb seine Mahunung zur Umkehr, weil die Zeit dränge.
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 8. Apr 2017, 13:58, insgesamt 1-mal geändert.
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#1374 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Sa 8. Apr 2017, 09:53

sven23 hat geschrieben:Grundlage ist die historisch-kritische Methode, wie Halman schon richtig sagte. Die Interpretation von Quellen ist eben nicht beliebig, das ist doch gerade die Stärke einer wissenschaftlichen Methode.
Du machst da einen grundsätzlichen Fehler:
Wenn Wissenschaft unter verschiedenen hermeneutischen Ansätzen eingesetzt wird, die dieselben Texte unterschiedlich interpretieren lassen, ist das nicht "beliebig". - Insofern ist aus meiner Sicht auch der Ansatz von Kubitza nicht "beliebig", sondern auf seine Weise hermeneutisch hinterlegt - dasselbe gilt für Ratzinger. - Und auch Metzingers Aussagen (nicht zur Bibel, sondern allgemeiner Natur) sind hermeneutisch klar positioniert.

Im Grunde steckt in dem Wort "Hermeneutik" das, was ich an anderer Stelle als "Setzung" bezeichnet habe: Wie untersuche ich in den Grenzen der Methodik x etwas (bspw.) unter dem Ansatz: "Wie kann man sich Jesus historisch vorstellen, wenn man ihn ausschließlich als x-beliebigen Wanderprediger versteht?" - Absolut legitim - aber eben hermeneutisch prädisponiert.

Ein anderer könnte fragen: "Wie kann man sich Jesus historisch vorstellen, wenn man ihn nicht nur als Menschen, sondern auch als göttlichen Menschen versteht?" - Auch legitim (bei Sven würde man nicht auf diese Positionierung kommen, aber bei Jesus schon, weil es das NT nur deshalb gibt, weil er für göttlich gehalten wird) - und auch hier eine hermeneutische Prädisposition. - Im Grunde kann man das alles also eigentlich sehr entspannt sehen, wäre da nicht der Anspruch einer sich dogmatisch darstellenden Seite, wonach es wissenschaftlich nur SO und nicht anders gewesen sein könne.

sven23 hat geschrieben:Doch, maßgeblich ist die Quellenlage und nicht Wunschdenken, das auf irgendwelchen Glaubenssetzungen beruht.
Auch hier ein grundsätzlicher Verständnis-Fehler: Wir reden hier von Interpretations-Unterschieden auf Basis IDENTISCHER Texte - die Theologie stützt sich auf exakt dieselben Texte wie die HKM. - Das ist nicht das Problem.

sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung kann sich quasi seit Beginn der Forschung behaupten. Parallelen zur ET sind nicht zufällig.
Dieser Vergleich ist noch besser, als Du vielleicht ahnst. - Denn in beiden Fällen wird der hermeneutische Ansatz von theologischer Seite voll anerkannt:
"Wie stellt sich die Entwicklung des Menschen biologisch dar?"/"Wie ist Jesus nur als Mensch und die daraus folgende Bibelinterpretation unter HKM-Gesichtspunkten zu verstehen?".
Aber in beiden Fällen gilt: THEOLOGISCH ist der hermeneutische Ansatz ein anderer:
"Wie stellt sich die geistige Existenz in ihrer Entwicklung dar?"/"Wie ist der wirkliche Jesus und die Bibel zu verstehen bei 'Jesus ist göttlich'?"

Jeweils haben wir hier unterschiedliche hermeneutische Ansätze/Setzungen.

sven23 hat geschrieben:Nein, nach allem, was man heute weiß, ist der Vergottungsprozess literarische Fiktion.
Nicht nach dem, "was man heute weiß", sondern nach dem, was sich aus HK-hermeneutischem Ansatz ergibt. - Unter theologischen Gesichtspunkten "weiß" man aus denselben Texten etwas anderes - genauso wissenschaftlich recherchiert, nur unter einer anderen Perspektive.

sven23 hat geschrieben:"Jesus stand in der jüdischen Tradition, war von antirömischer Gesinnung, glaubte an das baldige Ende der bestehenden Welt und das unmittelbar bevorstehende Anbrechen des irdischen Gottesreiches. Mit der Auffassung des Christentums ist dieser Befund unvereinbar." ... "Wie konnte nun aus dieser ethnozentrisch- apokalyptischen Lehre des Nazareners die Weltreligion des Christentums werden? Entscheidend war hier in erster Linie Paulus: Er, der Jesus nicht mehr persönlich kennenlernte, prägte die weitere Geschichte der Religion so maßgeblich, dass man eigentlich vom paulinischen Christentum sprechen muss." ... "Entscheidend für das Überleben des Christentums, war die massive Veränderung und Adaptierung der Lehre, sodass am Ende vom ursprünglichen Kern nichts mehr übrigblieb. Während die paulinische Variante zur Weltreligion avancierte, verschwanden die Anhänger der Urlehre sehr bald im Dunkel der Geschichte."Dr. Ronald Bilik
Diese Argumentation (ohne sie jetzt zu überprüfen) ist aus Sicht des Verfassers nachvollziehbar - aus theologischer Sicht ist sie NICHT nachvollziehbar.

Allein dieser kurze Text wimmelt von hermeneutisch präjudizierenden Aussagen, die sich logisch übereinandertürmen und somit in ihrer Weise ein Plausibles ergeben - aber sie passen nicht zu einer geistigen Hermeneutik. - Ein geistig orientierter Theologe würde sagen: "In sich schlüssig, aber komplett an der Sache vorbei".

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#1375 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Pluto » Sa 8. Apr 2017, 12:02

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung kann sich quasi seit Beginn der Forschung behaupten. Parallelen zur ET sind nicht zufällig.
Dieser Vergleich ist noch besser, als Du vielleicht ahnst. - Denn in beiden Fällen wird der hermeneutische Ansatz von theologischer Seite voll anerkannt:
Wie du weißt, stimmt das nicht. Die rkK anerkennt nicht die wissenschaftliche ET, sondern besteht darauf ihre göttliche Lenkung einzubringen. Übrigens, völlig ohne Evidenzen.

closs hat geschrieben:Allein dieser kurze Text wimmelt von hermeneutisch präjudizierenden Aussagen, die sich logisch übereinandertürmen und somit in ihrer Weise ein Plausibles ergeben - aber sie passen nicht zu einer geistigen Hermeneutik. - Ein geistig orientierter Theologe würde sagen: "In sich schlüssig, aber komplett an der Sache vorbei".
Man kann noch so einen hohen Berg an hermeneutischen Aussagen übereinander türmen; ohne empirische Bestätigung, bleiben sie reines Wunschdenken!
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1376 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 14:32

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Grundlage ist die historisch-kritische Methode, wie Halman schon richtig sagte. Die Interpretation von Quellen ist eben nicht beliebig, das ist doch gerade die Stärke einer wissenschaftlichen Methode.
Du machst da einen grundsätzlichen Fehler:
Wenn Wissenschaft unter verschiedenen hermeneutischen Ansätzen eingesetzt wird, die dieselben Texte unterschiedlich interpretieren lassen, ist das nicht "beliebig". - Insofern ist aus meiner Sicht auch der Ansatz von Kubitza nicht "beliebig", sondern auf seine Weise hermeneutisch hinterlegt - dasselbe gilt für Ratzinger. - Und auch Metzingers Aussagen (nicht zur Bibel, sondern allgemeiner Natur) sind hermeneutisch klar positioniert.
Dein grundsätzlicher Fehler besteht darin, dass du in die historische Forschung ständig hermeneutische Setzungen, Glaubensdogmatik, Kanonik usw.einschleusen willst, die da aber nichts verloren haben. Das ist eine komplett andere Spielwiese.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung kann sich quasi seit Beginn der Forschung behaupten. Parallelen zur ET sind nicht zufällig.
Dieser Vergleich ist noch besser, als Du vielleicht ahnst. - Denn in beiden Fällen wird der hermeneutische Ansatz von theologischer Seite voll anerkannt:
"Wie stellt sich die Entwicklung des Menschen biologisch dar?"/"Wie ist Jesus nur als Mensch und die daraus folgende Bibelinterpretation unter HKM-Gesichtspunkten zu verstehen?".
Die Evolution wird seitens der Kirche anerkannt, weil man sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollte wie Kurzzeitkreationisten. Dennoch: von einem Schöpfergott will man nicht lassen. Und die Einbindung der Evolution in die Theologie will nicht so recht gelingen. Der Sündenfall des Menschen soll ja angeblich dafür verantwortlich sein, dass im Tierreich Leid existziert. An der Realität der Evolution geht das aber völlig vorbei, denn Tiere gab es schon Millionen Jahre, bevor es den Menschen gab.

closs hat geschrieben: "Wie ist der wirkliche Jesus und die Bibel zu verstehen bei 'Jesus ist göttlich'?"
Ja, wie schon? Kann der Papst schwanger werden, wenn er eine Frau ist? Das führt alles zu nichts.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nein, nach allem, was man heute weiß, ist der Vergottungsprozess literarische Fiktion.
Nicht nach dem, "was man heute weiß", sondern nach dem, was sich aus HK-hermeneutischem Ansatz ergibt. - Unter theologischen Gesichtspunkten "weiß" man aus denselben Texten etwas anderes - genauso wissenschaftlich recherchiert, nur unter einer anderen Perspektive.
Aber keine Perspektive, die in der historischen Forschung brauchbar wäre. Das ist der entscheidende Punkt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Jesus stand in der jüdischen Tradition, war von antirömischer Gesinnung, glaubte an das baldige Ende der bestehenden Welt und das unmittelbar bevorstehende Anbrechen des irdischen Gottesreiches. Mit der Auffassung des Christentums ist dieser Befund unvereinbar." ... "Wie konnte nun aus dieser ethnozentrisch- apokalyptischen Lehre des Nazareners die Weltreligion des Christentums werden? Entscheidend war hier in erster Linie Paulus: Er, der Jesus nicht mehr persönlich kennenlernte, prägte die weitere Geschichte der Religion so maßgeblich, dass man eigentlich vom paulinischen Christentum sprechen muss." ... "Entscheidend für das Überleben des Christentums, war die massive Veränderung und Adaptierung der Lehre, sodass am Ende vom ursprünglichen Kern nichts mehr übrigblieb. Während die paulinische Variante zur Weltreligion avancierte, verschwanden die Anhänger der Urlehre sehr bald im Dunkel der Geschichte."Dr. Ronald Bilik
Diese Argumentation (ohne sie jetzt zu überprüfen) ist aus Sicht des Verfassers nachvollziehbar - aus theologischer Sicht ist sie NICHT nachvollziehbar.

Allein dieser kurze Text wimmelt von hermeneutisch präjudizierenden Aussagen, die sich logisch übereinandertürmen und somit in ihrer Weise ein Plausibles ergeben - aber sie passen nicht zu einer geistigen Hermeneutik. - Ein geistig orientierter Theologe würde sagen: "In sich schlüssig, aber komplett an der Sache vorbei".
Aber nur, weil er die Augen verschließt nach dem Motto: es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das reicht aber bei weitem nicht, um die Forschungsergebnisse auszuhebeln. Daran ist schon Ratzinger gescheitert.
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#1377 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 14:38

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Gottesvorstellungen sind hinsichtlich ihrer Logik verschieden. Der "Philosphen-Gott" von Xenophanes bspw. ist sehr verschieden vom FSM.
Natürlich gibt es Unterschiede. Allen Gottesvorstellungen gemeinsam ist aber die willkürliche Zuschreibung von irgendwelchen Eigenschaften.
Das ist sehr vage und für viel zu indifferenziert für eine qualifizierte Kritik. Die Zuschreibung von Eigenschaften erfolgt eben nicht in allen Gottesbildern auf die gleiche unbegründete Weise. Im jüdisch-christlichen Gottesverständnis wird sogar ausdrücklich darauf verzichtet sich ein Gottesbild wie von Zeus auf dem Olymp oder vom Fliegenden Spaghettimonster zu machen.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Lass es Dir von Thaddäus erklären:
Ja, aber gegen Gaunilo ist zurecht eingewendet worden, dass der Begriff einer "vollkommenen Insel" eben nicht dem Begriff eines vollkommenen Wesens entspricht, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann! Eine Insel ist eben nur eine Insel. Ein Wesen, über das hinaus nichts gedacht werden kann, ist etwas anderes.
Ferner verweise ich auf ihren Beitrag vom Mo 16. Sep 2013, 20:13.
Ich war mit Thäddäus eigentlich einig, dass die Schwachpunkte bei Goedel in den Prämissen liegen. Ab dann geht es durchaus logisch weiter.
http://de.richarddawkins.net/articles/w ... falsch-ist
Einig?

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Das Paulus in der Ich-Form schreibt, ist sein rhetorisches Stilmittel, mit dem er in den Dialog mit seinen Kritikern in Rom geht. Die Exegeten, welche die HKM anwenden, erkennen dies.
Lassen wir es mal so stehen. Wenn du Recht hättest, hätte sich Paulus (oder sein Schreiber) extrem holprig und ungeschickt ausgedrückt.
Nein, hat er nicht. Pauli Anspruch ist eben ziemlich hoch und nicht jeder verfügt über die von ihm vorausgesetzte Lesekompetenz.

sven23 hat geschrieben:Aber wie schon gesagt: Paulus bezeichnet alle Menschen als Lügner, folgerichtig schließt das auch seine Person ein. Und ich denke, er hat kräftig davon Gebrauch gemacht, was die zeitgenössische Kritik verständlich macht.
Dass jeder Mensch mehrfach im Leben lügt und nicht stehts die Wahrheit sagt, bedeutet nicht, dass man bewusst und vorsätzlich vermehrt lügen sollte. Paulus weist die zeitgenössische Kritik völlig zurecht zurück.

sven23 hat geschrieben:Übrigens ist es auch Konsens in der Forschung, dass es den Schreibern des NT nicht um die historische Wahrheit ging.
Ja, stimmt, nicht um die historische Wahrheit im heutigen Sinn, wie ich von meinem "alten Freund" weiß.

Am 05.09.2009, 23:03 erklärte Logan5:
Für die eigentlichen Glaubensinhalte spielt es aber auch gar keine Rolle, inwiefern biblische Geschichten historische Authentizität besitzen. Gerade im Symbolischen lassen sich diese Inhalte auf das eigene Leben transferieren und erfahrbar machen. Religiöse Sprache ist immer Symbolsprache.

Deshalb würde ich auch nicht von "nur symbolisch" und "Dingen, deren Wert man anerkennen oder direkt daran glauben kann" als zwei getrennten Sphären sprechen. Im Gegenteil. Gerade im Symbol findet sich diese übergeordnete, zeitlose Wertigkeit essentieller Weisheiten, die nicht im Historischen zu finden sind.
Und am 12.09.2009, 15:49 erklärte er:
Wie gesagt, für Menschen der Antike sind historische Berichterstattung und subjektive Offenbarungserfahrung keine getrennten Sphären, sondern finden ihren Zusammenschluss in mythischen Schriften. Das unterscheidet sich wesentlich von modernen Auffassungen über Geschichtsschreibung.

[...]

Im NT ergeben sich diverse Widersprüche u.a. daraus, dass die Evangelien nicht vor 70 n. Chr. aufgeschrieben wurden, das Johannes-Evangelium wird sogar auf ca. 100 n. Chr. datiert und dass sie in unterschiedlichen, frühen Gemeinden tradiert wurden. Aber auch hier gilt wieder der Grundsatz, dass die Intention dieser Werke mehr theologisch als historisch ist.
Dies gibt meines Wissens den Mainstream der historisch-kritischen Exegese wieder.

Übrigens empfahl er mir am 27.08.2010, 20:28 die Literatur von Theißen.
... Gerd Theißen hat ein interessantes Buch über den historischen Jesus (und so heißt es auch) veröffentlicht. Sehr zu empfehlen ist auch die Romanfassung des selben Autoren mit dem Titel "Der Schatten des Galiläers".
Es sei noch angemerkt, dass seine Perspektive eine andere sein muss als meine, schließlich zitiere ich hier einen theologisch und literaturwissenschaftlich gebildeten Agnostiker. Im Vergleich dazu bin ich geradezu "volksfömmig", um es mal zu überspitzen.

sven23 hat geschrieben:Es waren Glaubenspropagandaschriften, die Glauben wecken sollten. Es gab damals scheinbar einen riesigen Bedarf an religiöser Literatur.
Die Wertung Glaubenspropagandaschriften teile ich nicht. Auch aus historisch-kritischer Sicht muss man es gar nicht so negativ beurteilen. Dazu zitiere ich meinen "alten Freund" mal ausführlicher:
Zitat vom 26.05.2011, 23:31:
Wenn Mose in der Bibel die Stimme Gottes aus einem brennenden Dornbusch sprechen hört, denkt der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts:"So ein Unsinn. Das gibt's ja gar nicht. Wer glaubt denn so etwas?" Nur dass diese Geschichte niemals als historische Wahrheit - wie wir das heute verstehen - gedacht war und auch gar nicht von allen Gläubigen (Juden wie Christen) auf diese Art rezipiert wird. Viel Wichtiger als die Historizität ist hier die theologische Substanz, die in der Symbolsprache steckt.

Wieso spricht Gott z.B. ausgerechnet aus einem Dornbusch und warum brennt dieser. Wie steht dieses Bild in Verbindung mit der Lebenssituation Moses und Israels? Es ist ein Sinnbild für eine subjektive Offenbarungserfahrung. Es ist eine Metapher für die Ambivalenz zwischen Angst, Schmerz, Wut, Tatkraft und Hoffnung und Glaube.

Irgendwann vor vielen 1000 Jahren haben sich diverse Volksstämme in Palästina zusammengefunden und sich als ein Volk verstanden. Sie haben ähnliche Lebenserfahrungen gemacht und empfinden ihre neu gefundene Freiheit und ihre zunehmende Macht als einen Rettungsakt ihres Gottes, der sie alle unter einem Dach verbindet. In der Königszeit beginnen sie ihre Erfahrungen mit ihrem Gott aufzuschreiben und in sprachliche Bilder zu fassen, die sich auch mündlich tradieren lassen, weil sie einen starken Erinnerungseffekt haben.

Diese Geschichten sind also keine Märchen, bloß weil sie streng geschichtlich betrachtet unwahr sind, denn sie transportieren durchaus ein Stück Geschichte, allerdings aus einer gänzlich anderen Perspektive als wir heutige Geschichtsschreibung betreiben. Es sind Mythen. Für gesellschaftliche Ereignisse und Befindlichkeiten, werden einfache aber doch vieldeutige Bilder gefunden, die keine Trennung vornehmen zwischen rationalen und emotionalen und subjektiven und objektiven Fakten und Erfahrungen. Somit sind sie eben auch keine Historie. Sie sind etwas dazwischen - Mythen eben.

Dem modernen Menschen fällt es allerdings oft sehr schwer, Dinge in der Schwebe zu lassen. Er verlangt nach Konkretisierung. Nur kann man etwas, woran man glaubt und wovon man lediglich eine uneindeutige Ahnung hat nicht in konkrete Worte kleiden. Mythen und Symbole bieten Menschen die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, die ihnen rational unbegreiflich scheinen.

Natürlich gibt es in jeder Religion die wortgläubigen Fundamentalisten, die alles für bare Münze nehmen, aber es gibt durchaus auch religiöse Menschen, die in der Lage sind, symbolisch zu denken. Da geht es dann überhaupt nicht mehr darum, dass Religion grundsätzlich den Gegensatz zur Wissenschaft darstellt.

Solche Dinge sollte man wissen, bevor man pauschale Religionskritik betreibt und alle Gläubigen zu Neurotikern stempelt. Das ist auch eine Kritik, die man an Richard Dawkins' Bestseller "Der Gotteswahn" anbringen muss, denn Dawkins ignoriert ebenfalls den Sonderstatus des Mythos und des Symbols. Außerdem prangert er eine Art der Religiosität an, die - so berechtigt dies auch sein mag - im Grunde seit mindestens 100 Jahren überholt ist.
Was meinst Du dazu?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#1378 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 14:40

sven23 hat geschrieben:In Qumran konnten über 900!!! verschiedene Autoren identifiziert werden, die die Nachfrage bedienten. Man könnte auch sagen, es war das "Silicon Valley" für religious Fiction.
Bist Du sicher, dass Du die Autoren hier nicht mit der Anzahl der Handschriften verwechselst?

Laut Wikipedia handelt es sich um 850 Schriftrollen. Zur Schriftrollenwerkstatt sagt Wikipedia:
Er beurteilt die Gesamtzahl von etwa 800 Rollen auch im Blick auf die verarbeiteten Tierhäute als enormen finanziellen Tauschwert. Rund 500 verschiedene Schreiber wurden bisher unterschieden, was auf einen enormen Einsatz menschlicher Arbeitskraft hinweist.

In der Bibelwissenschaft wird erklärt:
Handschriften

Insgesamt wurden im Gebiet um Qumran ca. 900 Handschriften gefunden, die aber in sehr unterschiedlicher Weise erhalten sind.
Hat jede Handschrift einen eigenen Autor?

Da der Wikipedia-Artikel fachlich nicht mehr aktuell ist (die Einteilung der Texttraditionen folgt da noch Emanuel Tov, verweise ich auf mein Fachbuch von Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament (8. Auflage), welches die Erkenntnisse von Armin Lange berücksichtigt. Auf Seite 48 werden sechs Gruppen von Texttraditionen unterschieden, die ich hier verkürzt anführe und anschließend zwei Absätze direkt aus dem Lehrbuch zitiere:
(1) Semimasoretische Handschriften
(2) Protomasoretische Handschriften
(3) Präsamaritische Handschriften
(4) Handschriften, die MT und Samaritanus gleich nahe stehen
(5) Handschriften, die die hebräische Vorlage für den LXX-Text enthalten könnten oder ihr nahe stehen
(6) Handschriften, die sich keiner dieser Texttraditionen zuordnen lassen, aber auch untereinander weder durchgängige Überstimmungs- noch Abweichungsmuster erkennen lassen
Zusammenfassend lassen sich also die bibl. Text aus Qumran in mindestens sechs Gruppen einteilen, womit wahrscheinlich das ganze Spektrum paralleler Texttraditionen noch nicht vollständig erfasst ist, zumal einzelne Texte auch nocht Affinitäten zum → Targum, zur → Peschitta und → Vulgata aufweisen (S. Talmon).
So wie die protomasoretischen Texte aufgrund ihrer nahezu exakten Übereinstimmung mit dem späteren MT die große Sorgfalt späterer Abschreiber erweisen, geben sie auch umgekehrt Zeugnis auf ihre eigene Schrifttreue. Daraus ist zu schließen, dass die Handschriften aus Qumran auch die nicht-masoretischen Texttraditionen zuverlässig bezeugen.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Sven,
was willst Du eigentlich vertreten? Die historisch-kritische Methode ODER die Religionskritik der Neuen Atheisten? (Münek, Du darfs Dich auch angesprochen fühlen.)
Ich denke, beides hängt zusammen. Die Forschung hat Vieles an den Heiligen Schriften entzaubert und entmythologisiert. Der posthume Vergottungsprozess des galiläischen Wanderpredigers ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine nachträgliche Erfindung zahlreicher Schreiber. Atheisten können sich auf diese Forschungsergebnisse berufen.
Okay, z.T. stimme ich sogar zu. Zwar nehme ich an, dass man mit "Vergottungsprozess" auch meint, dass Jesus als "Gottes Sohn" verkündet wurde, aber die spätere Vergottung zur Person des Sohnes eines trinitarischen Gottes geht nachweislich auf eine nachapostolische theologische Ausformung der antiken und spätantiken Alten Kirche zurück (zweites bis viertes Jahrhundert).
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#1379 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 14:57

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Theologen, wie Gerd Theißen, legen ihre Grundlagen doch offen. Seine Wissensansprüche (Exegese) begründet er damit, dass er sie auf Grundlage der historisch-kritischen Methode erlangt hat. Die HKM ist hier also die Grundlage.
Richtig, und nicht ein Glaubensentscheid, wie closs ihm unterstellt. Deshalb kann Theißen ja auch sagen:

„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
Laut dem Zeugnis der Evangelien rechnete er mit seiner Kreuzigung. Mit dem Kommen rechnete er bei seiner Rückkeher als Menschensohn.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Joseph A. Ratzinger legt seine Grundlagen doch ebenfalls offen: Er akzeptiert die HKM, auch wenn er sie kritisiert und stützt sich insbesondere auf die kanonische Exegese.
Ratzinger lobt die HKM vordergründig, lehnt aber ihre Ergebnissen ab. Davon abgesehen verhalten sich historisch-kritische Methode und kanonische Exegese wie Feuer und Wasser. Beides zusammen geht nicht.
Die Kritik aus dem wissenschaftlichen Lager konnte deshalb nicht ausbleiben.
https://www.bibelwerk.de/sixcms/media.p ... stbuch.pdf
Doch, wenn man die kanonische Bibellektüre wie Zenger anwendet, gibt es kein Problem. Deiner verlinkten Rezenssion stelle ich die von Zenger gegenüber. Darin sagt er u.a.:
Das hermeneutische und methodische Programm

... Die historisch-kritischen Jesusbücher von Martin Ebner und Gerd Theißen sind alles andere als glaubenszersetzend, aber sie wollen und können nicht das in Jesus offenbar gewordene Gottesgeheimnis erreichen, das die biblischen Texte bezeugen und um das es Benedikt XVI. in seinem Jesus-Buch geht.

Ein ambitioniertes Gegenprogramm zur historisch-kritischen Jesus-Forschung
[...]

Das erste Projekt, die Zusammenführung der vielen Stimmen zu einem gemeinsamen Lied, ist hervorragend gelungen. Dass das zweite Projekt, die wissenschaftlich plausible Rückführung auf Jesus als geschichtliche Gestalt gelungen ist, bezweifle ich. Ich bin sogar der Meinung, dass das nicht oder nur ganz fragmentarisch möglich ist.

Drei hermeneutische Optionen
(1) [...]

(2) Zweite hermeneutische Option: Kanonische Lektüre. Diese Lektüre ist eine Konsequenz aus der Entstehungsgeschichte der Bibel als Bibel. Die Bezeichnung "Bibel" hält fest, dass die Bibel ein besonderes Buch ist: Zugrunde liegt der Plural des griechischen Wortes biblion "Buchrolle", Schriftstück, Brief". Als Fachterminus für die Heiligen Schriften charakterisiert das Wort biblia die Bibel als eine Büchersammlung oder als ein Buch aus Büchern. Im Blick auf die christliche Bibel ist dies die zwei-eine Bibel aus den beiden Teilen Altes Testament und Neues Testament, die eine kanonische Einheit bilden. Methodisch ist die kanonische Lektüre eine spezifische Form der intertextuellen Lektüre. Wir nennen sie kanonische Lektüre, weil sie als das hermeneutisch relevante Textkorpus nur die zum Kanon der Bibel gehörenden Texte bzw. Schriften und sogar deren Anordnung im Aufbau der Bibel berücksichtigt. Über die Relevanz und das methodische Verfahren der kanonischen Lektüre gibt es derzeit eine heftige bibelwissenschaftliche Diskussion. Ich selbst gehöre zu ihren entschiedenen Befürwortern.

Es ist im Übrigen nicht ganz richtig, wenn gesagt wird (auch vom Papst selbst; vgl. im Vorwort, S. 17), die kanonische Exegese sei vor etwa 30 Jahren in Amerika entwickelt worden. In der Sache ist es die klassische rabbinische und patristische Hermeneutik, und es ist ein Proprium der jüdischen Schriftauslegung bis heute.

Die kanonische Perspektive war auch über die Jahrhunderte hinweg eine im Christentum übliche Leseweise, deren Basisaxiom lautete: Sacra Scriptura sui ipsius interpres. Diese Methode hat gewiss die Gefährdung, dass sie in den biblischen Texten das findet, was sie finden will, also zur Eisegese mutiert. Der Siegeszug der historisch-kritischen Exegese in der Neuzeit hängt auch mit derartigen Fehlentwicklungen dieser Methode zusammen. Ihre aktuelle Wiederaufnahme durch die christliche Bibelwissenschaft wurde zum einen durch den christlich-jüdischen Dialog angestoßen, zum anderen hat sie nicht nur mit der skizzierten Bewertung des komplexen Prozesses der Kanonisierung der biblischen Schriften zu tun, sondern auch mit den neuen kulturwissenschaftlichen Einsichten über die Funktion von heiligen und kanonischen Texten überhaupt. Ich kann dies alles hier leider nicht breiter und differenzierter darstellen. Aber ich möchte festhalten, dass die Option des Papstes für die kanonische Lektüre bibel- und kulturwissenschaftlich begründbar ist.

Deshalb ist der von verschiedenen Kritikern erhobene Einwand, mit dem Projekt der kanonischen Exegese werde im Papstbuch ein doch sehr fragwürdiges Instrument als Problemlöser mobilisiert, weder überzeugend noch begründet. Die kanonische Methode gründet im spezifischen Charakter der Bibel selbst und ist so alt wie die Bibel selbst, deren Vernunftgemäßheit ließe sich m.E. gut vom Wahrheitsbegriff der Hebräischen Bibel her entwickeln. Dieser lautet bekanntlich emet, d.h. Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Treue. Die Bibel ist als Sammlung jener Schriften entstanden, die die Treue Gottes - trotz allem - bezeugen. Die Wahrheit der Bibel ist eine Wahrheit, die sich bewährt und dadurch bewahrheitet hat, und zwar in ihrer theologischen, kanonischen Ganzheit. Wenn man dies zeigen kann, ist die Botschaft der Bibel m.E. vernunftgemäß. Ich habe den Eindruck, dass das Jesus-Buch von Benedikt XVI. eine wichtige Stimme zum Projekt "Vernunftgemäßheit der Bibel" ist.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Halman
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#1380 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 15:02

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Ich beobachte dies bei Dir und Münek nur schon länger. (Savonlinna ebenfalls.)
Savonlinna musste ja eingestehen, von der historischen Jesusforschung überhaupt keine Ahnung zu haben, nachdem sie vorher alle vorgestellten Ergebnisse abgestritten hat.
Wenn wir über die Bibel sprechen, dann über ein komplexes literarisches Werk und Savonlinna ist seit Dekaden eine anerkannten Größe im Kulturbereich in Hamburg (Theater) und verfügt über sehr viel Kompetenz im Bereich der Geisteswissenschaft, Kommunikation und Literaturwissenschaft.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Hier vertritts Du nach meiner Kenntnis tatsächlich dem Mainstream der Exegeten, zumindest der protestantischen.
So ist es. Aber auch das hatte Savonlinna immer abgestritten.
Ja, hier vertrat sie eine andere Ansicht. Es ging um die Deutung des "inwendigen" Reiches, soweit ich mich erinnere. Ein komplexes Thema.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Tatsächlich bietet das NT hier einen gewissen Interpretationsspielraum und enthält neben Naherwartungslogien auch Fernerwartungslogien und appelliert im Gesamtkontext eher zur Stehtserwartung.
Auch das sind spätere christliche Umdeutungen, nachdem sich die Naherwartung als Irrtum erwiesen hat. Paulus erfand die Idee der
Parusieverzögerung
Nebenbei: die Parusie, also das Erwarten der Wiederkunft Jesu, war ja schon eine christliche Umdeutung der Naherwartung, die Jesus selbst gem. jüdischem Glauben hatte.
Genau wie Johannes der Täufer erwartete Jesus das baldige Ende der bestehenden Ordnung, deshalb seine Mahunung zur Umkehr, weil die Zeit dränge.
Dies lässt sich auch anders interpretieren.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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