
Raiauer,
vielen Dank für dieses interessante Thema. Wie ich lese, führst Du insbesondere mit Rembremerding eine recht anspruchsvolle Diskussion zu dieser Frage nach Gottes Vorherwissen. Ich stimme Helmuth darin zu, dass wir viel zu wenig über Gottes Wesen wissen, er bleibt für uns unerforschlich. Was wir aber erforschen können ist die Bibel, welche Gott verkündet.
Soweit ich informiert bin geht die katholische Theologie davon aus, dass Gott überzeitlich in dem Sinne ist, dass er nicht zeitgebunden existiert, also jenseits von Raum und Zeit. Meines Wissens erkennt RKK die "klassische" Urknalltheorie an, was angesichts dessen, dass sie von Lemaître stammt auch nicht verwunderlich ist. Gem. dieser Theorie begann die Zeit mit dem Urknall.
Die ganze kosmologische Geschichte des expandierenden Universums "erfüllt" mit allen physikalischen Ereignissen die gesamte Raumzeit, die man meiner Auffassung nach am Besten als etwas
Seiendes begreifen kann, wie die Analogie mit dem Blatt Papier von Rembremerding. Dieses Papierblatt ist sozusagen die Welt des Menschen, in welcher das Leben des Menschen als Linie beschrieben wird. Betrachtet man jenseits und damit ungebunden vom Papier dieses Blatt von oben, so ist diese "Weltlinie" des Menschen etwas Seiendes, wie das ganze Blatt.
Ich denke, dass diese Vorstellung eines jenseits der Zeit geglaubten Gottes aus zwei Gründen problematisch ist:
1. Beschreibt die Bibel meiner bescheidenen Meinung nach einen Gott, für den es offenbar einen Zeitpfeil von der Vergangenheit in die Zukunft gibt.
2. Ist Gott ein Geist. Er denkt und fühlt und agiert. Dies setzt meiner Meinung nach zwingend Zeit voraus.
Da Gott unerforschlich ist, greife ich auf den leeren Raum zurück, dem Vakuum. Dieses ist erfüllt von Quantenfeldern. Eines von ihnen ist das elektromagnetische Feld, welches physikalische Phänomene wie Magnetfelder, elektrische Felder und Licht (EM-Strahlung) ermöglicht. Dieses EM-Feld unterliegt winzigen Schwankungen, das Vakuum fluktuiert. Diese Vakuumfluktuationen könnte man als physikalische "Uhr" ansehen und setzen Zeit voraus, selbst dann, wenn man Zeit nicht als primordiale Eigenschaft der Natur begreift, sondern lediglich als "Hilfsgröße", welche durch Veränderungen von Etwas eine notwendige Vorstellung ist.
Wenn schon das fluktuierende EM-Feld Zeit als Größe voraussetzt, wieviel mehr ein denkender GEIST. Die Vorstellung eines statischen Gottes scheint mir vom Hellenismus inspiriert zu sein, welche jede Bewegung auf einen unbewegten Beweger, dem ewigen, unveränderlichen Sein, zurückführt.
So wie ich die jüdisch-hebräische Vorstellung verstehe, verkündet die Bibel aber einen dynamischen Gott, der zwar ewig und unveränderlich ist, aber dennoch in ständiger Bewegung ist, wie der Himmelswagen von Hesekiel allegorisch veranschaulicht.
Hat Gott die Macht alles vorauszusehen? Ja, warum nicht? Diese Macht ist logisch möglich und ich sehe keinen Grund Gott irgendeine logisch mögliche Macht abzusprechen. Aber MUSS er alles voraussehen? Nein, dies würde ihn in seiner eigenen Handlungsfreiheit einschränken und ich sehe keinen Grund Gott so klein zu denken. Wie der Vater entscheiden kann, ob er das Tagebuch seiner Tochter lies oder nicht, so kann Gott entscheiden, ob und wie er von seiner Macht gebraucht macht. Dies schließt, so denke ich, auch die Macht des Vorherwissens und damit Vorherbestimmens ein. Ist er wirklich allmächtig, so sollte man erwarten können, dass er darüber frei entscheiden kann und somit alles vorausehen KANN, aber NICHT muss.
Ablsout alles vorherwissen zu müssen, würde übrigens in ein Paradox führen. Denn dann wüsste Gott nicht nur was jedes Wesen im Universum irgendwann tun, denken und fühlen würde, sondern dann wüsste er auch, was er selber in Zukunft tun, denken und fühlen würde. Durch totales Vorauswissen würde sich Gott selbst totaldeterminieren und seine Handlungsfreiheit auf null reduzieren. Er hätte keine Macht seine Macht anders zu gebrauchen als vorhergewusst, noch nicht einmal die Macht in Zukunft irgendwas anderes zu denken, als er voraussieht zukünftig zu denken. Wie trostlos.
Ich glaube, dass Gott philosophische Dilemma, wie dieses, mehr als uns bewusst sind, er ist schließlich unerschöpftlich weise. Ich glaube nicht, dass Gott seine Freiheit selbst auf null reduziert, zumal sich damit seine Allmacht mit dem Allwissen ins Paradoxon vollkommender Selbstbeschränkung erschöpfen würde. Dies halte ich für keine sinnvolle Vorstellung.
Laut der Bibel wählt Gott den goldenen Mittelweg zwischen Vorherwissen (und damit Vorherbestimmung) und Freiheitsgraden.
Übrigens, die Quantenmechanik zeigt, dass unser Universum nicht wie ein Urwerk funktioniert, sondern im Mikrokosmos interdeterminiert ist. Offenbar hat Gott die Welt so beschaffen, weil es ein Wille war, dass nicht alles totaldeterminiert ist.