Halman hat geschrieben:Mir scheint die Hermeneutik grundlegender zu sein, sozusagen das Werkzeug des Exegeten und jedes qualifizierten Rezipienten.
Ich verstehe es genau umkehrt: Die Exegese ist das Werkzeug der Hermeneutik: Da ist ein Grundverständnis, das weltanschaulich (egal ob materialistisch oder christlich) geprägt ist - dort ist die Exegese, die aufgrund ihrer klaren "Handlungsanweisungen" dieses Grundverständnis erweitert.
Halman hat geschrieben:Es ist durchaus möglich, dass die Kritiker hier recht haben. Nicht alle hermeneutischen "Werkzeuge" sind wissenschaftlicher Art. Sie können auch religiöser Natur sein.
Aus meiner Sicht: KEIN weltanschaulich geprägtes Grundverständnis (egal ob materiös oder religiös) ist wissenschaftlicher Art - es geht eher umgekehrt darum, ein weltanschauliches Grundverständnis wissenschaftlich zu besetzen. - Und da wäre die für mich momentan nicht klar beantwortbare Frage: Kann die HKM verschiedene Grundverständnisse bedienen?
Diese Frage taucht deshalb auf, weil mir nicht klar ist, ob sich die HKM inzwischen so stark materiös orientiert versteht, dass sie es nur einseitig könnte. - Konkret an unserem ewigen Fallbeispiel: Hat die HKM die Möglichkeit, Parameter wie Heilsgeschichte und Paradigmenwechsel in christlicher Begründung in ihr Argumentarium aufzunehmen?
a) Hier wird sie so dargestellt als können sie es NICHT - dann kann sie nur bedingt dafür zuständig sein für das, was damals historisch der Fall war.
b) Andererseits wird sie von Leuten wie Ratzinger hochgeschätzt - was nur sein kann, wenn sie oben genannte Parameter verarbeiten kann.
Halman hat geschrieben:Die Hermeneutik verstehe ich als Metaebene, ähnlich wie die Erkenntnistheorie für die Physik (Popper). Sie ist die geisteswissenschaftliche Basis für die anaytische Exegese.
Gut ausgedrückt (schön, dass das Gadamer genauso sieht, den ich nicht gelesen habe). - Was aber heißt das?
Es heisst, es gibt keine HKM ohne Metaebene. - Dann bedeutet es aber, dass (historisch-kritische) Exegese Setzungen hat - was wiederum von Verfechtern der HKM heftigst bestritten wird. - Wohl deshalb, weil man das eigene materiöse Weltbild nicht als Setzung bezeichnen möchte, da es ja nur so wissenschaftlich möglich sei - wie es das materiöse Weltbild sagt.
Halman hat geschrieben:Also geht es schlicht um Lesekompetenz.
In diesem Fall meine ich: ja.
Halman hat geschrieben:betreibt der Exeget Exegese durch den Gebrauch der Hermeneutik.
Genau so - aber er muss es halt wissen bzw. sich dazu bekennen (das meint Ratzinger mit "Glaubensentscheid" - egal ob religiös oder materiös).
Halman hat geschrieben:Auf welche Art der Exegese bezieht sich A. Schweiger? Die historisch-kritische? Der Beschreibung nach scheint mir dies so.
Ich habe nicht danach geguckt, weil es mir klar zu sein scheint - nebenbei: Insofern ist die Aussage, die HK-Exegese sei die maßstäbliche Bibel-Exegese, sogar richtig - man guckt nicht mal nach, weil es eigentlich klar ist. - Das Problem ist, wie man mit HK-Exegese umgeht.
Halman hat geschrieben:Strukturmerkmale, wie Wiederholungen ("Und Gott sprach ..." usw.), Parallelismus (Stilmittel hebräischer Poesie) usw. werden erkannt und der Text im zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet.
Richtig - aber NICHT: Was ist mit "Naherwartung" gemeint.
Halman hat geschrieben:Der Exeget bleibt im Idealfall hingegen distanziert und analysiert Kriterien, wie Textgattung, Spannungen (Widersprüche) usw. Verstehe ich dies so richtig, oder bin ich auf dem Holzweg?
So verstehe ich es, und so haben wir es vor einigen Jahrzehnten gelernt. - "Auslegung" heisst in diesem Sinne eher "technische Auslegung" (vielleicht gibt es ein bessseres Wort dafür) - also:
Ich lege aus, dass diese folgende ... Textgattung ist - dass es folgende Widersprüche gibt (Exegese). - Hermeneutisch bedeutet nach meinem Verständnis: Was bedeutet es substantiell, was in dieser Textgattung und in diesem tatsächlichen oder scheinbaren Widerspruch gemeint ist? - Egal, ob bspw. man "Maria" als Allegorie oder als historische Person oder als mythische Wiederholung einer ähnlichen, älteren Figur aus dem nahöstlichen Mythen-Repertoire versteht (= Exegese): Was BEDEUTET sie (= hermeneutisch)?
Halman hat geschrieben: Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Deutunspielraum des Rezeptenten nicht nicht völlig beliebig ist.
Korrekt - und das wird oft nicht verstanden. - Man denkt, wenn etwas nicht nach dem strengen Muster der HKM läuft, sei es unwissenschaftlich und "beliebig". - Das ist nicht so - Theologie ist extrem diszipliniert (deshalb dauert es doch oft so lange, bis irgendeine verbindliche Äußerung aus Rom kommt).
Andererseits: Selbst wenn es wissenschaftlich diszipliniert ist, muss es noch lange nicht wahr sein, weil auch hier (wie überall in den Geisteswissenschaften) ein bestimmter hermeneutischer Grundtenor herrscht ("Glaubensentscheidung"), der auch anders sein kann ("materiöse Glaubensentscheidung"). - Mit anderen Worten: Rom kann vollkommen daneben liegen - die materiös ausgelegte HKM aber auch. - Eben weil wir nicht wissen, welcher hermeneutischer Ansatz am Ende mit dem übereinstimmt, was WIRKLICH der Fall ist.
Halman hat geschrieben:Die HKM ist also
1. analytisch (achtet z.B. auf Spannungen, Brüche usw.)
2. philologisch (also sprachwissenschaftlich und anaylsiert Begriffe, Grammatik usw.) und
3. historisch (zeitgeschichtlicher Kontext, Textgeschichte/Redaktionskritik).
Das entspricht MEINEM Verständnis und dem, was vor einigen Jahrzehnten gelehrt wurde. - Wenn man so will, ist die HKM-Exegese das technische Gerüst, an dem hermeneutisch der eigentliche Inhalt hochgezogen wird.
Und genau deshalb finde ich es prinzipiell bedenktlich, wenn im Namen der HK-EXEGESE (!) der Satz kommt "Jesus hatte eine Naherwartung" (Gerüstbauer sind keine Innen-Architekten). - Korrekt wäre aus meiner Sicht: "Jesus hatte aufgrund historisch-kritischer Erkenntnisse bei folgender .... hermeneutischen Grundlage ("Glaubensentscheid") eine Naherwartung" - vielleicht hat es ja Theißen auch so gemeint.