Tyrion hat geschrieben:Richtig - ich halte sie nicht für eine "gestandene" Demokratie.
OK - das kann ich sogar nachvollziehen. - Aber historisch ist nun mal die USA eine der ältesten Demokratien.
Tyrion hat geschrieben:Die USA sind für mich kein Rechtsstaat.
Auch da würde ich Dir inhaltlich in einigen wesentlichen Gründen gesinnungsmäßig recht geben. - Aber nüchtern wäre dem entgegenzusetzen, dass "demokratischer Rechtsstaat" dann erfüllt ist, wenn eine demokratisch gewählte Verfassung nicht verletzt wird - also Gesetze nicht verletzt werden. - Eine gesinnungsmäßig qualitative Garantie ist dabei NICHT enthalten.
Konkret: Wenn Erdogan demokratisch gewählt ist und der Staat Türkei auf dieser Basis beschließt, die Todesstrafe einzuführen und die Kurden zu verfolgen, ist das (leider) demokratisch und rechtsstaatlich.
Tyrion hat geschrieben:Die USA sind für mich ein Beispiel, wie Demokratie völlig zerfallen kann.
Das sehe ich ähnlich - trotzdem ist es eine Demokratie.
Tyrion hat geschrieben:Dann wirst du mit dem berühmten Geißler-Zitat, dass der Pazifismus der 20er Jahre zu Auschwitz geführt hat, auch viel anfangen können und dieses bejahen, vermute ich.

Nee, falsch vermutet. - Aber mir ist bewusst, dass man in dieses Muster viel unterbringen kann.
Tyrion hat geschrieben: Das Urteil steht fest, an allem sind die dummen Menschen schuld, die Menschenrechte wünschen und Freiheit und Demokratie.
MEIN Urteil ist eher gegenteilig. - Du scheinst das, was in der sogenannten "freiheitlichen Welt" passiert, dann doch wieder zu verklären - obwohl Du gerade bei den USA recht deutlich differenziert hast.
Machen wir es kurz:
Ich hätte gerne eine geläuterte Demokratie, deren "Besitzer" begreifen, was Menschenrechte und Freiheit wirklich wert sind. - Dazu gehört AUCH dazu, dass man sich nicht auf Sprachverhunzungen einlässt, bei denen das ernste Wort "Menschenrechte" für Fragen nach Genderklos verschlissen werden, während Aber-Millionen Menschen in echten Dikaturen echte Probleme haben oder schlicht hungern. - Dieser (medien-bedingt) inflationäre Einsatz solch ernster Worte ist aus meiner Sicht Ausdruck gesellschaftlicher Dekadenz, die kein guter Ratgeber für die Erhaltung von WIRKLICHEN Menschenrechten und Freiheit ist.
Tyrion hat geschrieben:Keine christlichen Kriege mehr? Aha - der Nordirland-Konflikt zählt nicht
Erstens habe ich an anderer Stelle geschrieben "Mit Ausnahme des Nordirland-Konflikts und Bosnien" - wobei es hinwiederum beim Nordirland-Konflikt nicht so einfach ist, wie Du es darstellst: Ich habe da mal vor 40 Jahren für 2 Monate gelebt (Derry) und mit Menschen gesprochen - es gab bereits damals dort viele "Mischehen" und die einmütige Einstellung bei Katholiken und Protestanten, dass es NICHT um theologische Fragen gehe, sondern um nationale Identität - aber das nur nebenbei.
Zweitens machst Du genau das, was ich gerade eben kritisiert habe: Du entwertest den Begriff "Krieg", indem Du Dir absolute Nebensächlichkeiten rauspickst und damit die Grundaussage "Es gibt seit Jahrhunderten keine christlichen Kriege mehr" aus dem Blickfeld geraten lässt. - Denn diese Grundaussage ist nach wie vor richtig. - Wenn es lokale Ausnahmen gibt (mir sind zwei bekannt), ist das keine Falsifizierung, sondern eine Ausnahme der Regel.
Hier bricht - wie so oft in modernen Diskussionen - ein Kollateralschaden des Kritischen Rationalismus durch: Man muss nur ein Haar in der Suppe finden, um methodisch-formal sagen zu dürfen: "Keine Suppe".
Tyrion hat geschrieben:Schuld sind nur die bösen Atheisten, die sog. Naturalisten und alles, was sionst so wert- und verantwortungslos dahinvegetiert. Jaja...
Das wäre auch zu plakativ - natürlich passiert im Namen des Christentums auch heute noch viel Verwerfliches. - Wir sprachen der Einfachheit halber erst mal hauptsächlich von Europa.
Tyrion hat geschrieben:Und jetzt kommt's: Das, was wir HEUTE "Aufklärung" nennen, ist jünger als Friedrich der Große. - Unsere Spät-Aufklärung hat von ihren Grundlagen her so gut wie nichts mit der Früh-Aufklärung und Hoch-Aufklärung zu tun.
Etwas provokativ formuliert, um überhaupt erst mal auf die Spur zu führen - aber prinzipiell richtig. - Aber das würde jetzt in die Frage führen, was "Aufklärung" in verschiedenen Zeiten bedeutet hat.
Tyrion hat geschrieben:, dann wäre der Minderheitenschutz, der auch zu einer parlamentarischen Demokratie gehört, dir wichtig.
Ist mir doch wichtig. - Wenn es nach mir geht, können alle Geschlechts-Variationen einen eingetragene Lebensgemeinschaft eingehen - und müssen geschützt werden. - Genauso wie jede religiöse Tracht, solange sie nicht die Identität des Menschen unaufhebbar verhüllt, zu schützen ist - finde ich sogar bereichernd. - Da bist Du bei mir an der falschen Adresse, wenn Du anderes vermutest.
Tyrion hat geschrieben: In der Türkei wurde früher viel gefoltert und es wird auch heute noch gefoltert. Minderheiten werden nicht geschützt, sondern diskriminiert.
Wenn es die Mehrheit will, ist es leider demokratisch - ich kann nichts daran ändern. - Deshalb liegt mir doch soviel daran, Demokratie werte-mäßig zu qualifizieren - aber genau das ist theoretisch schwer.
Tyrion hat geschrieben:Was entscheidet "das Volk" in Russland denn? Was entscheidet "unser Volk"? Man macht ein Kreuz.
Logisch - es geht nur eine repräsentative Demokratie. - Aber das Volk kann schon indirekt steuern - konkret:
Wenn Putin bei 80% der Bevölkerung beliebt oder zumindestens als tragbar akzeptiert ist, dann sicherlich nicht, weil das ganze Volk in Angst und Schrecken lebt (wie etwa in Nordkorea), sondern weil in Putin eine eigene Identität repräsentiert ist, die anders ist als der materiell hochgeschätzte, aber kulturell als dekant verachtete Westen. - Wäre das NICHT so, könnte sich Putin nicht halten, weil er dann Macht im Apparat verlieren würde - und da wollen ja auch andere nach vorne.
closs hat geschrieben:Kennst du die Weimarer Republik? Wurde da nicht auch "demokratisch" die Demokratie abgeschafft?
So ist es.
Tyrion hat geschrieben:Mein Eindruck aus deinen Beiträgen zeigt mir wenig aufgeklärte Inhalte, sondern eher stark dogmatische Elemente.
Dieser Eindruck wird sich bei näherem Kennenlernen hoffentlich erledigen.
Tyrion hat geschrieben:Was ist für dich "wirkliche" Aufklärung?
1) Die Erkenntnis oder das Suchen danach, dass menschliche Wahrnehmung nicht Maßstab sein kann für das, was der Fall ist. - Dieser Satz ist deshalb wichtig, weil damit der Einstieg in meta-naturalistische Systeme ("Theologie") zwingend wird.
2) Die Erkenntnis oder das Suchen danach, dass gesellschafts-wissenschaftliche Ergebnisse methodisch objektiv sein können, aber in Bezug auf die Realität gleichzeitig grottenfalsch sein können. - Das ist deshalb wichtig, weil damit ein kritischer Blick auf die säkulare Para-Religionisierung von allem, was sich "wissenschaftlich" nennt, möglich werden würde.
3) Die Erkenntnis oder die Suche danach, dass die wissenschafts-METHODISCHE Falsifizierung kein guter Ratgeber ist für das Verständnis der Welt außerhalb methodischer Disziplinen. - Du hast dafür weiter oben ein "gutes" Beispiel geliefert: Meiner General-Aussage, dass es seit Jahrhunderten in Europa keine Religionskriege gegeben hat, hast Du - methodisch zurecht - mit "Nordirland" (mit Einschränkungen) falsifiziert. - Allerdings mit dem Kollateralschaden, dass außer-methodisch, nämlich in der Realität, plötzlich 100 Mio Opfer relativiert werden - so als sei meine Aussage nicht mehr von Grund auf richtig. - Das ist ganz typisch für "Unaufklärung in unseren Zeiten": Man opfert das Große gegen Puzzle.
4) Die Erkenntnis oder die Suche danach, dass Aufklärung nur in einem selber stattfinden kann und nicht über Testimonials - man kann Aufklärung nicht delegieren.
Etc, etc. - es gäbe also viel zu tun. - Aufklärung ist anstrengend. - Ich kann NICHT erkennen, dass vor allem die genauso oberflächlichen wie lauthalsen Aufklärungs-Apostel sehr angestrengt wirken.
