Halman hat geschrieben:Zudem sind unsere hermeneutischen Zugänge zum Thema verschieden: Da Gott für Dich nicht existiert und wir demzufolge alle im Literalsinn "gottlos" leben müssen, kann die Abgrenzung "gottlos" sinnvollerweise nicht alle meinen, sondern lediglich jene, die sich nicht auf einen Gott berufen. So verstehe ich Deine Logik.
Und genau so meine ich es auch

Da für Gläubige Gott existiert, ist die Frage, ob ein Mensch gottlos ist oder nicht, nicht lediglich daran gekoppelt, ob er sich auf Gott beruft, sondern daran, ob sich dieser aus Gottes Sicht zurecht auf ihn beruf.
Klar! Früher war es zudem undenkbar, dass jemand wirklich atheistisch ist (sage ich mal so). Da gab es gottlose im Wortsinn nicht. Insofern wäre jemand, der sich zu Unrecht auf Gott beruft, nicht von Gott berufen, also "gottlos". Trotzdem wird ja differenziert: es gibt "Heiden", es gibt "Götzendiener" - beides Begriffe für Menschen, die andere Gottheiten anbeten (letzteres alttestamentarisch - wer Baahl anbetet, oder Ea oder Marduk usw., war Götzendiener)
Das Handeln der IS ist aus christlicher Sicht zutiefst gottlos. Aus sunnitischer Sicht mag dies anders sein.
Genau das meine ich, wobei auch viele Sunniten den IS als nicht von Gott liegitimiert sehen.
Um diesen Infantilismus geht es aber nicht. Es geht darum, ob die Berufung auf Gott gem. der Berufung auf die Heilige Schrift auch schlüssig vertreten werden kann.
Aber nur, wenn es darum geht, ob jemand, der sich als Christ sieht, "gottlos" in dieser Definition ist. Wenn es darum geht, welche Quelle nun herangezogen wird, um zu belegen, dass jemand zurecht oder zu unrecht sich auf Gott beruft, bleibt es bei dem "meine Heilige Schrift ist besser, da sind mehr Prophezeiungen drin usw."
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. - Ja, das Adjektiv "gottlos" ist sogesehen in der Tat ein unglücklicher Sammelbegriff. Gem. dem Duden ist es ein Polysem mit zwei Bedeutungsräumen:
1. nicht an Gott glaubend; Gott leugnend
2. verwerflich
Genau - und da ist das Problem. Ich empfinde die Interpretation "verwerflich" als beleidigend - sie ist ja auch so gemeint. Man kann es hier auch oft lesen: Atheisten seien charakterlos usw. Da werden die beiden Definitionen vermischt.
Die erste Definition ist im Wortsinn klar und richtig. Und wer nicht an Gott glaubt, will sich eben nicht mit Islamisten in einen Topf geworfen sehen, da diese ja auch für einen Christen gottlos seien. Das ist dann wieder zu pauschal - "alle, die nicht an meinen Gott glauben, sind gottlos".
Wenn innerhalb der Legitimation differenziert wird, gibt es ja auch "irrgläubig", "dem falschen Propheten folgend" und viele weitere Möglichkeiten mehr.
Die Keule "gottlos" als Schimpfwort ist sehr platt und wenig differenziert.
Bei polysemen Begriffen sollte der Kontext klarstellen, in welchem Sinne der Begriff verwandt wird.
Stimmt - und da ich mich nicht gerne in eine mich beleidigende Schublade stecke, lehne ich die Gleichsetzung mit "verwerflich" ab. Und man sieht erneut, dass bei uns weniger die Christen, sondern eher die, die sich trauen, sich als Atheisten zu bezeichnen, abgewertet werden. Hier in Bayern zieht sich das sogar durch die Gesetzgebung. Würde ich mich mit Realnamen als Atheist outen, hätte ich nur sehr eingeschränkte Aufstiegschancen - und nein, ich bin nicht bei einer kirlichen Institution angestellt - ich arbeite für Vater Staat und habe auf die Verfassung geschworen. Als Atheist muss man sich dann gewissermaßen verstecken. Die feindliche Rhetorik, die als normal angesehen wird (ich meine hier - das gottlos als verwerflich), spielt da mit eine Rolle.