Halman hat geschrieben:Der Beitrag ist aber nichts für Sozialromantiker, sondern für Realisten
Das scheint in manchen Kreisen die neue Sprachregelung zu sein

Wenn ich grundlegende Werte bejahe, bin ich schon ein Sozialromantiker? Würdest Du dann Jesus als weltfremden Utopisten bezeichnen? Ich könnte Dich nun fragen, ob es nicht deine/unsre Aufgabe ist, als Nachfolger Jesu/gläubige Menschen, wenn wir uns schon so zu nennen wagen, dem weltlichen Pragmatismus und Materialismus, ein paar Ideale entgegenzustellen? Das Evangelium vermittelt auch eine politische Botschaft. Ich würde mich mit Berufung auf den Nazarener als realistischen Idealisten bezeichnen. So wie dieser Mann hier:
Was würde Jesus heute sagen und tun? Solidarität mit allen Menschen, insbesondere den Schwachen, denen helfen die in Not sind (was die Definition von Nächstenliebe ist) gehört sicher dazu. Stattdessen gibt es bei uns Werbeslogans wie „
Geiz ist geil, ich bin doch nicht blöd“ oder bei manchen auch „Ausländer raus“. Gerade aufgrund meines Realitätssinnes werde ich mich an diesen Ungeist nicht anpassen, weil ich mir der Konsequenzen bewusst bin. Aber wer sagt nicht gerne von sich selbst „
Ich bin ein Realist“? Viele Menschen haben sich im Laufe der Zeit auf Jesus berufen, so auch die Tempelritter, die ihr Handeln wohl ebenfalls sehr realistisch fanden, so schreibt der britische Historiker Desmond Seward in seinem Buch „The Monks of War“:
„Im Juli 1099 wurde Jerusalem gestürmt. Die tollwütige Grausamkeit bei der Plünderung der Stadt bewies, wie wenig es der Kirche gelungen war, atavistische Instinkte zu christianisieren. Die gesamte Bevölkerung der Stadt wurde massakriert, Juden wie Muslime, 70000 Menschen, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder, kamen um in dem Holocaust, der drei Tage lang andauerte. Stellenweise wateten die Männer bis zu den Knöcheln im Blut der Erschlagenen und die Reiter waren blutbespritzt, als sie durch die Straßen ritten.“ (Desmond Seward, The Monks of War, Penguin Books, London 1972.)
Es ist ja nicht so, dass das Evangelium irgendwo ein abstraktes Dasein gefristet hätte, viele Menschen haben sich auf Jesus berufen mit ihren guten Taten und leider auch Untaten, beispielsweise George W. Bush. Es ist nicht lange her, da prägte der damalige US-Präsident (im Jahr 2002), in seiner Rede zur Lage der Nation, den Begriff einer „Achse des Bösen“ (Axis of Evil). Das ist ein Mann, der seine Kabinettssitzungen mit Lesungen aus der Bibel und gemeinsamen Gebet begann. Was würde heute der Gekreuzigte zu unsren Herausforderungen sagen, in dem viele die prophetische Gestalt des in Demut und hingegebener Liebe leidenden Gottesknechts erkennen, den Jesaja im Alten Testament prophezeite? Außerdem verkündigen ihn Christen gleichzeitig als den Auferstandenen, der mit seinem Geist immer noch gegenwärtig ist: was hat dieser Geist uns heute zu sagen?
Oder hören sie nicht zu oder glauben es gar nicht mehr?
„George W. Bush ist ein Anhänger der »fundamentalistischen« Bibel-Auslegung. Er gehört zu den »Wiedergeborenen - the born again« und macht heute seine sündigen Jugendjahre, seine frühen alkoholischen Exzesse durch betonte religiöse Militanz wett. Wie amerikanische Psychologen feststellten, ist der Präsident von der gottgewollten Mission Amerikas ehrlich durchdrungen, empfindet sich als »Leader« eines auserwählten Volkes, könnte ohne Umschweife als »Gotteskrieger im Namen der Freiheit« definiert werden. Nicht nur im islamischen Orient sammelt sich also die »Hizbullah«, auch in den USA beansprucht eine fundamentalistisch-christliche »Partei Gottes« die Lenkung des Weltgeschehens.“ (Peter Scholl-Latour, ebd., S. 51)
http://www.hubert-brune.de/scholl_latour_zitate.html
Da wäre mal metanoia (μετάνοια) angebracht, was wörtlich etwa „
Umdenken, Sinnesänderung, Umkehr des Denkens“ bedeutet. Das ganze Neue Testament handelt von der Umkehr des Denkens und nicht der Anpassung an die Welt. Wobei der hebräische Begriff שוב schub, noch mehr bedeutet, als nur eine Umkehr im Denken: sondern eine Wandlung der gesamten Existenz. „
Denkt um, lebt anders!“ würde Jesus mit Sicherheit sagen, was gerade dadurch möglich wird, dass der Mensch die Realität wachen und mitfühlenden Geistes anschaut und dann zu der Schlussfolgerung kommt, dass eine Umkehr notwendig ist.
Eines Tages kam Jesus wieder in seine Heimatstadt Nazareth. Am Sabbat ging er wie gewohnt in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Heiligen Schrift vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Jesus öffnete sie, suchte eine bestimmte Stelle und las vor: "Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich berufen hat. Er hat mich gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen. Ich rufe Freiheit aus für die Gefangenen, den Blinden sage ich, dass sie sehen werden, und den Unterdrückten, dass sie bald von jeder Gewalt befreit sein sollen. Ich rufe ihnen zu: Jetzt erlässt Gott eure Schuld."
https://www.bibleserver.com/text/HFA/Lukas4,18
Unsre Aufgabe ist es also, dass wir eine „
frohe und befreiende Botschaft“ (!) verkündigen. Die sich, wenn ich das richtig verstanden habe, universal an alle Menschen richtet, also auch an unsre muslimischen Mitmenschen; oder vielleicht sollte ich besser sagen: unsre Geschwister im Geiste. „Mit der Bergpredigt kann man nicht die Welt regieren!“, so behaupten viele der sogenannten „Realpolitiker“ sehr gerne. Lasst uns ehrlich sein: das ist ein ziemliches Armutszeugnis. Denn Richard von Weizsäcker hat die Wahrheit ganz einfach in Worte gefasst:
„Ich kann mir humane Politik nur mit der Bergpredigt vorstellen.“
Will man mir als einer edlen, vernunftbegabten Seele tatsächlich weismachen, dass eine humane Vision für das Leben und die Weltpolitik, wie sie die Bergpredigt vermittelt, „
Sozialromantik“ ist, während inhumane, rücksichtslose und ungerechte Politik „
realistisch“ sei? Wie gesagt: „
liebt eure Feinde“ bedeutet eigentlich: lasst alle Feindbilder los. Das ist nicht unrealistisch, denn solch ein Änderung im Denken hat tiefgreifende positive Konsequenz für unser alltägliches Leben und somit die Realität.
Als Jesus vor 2000 Jahren seine Überzeugung vortrug, war die Aufregung und Empörung genauso groß. „Das Volk war außer sich“, heißt es am Schluss der Bergpredigt. Ganz pragmatisch: Wie war denn die bisherige Politik ohne Bergpredigt? Konflikte und Machtfragen wurden oft mit Krieg und Massenmord „gelöst“. Die Geschichte ist seit 2000 Jahren bis zum heutigen Tag eine schreckliche Folge von Kriegen und Gewalt, von Rache und Verhöhnung statt Versöhnung[...]Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren? Wer es nicht einmal ausprobiert, kann es auch nicht erleben. Feindesliebe heißt nicht: Lass dir alles bieten. Feindesliebe heißt: Sei klüger als ein Feind. Das hat Jesus gemeint. So schaffen wir eine Kultur des Friedens. Die Geschichte beweist: Nur mit der Bergpredigt gibt es eine Befreiung zum Frieden. Nur mit Vertrauen in uns selbst, wie Jesus es vorschlägt, werden wir friedensfähig. Wir Christen sollten weniger bekennen, sondern mehr erkennen. Dann finden wir auch endlich die wirkliche Pädagogik des Friedens in der Bergpredigt.
Dr. Franz Alt studierte Politologie, Geschichte, Philosophie und Theologie. Bekannt wurde der Journalist und Buchautor als Leiter und Moderator des politischen Magazins „Report“
Quelle
Meine Meinung: wahre Realisten orientieren sich an der Bergpredigt, denn sie hilft uns eine Welt mit einem menschlichen Antlitz hervor zu bringen. Mit Versöhnung anstatt mit Verhöhnung, mit Vergebung anstatt Rache, mit Feindesliebe (Mitgefühl und Weisheit) anstatt Gegengewalt antworten, das verlangt Realitätssinn, da man sich der Konsequenzen bewusst ist, wenn man es unterlässt. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt es ja.