Alles Teufelszeug? V

closs
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#511 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 11:59

Münek hat geschrieben:Nachdem ich diesen "wissenschaftlichen Beitrag" kritisch gelesen habe, bleibe ich bei meiner These, dass es in der Bibel keinerlei Anhaltspunkte für die "Unbefleckte Empfängnis Marias" sowie deren "Leibliche Aufnahme in den Himmel" gibt.
Das kann man weltanschaulich so sehen - ich fand den Artikel zwar konsistent, aber nicht umwerfend.

Münek hat geschrieben:Deshalb ist wenig sinnvoll, wenn Du immer wieder "auf das, was der Fall ist" hinweist. Es ist ein nichtssagender Spruch ohne Inhalt.
Es ist der einzige Inhalt. - Wir müssen nicht wissen, was der Fall ist, sollten aber wissen, dass das, was der Fall ist, IMMER unsere Wahrnehmungs-Systeme toppt.

Münek hat geschrieben:Sie waren davon überzeugt, dass sich die überlieferten Geschichten (Paradies, Sündenfall, Turmbau zu Babel, Sintflut, Vernichtung von Sodom und Gomorra) tatsächlich so wie beschrieben ereignet hatten.
Das glaube ich genauso wie Du - das war die Denke der Zeit.

Münek hat geschrieben:Was bringt es mir, wenn ich die "Schlacht im Teuteburger Wald" als geistig-real, aber als historisch unreal oder umgekehrt betrachte?
Nichts. :lol: - Aber es macht vielleicht Sinn, wenn Du die geistige Realität hinter der nicht-historischen Genesis-Geschichte verstehst.

Münek hat geschrieben:da ist sogar Ratzinger entschieden anderer Meinung. Ohne Geschichtlichkeit fehlt dem Christentum das Fundament.
Ja - insofern, als dass das Geistige in der Geschichte real ist.

Münek hat geschrieben:Klar - Gott offenbart sich in der Geschichte.
Eben - und das tut er (nach christlicher Lesart) bspw. in seinen Propheten und vor allem in dem, was sie sagen. - Und was sie sagen, sind insofern "Chiffren", als dass sie etwas sagen, was für den Menschen nur in Bildern/Gleichnissen/etc. formulierbar ist, da Gott nicht "im Original" vermittelt werden kann. - Und all das tun sie "in der Geschichte".

Münek hat geschrieben:Der KKK spricht von dem biblischen Stamm-Elternpaar Adam und Eva. Rechnet man biblisch zurück, lebten sie vor ca. 6000 Jahren.
So ist es. - Und jetzt s.o.: Die Genesis ist ein Bild/Gleichnis/etc., mit dem etwas gesagt wird, was "im Original" nicht vermittelt werden kann. - Man könnte es auch in philosophischer Sprache mit ganz anderen WOrten vermitteln: Aber dann hätte man es damals nicht verstanden (und heute auch nur von den wenigsten).

Münek hat geschrieben:Im "Katechismus der Katholischen Kirche" wird es anders dargestellt.
Ja - weil man in einem KAtechismus nicht mit Heidegger-Sprache kommen kann - der Katechismus ist eine LEHR-Einrichtung - da muss man von mehr als 0,3% der Menschen verstanden werden.

Münek hat geschrieben:Vor 200 000 Jahren gab es keinen Verstoß gegen ein göttliches Gebot und damit auch keinen Sündenfall.
Ultra-platt hast Du recht.

Münek hat geschrieben:Keine Ahnung, wie sie das in die Reihe kriegt.
Das ist aber DEIN Problem. - Denn die RKK hat es längst auf die Reihe gebracht.

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#512 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 12:28

Münek hat geschrieben:Welche übergriffigen Interpretationen beinhaltet die Evolutionstheorie?
Die Theorie selber ist nicht das Problem, sondern der Mensch, der sich ihrer bemächtigt, indem er sie über das WIssenschaftliche hinaus interpretiert.

Münek hat geschrieben:Lies noch mal den von mir zitierten Satz vom Papst Benedikt XVI. Da kann doch von Anerkennung nun wirklich keine Rede sein.
Doch. - Er akzeptiert das, was "in(nerhalb) der Evolutionstheorie" gesagt wird. - Aber nicht, was ihr heraus interpretiert wird.

Münek hat geschrieben:Da gibt es nichts misszuverstehen.
Sollte aber. - Du kannst nicht ständig Bücher, die Du nicht verstehst, dafür verantwortlich machen.

Münek hat geschrieben:Was soll das mit einem sündhaften Verstoß gegen ein Gebot des Gottes Jahwe zu tun haben? Der Homo sapiens kannte diesen Gott nicht.
Das ist irrelevant. - Es wird im Nachhinein erklärt, welche Konsequenzen der Eintritt der Natur ins Eigen-Bewusstsein hat.

Münek hat geschrieben:Für mich ist der Genesisbericht ein Mythos. Für Jesus, Paulus, ihre Zeitgenossen und später für die katholische Kirche war er überhaupt kein Mythos, sondern ein sich tatsächlich ereignetes Geschehen in Raum und Zeit. Niedergeschrieben von göttlich inspirierten Menschen, die sich laut KKK Jahwe extra dafür ausgesucht hatte.
Alles richtig. - Aber Deine Schlussfolgerungen sind falsch. - Also nochmals: Für die RKK ist der Genesis-Bericht NICHT "historisch" im Sinne eines "Dies hat etwa vor 5.000 Jahren so stattgefunden" - er ist jedoch "wirklich" in dem Sinne, dass das, was hinter dieser mythischen Erzählung steht, real ist.

Will heißen:
* Gott schuf die Welt WIRKLICH, was sich im Sinne der ET noch heute vollzieht.
* Das Erkennen des Ich durch den Menschen ist WIRKLICH und durch die Sündenfall-Geschichte chiffriert.
* etc.

Pluto hat geschrieben:Vor oder nach dem die Kirche die ET mit ihren Lenkungsvorstellungen verunstaltet hat.
Nicht die ET selbst - nach wie vor: Ich halte die ET für eine wissenschaftliche und nicht weltanschauliche Theorie. - Deshalb gilt: Wie sie philosophisch zu verarbeiten ist, ist nicht Sache der ET selbst.

Pluto hat geschrieben:Begründen (nach hermeneutischer Art) genügt in einer wissenschaftlichen Theorie nicht. Es müssen schon Fakten und Beobachtungen sein.
Kann man als kritisch-rationaler Naturalist so sehen, ist aber irrelevant, weil es hier um Philosophie geht, NACHDEM die Wissenschaft abgeschlossen und anerkannt ist.

Pluto hat geschrieben:Es ist für die Wissenschaft sogar SEHR relevant, ob die Theorie von der Kirche übernommen wird, oder ob sie die Theorie mit aus der Luft gegriffenen Vorstellungen, verunstaltet.
Du verwechselst wieder "Wissenschaft" mit "Weltanschauung".

Denn die methodisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse der ET, dass es bspw. keine Teleologie in der ET gibt und wie die naturwissenschaftlichen Gesetze/Abläufe der ET sind, ist voll von der RKK anerkannt - somit wird diese Theorie von der Kirche übernommen. - Was sie nicht davon abhält, weltanschaulich zu bewerten, wie dieses naturwissenschaftliche System einzubetten ist - und da kommt man eben zum Ergebnis, dass es JENSEITS des wissenschaftlichen Zugriffs eine Planung gibt.

Dieser weltanschaulichen Auffassung der Theologie muss man nicht folgen - man kann ihr also selbstverständlich eine andere weltanschauliche Auffassung entgegenstellen (bspw. Naturalismus/Materialismus/etc.). Aber man kann ihr eben keine WISSENSCHAFTLICHE Auffassung entgegenstellen, weil "Wissenschaft" und "Weltanschauung" auf vollkommen verschiedenen Ebenen agieren.

Pluto hat geschrieben:Sie will unbedingt ihre Lenkungsvorstellungen dort einbringen,
Nein - nicht "dort", also NICHT in das wissenschaftliche Umfeld. - Sie greift NICHT in die Wissenschaft ein, sondern bewertet wissenschaftliche Ergebnisse weltanschaulich.

Das ist das alte Problem, das wir auch bei der HKM haben - die Verwechslung von "Wissenschaft" und "Weltanschauung/Interpretation". - Dies ist Folge einer gigantischen Zirkelreferenz:
* Wir legen weltanschaulich fest, dass Weltanschauung nach den Gesetzen des Kritischen Rationalismus funktioniert (siehe auch: "Analytische Philsophie").
* Wir beobachten, was die (kritisch-rationale) Wissenschaft so alles zutage bringt.
* So weit wir es kritisch-rational nicht widerlegen können, gilt der Satz "Weltsanschauung = Wissenschaft".

Ein gigantischer Zirkelschluss, der nicht ewig durchzuhalten ist. - Ganz nebenbei: Auch das sogenannte "Postfaktische" ist Symptom dafür, dass es nicht durchhaltbar ist. - Das kann man mit Sorge sehen (tue ich sehr wohl, weil sich damit gefährliche Entgleisungen durchsetzen können), ist aber nötig, um aus dem Würgegriff, kritisch-rationaler, also strikt anthropozentristischer, Weltanschauungen rauszukommen.

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#513 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Münek » Fr 20. Jan 2017, 17:25

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Was soll das mit einem sündhaften Verstoß gegen ein Gebot des Gottes Jahwe zu tun haben? Der Homo sapiens kannte diesen Gott nicht.
Das ist irrelevant. - Es wird im Nachhinein erklärt, welche Konsequenzen der Eintritt der Natur ins Eigen-Bewusstsein hat.
Auch wenn Du es im nachhinein erklären willst, es gelingt Dir nicht: Der Homo sapiens hat vor 200 000 Jahren gegen kein Gebot Jahwes verstoßen; er kannte den Gott der Bibel überhaupt nicht. Der hebräische Gott ist eine sehr späte Erscheinung. Im "Katechismus der Katholischen Kirche" heißt es klipp und klar, dass der Sündenfall zu Beginn der Geschichte des Menschen durch das Stamm-Elternpaar Adam und Eva unter Einflüsterung des Teufels (Schlange) tatsächlich stattgefunden hat.

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#514 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 18:43

Münek hat geschrieben:Auch wenn Du es im nachhinein erklären willst, es gelingt Dir nicht
Das ist schlecht - aber meine Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt. - Dann verstehst Du es halt nicht.

Halten wir fest:
Aus Deiner Sicht erklärt die RKK einerseits, dass sie die ET anerkannt - andererseits meint sie, dass der Beginn der Menschheit irgendwann vor ca. 5.000 Jahren war. - Verstehe ich richtig, dass Du es so verstehst?

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#515 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Fr 20. Jan 2017, 20:07

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nee, Ratzinger wollte sie de facto abschaffen.
Er sieht Strömungen innerhalb der heutigen säkular-interpretierenden HKM nicht als Grundlage der Theologie - das ist richtig.
Das ist das Problem. Wenn man schon die Grundlagen falsch legt, kann das Konstrukt nicht konsistent sein.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es ist keine Wissenschaft, sondern eine willkürliche Behauptung, die dazu noch auf einem Übersetzungsfehler beruht.
Das ist ein ideologischer Satz durch und durch und wird der Sache nicht gerecht. - Persönlich kann ich bei diesen zwei Dogmen inhaltlich nicht mitreden, außer dass sie folgerichtig und nicht falsifizierbar sind. Es könnte also prinzipiell historisch stattgefunden haben. - Aber die Interpretations-Fehler innerhalb der HKM sind teilweise derart haarsträubend, dass deren ERgebnisse immer unter Vorbehalt stehen.
Der Übersetzungsfehler ist belegt. Die Frage wäre nun, ob es ein absichtlicher Übersetzungsfehler war. Als Schreiber mit hellenistischem Background waren ihm die verschiedenen Kulte aus dem hellenistischen Raum sicher nicht unbekannt. Möglich wäre es, dass er die Jungfrauengeburt unbedingt in seine Theologie einschleusen wollte.
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#516 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 20:50

sven23 hat geschrieben: Wenn man schon die Grundlagen falsch legt, kann das Konstrukt nicht konsistent sein.
Davon abgesehen, dass auch Systeme mit "falschen" Grundlagen in sich konsistent sind, kommt hier noch dazu, dass die Grundlage von Ratzinger genau richtig sein kann - es ist eine rein weltanschauliche Frage.

sven23 hat geschrieben:Der Übersetzungsfehler ist belegt.
Du meinst die "Jungfrau/junge Frau"-Sache? - Dazu wurden hier im Forum schon Wissenschaftler zitiert, die meinen, das beides richtig ist.

sven23 hat geschrieben:Möglich wäre es, dass er die Jungfrauengeburt unbedingt in seine Theologie einschleusen wollte.
Die entscheidende Frage wäre dann: Gemessen an der Wirklichkeit zu Recht oder zu Unrecht. - Da diese Frage nicht falszifizierbar ist, bleibt es so stehen.

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#517 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Fr 20. Jan 2017, 21:13

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Wissenschaft muss sich immer über ihre Methoden Rechenschaft ablegen. Wer da durchs Rost fällt, hat eben Pech gehabt.
SChon wieder zirkelreferent. - "Lass uns setzen, was 'Wissenschaft' ist - das nehmen wir jetzt zum Maßstab des Bibelverständnisses - alles andere fällt durch den Rost - was aber durch den Rost fällt, kann nicht Maßstab für Bibelverständnis sein". :D
Wenn wir von der historischen Jesusforschung sprechen, ist die HKM das Mass der Dinge. Alles andere fällt nun mal durchs Rost. That´s it.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wer den Heiligen Geist und Glaubensentscheide für seine Argumentation benötigt, hat sich automatisch aus der Wissenschaft rausgekickt. So einfach ist das.
So falsch ist das. - Davon abgesehen, dass eine methodische Entscheidung ebenfalls eine Glaubensentscheidung ist (ob man "HG" oder "Popper" sagt, ist diesbezüglich austauschbar), jubelst Du willkürlich unter, dass der kritische Rationalismus die Methodik der Wahl sei, um die Bibel zu verstehen.
In der historischen Jesusforschung bedarf es nun mal eine wissenschaftlichen Methode. Da ist die HKM alternativlos.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Unredlich ist es in der Tat, Cherry-Picking zu betreiben
Meine Rede.
Und genau das machen Kanoniker und Glaubensdogmatiker.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:und dafür noch den wissenschaftlichen TÜV-Stempel zu beanspruchen
Das ist kein Thema in der Theologie - dort geht es darum, Bibel und Christentum methodisch zu erfassen und zu erklären. - Man subsummiert das unter "Wissenschaft" (weil es wissenschafts-theoretisch geht), aber man tut dies eher nebenbei - es geht hier um die Sache und nicht um Wissenschafts-Modelle.
Eben, deshalb braucht es auch keine Weichmeier-Wissenschaftsmodelle.
Man kann es nicht oft genug sagen: der Glaube an Gott belegt nicht Gott, sondern den Glauben an Gott, mehr nicht. Das gleiche gilt für die methodische Erfassung dieses Glaubens.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass der unbekannte Schreiber des Johannesevangeliums nicht identisch ist mit Apostel Johannes
Halte ich für plausibel, aber nicht sicher. - Mit anderen Worten: In der Sache ist es wurscht.
Wenn es wurscht wäre, müßten sich Ratzinger und Berger nicht echauffieren. Als sicher gilt in der Forschung, dass das Johannesevangelium am wenigsten mit dem historischen Jesus zu tun hat, wenngleich es sprachlich und inhaltlich schöne Passagen enthält, wie auch ein Kubitza bestätigt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es war ein Trick der Kirche, um den Eindruck zu erwecken, es handele sich um Augen- und Ohrenzeugen.
Man hat geistige Authentizität (oder das, was man dafür hält) übersetzt in etwas, was die Menschen verstanden haben - so wie es heute die Medien auch machen: Wie verkaufe ich es meinem Kinde?

Das ist wissenschaftlich NICHT in Ordnung, aber heute wie damals der Normalfall.
Nein, heute ist es nicht üblich, unter dem Namen eines bekannten Autors zu veröffentlichen. Und damals hat die Kirche das nicht aus Jux und Dollerei gemacht, sondern es steckte eine Absicht dahinter. Im günstigsten Fall kann man von Etikettenschwindel sprechen.


closs hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Das hat sich bei den Herren hier eben noch nicht rumgesprochen. Sie leben noch im 19. Jahrhundert.
Ja - es gibt noch Denominationen, die ihre Chiffren naturalistisch abgesichert haben wollen - ich halte dies für einen großen Fehler.
Man sollte aber nicht so tun, als habe sich die Kirche nicht von Anfang an gegen die Evolutionstheorie mit Händen und Füßen gewehrt.
Für die Rehabilitierung Galileos haben die Schnellmerker der Kirche fast 360 Jahre gebraucht.
Wenn man heute von den Errungenschaften der christlich-abendländischen Kultur spricht, dann meint man vor allem die Aufklärung, die gegen Christentum und Kirche durchgesetzt werden mußte, wie Richard-David Precht richtig sagt.

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#518 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 22:16

sven23 hat geschrieben:Wenn wir von der historischen Jesusforschung sprechen, ist die HKM das Mass der Dinge.
Das heisst aber nicht, dass die HKM der Maßstab dafür ist, was Jesus wirklich/historisch war. - Die HKM ist das methodische Mittel der Wahl, wenn es um materialismus-basierte Daten rund um Jesus geht - gewiss. Aber sie kann nur sehr bedingt mitreden, wenn es um die Interpretationen dessen geht, was Jesus sagt.

sven23 hat geschrieben:Da ist die HKM alternativlos.
Das ist ein ideologisches Credo. - Sie mag eventuell unter spezifischen wissenschafts-theoretischen Haltungen alternativlos sein - aber das ist schon alles.

sven23 hat geschrieben:Und genau das machen Kanoniker und Glaubensdogmatiker.
Nein - das macht die HKM, wenn sie einerseits materialistisch-ergebnisoffen sein will und gleichzeitig darauf besteht, in theologischen Fragen der Wirklichkeit Jesu mitzureden. - Entweder, oder.

sven23 hat geschrieben:der Glaube an Gott belegt nicht Gott, sondern den Glauben an Gott
Seit immer ist dieser Satz korrekt. Das ist nichts Neues.

sven23 hat geschrieben:Das gleiche gilt für die methodische Erfassung dieses Glaubens.
Das gilt auch für die methodische Erfassung der HKM.

sven23 hat geschrieben:Als sicher gilt in der Forschung, dass das Johannesevangelium am wenigsten mit dem historischen Jesus zu tun hat
Aber vielleicht mit dem wirklichen Jesus - also nicht der HKM-Rezeptions-Jesus, sondern der, wie er selber gedacht hat.

sven23 hat geschrieben:Nein, heute ist es nicht üblich, unter dem Namen eines bekannten Autors zu veröffentlichen.
Das ist eine andere Sache als die, von der ich rede. - Mal nebenbei: Glaubst Du, dass Trump die Rede selbst geschrieben hat, die er heute gehalten hat? - Hätte er gesagt: "Ich lese Euch jetzt mal das vor, was mein Redenschreiber meint", würde die Wirkung seiner Rede nicht autorisiert wirken.

Wenn es nach Dir ginge, müssten die Gemeinde sich jeden Sonntag anhören:
"Von Jesus haben wir nichts schriftlich - wir wissen, dass die Evangeliare viel über ihn geschrieben haben - das, was uns an Quellen vorliegt, ist später als die Evangeliare geschrieben worden - zum Teil kann es auch neu im Sinne Jesu verfasst worden sein - wir lesen also heute aus dem Evangelium 4.Ordnung in Bezug auf eine Urquelle, die vermutlich auf die Evangeliare zurückgeht - aber es kann auch falsch sein, weil es schnell ganz anders sein kann, wenn wieder mal eine alte Quelle gefunden wird".

Das kann man in einem Seminar sagen, aber nicht, wenn es um die Vermittlung geistiger Inhalte geht, deren Urheber eh egal ist, da entscheidend ist, ob etwas authentisch ist zur Wirklichkeit Jesu oder nicht.

sven23 hat geschrieben:Man sollte aber nicht so tun, als habe sich die Kirche nicht von Anfang an gegen die Evolutionstheorie mit Händen und Füßen gewehrt.
Stimmt - weil sie mit Aufkommen der ET ein Chiffren-System aufgeben mussten und somit erneuert werden musste - da gibt es Trägheits-Kräfte, mit denen die Kirche bei ihrem Gewicht lange dagegen halten konnte. - Dazu kommt auch, dass man frühzeitig erkannt hat, dass ein weltanschauliches Der ET in die Irre führt - wie es heute ja tatsächlich passiert.

Unterm Strich hat sich für die RKK nichts geändert: Sie verkündet exakt dasselbe wie vorher, nur dass sie es anders aufbaut.

sven23 hat geschrieben:Für die Rehabilitierung Galileos haben die Schnellmerker der Kirche fast 360 Jahre gebraucht.
Neulich kam mal ein Fernsehbericht (N24?/NTV?Phoenix?), in dem nachgewiesen wurde, dass die Kugelgestalt der Erde im Mittelalter allgemein bekannt war - das war nicht das eigentliche Problem.

Beim Galileo-Streit ging es um etwas,was auch heute noch aktuell ist: Nämlich die Rolle der Natur in Bezug auf die geistige Erkenntnis des Menschen. - Das Problem: Da man damals noch nicht zwischen gleichnishafter und wissenschaftlicher Chiffrierung unterschieden hat (wie man auch nicht zwischen historischer und geistiger Wirklichkeit unterschieden hat), kamen sich Wissenschaft und Theologie ins Gehege - weshalb sich die Wissenschaft zurecht aufregen konnte. - Das ist also alles etwas schwieriger, als es die unsere späte Scheinaufklärung gerne ideologisch darstellt.

Dazu kommt übrigens noch, dass Galilei zwar formal verurteilt, aber nie eingekerkert (geschweige denn verbrannt) wurde - es ging um eine formale Abweisung in einer Grundsatzfrage (die zu Unrecht erfolgte) - was übrigens dazu führte, dass der damalige Papst das Urteil gegen Galileo NICHT unterzeichnet hat, was eigentlich zu erwarten gewesen wäre. - Hier würde sich also eine vertiefte Beschäftigung jenseits von ideologischem Holzhammer-Getöse durchaus lohnen - wenn es einem darum ginge.

sven23 hat geschrieben:Wenn man heute von den Errungenschaften der christlich-abendländischen Kultur spricht, dann meint man vor allem die Aufklärung, die gegen Christentum und Kirche durchgesetzt werden mußte, wie Richard-David Precht richtig sagt.
Das sieht man gerne so aus der Zeit der Spät-Aufklärung heraus - undifferenziert ist es allemal.

Ehrlicher und anspruchsvoller wäre, wenn man erkennen wollte, dass die europäische Aufklärung einen genuin christlichen Ursprung hat, der in der Tat von der Kirche (mit durchaus ernstzunehmende Gründen - siehe Briefwechsel zwischen Luther und Erasmus) gebremst wurde.

Wenn man "Kirche/Christentum" und "Aufklärung" im Widerspruch sehen möchte, gilt dies in der Tat seit dem Übergang der Hochaufklärung in die Spät-Aufklärung hinein. - Denn seit dieser Zeit orientiert sich die Aufklärung nicht mehr theozentrisch, sondern anthropozentrisch. - Beides kann aufgeklärt sein, wobei ich persönlich die theozentrische Aufklärung für nachhaltiger halte, weil sie weniger Fragen offen lässt. - Aber das wäre ein eigenes Thema.

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#519 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Münek » Fr 20. Jan 2017, 22:26

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Auch wenn Du es im nachhinein erklären willst, es gelingt Dir nicht
Das ist schlecht - aber meine Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt. - Dann verstehst Du es halt nicht.

Halten wir fest:
Aus Deiner Sicht erklärt die RKK einerseits, dass sie die ET anerkannt - andererseits meint sie, dass der Beginn der Menschheit irgendwann vor ca. 5.000 Jahren war. - Verstehe ich richtig, dass Du es so verstehst?
Die katholische Kirche erkennt die Evolutionstheorie nur unter dem Vorbehalt des Eingreifens Gottes an.

Der "Katechismus der Katholischen Kirche" enthält keine Jahresangabe, wann das Stamm-Elternpaar Adam und Eva zu Beginn der Menschheitsgeschichte gegen das göttliche Gebot unter Einflüsterung des Teufels (Schlange) freiwillig verstoßen (Sündenfall) und
damit den Tod und das Übel in die Welt gebracht hat (Erbsünde).

Auch der Apostel Paulus macht in seinem Brief an die Römer diesbezüglich keine Jahresangabe.


Der Homo sapiens (weiser Mensch), dessen Auftreten in Afrika fossil vor ca. 200 000 Jahren belegt ist, kommt als Sünder-Kandidat auf kei-
nen Fall in Betracht. Die Gründe habe ich Dir genannt.

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#520 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Fr 20. Jan 2017, 23:32

Münek hat geschrieben:Die katholische Kirche erkennt die Evolutionstheorie nur unter dem Vorbehalt des Eingreifens Gottes an.
Streng genommen ist das Wort "Vorbehalt" falsch. - Richtig wäre: Die RKK erkennt die ET ausschließlich als naturwissenschaftliche Größe an - das ist kein "Vorbehalt".

Münek hat geschrieben:Der Homo sapiens (weiser Mensch), dessen Auftreten in Afrika fossil vor ca. 200 000 Jahren belegt ist, kommt als Sünder-Kandidat auf keinen Fall in Betracht.
Zumindestens ist er nicht die Figur "Adam" aus der Genesis, der dort als fix und fertiger Mensch dargestellt ist.

Trotzdem ist der 200.000 Jahre alte (oder auch älter) erste Mensch natürlich derjenige, der gemeint ist - Adam steht symbolisch für diesen. - "Adam" steht für den ersten Menschen, der sein Spiegelbild im Wasser als "Ich" erkennen konnte (das können Schimpansen auch) UND - viel wichtiger - dieses eigen-bewusst reflektieren konnte - etwa im Sinne: "Das bin Ich, der mit Meinesgleichen der Maßstab der Welt ist" - so wie es Goethe meint:
"Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein <Gott> nicht zu achten,
Wie ich!"

Natürlich hätte man vor 200.000 Jahren keine Gedichte wie diese verstanden - aber irgendwann damals ging es los mit dem Spiegelbild im Wasser - "Ego sum".

Nun könnte man den Genesis-Adam möglicherweise als denjenigen Menschen verstehen, bei dem erstmals dieser Prozess abgeschlossen war - also sozusagen der erste Mensch, der ein solches Gedicht von Goethe hätte reflektierend hätte verstehen können - also erstmals das hätte geistig abschließen können, was mit dem Spiegelbild im Wasser begann. - Da wäre dann die Frage an Fachleute, ab wann sie menschen-geschichtlich einen so hohen Abstraktions-Grad für möglich halten - das wäre eine Frage an Anthropologen und vielleicht auch Evolutions-Forscher.

Dann KÖNNTE die Datierung ca. 3.000 v.Chr. sogar wieder Sinn machen. - Aber es ist nicht wichtig, wenn man die grundsätzliche Dimension dessen verstanden hat, was in der Genesis steht. Bei einem solchen Verständnis ist es schlicht wurscht, wann es erstmals da war. - Und nebenbei: Die Genesis-Geschichte wiederholt sich in jedem einzelnen Menschen neu.

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