Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1031 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 5. Nov 2016, 15:48

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Laut closs muss die Forschung nun setzen, dass es die Götter gab, um diesen aztekischen Glauben untersuchen zu können.
So nicht. - Sie muss sich im klaren sein, dass BEIDES möglich ist und beide Fälle untersuchen, WENN (aber wirklich nur WENN) sie ergebnisoffen sein will.
Aber da zeigt sich doch der Irrsinn deiner Setzung. Die Forschung soll also bei tausenden von Göttern deren Existenz voraussetzen und dann innerhalb des Glaubenskonstrukts die Richtigkeit des Konstrukts "beweisen". Dann wird man zwangsläufig, weil zirkelschlüssig, zu dem Ergebnis kommen, dass neben Jahwe noch tausende von Göttern existieren. Was soll das bringen?


closs hat geschrieben: Um solchem Zirkus zu entgehen, plädiere ich doch für reine Sacharbeit OHNE Bewertungen - dann ist es wirklich wurscht. - Denn ein Quelle, die im Jahr 80 n.Chr. entstanden ist, ist es unabhängig davon, ob Jesus nur Mensch oder auch Gott ist.
Nichts anderes tut die Forschung, sie bewertet die Quellen. Und danach hatte Jesus eine Naherwartung, unabhängig davon, wer er war.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: aber welche moralisch-ethischen Abgründe tun sich hier auf?
Ich kann in etwa nachvollziehen, welche weltanschauliche Positionierung zu einem solchen Schluss führen kann - geh davon aus, dass diese Positionierung nicht geeignet ist, das Buch "Hiob" zu verstehen.
Wie immer verwechselst du verstehen mit goutieren. Das sind nun mal 2 Paar Schuhe.
Das Gottesbild, das hier entworfen wird, ist typisch für das AT. Worin liegt denn nun der Paradigmenwechsel des NT? Würde der Gott des NT Hiob noch mal sinnlos quälen oder hat er sich geändert?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1032 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 5. Nov 2016, 18:27

sven23 hat geschrieben:Aber da zeigt sich doch der Irrsinn deiner Setzung. Die Forschung soll also bei tausenden von Göttern deren Existenz voraussetzen und dann innerhalb des Glaubenskonstrukts die Richtigkeit des Konstrukts "beweisen".
Muss sie nicht - sie kann auch sagen "Das machen wir nicht", wir untersuchen ausschließlich unter der Prämisse, dass Gott/Götter eine Erfindung des Menschen sind. - Bzw. dass Jesus nichts als ein Wanderprediger ist.

Da hat keiner etwas dagegen, wenn es so offengelegt wird. Die HKM tut aber (nach Deinen Worten) so, als gälten ihre Schlussfolgerungen auch dann, wenn Jesus göttlich wäre. Und genau das ist falsch. - Konkret: Wenn Jesus der ist, für den er christlicherseits gehalten wird, hatte er KEINEN Naherwartung in Deinem Sinne - sieht man ihn ausschließlich als Wanderprediger, hatte er eine Naherwartung in Deinem Sinne.

sven23 hat geschrieben:Nichts anderes tut die Forschung, sie bewertet die Quellen. Und danach hatte Jesus eine Naherwartung, unabhängig davon, wer er war.
Doch - die HKM tut etwas anderes - und ihre Schlussfolgerungen sind NICHT unabhängig davon, wer er war. - Genau das ist der Punkt.

Wenn wir damals im Institut den Forschungsauftrag bekommen hätten "Überprüfen Sie, ob Jesus unter der Prämisse, dass er nichts als ein Wanderprediger war, eine Naherwartung hatte", wären wir wahrscheinlich ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass er eine hatte - selbst wenn wir es theologisch anders gesehen hätten. Das ist, was ich an anderer Stelle "Zwiespalt" genannt habe, in dem HKM-ler innerhalb der Theologie stehen.

sven23 hat geschrieben: Worin liegt denn nun der Paradigmenwechsel des NT?
Unter anderem gibt es einen Ruck Richtung NT (den Paradigmenwechsel selbst gibt es erst im NT), weil Gott als persönliche Größe verstanden wird, an dem man sich emotional reiben kann (Hiob "rechtet" mit ihm), und weil der Scheol-Gedanke aufgelöst wird in Richtung transzendentes Himmelreich:
19,
25 Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und zuletzt wird er sich über den Staub erheben.
26 Und nachdem diese meine Hülle zerbrochen ist, dann werde ich, von meinem Fleisch los, Gott schauen


Und zudem: Es wird bereits dort erkannt, dass Gott nicht mit Menschenmaß fassbar ist, also bereits hier die Grenzen menschlicher Vernunft erkannt, jenseits derer sich ein Feld göttlicher Vernunft auftut. - Siehe die Dialoge zwischen Hiob und seinen Freunden.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1033 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 5. Nov 2016, 19:31

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber da zeigt sich doch der Irrsinn deiner Setzung. Die Forschung soll also bei tausenden von Göttern deren Existenz voraussetzen und dann innerhalb des Glaubenskonstrukts die Richtigkeit des Konstrukts "beweisen".
Muss sie nicht - sie kann auch sagen "Das machen wir nicht", wir untersuchen ausschließlich unter der Prämisse, dass Gott/Götter eine Erfindung des Menschen sind. - Bzw. dass Jesus nichts als ein Wanderprediger ist.
Das Gegenmodell ist halt, dass man zirkelreferent "beweist", dass es tausende von Göttern gibt. Willst du das?

closs hat geschrieben: Da hat keiner etwas dagegen, wenn es so offengelegt wird. Die HKM tut aber (nach Deinen Worten) so, als gälten ihre Schlussfolgerungen auch dann, wenn Jesus göttlich wäre. Und genau das ist falsch. - Konkret: Wenn Jesus der ist, für den er christlicherseits gehalten wird, hatte er KEINEN Naherwartung in Deinem Sinne - sieht man ihn ausschließlich als Wanderprediger, hatte er eine Naherwartung in Deinem Sinne.
Jesus als Gott vorauszusetzen und dann folgern, dass er sich nicht geirrt haben kann, egal was die Quellen sagen, ist ebenfalls ein klassischer Zirkelschluss. Bringt nichts in Bezug auf das, was der Fall ist. Deshalb hält man solche Zirkelschlüsse auch aus der historischen Forschung heraus.



closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Worin liegt denn nun der Paradigmenwechsel des NT?
Unter anderem gibt es einen Ruck Richtung NT (den Paradigmenwechsel selbst gibt es erst im NT), weil Gott als persönliche Größe verstanden wird, an dem man sich emotional reiben kann (Hiob "rechtet" mit ihm), und weil der Scheol-Gedanke aufgelöst wird in Richtung transzendentes Himmelreich:
19,
25 Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und zuletzt wird er sich über den Staub erheben.
26 Und nachdem diese meine Hülle zerbrochen ist, dann werde ich, von meinem Fleisch los, Gott schauen


Und zudem: Es wird bereits dort erkannt, dass Gott nicht mit Menschenmaß fassbar ist, also bereits hier die Grenzen menschlicher Vernunft erkannt, jenseits derer sich ein Feld göttlicher Vernunft auftut. - Siehe die Dialoge zwischen Hiob und seinen Freunden.
Du merkst ja selber, dass da nicht viel an neuem zustande kommt. Der Paradigmenwechsel ist eine Urban Legend.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1034 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 5. Nov 2016, 20:07

sven23 hat geschrieben:Das Gegenmodell ist halt, dass man zirkelreferent "beweist", dass es tausende von Göttern gibt. Willst du das?
Darum geht es nicht. - Es geht darum, ob man es für sinnvoll hält, Jesus auch dann wissenschaftlich zu untersuchen, wenn er das ist, wofür ihn die Theologie hält.

Man MUSS gar nichts, außer offenlegen, in welchem Rahmen eine Aussage gültig ist.

sven23 hat geschrieben:Jesus als Gott vorauszusetzen und dann folgern, dass er sich nicht geirrt haben kann, egal was die Quellen sagen, ist ebenfalls ein klassischer Zirkelschluss.
Stimmt - da müssen dann auch schon Argumente her. Und die gibt es ja, sind aber der HKM nicht zugänglich.

sven23 hat geschrieben:Du merkst ja selber, dass da nicht viel an neuem zustande kommt.
Hä? - Das waren drei Punkte. :o

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1035 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 5. Nov 2016, 20:23

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das Gegenmodell ist halt, dass man zirkelreferent "beweist", dass es tausende von Göttern gibt. Willst du das?
Darum geht es nicht. - Es geht darum, ob man es für sinnvoll hält, Jesus auch dann wissenschaftlich zu untersuchen, wenn er das ist, wofür ihn die Theologie hält.
Was ist das denn wieder für ein Blödsinn? Du hast doch selber eingesehen, dass eine wissenschaftliche Untersuchung von Gott/Göttern per Definition gar nicht geht. Warum fällst du immer wieder hinter eine einmal gewonnene Erkenntnis zurück?

closs hat geschrieben: Man MUSS gar nichts, außer offenlegen, in welchem Rahmen eine Aussage gültig ist.
Das tut die Forschung doch. Ihre Methode ist die historisch-kritische, und sie genügt wissenschaftlichen Ansprüchen. Glaubensdogmatische Entscheidungen tun das nicht.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Jesus als Gott vorauszusetzen und dann folgern, dass er sich nicht geirrt haben kann, egal was die Quellen sagen, ist ebenfalls ein klassischer Zirkelschluss.
Stimmt - da müssen dann auch schon Argumente her. Und die gibt es ja, sind aber der HKM nicht zugänglich.
Wenn sie nicht zugänglich sind, genügen sie auch keinen wissenschaftlichen Kriterien.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Du merkst ja selber, dass da nicht viel an neuem zustande kommt.
Hä? - Das waren drei Punkte. :o
Und das soll der berühmte Paradigmenwechsel sein? Wieviele Millionen Theologiearbeitsstunden wurden dafür in den letzten 2000 Jahren vergeudet? :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1036 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 5. Nov 2016, 20:40

sven23 hat geschrieben:Was ist das denn wieder für ein Blödsinn? Du hast doch selber eingesehen, dass eine wissenschaftliche Untersuchung von Gott/Göttern per Definition gar nicht geht.
Es geht darum, dass man eine historische Person auf deren Anspruch hin untersucht, göttlicher Natur zu sein. - Die HKM soll nicht Zeus auf dem Olymp oder Jahwe im Himmelreich untersuchen, aber den historischen Jesus, der selber darauf hinweist, in der Historie göttlich zu sein.

Oder man lehnt es ab - aber dann muss man diese Ablehnung kennzeichnen und somit dem Leser signalisieren, dass die eigenen Aussagen nur für den Fall gelten, dass Jesus nichts als ein Wanderprediger ist.

sven23 hat geschrieben:Das tut die Forschung doch.
Sie tut es insofern NICHT, dass sie den Eindruck erweckt, ihre Aussagen gälten universal, also auch für Fälle, die sie nicht untersuchen will oder kann.

sven23 hat geschrieben:Wenn sie nicht zugänglich sind, genügen sie auch keinen wissenschaftlichen Kriterien.
Das ist nun wirklich ganz offensichtlich falsch: "Was mir nicht zugänglich ist, ist irrelevant" - eine weltanschauliche Entstellung der methodischen Forderung des Kritischen Rationalismus (man beachte den Unterschied zwischen "weltanschaulich" und "methodisch".

sven23 hat geschrieben:Und das soll der berühmte Paradigmenwechsel sein?
Nein - denn dieser findet erst im NT statt. - Aber hier passieren bereits Entwicklungen, die dem AT vollkommen fremd sind und auf das NT hinweisen.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1037 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 5. Nov 2016, 21:15

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was ist das denn wieder für ein Blödsinn? Du hast doch selber eingesehen, dass eine wissenschaftliche Untersuchung von Gott/Göttern per Definition gar nicht geht.
Es geht darum, dass man eine historische Person auf deren Anspruch hin untersucht, göttlicher Natur zu sein. - Die HKM soll nicht Zeus auf dem Olymp oder Jahwe im Himmelreich untersuchen, aber den historischen Jesus, der selber darauf hinweist, in der Historie göttlich zu sein.
Jesus hat sich selber nicht als göttlich angesehen, darin ist sich die Forschung einig. Siehe dazu auch den Artikel zu christologischen Hoheitstiteln der Bibelwissenschaft.

closs hat geschrieben: Oder man lehnt es ab - aber dann muss man diese Ablehnung kennzeichnen und somit dem Leser signalisieren, dass die eigenen Aussagen nur für den Fall gelten, dass Jesus nichts als ein Wanderprediger ist.
siehe oben

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das tut die Forschung doch.
Sie tut es insofern NICHT, dass sie den Eindruck erweckt, ihre Aussagen gälten universal, also auch für Fälle, die sie nicht untersuchen will oder kann.
Einfach mal einschlägige Literatur dazu lesen. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn sie nicht zugänglich sind, genügen sie auch keinen wissenschaftlichen Kriterien.
Das ist nun wirklich ganz offensichtlich falsch: "Was mir nicht zugänglich ist, ist irrelevant" - eine weltanschauliche Entstellung der methodischen Forderung des Kritischen Rationalismus (man beachte den Unterschied zwischen "weltanschaulich" und "methodisch".
Wie willst du denn etwas untersuchen, was nicht zugänglich ist. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und das soll der berühmte Paradigmenwechsel sein?
Nein - denn dieser findet erst im NT statt. - Aber hier passieren bereits Entwicklungen, die dem AT vollkommen fremd sind und auf das NT hinweisen.
Und was findet denn jetzt im NT statt? Worin bestand der angebliche Paradigmenwechsel?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1038 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 5. Nov 2016, 22:29

sven23 hat geschrieben:Jesus hat sich selber nicht als göttlich angesehen, darin ist sich die Forschung einig.
Irgendwo sagt er: "Ich bin die Torah". - Was sagt die HKM dazu? - Ich halte diese Einigkeit für ziemlich mutig.

sven23 hat geschrieben:Einfach mal einschlägige Literatur dazu lesen.
Du weichst aus - die Grundfrage ist klar und nicht Frage von wissenschaftlichen Ausführungen, sondern von Grundlagen der jeweiligen Methodik.

sven23 hat geschrieben:Wie willst du denn etwas untersuchen, was nicht zugänglich ist.
Gar nicht - aber redlicherweise kann man sagen: "Dinge, die unter anderen Perspektiven geistig zugänglich sind, sind methodisch nicht unser Ding. - Deshalb lassen wir es außen vor - im Wissen, dass es es geben kann. - Wir sind lediglich ergebnisoffen im Rahmen dessen, was wir können".

sven23 hat geschrieben:Und was findet denn jetzt im NT statt? Worin bestand der angebliche Paradigmenwechsel?
Der Spur nach:
Die Erfüllung des menschlichen Daseins wird in das Himmelreich bzw. in die spirituelle Nähe des Himmelreichs während der Daseins-Zeit verlagert. - Das Warten im Scheol (worauf eigentlich?) wird aufgelöst in eine konkrete Erlösungs-Lösung. - Begnadung bemisst sich nicht mehr an weltlichem Reichtum (obwohl das dann einige Prädestinations-Freunde wieder eingeführt haben). - Der Mensch ist frei, weil er in der Welt nichts mehr erreichen MUSS. - Der Weg nach dem Tod ist klar und offen. - Gott erscheint nicht mehr als unnahbare Größe, sondern auf Du zu Du. - Selbstlose Humanität wird zum religiösen Wert. - Paulus nennt es irgendwo den "neuen Menschen".

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1039 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » So 6. Nov 2016, 07:21

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Jesus hat sich selber nicht als göttlich angesehen, darin ist sich die Forschung einig.
Irgendwo sagt er: "Ich bin die Torah". - Was sagt die HKM dazu? - Ich halte diese Einigkeit für ziemlich mutig.
Sie ist aber gut begründeter Konsens in der neutestamentlichen Forschung.

"Für was hat sich Jesus gehalten?
Kann man Jesus für den Messias oder den Gottessohn halten und bekennen, wenn er offenbar nicht
einmal sich selbst so gesehen hat? Wenn er sich selbst nur als Mahner und Verkündiger begriffen hat,
aber keineswegs selbst für sich den Anspruch erhoben hat, mehr zu sein als ein Mensch? Muss dann
nicht alle Christologie ins Leere laufen? Und sich damit auch das Christentum insgesamt als eine
gewaltige geistesgeschichtliche Luftnummer erweisen?
Die Frage, ob Jesus ein sog. messianisches Selbstbewusstsein gehabt hat, hat die neutestamentliche
Forschung heftig bewegt. Sie wird immer auch verortet mit den christologischen Titeln, die zur Zeit
Jesu im Umlauf waren und die er selbst verwendet haben könnte. Hat er sie auf sich bezogen? Sehen
wir und einige Möglichkeiten näher an.
Sohn Gottes: Dieser Begriff hat einen fundamentalen Wandel durchgemacht. Mit Abschluss der
altkirchlichen Christologie wurde damit die zweite Person der Trinität bezeichnet. Zugrunde lagen
diesem Verständnis Vorstellungen der griechischen Philosophie, welche u. a. die strenge
Unterscheidung des Göttlichen vom Menschlichen vertrat. Mittelalterliche Theologie konnte sich die
Wendung „Sohn Gottes“ gar nicht anders vorstellen als in den Denkkategorien einer hochgezüchteten
Christologie der Alten Kirche. Von diesem Verständnis war man aber zur Zeit Jesu noch weit
entfernt. „Sohn Gottes“ bezeichnete im Judentum immer etwas Menschliches und in keinem Fall etwas
Göttliches. Das Göttliche war im strengen monotheistischen Glauben nur Gott selbst vorbehalten.
Söhne Gottes: Das waren nach jüdischem Verständnis besonders hervorgehobene Menschen. Die
Könige Israels wurden als Söhne Gottes angesehen, ohne dass sie deshalb mehr waren als Menschen.
Auch Propheten und einfache Gläubige konnten als Söhne Gottes verstanden werden. Jesus selbst
spricht von den Söhnen Gottes (im Plural) und meint damit Menschen, die Frieden stiften (Mt 5,9).
Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass sich Jesus selbst nicht als Sohn Gottes bezeichnet hat.
Selbst wenn er dies getan hätte, wäre dies immer noch fundamental vom späteren Sohnverständnis
des Dogmas entfernt.
...
So haben wir denn den interessanten Sachverhalt, dass die weitaus meisten neutestamentlichen
Forscher an deutschen Universitäten die Meinung vertreten, Jesus habe keinerlei christologische Titel
auf sich bezogen, er habe sich nicht selbst als Messias, als Gottessohn oder auch als Menschensohn
bezeichnet. Hätte er es irgendwann getan, dann hätten sich seine Jünger nach seiner behaupteten
Auferstehung doch sicherlich daran erinnert, und sein Selbstbekenntnis wäre überliefert worden.
Doch stattdessen gab es eben wegen seines eigentlich unmessianischen Erscheinungsbilds nach
seinem Tod reichlich Erklärungsbedarf.
...
Jesus hat sich also selbst nicht als Messias etc. gesehen oder bezeichnet. Theologen müssen
zugeben, dass – wie man in der Theologie sagt – Jesus keine exklusive Christologie vertreten hat."

Kubitza, Der Dogmenwahn

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Einfach mal einschlägige Literatur dazu lesen.
Du weichst aus - die Grundfrage ist klar und nicht Frage von wissenschaftlichen Ausführungen, sondern von Grundlagen der jeweiligen Methodik.
Die wurden schon x-mal vorgestellt. Hier nochmal für unsere Alzheimerpatienten:

"Dies Lehrbuch will wissenschaftliche Jesusforschung vermitteln - nicht nur ihre
Ergebnisse, sondern auch den Prozeß des Wissenserwerbs. Es ist in der Überzeugung
geschrieben, daß 200 Jahre historisch-kritischer Jesusforschung und die in dieser
Zeit enorm vermehrten Quellen zu Jesus und seiner Umwelt wichtige Erkenntnisse
gebracht haben. Zum Wissenschaftsprozeß gehört freilich viel, was Lesern und Leserinnen
Geduld abverlangt, die primär an unmittelbar einleuchtenden Ergebnissen interessiert sind .
...
Wissenschaft sagt nie: „So ist es", sondern nur: „So stellt es sich uns auf dem Stand der Forschung dar.
...
Wissenschaft sagt nicht: „So war es", sondern: „So könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein."
..
Von beiden Seiten wird die geduldige Arbeit der Wissenschaft geringgeschätzt.
Und doch gibt es zu ihr in einer aufgeklärten Gesellschaft und einer
offenen Kirche , die sich über ihre eigenen Grundlagen Rechenschaft ablegen will,
keine Alternative."

Gerd Theißen, Der historische Jesus

Ps. bitte langsam durchlesen und abspeichern, damit du nicht immer wieder dasselbe fragen mußt. ;)


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wie willst du denn etwas untersuchen, was nicht zugänglich ist.
Gar nicht - aber redlicherweise kann man sagen: "Dinge, die unter anderen Perspektiven geistig zugänglich sind, sind methodisch nicht unser Ding. - Deshalb lassen wir es außen vor - im Wissen, dass es es geben kann. - Wir sind lediglich ergebnisoffen im Rahmen dessen, was wir können".
Die Forschung kann jeden Glauben und jeden noch so großen Unsinn untersuchen. Sie macht dennoch keine Aussagen über den "Wahrheitsgehalt" von Glaubensinhalten. Ist das immer noch nicht verstanden worden? :roll:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1040 Re: Theodizee

Beitrag von closs » So 6. Nov 2016, 09:38

sven23 hat geschrieben:Sie ist aber gut begründeter Konsens in der neutestamentlichen Forschung.
Das halte ich nach wie vor für mutig. Wahrscheinlich meinst Du wieder statt NT-Forschung HKM-Forschung.

sven23 hat geschrieben:Wissenschaft sagt nicht: „So war es", sondern: „So könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein."
Siehst Du - das hatte ich Erinnerung, weshalb Theißen nicht das Problem ist - er hat recht. - Warum aber wird er dann immer anders dargestellt?

Nach Theißen könnte es aufgrund der Quellen so gewesen sein, dass Jesus eine Naherwartung hatte - stimmt. - Wenn man die Quellen säkular auslegt, ist das in der Tat richtig. - Warum wird dann ständig rumschwadroniert, dass es als fakten-gleich gesichert gälte, dass er eine Naherwartung hatte? - Wenn Theißen auf Basis dieses seines sehr einsichtigen Satz über die Relativität von HKM-Aussagen zur Bibel sagt "Jesus hatte eine Naherwartung", dann mit dem automatischen Zusatz: "so könnte es aufgrund der Quellen gewesen sein". -

Ist Dir eigentlich klar, dass ich seit Monaten im Sinne von Theißen argumentiere, und Ihr ihn unredlich verargumentiert? - Warum bringst Du Theißen-Zitate, die im groben Widerspruch zu dem stehen, wie hier seit Monaten unredlicherweise die HKM verkauft wird? - Aus Einsicht oder aus Versehen?

sven23 hat geschrieben:Die Forschung kann jeden Glauben und jeden noch so großen Unsinn untersuchen. Sie macht dennoch keine Aussagen über den "Wahrheitsgehalt" von Glaubensinhalten.
Auch richtig. - Deshalb sollte die HKM auf Sachebene bleiben und keine weltanschaulichen Aussagen machen. - So gesehen dürftest Du so gut wie nie Kubitza zitieren, weil er wissenschaftlich durch und durch unredlich ist.

Man dürfte hier lediglich sagen:
"Es könnte aufgrund der Quellen so gewesen sein, dass Jesus sich NICHT als Gottes Sohn verstanden hat". - Dann wäre man auf Theißen-Niveau.

Antworten