Descartes und die menschliche Seele

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#391 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 22:49

SilverBullet hat geschrieben:du hast gerade Qualia, das phänomenale Bewusstsein, einschliesslich Semantik entsorgt.
Weiß ich nicht - aber bedenke, dass Bewusstsein nicht nur zum Nachweisen da ist, sondern auch zum Näherkommen, also zur Entwicklung zu einem Nie-Erfüllbaren hin.

SilverBullet hat geschrieben:Das Gehirn analysiert sich nicht selbst, „es erkennt sich nicht selbst“, sondern die Zusammenhänge aus den Sinnesorganen ergeben, in einer allzeit vorhandenen Übereinstimmung, dass ein Körper, also ein Objekt, der Ausgangspunkt für Handlungen ist => „das Ich“.
Aber die Sinnesorgane und der Körper sind doch bereits "Res extensa" - also genau das, was in Frage steht, bzw. an deren Existenz man glauben muss, weil man es nicht wissen kann. - Konkret: Der Mensch könnte ein rein-geistiges Wesen sein, das ohne Körper funktioniert - dessen selbst-wahrgenommener Körper also gar nicht "echt" ist.

SilverBullet hat geschrieben: Diesen „Beweis“ möchte ich zuerst einmal sehen – du hast gerade selbst angegeben, dass es logisch nicht möglich ist, dass sich etwas selbst überprüft.
Da sagen Augustinus und Descartes fast wörtlich das Gleiche: Selbst wenn ich ALLES in Frage stellen, ist noch etwas da, das in Frage stellt - das ist die Res Cogitans, also das geistige Ich ("Si enim fallor, sum"). - Mir ist keine erkenntnis-theoretische Aussage bekannt, die diese 1500 und 500 Jahre alten Erkenntnisse toppt. (Geht das überhaupt noch?)

SilverBullet hat geschrieben:ohne einen interaktiven Körper, gibt es auch keinen Wahrnehmungszugang
Es geht auch rein geistig ohne Körper. - Ich weiss nicht, ob das reinpasst: Man hört, dass von Geburt an Blinde in Träumen sehen können.

SilverBullet hat geschrieben:„Du“ würdest es nicht merken, wenn „du“ ein festgelegter Zusammenhangsvorgang mit evolutionärer Entstehungsgeschichte rund um den Körper (von Lebewesen) wärst.
Nein - meinst Du, Descartes denkt da anders. - Er wischt doch gerade solche Zusammenhänge weg, weil sie ihm für ontologische Fragestellungen nicht tauglich sind.

closs
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#392 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 23:08

Pluto hat geschrieben:Verbote und Gebote halte ich für den falschen Ansatz, denn jeder sollte hier seine Meinung einbringen dürfen.
Es hat nichts mit Verboten zu tun, sondern mit methodischer Disziplin. - Als Vertreter einer Disziplin sollte man "im Dienst" nur über das sprechen, was die Kompetenz der jeweiligen Disziplin entspricht.

Pluto hat geschrieben:Wie lächerlich sie sich mit Dämonenaustreibungen machten solltest auch du wissen.
Das wäre ein ganz anderes Thema: Woher wollen wir wissen, ob es nicht äußere Kräfte gibt, die den Menschen besetzen können?

Pluto hat geschrieben:Was sind "psychotische Dinge"?
Krankheiten/Störungen, die zwar neurologisch abbildbar sind, aber (meistens) nicht neurologisch verursacht werden.

Das ist kompliziert, da man das eine nicht scharf vom anderen trennen kann - aber in der Psychiatrie unterscheidet man zwischen
* exogen verursacht (Autounfall - schwere Kopfverletzung - Epilepsie oder andere schwerwiegenden Störungen) - das wäre eindeutig neurologischer Natur.
* reaktive verursacht (Vergewaltigung in jungen Jahren - psychische Störungen) - das wäre psychologischer Natur, was aber bis ins Psychotische hineingehen kann.
* endogen verursacht (weder exogen noch reaktiv, sondern einfach 'da') - das wird man auch neurologisch und psychologisch behandeln, aber der Grund dafür liegt tiefer.

Pluto hat geschrieben:Geist ist ein Prozess und kein Ding.
Geist ist aus spirituell-ontologischer Sicht eine Entität, durch den Prozesse ablaufen - also Widerspruch.

Pluto hat geschrieben:Hast du nicht selbst gesagt, Geist sei Transzendenzfähigkeit?
Ist nur aus Sicht der "geistigen/theologischen Fraktion" verständlich, wenn man ihn als transzendent "geerdet" versteht ("da hat er seinen Ursprung")

Pluto hat geschrieben:Du wirst die beiden Fragen nicht durch eine Behauptung trennen können.
Die Antwort ist: Ein quantitatives "Anders" gibt es hier nicht, weil es qualitativ grund-unterschiedlich ist.

Pluto hat geschrieben:Es ist aber so, dass wir jede Nacht wenn wir in einen traumlosen Schlaf verfallen, "bewusstlos" werden.
Wenn "Bewusstsein" SO gemeint ist, sprechen wir die ganze Zeit von Verschiedenem - ich sprechen von "Geist" als "Identitätsträger" - egal ob am Tag oder nachts, egal ob der Körper wach ist oder nicht.

closs
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#393 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 23:09

Pluto hat geschrieben:Sollte es Hinweise geben, dass Geist ohne Materie existiert, würde die Wissenschaft dies sofort untersuchen.
KANN sie doch nicht - sie kann nur naturalistisch Fassbares untersuchen.

Novas
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#394 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Novas » Do 20. Okt 2016, 23:24

Pluto hat geschrieben:Sollte es Hinweise geben, dass Geist ohne Materie existiert, würde die Wissenschaft dies sofort untersuchen.

Sollte es Hinweise geben, dass Materie ohne Geist existiert, solltest Du jemals dafür zweifelsfreie Beweise finden, dann werde ich Materialist. ;) Du setzt immer voraus, dass es „Materie“ gibt. Ich drehe es eben rum und sage: was Du Materie nennst, ist nur eine Wahrnehmung. Nicht nur Christen, sondern auch Buddhisten glauben das. Der Buddha sagte: „Alle Dinge entstehen im Geist, sie sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.“ - die Materie ist unsres mächtigen Geistes Schöpfung.

Dem kommt ja auch die moderne Wissenschaft immer mehr auf die Spur:


Unsere Erfahrung der Welt ist sicherlich eine Erfahrung der Festigkeit – so dass wir davon ausgehen, dass „Ding an sich“ müsste ebenso solide sein. Für 2000 Jahre glaubte man, dass Atome winzige feste Kügelchen wären – ein Modell, dass deutlich der alltäglichen Erfahrungen entlehnt wurde. Dann, als Physiker entdeckten, dass die Atome aus elementaren, subatomaren Teilchen (Elektronen, Protonen, Neutronen und dergleichen) aufgebaut sind, verschob sich das Modell zu einem zentralen Kern und ihn umkreisenden Elektronen – wieder ein Modell aus der Erfahrung.

Ein Atom ist zwar klein, nur ein Milliardstel von einem Zoll im Durchmesser, aber die subatomaren Teilchen sind noch hunderttausendmal kleiner. Stellen Sie sich den Kern eines Atoms vor, vergrößert auf die Größe eines Golfballs. Das ganze Atom hätte dann die Größe eines Fußballstadions, und die Elektronen flögen wie Erbsen rund um die Tribünen. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts drückte es der britische Physiker Sir Arthur Eddington so aus: „Materie ist größtenteils gespenstisch leerer Raum.“ Um genauer zu sein, ist sie 99.9999999% leerer Raum.

Mit der Entwicklung der Quantentheorie, haben die Physiker herausgefunden, dass sogar subatomare Teilchen weit davon entfernt sind, fest zu sein. In der Tat, sie sind in nichts der Materie ähnlich, wie wir sie kennen. Man kann sie nicht genau bestimmen oder messen. Einen großen Teil der Zeit scheinen sie mehr Wellen als Teilchen zu sein. Sie sind wie neblige Wolken von potenzieller Existenz, ohne eine bestimmte Position. Was immer Materie ist, sie hat wenig, wenn überhaupt irgendeine, Substanz. Unsere Vorstellung von Materie als einer festen Substanz ist, wie die Farbe Grün, eine Qualität, die erst im Bewusstsein erscheint.

"Was immer Materie ist, sie ist nicht aus Materie gemacht." ~ Prof. Hans-Peter Dürr

...

Zusammenfassend bis hierher: Unsere ganze Erfahrung ist eine Konstruktion im Mind, eine Form, die in Bewusstsein erscheint. Diese geistigen Formen sind nicht von physischer Substanz, sondern aus Geist-Stoff gemacht. Wir stellen uns vor, dass die Welt da draußen so wäre, wie die Formen, die im Bewusstsein erscheinen, aber es stellt sich heraus, dass sie in fast jedem Aspekt überhaupt nicht den Bildern gleicht, die sie im Mind erzeugt. Was uns als grundlegende Dimensionen und Attribute der physischen Welt erscheint – Raum, Zeit, Materie und Energie – sind eigentlich nur die grundlegenden Dimensionen und Eigenschaften der Formen, die im Bewusstsein erscheinen.

"Materie ist aus Geist gemacht, nicht Geist aus Materie."
-Das tibetische Buch der großen Befreiung

...

Ervin Laszlo hat die These des Panpsychismus aufgestellt: die Hypothese, dass Bewusstsein nicht spezifisch nur bei Menschen oder höheren Tieren oder sogar Kreaturen mit Nervensystem vorkommt. Es ist in allem. Er gibt sich Mühe, darauf hinzuweisen, dass dies nicht impliziert, dass einfachere Systeme Gedanken oder Gefühle hätten, oder eine der sonstigen geistigen Funktionen, die wir mit Bewusstsein gleichsetzten. Es heißt nur, dass die Kapazität für Bewusstsein besteht, in irgendeiner Form, sei es noch so schwach. Selbst ein bescheidenes Bakterium hat einen Schimmer von dem inneren Licht – vielleicht nur ein Milliardstel des inneren Lichtes, das wir kennen, aber eben nicht überhaupt nichts.

Das aktuelle wissenschaftliche Paradigma geht vom genauen Gegenteil aus – Materie selbst ist völlig gefühllos, ist völlig frei von der Fähigkeit zur Erfahrung. Das Bewusstsein entsteht erst mit der Entwicklung von komplexen Nervensystemen. Das Problem mit dieser Ansicht – David Chalmers „schwieriges Problem des Bewusstseins“ – ist zu erklären, wie bewusste Erfahrung jemals aus unbewusster Materie entstehen kann. Warum läuft nicht alle neuronale Verarbeitung „in der Dunkelheit“?

Ervin argumentiert, dass die einzig vertretbare Antwort sei – auch wenn sie ein Gräuel für die aktuelle wissenschaftliche Weltsicht ist – dass die Fähigkeit zur inneren Erfahrung nicht plötzlich, wie von Geisterhand auftaucht, sobald ein bestimmtes Maß an Komplexität entstanden ist. Sondern das Potenzial für die innere Erfahrung ist schon immer dagewesen.
https://www.sein.de/alles-ist-bewusstsein/
Zuletzt geändert von Novas am Fr 21. Okt 2016, 00:02, insgesamt 1-mal geändert.

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#395 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Fr 21. Okt 2016, 00:01

Novalis hat geschrieben:Sollte es Hinweise geben, dass Materie ohne Geist existiert, solltest Du jemals dafür zweifelsfreie Beweise finden, dann werde ich Materialist. ;)
Einfach mal in den Nachthimmel schauen... Dort gibt es milliarden geistlose Sterne. :mrgreen:

Novalis hat geschrieben:
Unsere Vorstellung von Materie als einer festen Substanz ist, wie die Farbe Grün, eine Qualität, die erst im Bewusstsein erscheint.
https://www.sein.de/alles-ist-bewusstsein/
Es ist eine sehr gewagte Behauptung, Materie mit den Farben zu vergleichen.
Farbe gibt es tatsächlich nur in unserem Geist. Aber kann man das wirklich von den Sternen auch behaupten?

Albert Einstein meinte einst, Materie sei so etwas wie erstarrte Energie. Damit kommen wir der Wahrheit schon näher.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#396 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Novas » Fr 21. Okt 2016, 00:04

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Sollte es Hinweise geben, dass Materie ohne Geist existiert, solltest Du jemals dafür zweifelsfreie Beweise finden, dann werde ich Materialist. ;)
Einfach mal in den Nachthimmel schauen... Dort gibt es milliarden geistlose Sterne. :mrgreen:

Ja ich habe die Wahrnehmung von Sternen, also schon mal nicht ohne Geist. Der ganze Kosmos ist in mir eine bewusste und sehr lebendige Erfahrung in diesem Augenblick :)
Zuletzt geändert von Novas am Fr 21. Okt 2016, 00:07, insgesamt 1-mal geändert.

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#397 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Fr 21. Okt 2016, 00:06

Novalis hat geschrieben:Ja ich habe die Wahrnehmung von Sternen. Der ganze Kosmos ist in mir eine bewusste und sehr lebendige Erfahrung in diesem Augenblick :)
Siehst du da Geist?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#398 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Novas » Fr 21. Okt 2016, 00:09

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Ja ich habe die Wahrnehmung von Sternen. Der ganze Kosmos ist in mir eine bewusste und sehr lebendige Erfahrung in diesem Augenblick :)
Siehst du da Geist?

Ich sehe Wahrnehmungsinhalte, die ich dann unterschiedlich benenne.

Physik ist die Untersuchung der Struktur des Bewusstseins.
Der „Stoff“ der Welt ist Geiststoff
– Sir Arthur Eddington


:thumbup:

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#399 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Fr 21. Okt 2016, 00:12

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Sollte es Hinweise geben, dass Geist ohne Materie existiert, würde die Wissenschaft dies sofort untersuchen.
KANN sie doch nicht - sie kann nur naturalistisch Fassbares untersuchen.
Hat mit "naturalistisch" nichts zu tun.
Aber um dir zu antworten... Alles was fassbar ist, ist WISSENSCHAFTLICH untersuchbar.

Auch "naturalistisch" scheint bei dir zu einem Kampfwort mutiert zu sein.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#400 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Fr 21. Okt 2016, 00:23

Pluto hat geschrieben: Alles was fassbar ist, ist WISSENSCHAFTLICH untersuchbar.
Aber Du meinst doch damit lediglich die naturwissenschaftliche Untersuchbarkeit, nicht wahr? - Wie willst Du wissenschaftlich (in Deinem Sinn) untersuchen, was in Chopins Klavierkonzerten passiert?

Pluto hat geschrieben:Auch "naturalistisch" scheint bei dir zu einem Kampfwort mutiert zu sein.
Weder "materialistisch" noch "naturalistisch" sind aus meiner Sicht "Kampfworte", sondern dienen ausschließlich der Unterscheidung von naturwissenschaftlicher und geistiger Herangehens-Weise (wobei "geistig" hier wieder im traditionellen Sinne gemeint ist).

Biologie und Chemie KANN man nur naturalistisch/materialistisch untersuchen - anders macht Naturwissenschaft keinen Sinn - positiv zu Gunsten der Naturwissenschaften gemeint. - Bei traditionell-geistigen Fragestellungen ist es umgekehrt.

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